Unentschlossen zwischenjahreszeitlich

Bei einem Spaziergang durch die Innenstadt, in der etliche Schaufenster gerade unentschlossen zwischenjahreszeitlich gestaltet wurden, nicht mehr recht Winter, noch kein deutlicher Frühling, sehe ich in der Europapassage eine kleine Gedenktafel, die mir bisher nicht aufgefallen ist. Sie erinnert an Lida Gustava Heymann, die dort einmal gewohnt hat, wo heute eingekauft wird, in einer Straße, die vom Stadtplan komplett durch Überbauung gestrichen wurde.

Der Name sagte mir nichts, aber man kann ja alles nachlesen. Worüber ich mich immer wieder freue; ist es nicht toll, dass man alles nachlesen kann? Überall und immer? Auch in noch besseren Quellen als in der Wikipedia? Es gehört zu den gar nicht so vielen Entwicklungen (von denen in der Medizin, die vermutlich niemand missen möchte, mal abgesehen), die ich ernsthaft unter Fortschritt verbuchen würde.

***

Über gelbe Bänke in Berlin.

***

Am Freitagabend haben die Herzdame und ich einen Film gesehen (auf Filmfriend), der mir wegen des völlig überfrachteten Drehbuchs und der allzu bedeutungsschweren Dialoge nicht gefallen hat, es war die Gripsholm-Verfilmung mit Heike Makatsch und Ulrich Noethen aus dem Jahr 2000.

Nett war es aber immerhin, das Lächeln der erwachsenen Inger Nilsson zu sehen, die darin eine Nebenrolle spielt und ab und zu eher textlos in die Kamera strahlt. Und nett ist es auch, die Herrenmode jener Zeit zu sehen (Übergang Zwanziger/Dreißiger). Ich denke manchmal, dass sie nie besser geworden ist. Das war damals der Höhepunkt, danach gab es nur noch Varianten des Niedergangs, quer durch die Jahrzehnte, vielleicht mit einem kleinen Zwischenhoch noch in den Sechzigern.

In den letzten Wochen habe ich gleich dreimal Männer hier im Stadtteil gesehen, die komplett in Vintage-Klamotten herumliefen, in jenem Stil aus der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts, mit Hut und allem. Der eine komplett in Tweed, wie auf einem englischen Landsitz in einem Evelyn-Waugh-Roman und etwas deplatziert in der großen Stadt, der eine am Bahnhof im weiten Reisemantel und sogar mit Koffern, die wie aus einer Requisitensammlung aussahen, Gepäckstücke für die Titanic, der Dritte eher elegant und wie auf dem Weg zu einem Ball, London um 1930, komplett mit Blume im Knopfloch. Ein durchgezogenes Reenactment in dreifacher Ausführung.

Ich sympathisiere sehr damit. Es wäre mir allerdings dummerweise zu auffällig, selbst so herumzulaufen, da gucken ja alle, das würde mich doch erheblich stören.

Vielleicht sollte ich mir entsprechende Kleidung nur fürs zuschauerfreie Home-Office besorgen, einfach nur, um mich zwischendurch einmal modisch richtig ausgestattet zu finden.

***

Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel.

3 Kommentare

  1. Zu Empfehlen wäre Homeoffice mit Ärmelschonern und an den Hosenbeinen die vergessenen Fahrradklammern vom Morgen. Kurz vor Feierabend dann vielleicht Weste und Hemdkragen geöffnet und Krawatte ein wenig gelöst. Haare verstrubbelt und Brille auf Halbmast.

  2. Heymann und Augspurg? Ich schäme mich fast, diese Namen nicht gekannt zu haben.
    Und wirklich großartig, alles nachschlagen zu können.

  3. Ja, das denke ich auch immer wieder, wie fantastisch es ist, alles nachschauen zu können. Wenn ich meiner Tochter dann vom Unterschied zu „früher“ erzähle, also wenn es einfach so heraus sprudelt und ich es nicht wie sonst unterdrücke, ernte ich verlässlich diese Blicke, die nur eins sagen: Du Fossil. Unbestreitbar eine der besten Innovationen. Also, das mit dem nachschauen. Das Fossil kam ja schon immer ganz von selbst.

Schreib einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert