Am Sonnabendmorgen sehen die nächtlichen Timelines aus wie ein kollektiver Trip. Ich sehe pinkpurpurnes Gewaber auf zahllosen Fotos, noch einmal und noch einmal, ein Bild und ein Clip nach dem anderen und auf allen Plattformen. Intensive Lavalampenbetrachtungen sind nichts dagegen, psychedelisches Scrollen am Morgen. Die Nordlichter erschienen in ungekannter Pracht und Intensität über Deutschland, besonders über dem Süden. Giardino hat etwas im Blog dazu, und wie schön ist das.
Was die allgemeine Stimmung angeht, scheinen Polarlichter der Nation nennenswert besser zu bekommen als die sonst so gern gesehenen Talkshows, aber sie werden leider auch deutlich seltener ausgestrahlt. Man wird diesen Umstand dummerweise kaum ändern können, es ist wahrhaft bedauerlich.
Hier hat ein Sohn versucht, im Hamburger Umland etwas vom Spektakel am Himmel mitzubekommen, aber das misslang. Es war bedeckt, es fand nichts statt. Ich dagegen habe mich gar nicht erst bemüht, mich hält so leicht nichts von meiner Nachtruhe ab. Man muss Prioritäten setzen.
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Nach längerer Pause habe ich einmal wieder ein Hörbuch gehört. Begleitend zur Biografie-Lektüre gab es: „Das Urteil“ von Kafka, gelesen von Sven Regener. Es gibt über 200 Deutungsansätze für diese Erzählung, sehe ich im gerade verlinkten Artikel. Da darf man mit anderen Worten also beim Lesen oder Hören denken, was immer man will. Denn auch das wird schon irgendjemand kundig und mit nachgewiesener Fachkompetenz wortreich und überzeugend vertreten haben.
Laut Wikipedia sei Kafka mit diesem Text „das Opfer einer Massenvergewaltigung von Interpreten geworden“, so drastisch hat es die dort zitierte Susan Sontag ausgedrückt. Er selbst hat, wenn ich richtig aufgepasst habe, zweimal notiert, dass er nicht weiß, was der Text zu bedeuten hat.
Sven Regener, das habe ich vor längerer Zeit schon einmal notiert, liest Kafka hervorragend, für mich gehört dieser Text jetzt so. Es ist eine etwas überraschende Kombination, diese Stimme und dieser Schreibstil, aber es geht für mich auf. Worin auch schon wieder eine Interpretation liegt. Nun, man kommt ohne nicht aus. Man befindet dauernd irgendwas beim Kulturkonsum und deutet mit jedem eigenen Gedanken.
Der von Regener gelesene Schloss-Roman war mir damals jedenfalls ein Hauptvergnügen in der Hörbuchreihe und es gibt noch mehr Kafka von ihm, vermutlich das komplette Werk. Ich werde in der nächsten Zeit wohl noch ein paar seiner Texte parallel zum abendlichen Fortschritt in der Biografie-Lektüre hören (er hat gerade an Felice Bauer erstmalig etwas von Abschied geschrieben), ich werde quasi multimedial vorgehen.
Wie so ein Mensch mit Methode.
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Hier ein kurzes „Hut ab!“ für das „ausgestrahlt“.