Eine Hose noch, eine Bluse, ein Hemd

Nils Minkmar über die Memoiren von Schäuble: „Schäuble lernt Dutzende oder Hunderte von Menschen besser kennen, aber Porträts haben hier die Tiefe von Smileys. Angela Merkel ein freundliches, Helmut Kohl ein großes und böses Gesicht.

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Nicht erzählt habe ich, fällt mir gerade ein, dass ich neulich, als die letzte Karstadt-Insolvenz-Meldung gerade durch die Medien ging, in einem solchen Kaufhaus war, einen Tag nach dieser Meldung. Es war voll dort, überraschend voll, aber es waren alle, alle, die dort in langen Schlangen vor den Kassen standen, alt. Also noch deutlich älter als ich, weit im Rentenalter. Es waren, nehme ich an, die Menschen, die jetzt den endgültigen und vor allem schnellen Tod der Kaufhäuser antizipierten und also eilig noch einmal einkaufen gehen wollten, bevor diese Möglichkeit für immer aus der Stadt verschwinden würde. Eine Hose noch, eine Bluse, ein Hemd, eine Bratpfanne. Das Bild dieser Warteschlange war wieder eines, das jenseits aller Glaubwürdigkeit war, viel zu überzeichnet sah das aus, eine Karikatur, ein Sketch, so gar kein junger Mensch dazwischen.

Ich stand staunend und reihte mich dann einfach ein, mit meinen grauen Haaren fiel ich sicher kaum auf.

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Eine Album-Empfehlung: The Power of the heart – a tribute to Lou Reed. Unter anderem mit dieser Perle von Mary Gauthier:

Aber auch der Wainwright bemerkenswert:

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Gelesen: Literary love affair – why Germany fell for a windswept corner of Ireland. Über die Nachwirkungen des irischen Tagebuchs von Heinrich Böll. Das ich auch immer noch lesenswert finde.

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Gesehen: Diese Doku über Kant (arte, 53 Minuten). Nicht nur Kafka in diesem Jahr, sagt der Kulturkalender mahnend.

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Was kann Deutschland vom Bildungsweltmeister Singapur lernen? Eine Reportage von Jennifer Johnston. 33 lohnende Minuten für jeden, der intensiven Kontakt mit dem System Schule hatte oder hat, also sicher auch für Sie. Faszinierend anders, was da über Singapur erzählt wird, der inhaltliche Abstand zu Deutschland erscheint riesig, wirkt unüberbrückbar, es ist ein Mentalitätsgraben von beträchtlichem Ausmaß zwischen den Weltgegenden. Man kann es zumindest einmal zur Kenntnis nehmen, man muss gar nicht sofort etwas daraus ableiten. Es sei denn, man möchte dringend.

Es ist sicher kompliziert, aber es ist am Ende wohl ein Ehrgeiz- und also Motivationsproblem. Aller Ehrgeiz in unserem Land bezieht sich auf den Status Quo, der längst erstaunlich vielen Gruppen und auch mehreren Generationen zum anbetungswürdigen goldenen Kalb geworden ist, und das ist eben keine Richtung, die noch in die Zukunft weist. Ob es einem nun passt oder nicht, wir haben uns in der Gegenwart verrannt, scheint mir, die währenddessen zur Vergangenheit wird. Wir wollen nichts mehr werden, nur sein, und das bitte komfortabel.

Ob Ehrgeiz aber überhaupt erstrebenswert ist – das wäre dann eine weitere, viel tiefere Frage. Allerdings eine, die in Singapur für große Verwunderung sorgen würde. „Ich weiß aber, dass alle etwas wollen sollen“ schrieb die deutsche Philosophin Judith Holofernes vor etlichen Jahren (2003), und es war keine freudige Feststellung.

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2 Kommentare

  1. Danke, danke für die Musik-
    und den Satz zu unserem goldenen Kalb.
    Kommen Sie gut durch die Woche !

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