In exponierter Lage

Die ganze Woche ist schon wieder zu voll, zu terminreich, zu überladen und ich gucke mir jeden Punkt, der zu erledigen ist, noch einmal an, ob er nicht doch vermeidbar gewesen wäre, aber das ist nicht der Fall. Es gibt Wochen, die sind einfach so, und ich hätte dann gerne einmal wieder eine von den anderen, die es angeblich auch geben soll.

Und auch wieder die amtlichen Sturmwarnungen am Morgen, alles findet hier in endlosen Schleifen statt. In exponierten Lagen soll es heute bis Beaufort 10 geben. Wenn ich vom Sofa aufstehe und ein paar Schritte weiter auf den Balkon gehe, bin ich schon in exponierter Lage, ich muss nur eine Tür aufmachen. Ich habe gestern in einem Podcast gehört, dass wir erst seit sechzig Generationen in Gebäuden leben, davor waren wir alle noch dauernd in exponierter Lage. Man müsste aber ziemlich oft Ururur … vor Oma oder Opa wiederholen, um jener Menschen zu gedenken, die diesen Zustand beendet haben. Dennoch ein Dank in die diffuse Vergangenheit, das habt ihr gut gemacht, das mit den Gebäuden, ich bin ganz gerne drinnen.

Ich lese die Nachrichten nach, jemand redet wieder von irgendwas, das sich irgendwer, die Mittelschicht vermutlich, mit harter Arbeit verdient habe, immer wird das betont, diese harte Arbeit. Wenn ich eine Kolumne schreibe, was ich gleich zu tun haben werde, wie mache ich das denn hart? Ich will doch hinterher auch etwas verdient haben. Harte Arbeit ist nicht seelisch gemeint, nehme ich stark an, harte Arbeit klingt für mich eindeutig körperlich. Seelisch kann man kinderleicht jedes alberne To-Do, jede Tätigkeit hart finden, das wäre wohl zu einfach. Nein, das ist sicher nicht hart genug. Harte Arbeit muss wehtun, muss Gelenke und Muskeln und Schwielen und Blasen betreffen, Blohm & Voss, Bergbau, irgendwas mit Beton, dergleichen. Nach harter Arbeit darf man gar nichts anderes mehr machen können.

Das härteste Schreiben habe ich Anfang der Neunziger erlebt, als ein Kollege ein irrwitzig schweres Trumm vom Kugelkopfschreibmaschine hatte, auf der er einen unglaublich lauten Maschinengewehrsound hämmern konnte, den man im ganzen Bürohaus gehört hat, da gingen überall sofort die Türen zu, wenn der mit einem Brief anfing. Damals noch Einzelbüros, liebe Kinder, alle saßen wir in Einzelbüros und rauchten darin wie die Schlote, das war auch hart. Das kann ich aber nicht reproduzieren, diese bedrohliche Geräuschkulisse, ich würde hier ja alle wecken, bei meinen frühen Schreibzeiten.

Ich setze mich erst einmal unbequemer hin, auf einen harten Küchenstuhl. Ich will mitreden können bei diesem Arbeitsthema. Hinterher aufstehen und stöhnen, sich den schmerzenden Rücken halten, ach, die Arbeit, diese harte Arbeit, gottverdammt.

Man macht was mit.

***

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3 Kommentare

  1. Ich lese gerade, dass Herr unsäglich Lindner fordert, wir müssten härter arbeiten. Mehr Leistungsbereitschaft, sonst gehen wir alle den Bach runter…

  2. Stelle mir gerade meine Seele als so einen durch-die-Wüste-Ultra-Marathon-Läufer-vor, der mit letzter Kraft enery-Gel aus so einer Astronauten Caprisonne nuckelt und dann sagt, wie gut dieses Rennen gelaufen ist.
    Nach Herrn Lindner Definition chille ich mein Leben.

  3. „Wie hat´‘s der Mensch so wohl bedacht,
    dass er die Häuser hohl gemacht.“

    Ein Lieblingsspruch meiner Mutter, anzubringen bei jeglichem ungemütlichen Wetter.

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