Bis zum nächsten Mal

Noch einmal nasstriefender Neuschnee auf den Fenstern am Morgen, aber es wird jetzt doch etwas langweilig. Der Winter kann meinetwegen weg, der wirkt mittlerweile uninspiriert, womit er allerdings zu mir passt, zugegeben.

Home-Office im Dämmerzustand jedenfalls, selbstverständlich nur auf die Tageslichtmenge im Raum bezogen. Zwischendurch ein Telefonat mit einem Menschen auf Helgoland. Ich war noch nie im Winter auf Helgoland, ich habe massive Neidprobleme. Außerdem arbeite ich den ganzen restlichen Vormittag an einigermaßen wirren Problemen und stelle mir vor, ich würde vom Helgoländer Oberland aus klarer sehen. So über die Nordsee weg und auf den Grund der Dinge. Dann mit Kolleginnen telefonieren und leichthin sagen: „Also von hier aus ist es einfach.“ Vielleicht doch mal Workation dort anpeilen.

Am Nachmittag die Demo. In den sozialen Medien sehe ich vorab mehrfach die Aufrufe, sich bloß lange Unterwäsche anzuziehen, die so fürsorglichen Timelines. Die Demo beginnt um 15.30, es ist schon ab 15:00 und schon ab kurz vor unserer Haustür voll auf dem Weg zum Jungfernstieg, die Leute strömen herbei. Eine stark überfüllte U-Bahn voller Menschen mit Pappschildern und Fahnen. Der Rückstau unten in der Station Jungfernstieg dann schon so, dass es für klaustrophobe Menschen sicher zur Umkehr gereicht hat. Oben dann die erstaunlichen Massen, die Sie mittlerweile vermutlich irgendwo auf Bildern gesehen haben.

In welcher Gesamtzahl auch immer die Menschen da erscheinen, es sind verdammt viele, wir sind alle da. Wir sind gefühlt vollzählig angetreten, von den längst ergrauten Demo-Veteraninnen bis zu den frisch aufgebrachten Schülerinnen.

Wir stehen vor dem Alsterhaus, und mehr können wir auch gar nicht machen. Man kommt nicht vor oder zurück, man kann keinen Schritt mehr gehen. Man versteht auch nichts, falls überhaupt irgendwo geredet wird, es wird uns gar nicht klar. Wir bekommen nichts mit, wir stehen da einfach nur gegen Rechts und es wird immer noch voller und voller. Nach einer Stunde wird es dann doch langsam arg kalt von unten und ich lobpreise mein früheres Ich, das in kompetenter Voraussicht zuhause in der Küche die Zutaten für die rettende Suppe schon bereitgelegt hat, das sinnigste Mise en place seit längerer Zeit.

„Einhörner gegen Rassismus“ steht auf einem Plakat nicht weit von uns, es ist eine betont inklusive Veranstaltung. Grüße auch an die geschätzten Strickerinnen gegen Rechts. Viele Gruppen sind qua Pappschild gegen Nazis, gegen Rassismus, gegen jene Partei, auch WeBü. Was aber ist WeBü? Weltbürger? Ich frage nach, es ist Wellingsbüttel. So kommt man auch einmal in Kontakt mit Menschen aus Vierteln, die man nur dem Hörensagen nach kennt.

Ich mache keine Fotos, ich bin zu klein, ich kann das Handy nicht über die Massen halten. Größere neben mir machen das aber und zeigen dann die Bilder herum – es sind immer noch mehr Menschen, als wir ohnehin schon denken, deutlich mehr.

Auf dem Rückweg merken wir es dann noch einmal, denn wir gehen über den Neuen Jungfernstieg und ganz um die Binnenalster herum zurück ins Bahnhofsviertel, und es ist dabei durchgehend und überall weiterhin voll, den ganzen Weg entlang. Menschen halten einfach weiter ihre Schilder hoch, die Demo ergießt sich bei der Auflösung in die Viertel.

Ich denke, es hat uns alles sehr gutgetan, und vielleicht ja auch der Sache. Aber die Verabschiedung „Bis zum nächsten Mal“ höre ich auch nicht nur einmal und sehe dann später am Computer, dass die Grundgesetz-Ultras aus anderen Städten den Nachmittag in Hamburg mit sportlichem Interesse zur Kenntnis nehmen, wir winken in Richtung München.

Im Bild noch eben das, was ich aus der Hüfte und mit sehr kalten Fingern auf dem Heimweg geschossen habe. Die immer noch auf dem Jungfernstieg stehende Menschenmenge muss man sich einfach dazudenken. Es war ein schöner Demoabend, wie man sieht, auch recht ansprechend beleuchtet.

Abendblick von der Kennedy-Brücke in Richtung Jungfernstieg

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6 Kommentare

  1. Da ich besser fotografieren als schreiben kann, habe ich bei mir ein paar Fotos veröffentlicht.
    Es war so voll, dass die Polizei sich irgendwann gar nicht mehr die Mühe gemacht hat, die Bannmeile zu schützen. Die saßen handydaddelnd in ihren Wannen während sich der Rathausmarkt füllte 🙂

  2. Das war beileibe nicht meine erste Demo, aber noch keine zuvor hat mich gefühlsmäßig dermaßen überwältigt. Angesichts der unglaublichen Menschenmenge, die sich dem Wetter zum Trotz aufgemacht hatte zu zeigen, wie die Mehrheit im Lande tickt, fühlte ich so etwas wie Stolz auf diese Stadt:
    Hamburg, meine Perle!
    Die Initiatoren und Unterstützer waren sehr wichtig, die Reden nicht unbedingt (ich konnte auch nur Bruchteile verstehen), aber das durchdringende Motto „Nie wieder“ reichte, die Übereinstimmung zu beklatschen. Alle wussten, warum sie da waren und es herrschte eine rundherum freundliche Atmosphäre.

  3. Das war wirklich ein Mut machendes Erlebnis.
    Besonders, wenn man bedenkt, dass jede Person von uns mindestens 5-10 Personen im eigenen Umfeld hat, die aus unterschiedlichsten Gründen nicht da sein konnten (mit dem Rollstuhl bspw. war die Teilnahme sehr mühselig, konnte ich an einigen Stellen beobachten).
    Und was auch erwähnt gehört, ist, wie gut die Zahnräder, die funktionieren mussten, ineinander griffen. Wir kamen um 16 Uhr, als die ersten schon wieder wegen der Überfüllung gingen. Da wurden unten auf den Bahnsteigen Sicherheitsvorkehrungen unterschiedlichster Art getroffen, damit die Menschenmengen sich raus bewegen konnten und die Bahnsteige nicht völlig überfüllten, auch bei der Rückfahrt nach Ende der Demo. Dszu das vorzeitige Demoende, das Abfließen lassen über die unterschiedlichen Einkaufshäuser, die Sicherheits- und Einsatzkräfte, die alle souverän und freundlich waren.
    Und wie toll war bitteschön diese hanseatische, unaufgeregte Nüchternheit, Freundlichkeit und Ruhe gepaart mit der hoffnungsvollen Stimmung und „Jetzt reicht’s wirklich, Zeit zum Aufstehen“-Bestimmtheit unter den Teilnehmer*innen, mit der alles ablief?

    Danke für die Bilder, Birte.

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