MRBIBGA

Das Positive zuerst. Damit wir wissen, wo es bleibt. Gestern gab es außerplanmäßig etwas Sonnenschein über Hamburg, die Älteren erinnern sich noch an diese Nummer mit blauem Himmel und etwas besserer Laune. Am Nachmittag sah ich pflichtgemäß kurz an der Alster nach, wie viele Menschen dort nachgesehen haben, wie diese Stadt ohne Grau aussieht. Es waren erwartungsgemäß viele, man drängelte hier und da auf den Wegen wieder ein wenig. Noch einmal die Winterjackenparade, all die wärmenden Accessoires.

Auffällig viel Schwarz trug man. Mehr noch als sonst, und ich weiß nicht, ob es ein Zufall war oder ein Zeichen für etwas.

Die Außenalster, von der St.-Georg-Seite aus, blauer Himmel, kahle Zweige im Vordergrund

Wenig joggende Menschen sah ich, es war wohl zu kalt. So stellt man immerhin nebenbei fest, dass der Winter auch Vorteile hat.

Ich hörte beim Spaziergang eine Lesung von Joachim Meyerhoff aus seinem Buch „Man kann auch in die Höhe fallen.“, Es waren 82 Minuten, die man hier in der ARD-Audiothek findet. Unterhaltsam und sogar aufheiternd war das, und wenn Sie wenig Zeit haben, es gibt gute Stellen schon auf den ersten sieben Minuten. Man ist doch allgemein etwas bedürftig gerade, was das Thema Aufheiterung angeht.

Und stets das Tröstliche bewusst wahrnehmen. Denn was auch kommen mag – Rettungsringe liegen hier und da schon für uns bereit. Das immerhin.

Ein Rettungsring auf dünnem Eis auf der Alster, nah an einem Steg , im Vordergrund welkes Laub

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Beim Nachdenken über diese Woche, mit deren politischer Agenda ich schon zu diesem frühen Zeitpunkt ausdrücklich nicht einverstanden bin, deren wahrscheinlicher Entwicklung ich vielmehr jetzt schon energisch widersprechen möchte, fällt mir die allgemeine Radikalisierung ein. Die leider, ich kann es nicht mehr übersehen, auch bei mir ein Thema ist.

Ich lese nämlich entschlossen, wenn nicht sogar schon fanatisiert und verbissen, quasi von der Gesamtlage aufgehetzt, mehr als sonst wieder wie früher abends Bücher im Bett. Denn das habe ich doch bei all diesen Radikalisierungstendenzen hoffentlich richtig verstanden – hemmungslos und diskussionsavers, abseits aller rationalen Argumente mehr von dem machen, was man diffus irgendwie richtig findet. Genau das machen, bei dem man, wie man heute leider so sagt, weil der Ausdruck dermaßen furchtbar ist, ein gutes Bauchgefühl hat, und mit dem man auch in seiner Bubble bestens herumkumpeln kann.

Und das dann, versteht sich, ebenso ungefragt wie unangemessen, aggressiv und natürlich unnötig laut verteidigen. Auch gegen nur imaginäre Kontrahenten. Nicht wahr, so scheint es doch überall zu laufen in letzter Zeit.

Also stört mich bloß nicht bei der abendlichen Lektüre, Ihr Knalltüten.

Make reading books in bed great again. Das Radikale braucht auch Kampagnen, wie die Gegenwart lehrt. Man kann es wieder gut abkürzen, zu MRBIBGA. Wie einprägsam ist das denn, gleich werde ich Mützen mit diesem Aufdruck bestellen.

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Einen neuen Band von Alice Munro habe ich gestern in diesem Sinne am Abend angefangen, das wollte ich eigentlich nur eben mitteilen und kam dann irgendwie auf gedankliche Abwege. „Tanz der seligen Geister“, Deutsch von Heidi Zernig. Ihre erste Kurzgeschichtensammlung ist das, aus dem Jahr 1968. Da war ich erst zwei Jahre alt und an Literatur noch nicht besonders interessiert.

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Was gab es noch. Die New York Times habe ich abonniert, denn die bekommt man gerade günstig hinterhergeworfen. 20 Euro für ein Jahr, keine bezahlte Werbung. Sie kommt aus einem Land, das man doch, ob es einem nun passt oder nicht, gerade in diesem Jahr mit besonderem Interesse beobachten wird. Sofern man sich zur Betrachtung noch überwinden kann.

Denn es ist doch immer wieder, das kann ich kaum noch anders ausdrücken, mit einem gewissen Ekel verbunden, sich einer gründlichen Sichtung der Nachrichtenlage auszusetzen.

Und prompt gibt es dann in dieser Zeitung, noch am gleichen Tag und wie zum Hohn, ein vielgescholtenes Interview mit einem Extremrechten, das hauptsächlich seine Positionen verbreitet. Eine Leistung also, für die man schlicht bei gewissen deutschen Medien hätte bleiben könnte. Meine Güte.

Lasciate ogni speranza … Könnte man kurz denken. Und sich dann wieder bemüht zusammenreißen.

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9 Kommentare

  1. Ich merke mir einfach den schönen blauen Himmel von gestern. Auch hier im Süden war es ein genussvoller Rad- und Spazierausflug.
    Alle anderen Nachrichten dürfen und werden bitte viel später wieder ins Gehirn drängen.
    Haben Sie einen angenehmen Montagmorgen

  2. Wird denn eigentlich ausschließlich alleine spazieren gegangen oder muss man sich das Leser so vorstellen, dass jedes Familienmitglied dabei Kopfhörer im Ohr hat und seines Weges geht?

  3. Hätte Alice Munro beim Schreiben gewusst, dass ihre Literatur später von Mr Bibga höchstpersönlich für die nächtliche Lektüre gewählt werden würde, sie hätte vielleicht ganz andere Texte verfasst. Witzig. (Känguru-Kategorie!)
    Abkürzungen (in diesem Fall die Ihre) falsch interpretieren, ergibt ganz neue Bilder: Ich sehe Fotoserien von Menschen mit Buch im Bett. (Liebe*r Fotograf*in, der*die du diese Idee mopst (sehr gerne): ich möchte für die Idee mit in den Credits erwähnt werden. :-))
    Menschen, zum Teil darum bemüht Mr.*Mrs. Bibga of the world zu werden. Gute Bücher in der Hand, anspruchsvolle Lektüre neben dem Bett, nicht zu perfekt drapiert, bauhausig eingerichtet, avantgardistische Bildgebung. Dann aber auch die perfekte Insta-Welt mit vielen Sand- und Beigetönen, vielleicht auch Fotos á la „Sagen Sie jetzt nichts“ und dann, einfach sehr beruhigend, viele normale Menschen in Alltagssituationen: irgendwo noch der Teller mit der am nächsten Tag gekochten Bolo neben dem Bett, erkältete Nasen und Taschentuchberge, Kinder mit undefinierbarem Matsch an ihren Händen, die vom eigentlichen Buch ablenken, toben, ursprünglich geplant in ihrem Bett schlafen sollten und dann doch Mr*Mrs Bibga like bei der altersgemäßen Gute-Nacht-Lektüre im elterlichen Bett einschlafen und den Platz in Anspruch nehmen. Frechheit!
    Alte Ehepaare, zum Teil so vertraut und gemeinsam in andere Geschichten und Welten abtauchend, um dann wieder aufzutauchen und sich der Selbstverständlichkeit des*der anderen auf eine sehr tiefe, beruhigende Art bewusst zu sein, und zum Teil im gemeinsamen Bett voreinander dorthin flüchtendend, beide abgebildet in einer Inneneinrichtung, die schon immer so war.
    Menschen allein in der Großstadt in ihrer kleinen Wohnung auf Lyrik davonschwebend und Teenager mit der Taschenlampe unter der Bettdecke (ja, das soll es noch geben), die sich im Eifer des Gefechts auch nach einem Schwertgriff anfühlen könnte, zusammen mit Drachen kämpfend und die Welt rettend. Menschen in anderen Ländern, unterscheidlichste Zeichen zu einem Sinn zusammenfügend, auf Matten auf dem Boden, Futonbetten, im Zelt oder unter dem Sternenhimmel, bei -30 Grad Außentemperatur oder +35, bei einer Luftfeuchtigkeit, die das Buch zum Wellen bringt, bei prasselndem Regen auf der Dachschräge, bei durch Baumwipfel tosendem Wind oder bei einem Sandsturm, dessen Körner unaufhörlich gegen die Wände prasseln, in einem riesigen, teuren Haus oder der kleinsten Butze, mitten in einer unendlich großen Stadt, deren Ränder nicht mal am Horizont sichtbar sind oder fernab von jedem Getöse, alle mit Buch in der Hand oder auf der Brust, mit verrutschter Brille schlafend oder müde mit den Zeilen ringend, hellwach vor lauter Begeisterung oder Spannung oder aber lesend, weil der Schlaf ausbleibt.
    Da sind sie alle zu den unterschiedlichsten Zeiten, also auch jetzt:
    überall auf der Welt so viele Mr*Mrs Bibgas. Alle auf ihre Weise, so unterschiedlich und doch vereint im Lesen.
    Schön, dass Sie für die Abkürzung und den Verleser gesorgt haben. Ich würd sagen, wir haben einen neuen Auftrag: Gemeinschaft durch gemeinsames (Moment! Nicht alle in ein Bett!) Lesen in den Betten dieser Welt. 🙂

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