So eine Großstadt wie diese hier ist über und über mit Balkonen an den Häusern versehen, und erstaunlich viele davon, die Mehrzahl vermutlich, werden nie oder fast nie benutzt. Werden nie betreten, werden oft auch gar nicht erst nicht dekoriert, nicht möbliert, nicht beschattet, nicht bepflanzt. Sind nur da, hängen da funktionslos an den Fassaden herum, es ist im Grunde eine wahnsinnige Verschwendung. Wurden teils für Unsummen an Altbauten nachgerüstet, zur Wertsteigerung der Wohnungen, zur vermeintlichen Freude der Mieterinnen, sind jetzt eben da.
Ich habe, wenn ich in der Küche ans Fenster trete, eine ganze Reihe solcher Balkone im Blickfeld, und nur teils gehen sie traurig nach Norden. Teils wohnen hinter den Balkonen eben Menschen, die auf den Balkon nicht kommen, weil sie Schichtdienst haben oder weil sie besonders dringend drinnen zu tun haben oder weil sie kategorisch lichtscheue Vampire sind, weil sie besonders schlimme Höhenangst haben, was weiß ich. All die Erklärungen, die man nicht kennt.
Dann auch noch die Balkone, vielleicht landestypisch, auf denen nichts ist, kein Stuhl, kein Tisch, kein Sonnenschirm, kein Blumentopf – aber doch ein riesiger, vermutlich teuer Grill. Von denen gibt es auch nicht wenige.
Neulich aber, als hier zum ersten Mal die Zwanzig-Grad-Marke fast erreicht wurde, als der Jahreszeitenschalter also in aller Gründlichkeit umgelegt wurde und auch die Pullover auf einmal deutlich fühlbar zu warm wurden, als draußen die T-Shirts zahlreich wurden und auch schon einige kurze Hosen ins Bild kamen, da konnte man, es war ein wenig wie in einem Naturfilm, ein seltsames Schauspiel beobachten. Da betraten nämlich viele von diesen Menschen, die ihre Balkone sonst nicht benutzen, sie doch einmal. Ich ging in den Garten, ich sah das Vorkommnis gleich mehrfach auf meinem Weg durch die Stadtteile.
Sie stehen dann an solchen Tagen da, diese Menschen, und fühlen so herum, man sieht es ihnen geradezu an. Sie fühlen die Jahreszeit, die Wärme, die Veränderung. Sie wittern. Gucken in den Himmel. Legen auch einmal die Hände auf das Geländer, fassen Holz, Metall oder Stein an, als wollten sie dessen Festigkeit prüfen. Befühlen das Material wie kundige Handwerkerinnen. Beugen sich etwas vor, sehen hinunter und herum, die Fassaden entlang, auf andere Balkone, teils möbliert. Denken sich vielleicht: „Eigentlich auch nett, so ein Balkon.“
Gehen aber nach einer Weile wieder rein, weil man sich ja auch nicht setzen kann, auf dem Balkon, denn da ist ja nichts. Und kommen dann bis zum nächsten April nicht mehr raus. Also abgesehen von denen, die alle paar Wochen etwas grillen müssen.
Faszinierend.
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Was denn, nicht mal mehr Raucher auf den Balkonen?
Ein Balkon mit Aussicht, ist niemals zu verachten. Und es dauert auch nicht mehr lange, dann verwandeln sich viele wieder in Mini-Gärten.
Laut Vermieter ist der einzige Grund, einen Balkon zu wollen, draußen zu rauchen. Das bekommt er zur Antwort, wenn er Leuten die Schönheiten von Pflanzen, draußen sitzen und so aufzählt.
Wir waren gerade ein paar Tage in Barcelona. Ebenfalls faszinierend: In „unserem“ Viertel waren die Balkone superschmal, eigentlich gar keine richtigen Balkone, eher ein Absatz mit Gitter, eine Andeutung von Balkon. Trotzdem standen auf den meisten ein (sehr schmaler) Stuhl, manchmal mit (sehr schmalem) Tischchen, wo dann abends Menschen saßen und schauten oder redeten. Offenbar also deutlich weniger Balkon als bei uns, aber deutlich mehr Balkonnutzung.