Weiteres zum Mai

We can have a different web

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Ein Bericht aus Berlin. Ceterum censeo: Ihr solltet alle mehr bloggen. Und gerne so, was ich jetzt nicht schreibe, weil mein Name im Text fällt.

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Phänologischer Stadtkalender: Der “Kommunistische Aufbau” plakatierte in den letzten Tagen rot an Ampeln und Stromkästen im Stadtteil und rief zur revolutionären Maidemo auf. Daneben vereinzelt noch andere Gruppierungen mit ähnlichen Inhalten, keine üppige Auswahl. Es waren auch nicht viele Plakate, es waren gerade nur so viele, dass man sie im eiligen Vorbeigehen zur Kenntnis nehmen konnte: „Ach, das wieder.“

Es blieb niemand stehen und las sich das Kleingedruckte durch oder vermerkte im Smartphone Ort und Zeit der Aktionen. Nein, so war es nicht.

Online sah ich in den letzten Tagen auch beginnende Muttertagserwähnungen, erste Rezepte für Pralinen in Rosa und fortgeschritten schräge Werbung für vermeintlich passende Geschenke mit floraler Umwindung, Herzchen, Luftballons und allem. Was gibt es für gruseliges Zeug und wie schlimm kann Design sein. Das wird durch AI demnächst auch nicht besser werden, so viel steht fest. Aber es wird kein Entkommen geben.

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Ich versuche am Dienstagnachmittag, als alles schon in den Feiertag und den nächsten Monat kippt, irgendwo ein Eis zu kaufen, das erste Eis des Jahres, denn das Wetter ist wie im Juni oder im Juli, nicht wie im April oder Mai. Es ist aber überall zu voll, viel zu voll, was gibt es denn bitte für Schlangenlängen vor Eisbuden, das war doch früher nicht so. Wer stellt sich eine halbe Stunde da an, wer hat diese Engelsgeduld und haben die alle nichts zu tun, keine To-Dos und keine Termine, müssen die nicht weiter. Nein, man hat Zeit, man gibt sich entspannt. Man steht und zählt Kleingeld ab und wartet in der Sonne. Die Jacken ausgezogen, die Ärmel hochgekrempelt, die Sonnenbrillen aufgesetzt, den Kindern schon einmal die Sorten vorlesend.

Ich gehe weiter und weiter durch die Innenstadt, ich sehe Schlangen und Schlangen. Die ganze Stadt will genau jetzt ein Eis, so sieht es aus. Es ist eine kollektive Abkühlungssehnsucht und ein gemeinschaftlicher Zuckerbedarf am Nachmittag. Immer machen wir alles gleichzeitig. Nicht ich will ein Eis, wir wollen ein Eis. I scream, you scream, we all scream for icecream.

Ich gehe schließlich in einen Supermarkt, in diesem Supermarkt ist kein Mensch. Ich kaufe mir ein ordinäres Eis aus der Tiefkühltruhe. Dafür muss ich nicht anstehen, hier geht alles schnell. Ich neige oft zu Abkürzungen.

Vielleicht zu oft, aber am Ende ist das schwer zu gewichten. Jedenfalls, denke ich, habe ich ein Eis. Das erste Eis des Jahres. Industrielle Erdbeeraromen, Zucker und Fett, es schmeckt nach vergangenen Sommern, und so soll es auch sein.

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Am Morgen des Feiertages aus dem Haus getreten mit dem Gedanken, also mit der festen Absicht, auch mal einen Tag einfach schön zu finden, irgendwas daran zu mögen, wenn nicht sogar zu genießen, immerhin ein freier Tag mitten in der Woche. Und das war dann auch schon der Moment, in dem ich per Volltreffer von einer Möwe im Vorbeiflug angekackt wurde.

Wie platt das alles ist, wie geistlos überzeichnet die Realität. Schon gut, ich habe verstanden.

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3 Kommentare

  1. „… zählt Kleingeld ab …“

    Ich habe am Wochenende für mein erstes Eis des Jahres – es war zweikugelig, mir war nach Üppigkeit – satte 5 Euro bezahlt.

    Auch eine reale Absurdität. Dass es das kostet und dass ich es zahle…

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