St. Georg hilft: Zum Beispiel Zia vom Bieberhaus

Ich bin Zia. Ich komme aus Afghanistan und bin neunzehn Jahre alt. Ich bin seit August 2012 in Deutschland. Ich habe hier erst ein Jahr Sprachkurse besucht, dann habe ich in Lüneburg meinen Hauptschulabschluss gemacht. Jetzt bin ich in Hamburg und mache meinen Realschulabschluss, danach möchte ich gerne Erzieher lernen. Und wenn ich die Chance bekomme, mache ich auch noch Abitur in einer Abendschule. Ich bin seit September hier am Hauptbahnhof bei der Flüchtlingshilfe dabei. Ich bin oft ab 14 Uhr hier. Manchmal bis neun Uhr abends. Als die Hilfe noch draußen auf dem Platz war, war ich manchmal auch noch länger hier. Jetzt findet alles im Bieberhaus statt, das schließt um neun Uhr abends.

Zia vom Bieberhaus
Zia vom Bieberhaus

Ich habe in Hamburg viele Leute kennengelernt, viele Afghanen, viele Deutsche. Wir haben hier sehr viel geholfen, wirklich sehr viel. Wenn wir nicht da wären, die Stadt müsste ganz viele Leute einsetzen, um hier zu helfen. Ich helfe hier, weil ich selber in so einer Situation war. Ich kann die Leute, die hier kommen, gut verstehen. Auch wenn sie traurig sind, auch wenn sie einmal unfreundlich sind. Ich verstehe alle ihre Probleme, ich habe alles selber erlebt. Hier im Bieberhaus am Hauptbahnhof können Kinder betreut werden, es gibt Essen und Getränke und die Menschen können beraten werden.

Ich bin nach Hamburg gezogen, weil es hier viele verschiedene Kulturen gibt. Ich mag Hamburg sehr. Es gibt viele nette Menschen hier und man kann sehr viel unternehmen.

Für die Hilfsinitiativen hier im kleinen Bahnhofsviertel kann man weiterhin spenden. Es kommen jetzt deutlich weniger Geflüchtete, aber Hilfe ist weiterhin nötig. Für die Suppe, die den Geflüchteten am Bahnhof gereicht wird, die Nachtquartiere, für etwas Hilfe auf dem Weg. Spendenbescheinigung auf Wunsch möglich! Vielen Dank.

Gelesen: Christoph Peters – Herr Yamashiro bevorzugt Kartoffeln

Der Herr Peters ist mir bisher noch gar nicht über den Weg gelaufen, obwohl der recht produktiv ist. Das war ein reiner Zufallskauf am Bahnhof, da war noch etwas Zeit über bis der Zug kam und zack, hat man noch ein Buch mehr, Sie kennen das.

Das Buch habe ich auf einer Zugfahrt in Richtung Ostsee gelesen, und das war situativ bemerkenswert gut eingerichtet, denn an selbigem Gewässer spielt die Handlung des Romans. Ein japanischer Meister der altehrwürdigen Töpferofenbaukunst besucht ein winziges Kaff an der provinziellen holsteinischen Küste, um für einen deutschen Keramikkünstler einen Anagama-Holzbrandofen nach uralten Regeln zu bauen, damit eine bestimmte Traditionslinie japanischer Töpferei dort fortgesetzt werden kann. Weder hat der Meister Ahnung von Europa oder Deutschland, noch haben die Nachbarn der Baustelle oder das begleitende deutsche Filmteam irgendeine Ahnung von japanischen Riten oder japanischer Handwerkskunst, es stoßen also Welten zusammen. Das wird aber kein banaler Slapstick, obwohl der Meister zum Entsetzen seiner Gefolgschaft bald eine absonderliche Vorliebe für Mettbrötchen und Schnaps entwickelt und die Kneipenwirtin des Ortes sich so gar nicht an die japanische Etikette hält. Es ist auch kein schwiemeliger Esoterikklimbim, obwohl geisterhafte Folgen lang vergangener Ereignisse auch eine gar nicht so kleine Rolle spielen. Auf dem Cover steht “Humoreske”, ich finde, es ist eine gut erzählte, sehr fachkundig wirkende und auch amüsante Auseinandersetzung mit zwei höchst unterschiedlichen Auffassungen von Regeln, Handwerk, Handlungen, Tradition und Kunst.

Und da geschieht dann noch etwas ziemlich Wundersames bei der Lektüre, wie es bei guten Büchern manchmal vorkommt: Die Sache mit der Keramik, die wird dann doch sehr interessant, geradezu spannend. Obwohl das sonst ein Weglaufthema erster Klasse für mich ist, geh mir bloß weg mit Töpferei, das ist doch alles komatös langweiliges Kunsthandwerk, das geht wirklich gar nicht. Aber in diesem Roman: ach guck, das ist ja interessant! Schon nett, was Literatur so kann. Von Christoph Peters dann demnächst noch mehr .

Eine Empfehlung übrigens auch für Menschen, die mit der Hand arbeiten, selbst wenn es dabei nicht um Töpferei geht. Einige Passagen, besonders zur Ausbildung im Handwerk, dürften auf jeden Fall interessant sein.

Gelesen: Rolf Lappert – Über den Winter

Wie einige vielleicht gemerkt haben, ist Ende Februars gar kein”Gelesen, gesehen, gehört” erschienen, ich habe es einfach nicht geschafft. Zunächst dachte ich, das macht ja nichts, dann erscheint der Kleckerkram aus dem ohnehin mickrigen Februar eben Ende März. Aber ich merke, das wird mir doch zu lang. Also mache ich es ganz anders, ich bin ja ein Flexibelchen ersten Grades, jedenfalls wenn es um meine Bloginhalte geht. Ich streue hier jetzt einfach die Bücher, Songs, Filme (als ob ich je welche gucken würde) etc. bröckchenweise ein, bis es endlich April wird, an dessen Ende dann wieder die reguläre Liste erscheint. So der Plan, wobei mir Pläne bezüglich noch zu verfertigender Artikel letztendlich herzlich egal sind, aber was soll’s.

Rolf Lappert also, von dem ich bisher vermutlich noch nichts gelesen habe. Ein Mann um die Fünfzig kehrt in diesem Roman nach langem Auslandsaufenthalt zur Beerdigung einer Schwester in die Hamburger Heimat zurück und fällt während dieses Besuchs aus seinem Beruf, vielleicht fällt der Beruf auch einfach von ihm ab, das weiß man nicht genau. Der Mann ist oder war Künstler und verliert den Sinn dieses Brotjobs einfach aus den Augen, die Lust ist weg, das Ziel, die Neigung, überhaupt weiß er nicht recht weiter im Leben, was soll ich sagen, das sprach mich an. Wenn man selbst gerade ein Mann um die Fünfzig ist, erkennt man die gemeinte Sollbruchstelle. Einerseits sein Atelier in New York und seine Projektarbeit an südlichen Küsten, andererseits die ärmliche Verwandtschaft im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg, auf die er sich zögerlich und voller Abwehr doch wieder einlässt, bei denen er dann sogar wieder einzieht. Zwischendurch wird zur Erklärung der Lage aus dem Krisen- ein Familienroman, und das ist nicht die schlechteste Wendung des Buchs.

Das alles passiert in wenigen Tagen und ist enorm detailgenau beschrieben, das hat einige Rezensenten gestört. Und tatsächlich ist es etwas befremdlich, was da alles ganz genau beschrieben wird, es findet sich kein Pullover, kein Anzug, kein Schal, der nicht irgendeine Farbe und Textur hat, keine Nebenfigur, die nicht vom Scheitel bis zur Sohle vorgestellt wird, kein Hotelzimmer ohne detailliertes Tapetenmuster usw. Manchmal kann man Details auch seltsam finden, wenn etwa jemand auf die Toilette geht, dann kann ich mir schon alleine vorstellen, dass er danach auch spült, ich muss es wirklich nicht zwingend lesen. Andererseits steht dieses so dermaßen en detail geschilderte Wilhelmsburg dafür auch außerordentlich plastisch vor einem. Ich habe das Buch dann doch gerne durchgelesen und mochte auch das Ende, das wiederum einige Rezensenten ganz furchtbar fanden. Ich werde es hier nicht verraten, aber zurück in seinen Beruf findet der Mann nicht, so viel wird nicht überraschen, ein Krisenroman eben. Im ganzen Buch ist es sehr, sehr kalt, es ist ein Winterbuch par excelllence, die Alster friert sogar zu, es fällt Schnee, es weht ein eisiger Wind durch die Stadt, man möchte mit Handschuhen lesen. Oder auf Usedom, wo es auch gerade so kalt war, meine Güte,war es da kalt.

Entweder man liest den Roman also noch schnell in den nächsten drei Tagen durch, bevor der Frühling uns überrollt, oder man merkt es vor für den nächsten Januar, das Buch wäre im Warmen wirklich einigermaßen verfehlt. Ein gutes Buch für Hamburger und Wilhelmsburger Lokalpatrioten, auch für angezählte Fünfzigjährige, für unwillige Künstler und für Menschen mit schwierigen Familien, das sollen ja ein paar mehr sein. Ein Pferd kommt auch vor, Tierfreunde dürfen sich daher ebenfalls angesprochen fühlen. Auch wenn das Pferd nicht viel macht, außer in einem behelfsmäßigen Stall zu stehen. Es ist immerhin ein ziemlich typisches Großstadtpferd. Etwas verloren, etwas fremd, es ist ein Großstadtpferd wie Du und ich.

Doch, ich mochte das Buch.

Heringsdorf/Usedom

Ich habe auf Usedom tatsächlich einmal darauf verzichtet, meinen Computer auch nur auszupacken, das ist eine seltsame Erfahrung. Ich kann mich gar nicht erinnern, wann ich zuletzt einen Tag ohne Notebook verbracht habe, das ist womöglich gar nicht richtig so. Ich ziehe ernsthaft in Erwägung, das öfter so zu machen. Dumm nur, dass man dann hinterher noch mehr Arbeit hat, es bleibt doch kompliziert.

Es gab eine sehr nette Lesung und eine äußerst nette Unterkunft, dazu in Kürze noch mehr.

Vorweg schnell die Inselkurzfassung in Bildern:

Kinderhand mit Muschel

 

Möwen im Flug

Boot am Strand

Raum für Notizen

Nachdem ich gelesen habe, dass kreative Menschen sich unbedingt sofort Notizen machen sollten, wann immer ihnen etwas einfällt, habe ich das natürlich probiert. Man soll bei so etwas neugierig und aufgeschlossen bleiben, das ist wichtig, wenn man sich weiterentwickeln möchte. Und weiterentwickeln muss man sich, das steht auch überall. In der Theorie sammelt man durch diese permanenten und unbedingt handgeschriebenen Notizen viel mehr Ideen, die man später verarbeiten kann, ohne Notizen verliert man die Hälfte der guten Gedanken, wenn nicht mehr, wenn nicht sogar fast alle. Ich habe jetzt also immer, immer ein Notizbuch dabei. Und wenn ich etwas denke, das kommt ja ab und zu vor, stürze mich sofort auf den ersten halbwegs brauchbaren Gedanken. Und schreibe den auf. Egal, wo ich bin, egal, was ich gerade mache und mit wem. Ich rufe Gesprächspartnern ein hektisches “Oh, Moment!” zu und fange an zu schreiben.

Das ist tatsächlich spannend! Wenn man denn etwas denkt. Wenn man anfängt, sich bei dem Spiel zu langweilen, denkt man wohl nicht genug, das ist leider etwas ernüchternd. Umso kostbarer also die paar Perlen, die man sich wirklich erfolgreich notiert. Die man erwischt und konserviert, so dass man sie später in aller Ruhe ansehen und zu noch feineren Gedankengebilden weiterverarbeiten kann.

Es gibt nur ein Problem: Ich weiß schon nach kurzer Zeit nicht mehr, was ich da gemeint habe, mit dem ach so goldenen Satz. Dafür weiß ich jetzt recht sicher, dass ich weitgehend wirres Zeug denke und das auch noch erschreckend unleserlich aufschreibe. Ich möchte mich beim Nachlesen dauernd selbst beschimpfen, gefälligst präziser zu denken und ordentlicher zu schreiben, also wirklich.

Man wird also weder kreativer noch produktiver durch diese Methode, nein, man hält sich nach einer Weile eher für einen Trottel. Und man kommt auch nicht auf neue Ideen, schon gar nicht für Kolumnen. Oh, Moment!

Dieser Text erschien als Kolumne in den Lübecker Nachrichten

Terminhinweis

Ich lese am 17.03, das ist Donnerstag, auf Usedom. Und zwar in der Villa Dorothea in Heringsdorf, es beginnt um 19:30 und der Eintritt ist frei.

Der Ankündigung entnehme ich gerade, dass ich über meine Jugend an der Ostsee, über Hamburg und meine Familie lese, dann bereite ich das mal genau so vor. Wenn ich dort jemanden treffe, den ich von Twitter, Facebook oder Kommentaren hier kenne, freue ich mich natürlich sehr!

Ein Update bei „Was machen die da“

Hervé Kerourédan

 

Man rechnet gar nicht mehr damit, aber Isa und ich haben tatsächlich einen neuen Artikel drüben bei “Was machen die da” online. Das Interview haben wir bereits im letzten Jahr geführt, weil wir eine Kurzfassung des Gesprächs an die Firma Outdoorchef verkauft haben. Diese kurze Fassung erschien soeben im aktuellen Katalog der Firma, nun kann auch die Langversion erscheinen, die sich in gar nichts von den anderen Interviews der Reihe unterscheidet.

Ein Interview mit Hervé Kerourédan. Das ist ein bretonischer Name, der Mann ist dafür verantwortlich, dass mittlerweile ziemlich viele in Hamburg wissen, was Galettes sind.

Bitte hier entlang.

12 von 12 im März

Wer 12 von 12 nicht kennt – hier die Erklärung. Und hier alle 12 von 12 im März.

Wir haben kinderfrei, die Söhne sind in den Ferien bei den Großeltern, ich kann also so lange schlafen, wie ich möchte. Entsprechend wache ich um 04:50 auf, Eltern kennen diese seltsame Logik. Da ich nicht mehr einschlafen kann, gehe ich dorthin, wo es mich immer hinzieht, ich gehe an meinen Schreibtisch. Und da mich dort niemand stört und ich niemandem Frühstück bereiten oder Äpfelchen schneiden oder die Zähne putzen oder irgendwas in den Ranzen packen oder Schuhe zubinden oder irgendwas vorlesen oder die Haare kämmen soll, kann ich dort etwas am nächsten Wirtschaftsteil schreiben, eine Kolumne für die Lübecker Nachrichten verfassen und noch einen anderen Auftragstext abschließen. Danach fühle ich mich geradezu widerlich streberhaft und gehe mit Buch wieder ins Bett,um das schnell wieder auszugleichen. Meyerhoff, sehr fluffige Lektüre, dies ist der zweite Band der Reihe. Kann man sehr gut machen.

Stunden später wird auch die Herzdame wach und jammert, was sie aber auch darf, denn sie hat Hexenschuss. Normalerweise bin allerdings ich hier der mit Rücken, solche Wechsel der Gebrechen sind für mich höchst irritierend, wie seltsame Rollenspiele. Die Herzdame ist schmerzbedingt unleidlich wie eine angeschossene Löwin, ich umkreise sie mit gebührendem Sicherheitsabstand und reiche nur ab und zu vorsichtig Dinge des aktuellen Bedarfs an. Dann gehen wir frühstücken.

Beim Frühstück setze ich meine Streberattitüde fort und schaffe es vermutlich erstmalig im Leben, einen solchen Bagel zu essen, ohne mich oder auch nur den Tisch komplett einzusauen. Wer immer strebend sich bemüht, der kann auch ohne Kleckern.

Das Frühstück gelingt dennoch nur partiell, denn die Herzdame hält mir Vorträge, dass man mit mir nicht entspannt frühstücken könne. Das ist so weit korrekt, ich werde bei dem Wort Entspannung furchtbar nervös, erst recht zu völlig unpassender Uhrzeit. Entspannung ist nur in Ordnung, wenn man dabei einschlafen kann, sonst macht sie mich wahnsinnig. Entspannung ist Mittagsschlaf oder gar nicht, jedem seine Wellness-Doktrin, siehe dazu auch weiter unten. Die Herzdame möchte aber länger und bitte gemütlich im Lokal sitzen, einfach nur sitzen, wir kommen da nicht recht zusammen. Egal, sie verabredet sich einfach für morgen mit einem Experten auf diesem Gebiet, man muss manche Themen auch outsourcen können. Ich gehe dann solange an den Schreibtisch.

Nach dem Frühstück trägt die Herzdame ihren Zustand und ihre Stimmung allerdings etwas plakativ durch die Gegend. Schlimm.

Wir gehen in die Stadt und kommen an dem folgenden Schild vorbei, das ansonsten mit diesem Text rein gar nichts zu tun hat. Künstlerische Freiheit, doo! Theoretisch müsste ich mir Hosen kaufen, praktisch habe ich, wie quasi immer bei solchen Anlässsen, zehn Minuten nach Betreten des ersten Geschäftes so eine Aversion gegen das Einkaufen, dass ich beschließe, im Sommer eher Baströckchen zu tragen, als heute in der Stadt Hosen zu kaufen.

Ich beschließe, dass mir danach ein früher Mittagsschlaf und Entspannung zustehen und lege mich hin. Drei Minuten nach dem Einschlafen steht die Herzdame neben mir und ruft fröhlich “Kaffee!” Auf meine verblüffend zivilisiert geäußerte Frage, ob sie noch bei Verstand sei, erklärt sie mir, dass ich mich sonst immer beschweren würde, wenn sie mir nach dem Schlafen keinen Kaffee bringen würde, also das sei jetzt ja seltsam, wie denn nun, und ob ich mich mal entscheiden könne? Ich setze ihr sanftmütig wie Gandhi auseinander, dass niemand, wirklich niemand drei Minuten nach dem Einschlafen einen Kaffee haben möchte, woraufhin sie mir erklärt, das sie ja nicht wissen könne, wann ich denn jeweils genau einzuschlafen gedenke. Wir führen minutenlang einen loriotmäßigen Dialog auf, wie ihn nur gestandene Ehepaare hinbekommen, dazu gibt es Kaffee, was soll man machen.

Kurz darauf verrät mir der betont beiläufig geäußerte Kuchenhunger der Herzdame den wahren Grund, warum sie mich vorzeitig geweckt hat. Mild und aufopfernd wie Florence Nightingale gehe ich nicht in die Luft, sondern Kuchen holen. Es handelt sich hier um eine äußerst wohlschmeckende Mousseauchocolatschnitte, was in einem Wort geschrieben etwa seltsam aussieht, zugegeben. Daneben ein Stück sizilianische Zitronentorte, die so schmeckt, wie unser Kloreiniger riecht. Quasi zitrusfrisch und hilfreich gegen Urinstein. Nun ja.

Auf dem Weg zum Kuchen noch ein frisch gestrichenes und sehr rotes Haus gesehen. Wirklich sehr, sehr rot. Und vielleicht ein klein wenig unheimlich.


Dann folgt weitere Schreibarbeit, eine Geschichte wird zwei, drei Seiten vorangetrieben. Neuerdings schreibe ich wieder ab und zu mit der Hand, das ist auch interessant. Man denkt doch anders dabei.

Wenn ich beim Schreiben hochgucke, sehe ich hier überall Osterdeko. Das ist so ein Familiending, denn würde ich alleine leben, ich hätte vermutlich überhaupt keine Deko, zu keinem Anlass, ich bin eher Minimalist. Da die Herzdame und die Söhne aber von einer Geschenkartikelladeninhaberin abstammen, haben wir sehr, sehr viel Deko. Und weil es meine Herzdame und meine Söhne sind, ist das auch gut so. Eh klar.

Ich verliere mich zwischendurch auf Youtube und wühle wieder einmal in der Vergangenheit. Dabei finde ich immer noch Titel, die mir Jahre nicht mehr über den Weg gelaufen sind, es ist faszinierend. Hier zum Beispiel Klaus Hoffmann, den habe ich als Jugendlicher gerne gehört, das war damals so üblich. Wegen der Zeile “Gott verzeih dir deine Schönheit” in diesem Lied heißt das geliebte Mädchen in meinem Buch “Es fehlt mir nicht, am Meer zu sein” übrigens Sarah. Und da habe ich jetzt auch schon sehr lange nicht mehr dran gedacht. Also an das Lied. An das Mädchen schon, das begegnet mir regelmäßig auf Facebook.

Darauf ein Feierabendbier. Und zwar ein ziemlich gutes Bier.

Odysseus Karlsen: Das Wort zum Montag

Ich habe auch nach dem nunmehr ausgestandenen grippalen Infekt immer noch in erheblichem, ja, in geradezu rekordmäßigem Ausmaß Grund zur schlechten Laune, und ich kann die Ursachen hier nicht einmal thematisieren, wie sagt man, aus Gründen. Weil ein Ende aber nicht abzusehen ist und die schlechte Laune irgendwohin muss, in meinem Fall also irgendwie in einen Text muss, mache ich es jetzt jekyllandhydemäßig und lagere die verstimmteren Anteile meines schreibenden Ichs an eine Kunstfigur aus, an Odysseus Karlsen, der hier künftig ab und zu das Wort zum Montag schreiben wird. Warum der Odysseus Karlsen heißt, das kann man hier nachlesen. Er ist weitgehend mit mir identisch, er ist nur deutlich schlechter drauf als ich. An Themen wird es ihm sicher nicht mangeln, er nimmt während der Woche einfach alles auf, was mich ärgert, nervt, entsetzt. Da sollte sich also ab und zu etwas finden lassen.

In der Bahnhofsbuchhandlung wurde umgebaut, alles ist jetzt etwas moderner, stylisher, Plastik imitiert edles Holz, der Raum wirkt etwas luftiger, bei Printprodukten würde man von Mut zum Weißraum reden. Im Taschenbuchregal gibt es jetzt drei übersichtliche Rubriken, da steht man staunend davor und sieht, wie sich die wehrlose Literatur neuerdings einteilen lässt: “Für ihn” liest man da, “Für sie” und außerdem noch: “Mit Liebe”. Der Buchbestand wurde durchgegendert mit kleinem Rest, da staunt der Bibliothekar in mir, den ich in meinem äußerst bescheidenen akademischen Titel trage. “Mit Liebe”, da sehe ich natürlich zuerst hin, “Mit Liebe”, das ist ja immer gut, das wollen wir alle, wofür lebt man sonst. Da findet man aber nur diese rosafarbenen Bände mit den peinlichen Schulterbeißerszenen auf dem Cover, da vernascht der geile Graf bei schwellendem Vollmond das kokettierende Komtesschen, das ist einigermaßen entsetzlich. Bei “Für Ihn” gleich daneben findet man Blutrünstiges, Thriller, Actiondramen, Krimis der grauenvolleren und abgrundtiefen Art mit reichlich Blut und Einschusslöchern auf dem Einband. Der Mann als solcher liest eigentlich gar nicht, der Mann arbeitet sich durch Verbrechen und watet per Buch durch Blutbäder, dazu kommen wir später übrigens noch genauer.

Lieber schnell weitergucken, “Für sie”, was findet man denn da? Robert Seethaler: “Ein ganzes Leben”. Bitte? Was? Ist das denn nicht ganz normale Literatur? Ein Buch sogar, das sich für Geschlechterklassifikation so überhaupt nicht anbietet, einfach ein ziemlich gutes Buch? Eines mit Liebe, wie einem auch wieder einfällt, da war doch was, nicht wahr, das war sogar ziemlich schön? Müsste es nicht in die Rubrik “Feine Literatur”, die es leider nicht gibt? Aber nein, es steht bei den Damenbüchern, es ist “für sie”, dieses einfach gute Buch über einen Mann mit Liebe und zeitweise auch mit Frau. Was auf eine verdrehte Art, wenn man nur seltsam genug denkt, also etwa wie ein Marketingfachmensch, vermutlich beweist, dass Frauen die normalen Menschen sind und der Rest irgendwie komisch ist. Ich konnte ja mit Männern nie etwas anfangen, ich bin nur zufällig selber einer, aber ganz ohne Bezug zu den marketingüblichen Themen meines Geschlechts. Motoren sind doof, Maschinen sind doof, Mannschaftssport ist doof, Mord ist erst recht doof. Männer haben komische Themen, Frauen haben normale Themen, q.e.d.

Egal! Wenn man jetzt ein Buch schreibt, das ist die wichtige Lehre dieses Regals, muss man also alles daran setzen, in der Rubrik ”Für sie” zu landen, man muss unbedingt ein Damendichter sein, das sind die Besten. Wenn man bei “Für ihn” landet, ist man womöglich doof. Gut zu wissen, wirklich gut zu wissen.

Wobei ich auch seit dem Dezember schon über dieses Badezeug lache, das ich mir irgendwann gekauft habe, weil ich es so lustig fand und weil ich tatsächlich albern kichernd vor dem Regal im Drogeriemarkt stand: Männer 2.0 mit Blutorange und Pfeffer. Da müssten an sich alle Kunden vor Lachen zusammenbrechen, wenn sie das lesen, finde ich, wie albern ist das denn bitte? BLUTORANGE und PFEFFER. Kann es denn ernstgemeint sein? Was könnte denn noch lächerlicher klischeehaft männlich sein, als etwas mit Blut und Schärfe, herrgottnochmal. Ich bade als Mann natürlich nicht einfach in beruhigendem Lavendel oder heilender Kamille, nein, ich lege, ach was, ich werfe mich ins tiefrote Obstblut und scharf ist das auch noch. Ich habe nicht irgendwelche beliebigen und trutschigen Pflanzenaromen im Wasser, nein, das knallt bei mir voll rein. Wenn man das Zeug ins Wasser streut, dann sieht die rote Wolke tatsächlich aus, als hätte man sich über der Badewanne den Kopf an der Wand blutig gestoßen und würde aus einer zünftigen Platzwunde schwallartig runtertropfen, das ist wirklich nichts für jeden Menschen, schon gar nichts für empfindsame oder normale Menschen, also für Frauen, siehe oben. Was könnte eigentlich noch alberner männlich in der Badewanne sein? Wenn man sich kurz vorstellt, man sei Produktdesigner für solche Badezusätze? Könnte man das noch steigern? Vielleicht “Stechpalme und Hauhechel”? Nein, das klingt wegen der Stechpalme irgendwie weihnachtlich, das geht eher nicht. “Spargel und Nüsse”?

Als schreibender Mensch, um wieder etwas normaler zu denken, findet man unter den Pflanzen den Lorbeer sympathisch, das klingt aber als Badezusatz nicht männlich, sondern irgendwie suppig, da kann man gleich noch etwas Sellerie und Karotte dazuschnippeln, das geht nicht. Die Firma Niederegger, die natürlich jetzt Süßigkeiten gendert, hat eine Schokolade namens “Männersache” auf dem Markt, die schmeckt nach “Apple & Bourbon”, woran sich direkt die Frage anschließt, ob der Apfel denn neuerdings tatsächlich männlich ist? Und warum eigentlich? An apple a day keeps the woman away? Was weiß ich. Da fällt mir ein, ich habe gar nicht nachgesehen, ob es im Regal mit den Badezusätzen auch die so überaus hilfreichen Rubriken “Für sie”, “Für ihn” und “Mit Liebe” gibt. Egal, man möchte es wetten. Die Bahnhofsbuchhandlungen sind so, die Drogeriemärkte werden längst auch so sein, alles wird so sein. Man möchte sich in die Schulter beißen.

Morgen wieder normaler Content. Vermutlich “Für sie”.

Fastenzeit, Zwischenstand

Bei dem Thema werden einige womöglich peinlich berührt zusammenzucken, da war doch was? Bei mir läuft es jedenfalls, es läuft sogar besser denn je. Ich mache die pädagogisch wertvolle Friedens-Diät, die werden Sie vermutlich gar nicht kennen. Bei der Friedens-Diät ernährt man sich nur noch von den Lebensmitteln im Haushalt, die in ungerader Zahl vorkommen. Ganz egal, worum es sich dabei handelt, das ist vollkommen zweitrangig. Es geht nur um ein Ziel – den Streit der Geschwister um ein einzeln übrig bleibendes Exemplar von irgendwas zu vermeiden. Die Söhne schafften es in letzter Zeit sogar, sich um etwas zu prügeln, was sie gar nicht mögen, einfach nur, weil sie es dem anderen nicht gönnten. Der hätte ja urplötzlich und hinterlistig beginnen können es zu mögen, und dann hätte der einen Vorteil gehabt! Unerträglich!  Zack, Handgemenge.

Das hatte ich so satt, dauernd hatten die sich in den Haaren, weil etwas nicht aufging. Ich greife daher jetzt überall begradigend essend ein, ich esse Frieden herbei. Man ernährt sich dabei äußerst seltsam, aber da muss man durch. Drei Eier sind das große Übel, nur zwei Eier sind gute Eier. Von den sieben Joghurts muss einer weg, von den fünf Scheiben Brot auch eine, und oh, nur noch eine Banane! Das geht gar nicht. Die Einzelbanane im Obstkorb ist ein großes Sicherheitsrisiko, die Banane in mir aber ist ein großer Schritt zur Familienharmonie, wie auch die Tafel Schokolade, das Stück Kuchen, die Bratwurst. Die Söhne haben keinen Grund mehr zum Streiten und ich bin auch viel friedlicher. Außerdem bin ich erstaunlich satt und auch etwas müde, denn ich muss ja permanent wachsam sein und alle Vorräte nachzählen und alles immer wieder gerade essen. Sogar während die Familie isst, muss ich permanent alle Teller beobachten und rechtzeitig zugreifend einschreiten, denn hier essen leider nicht alle gleich schnell. Das strengt schon etwas an.

Aber es hat auch keiner behauptet, die Fastenzeit sei eine leichte Übung.

Dieser Text erschien als Kolumne in den Lübecker Nachrichten