Hirsch, Wald, See und Mond

Ein Aldi-Kassierer hat mir neulich beim Einpacken der Ware vom Laufband zurück in den Einkaufswagen anerkennend und mit sportlehrerhaft gegrinstem Zunicken Spitzengeschwindigkeit attestiert, ein vermutlich eher seltenes, schwer zu erhaltendes Lob in diesen Läden.

Ich habe bisher nicht viel erreicht im Leben, aber das dann doch. Und nebenbei ergibt das auch schon wieder eine gute Grabsteinidee: „Er konnte einpacken.“

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In der U-Bahn zum Garten sehe ich ein junges Paar. Arm in Arm stehen sie auf dem Bahnsteig, aneinander gelehnt. Er hat ein Ölgemälde unter dem Arm, etwa in Schulzeichenblockgröße, ein schmaler, goldlackierter Rahmen. Darauf abgebildet ein röhrender Hirsch am Waldsee, ein Klassiker des gutbürgerlichen Wohnzimmers. Das Bild ist in durchsichtige Plastikfolie eingeschlagen, man kann Hirsch, Wald, See und Mond dadurch noch erkennen.

Die beiden suchen sich Plätze in der Bahn und halten Händchen, sie knutschen auch etwas und sind offensichtlich bestens gelaunt. Sie lachen, sie kichern, sie albern herum. Sie werden das Bild vermutlich auf einem Flohmarkt erworben haben, nehme ich an, bei Verwandten abgestaubt womöglich. Vielleicht werden sie es ironisch in die erste gemeinsame Wohnung hängen, sie sehen aus, als seien sie im passenden Alter dafür, und vielleicht werden sie darunter unironischen Sex haben. Nein, sicher werden sie das. Oben der brünstige Hirsch, der Wald, der See und der Mond, unten die beiden Verliebten.

Man hat manchmal Bilder im Kopf, im Mai. Sie kennen das vielleicht.

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Durch die offene Balkontür höre ich am Nachmittag, wie jemand irgendwo Akkordeon spielt, my bonnie lies over the ocean. Die Melodie hängt in den Bäumen auf dem Spielplatz, eine maritime Tongirlande im frischen Maigrün. Das Lied habe ich schon lange nicht mehr gehört und für einen Moment erscheinen mir tatsächlich Küstenbilder im Kopf, Segelschiffe und Hafenanlagen, manchmal funktioniert Musik wie gewünscht. Wenn ich diesen Absatz einfach beende, das Notebook zuklappe, das Sakko greife und augenblicklich losgehe, ich bin in etwa, na, zwanzig Minuten unten am Hafen, an der Elbe, an den Landungsbrücken. Aber das demnächst lieber nicht machen, fällt mir ein, denn es steht schon wieder der Hafengeburtstag an, da wird es also unfassbar voll werden, Hunderttausende werden erwartet.

Bei einem der Gespräche auf dem Land neulich haben wir wieder gemerkt, dass Menschen zu diesem Mega-Event tatsächlich begeistert in die große Stadt fahren. Wir würde deswegen eher aufs Land fahren. Bloß weg davon, bloß raus aus der überlaufenen Stadt. Die Perspektiven sind doch arg unterschiedlich.

Aber der Garten wird als Fluchtpunkt für die Herzdame und mich okay sein, wir müssen immerhin nicht erst over the ocean. Wir müssen nur mal eben over the Bille.

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4 Kommentare

  1. Was für ein hübscher Satz im Münchner Regengrau „eine maritime Tongirlande im frischen Maigrün“. Seufz. Grüße nach Norden ….

  2. …eine maritime Tongirlande…
    Was für ein Satz! Der gehört ebenso in einen goldenen Bilderrahmen.

  3. Italiener verstauen nach der Bezahlung ihre gekauften Waren in einer Seelenruhe in den Einkaufswagen und niemand stört sich daran. Nebenbei wird noch ein Schwätzchen mit der Kassiererin gehalten.
    Versuche das mal bei Rewe oder Edeka. Den jeweiligen Laden verlässt man mit blauen Flecken.

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