Eine gewisse Entspannung

In der Laube. Jemand hört ein paar Parzellen weiter viel zu laut „Is this the way to Amarillo“, man legt dort die Partyhits von damals auf. Es gibt in dieser Kolonie etliche Nachbarinnen und Nachbarn, die deutlich älter sind als ich, sie hören diese Musik ohne jede Schlagermove-Ironie. Sie hören sie eher im Gedenken an lebhafte Partynächte und wilde Abende. Sie waren damals dabei und schon groß, im Gegensatz zu mir, der ich noch am Kindertisch saß, Flips aß und Fanta trank, nicht einmal Cola bekam. Als Amarillo Nummer 1 in den deutschen Charts wurde, war ich gerade sechs Jahre alt.

Es geht in diesem Lied um das eher unbekannte Amarillo, lese ich nach, weil sich die vom Sänger gesuchte Stadt mit der Geliebten darin unbedingt auf pillow und willow reimen musste. Da hatte der Texter, Neil Sedaka, keine andere Wahl. Das Stück wird hinter den Hecken mehrfach gespielt, ich habe also Zeit für die Lyrics. Jede Zeile wird für mich einprägsam oft wiederholt, dabei kann ich den Text doch ohnehin schon, wie alle aus meinem Jahrgang.

Sha-la-la-la-la-la-la-laSha-la-la-la-la-la-la-laSha-la-la-la-la-la-la-laAnd Marie who waits for me.

Man kann sich, ein Spaß am Rande, vorstellen, dass der Sänger dieses Liedes als stark gealterter Mann später für die gleiche Frau „Marie“ singt, mit den Lyrics von Randy Newmans gleichnamigem Song, dann hat man auch eine schöne Geschichte.

And I’m weak and I’m lazyAnd I’ve hurt you soAnd I don’t listen to a word you sayWhen you’re in trouble I just turn away
I love you, I loved you, the first time I saw youAnd I always will love you Marie

 

Ein anderer Nachbar mäht dann Rasen, die Herzdame fängt kurz darauf auch damit an. Irgendwer bohrt außerdem in etwas, jemand hämmert, jemand schreddert Gezweig und die armen Hunde hinten im Tierheim kläffen sich wieder hysterisch die traumatisierten Seelen aus den Leibern, es ist alles recht besinnlich hier. Die Vögel in den Büschen und Bäumen haben es für heute aufgegeben und jeglichen Gesang einfach eingestellt, man sieht nur manchmal ihr stilles Umherhuschen im Schatten des Laubes. Einer dieser Schatten wird die bisher nicht von mir gesehene, nur gehörte Mönchsgrasmücke sein, ich werde sie schon noch erwischen, der Sommer ist noch lang dafür.

Auf dem Weg zum Kompost gehe ich unter einem alten Apfelbaum durch, der mir prompt etwas Hartes auf den Kopf wirft: Der Junifall der Früchte beginnt schon am Monatsersten. Die Natur sortiert jetzt aus, was nichts mehr wird. Falls man im Juni selbst hinfallen sollte, da lieber nicht zu lange drüber nachdenken.

Etwas überpünktlich geht das jedenfalls los, so früh wie alles in diesem Jahr. Am Ende werden wir auch noch Weihnachten ein gutes Stück vorziehen müssen. Saisonale Verschiebungen, wohin man nur sieht.

Die hellblaue Wand einer Gartenlaube mit blühenden Pflanzen davor, Salbei, Lavendel, Rosen, Katzenminze.

Die Radieschen im Beet sind allzu schnell geschossen und können nun weg, sie werden demnächst Kompost für die nächste Ernte. Die Zucchini blühen üppig, die Tomaten streben stramm aufwärts, kleine grüne Klunker hängen an ihnen. Die beiden Schlangengurken vor ihnen räkeln sich grünarmig und weitläufig über den frischgedüngten Boden.

Die nun roten Erdbeeren opfern wir in diesem Jahr fast komplett dem Löcherfraß durch die emsigen Kellerasseln, einiges andere auch den Schnecken. Oder sagen wir ruhig: Fast alles andere. Etwa die Kürbisse, um die es doch ein wenig schade ist, die Stängel ragen wie abgesägt aus dem Beet. In meinen Timelines sehe ich, dass die Schneckenplage in diesem Jahr ein umfassendes Problem ist, ein stilles, verzehrendes Drama spielt sich in den deutschen Gärten ab.

Nur den Pak Choi meiden diese Schnecken, was stimmt mit dem eigentlich nicht. Sollten wir den lieber nicht essen, es gibt einem doch zu denken.

Ich pflücke etwas Oregano und einen Zweig Rosmarin, ich suche eine Zwiebel. Ich werfe die Kräuter und die Zwiebel mit Tomaten, Feta und Nudeln zusammen, um ein Rezept bündig wiederzugeben. Es gibt wieder Garten-Sommer-Essen, und das ist gut so.

„Wo sind eigentlich die Söhne“, fragt die Herzdame zwischendurch und nimmt noch einmal Nudeln nach, Gartenarbeit macht hungrig. „Was weiß denn ich“, lautet meine wahrheitsgemäße Antwort. Die Pubertät wird meist als äußerst belastende Schreckenszeit geschildert, teils sogar aus nachvollziehbaren Gründen. Aber eine gewisse Entspannung ist potenziell auch mit dieser Phase des Heranreifens verbunden.

Jedenfalls manchmal, jedenfalls für manche.

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3 Kommentare

  1. Wenn Sie die Radieschen noch nicht auf dem Kompost entsorgt haben… einfach mal stehen und wachsen lassen.
    Die kleinen weißen Blüten schmecken lecker und können zB auf den Salat gestreut werden.

  2. Am Sonntag als halb Hamburg wegen des Triathlons gesperrt war, führte uns die Navi (und hunderte weitere) von der Autobahn zu den Elbbrücken. Also wollte sie. Die Navi wusste nichts vom Triathlon.
    So verstopften wir Gewerbegebiete an der Bille und Elbe mit viel zu viel Blech.
    Über die Billerhuder Insel mit den Kleingärten gelang uns dann irgendwie der Exit, zurück zum Stau aus der Autobahn von dem wir kamen.
    Ich hoffe wir störten nicht allzusehr.

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