Sankt Georg hilft: Zum Beispiel Margit von “Welcome Soup St. Georg”

In der Suppengruppe kochen an jedem Werktag ehrenamtlich tätige Menschen Suppe für die durchreisenden Flüchtlinge am Hauptbahnhof. Täglich zwischen 12 und 15 Uhr werden riesige Töpfe Suppe angerichtet, gekocht wird dabei hauptsächlich mit Gemüsespenden. Man braucht ziemlich viele Hände, um jeden Tag Berge von Gemüse zu zerlegen, man braucht auch viele Hände, um die Töpfe zu transportieren und zu waschen. Und um immer wieder Spenden und Naturalien zu sammeln. Auch an einer Suppe hängt eine Menge Arbeit, wenn sich alle irgendwie beteiligten Helferinnen der Gruppe treffen, kommen immerhin etwa fünfzig Menschen zusammen. Die Suppengruppe hat bisher etwa 20.000 Portionen Suppe ausgegeben. Eine von den Helferinnen ist Margit:

Margit

“Ich bin Margit, ich bin neunundsiebzig Jahre alt. Ich bin hier, um Gemüse zu schnippeln und Suppe zu kochen und den Flüchtlingen zu helfen. Damit die ihre warme Suppe kriegen. Das macht viel Spaß! Ich bin ja schon lange Rentnerin und bin alleinstehend, und ich freue mich, dass ich hier im Kreise der sehr gemischten Menschen ein wenig Unterhaltung habe, noch einmal ganz neue Leute kennenlerne und dass mein Tag dadurch ein wenig ausgefüllt ist.

Gemüse schnippeln

Ich wohne gar nicht in Sankt Georg, ich bin aber mittlerweile sehr gerne hier. Auch auf einen Kaffee oder ein Weinchen. Ich hab das hier durch das Internet gefunden, über Facebook. Ich bin gesundheitlich nicht ganz fit, ich kann aber hier bei der Suppengruppe im Sitzen was machen, das geht. Genau nach meinen Möglichkeiten, wie es mir passt.”

Hier geht es zur Spendenseite für „Sankt Georg hilft„.

 

 

Ein Update bei “Was machen die da”

Nach sechs Ausgaben in der Zeitschrift Nido machen Isa und ich mit den Gesprächsprotokollen nun wieder im eigenen Blog und in alter Manier weiter. Und mit nur einem Tag Verspätung haben wir ein noch etwas novembrig anmutendes Thema, denn Nicola Eisenschink ist Trauerrednerin. Ein Beruf, der allerdings auch etwas mit Humor zu tun hat.

Isabel Bogdan & Nicola Eisenschink

Wir haben mit ihr einen Spaziergang über den Ohlsdorfer Friedhof gemacht – und was soll ich sagen, es ist schon schön, die Bilder zu den Texten wieder selbst zu machen. Und an den langen Winterabenden gemütlich an der Bildbearbeitung zu stricken, doch, das hat ganz entschieden was, da könnnte ich mich wieder dran gewöhnen.

Zum Interview bitte hier entlang.

 

Familien-Kanban Teil 4

Die Herzdame steht am Sonntagmorgen mit verschränkten Armen vor der planlos irrlichternden Familie, guckt besorgniserregend finster und zischt “Kanban!” In solchen Momenten klingt Kanban gar nicht mehr wie eine friedliche Methode der Prozesssteuerung, eher schon wie das japanische Wort für Angriff in einer fernöstlichen Kampfkunst. In einer Kampfkunst, in der die Herzdame zweifellos einen schwarzen Gürtel hat. Man sieht es an diesem Großmeistergesichtsausdruck, den man aus Actionfilmen kennt. Aber es geht ihr eigentlich nur darum, die Familie endlich vor dem Kanban-Board zu versammeln, um Ordnung ins Chaos zu bringen, Struktur und Planung ins fast schon verloren gegebene Wochenende. Wir haben es gestern bereits nicht geschafft, hier irgendwas zu ordnen, der Haushalt kippt schon wieder bedenklich in Schräglage, da muss also dringend gegengesteuert werden. Was aber komplett sinnlos ist, wenn doch gerade die in der letzten Woche aus dem Keller geholte Weihnachtskiste geöffnet wurde, aus der jetzt Unmengen an Deko aufs Sofa quellen. Glitzerhirsche, Kerzen, Weihnachtsmänner, Engelchen, Goldsterne und Glöckchen, die alle dringend in der Wohnung verteilt werden müssen. Eine Aufgabe, die den Söhnen am ersten Advent heilig ist, eine Tätigkeit, die gewissermaßen vollkommen alternativlos ist.

Und da muss man von seinen Kanban-Plänen auch einmal Abstand nehmen. Oder, um es doch wieder wirtschaftlich zu formulieren: Man macht eben keine Betriebsversammlung an einem Feiertag. Womöglich ist die Adventszeit auch generell gar nicht geeignet für Prozessoptimierung, das gilt vermutlich privat wie im Büro. In der Adventszeit bereitet man mit letzter Kraft den Jahresschluss vor, man geht in Terminen unter und zählt die Stunden bis zum letzten Arbeitstag des Jahres, während die Zahl der noch anwesenden Kolleginnen im Büro nach und nach ausdünnt und die Abwesenheitsassistenten in den Mails immer öfter schon auf das nächste Jahr verweisen. Man wirbelt hektischer denn je herum, hat mehr Teller in der Luft als jeder jonglierende Zirkusclown und phantasiert Beleidigungen für Leute, die irgendwas von “stiller Zeit” und “Besinnung” faseln. Und man denkt sich vage und eher nebenbei, dass man ja im Januar vielleicht mal wieder irgendwas besser oder auch nur irgendwie anders machen könnte, mit dann womöglich neuer Motivation – während man mit jedem Tag im Dezember immer weniger Lust hat, überhaupt noch etwas zu machen. Denn so läuft es doch in der Adventszeit, im Endspurt des Jahres, in der Schussfahrt auf die Feiertage zu: Ankommen ist alles. Und dabei kann man es auch belassen, nehme ich an. Kanban hin oder her.

Gelesen, vorgelesen, gesehen, gehört im November

Der November ist, was den Medienkonsum angeht, so gut wie gelutscht, da kann die Liste ruhig schon erscheinen. Im Dezember gibt es vermutlich zwischendurch mal eine Vorabliste, denn die Weihnachtsvorlesebücher dieses Haushalts machen nach dem Fest eher keinen Sinn mehr. In Kürze mehr dazu.

Gelesen

Weiter im Knausgård, den hatten wir hier schon. Ich bin aber immer noch im ersten Band, da liegt also noch einiges vor mir. Die Lektüre ist natürlich etwas unfroh, da kommen mir unterwegs immer ein paar leichtere Bücher dazwischen. Aber ich sehe auch noch keinen Grund, den Herrn nicht durchzulesen.

Alex Capus: Eigermönchundjungfrau

Kurze Texte und Erzählungen, locker, leicht und fluffig, Capus gefällt mir nach wie vor sehr. Das perlt. Und: es ist noch Capus da, es gibt es noch etliche ungelesene Bücher von ihm.

Alex Capus: Glaubst du, dass es Liebe war?

Also gleich der nächste Capus. Im Klappentext heißt es: “Alex Capus schreibt Geschichten, die das Leben schriebe, gäbe es nicht schon Alex Capus.” Das ist erstens sehr nett und zweitens sehr schön formuliert und drittens gar nicht abwegig. Ein kleiner, schnell zu lesender Liebesroman über verunglücktes Timing in der Liebe, langen Atem und die Möglichkeiten, seinem Leben erst zu entkommen und dann irgendwann wieder einzusteigen.

Sonja Heiss: Das Glück geht aus

 

Kurzgeschichten, die völlig in Ordnung sind, gute Ideen. Die vielen Superlative aus den Besprechungen kann ich nicht ganz nachvollziehen, aber doch sehr gerne gelesen.

Gerbrand Bakker: Der Umweg – übers. von Andreas Ecke

Das habe ich bisher etwa bis zur Hälfte durchgelesen, eine kleine, wie immer bei Bakker auch gemeine und schmerzhafte Geschichte, eher zurückhaltend und leise erzählt, ein ganz ausgezeichet wintertaugliches Buch. Eine Frau verschwindet nach einer bestimmten Geschichte und einer bestimmten Diagnose aus ihrem Leben, das kam oben beim Capus auch schon vor, fällt mir gerade auf. Seltsam. Der eine verschwindet nach Mexiko, diese hier nach Wales, natürlich gehen die Geschichten dort weiter, natürlich streckt das alte Leben immer weiter die Finger nach den Figuren aus. Beim Capus geht das leichter über die Bühne als beim Bakker, aber wenn man Bakker und Capus kennt, dann erwartet man das auch nicht anders.

Jean-Yves Ferri & Didier Conrad: Der Papyrus des Cäsar – übers. von Klaus Jöken

Asterix

Früher war alles besser, wenn ich das einmal krückstockfuchtelnd anmerken darf. Den Witz von damals erreicht wohl niemand mehr, ich sage nur Korsika oder Spanien – man möchte doch gleich die Luft anhalten, bis wieder ein richtig guter Asterix erscheint. So etwas bleibt unerreicht, damit muss man sich eben abfinden. Aber doch immerhin schön, Obelix dabei zu beobachten, wie er Konflikten aus dem Weg geht, das hat dann doch Spaß gemacht.

Vorgelesen

Jutta Bauer & Arnhild Kantelhardt: Es war eine dunkle, stürmische Nacht

Es war eine dunkle, stürmische Nacht

Das hatten wir schon einmal, eine Vorlesegeschichtensammlung, die den Jungs so gut gefällt, dass wir sie schon mehrfach aus der Bücherei mitgenommen haben. Und es gab zu dem Satz “Diese Geschichte ist eine wahre Geschichte” immerhin eine nette kleine Diskussion über Wahrheit in Texten und Erzählungen. Was ist wahr, was kann wahr sein, gibt es Wahrheit überhaupt usw., mit sechs und acht Jahren wird das allmählich spannend.

Christian Loeffelbein: Willkommen in Professor Graghuls geheimer Monsterschule. Mit Illustrationen von Ina Hattenhauer

Professor Garghul

Grusel, Spuk, Fantasy und Monster stehen hier gerade sehr hoch im Kurs und dieses Buch ist da ein seltener Glückstreffer, weil es tatsächlich beiden Jungs gleich gut gefällt. Das kommt gar nicht so häufig vor, die Geschmäcker gehen doch weit auseinander. Die Kapitel haben ideale Bettkantenlänge und manchmal nette Cliffhänger am Ende, ich war auch zufrieden.

Sadie Chesterfield: Minions – übers. von Antje Görnig

Minion-Buch

Man kann sich nicht immer alle Bücher aussuchen, die vorzulesen sind. Die Söhne waren sehr angetan, ich fand es furchtbar. Aber ich kenne auch den Film oder die Filme nicht und weiß daher nicht, was an diesen Figuren toll sein soll.

Martin Grolms: Pinipas Abenteuer – mit Illustrationen von Annika Kuhn

Pinipas Abenteur

Das Buch hat uns der Verfasser zugeschickt. Pinipa ist die Geheimfreundin von Greta, sie fliegt in einer Seifenblase über Deutschland, das bei der Gelegenheit in detailreichen Bildern gezeigt und erklärt wird. Hamburg, Berlin, München, das Ruhrgebiet, die Lüneburger Heide usw. Die Söhne fanden: „Die Idee ist sehr gut, das mit der Seifenblase ist super. Und Geheimfreundinnen sind auch gut, die braucht man manchmal, und dass Erwachsene die nicht sehen können, das ist ja normal. Die Bilder haben viele Details, fast wie bei Wimmelbildern, da haben wir auch richtig was erkannt, etwa bei Berlin oder Hamburg.“ Laut Klappentext ist das Buch für das Grundschulalter, ich nehme an, erste und zweite Klasse passen perfekt. Allerdings wollen die Söhne nach der Lektüre jetzt einmal das Ruhrgebiet besuchen und eine Zeche besichtigen, es ist kompliziert. Wann soll ich das bloß machen?

Pinipas Abenteuer

Gesehen

Viele Filmausschnitte aus Filmen mit Katharine Hepburn, weil die Dame in der Reihe “Die Herzdame backt” vorkam. Ich hätte mich ohne diese Ausschnitte gar nicht mehr daran erinnert, dass ihre Auftritte auch modisch durchaus interessant waren. Und ich habe jetzt doch große Lust, mir diese Filme noch einmal ganz und in Ruhe anzusehen.

Gehört

Heinrich Heine: Deutschland, ein Wintermärchen, gelesen von Lutz Görner

Das gibt es hier auf Youtube. Heine kann man ähnlich wie Tucholsky ruhig mal wieder lesen oder hören, man stößt auf befremdlich aktuelle Sätze über dieses Land. Überhaupt Vormärz, das könnte man sich alles mal wieder näher ansehen. Wenn man denn Zeit hätte.

Ich habe mir auf Spotify mittlerweile eine nett tanzbare Lindy-Hop-Playlist für noch nicht ganz so weit Fortgeschrittene angelegt, wer bei Spotify ist – bitte hier entlang:

Slim Gaillard

Auf Entdeckungstour durch die Musik der Swingära mache ich immer noch fantastische Entdeckungen, auch Interpreten, von denen ich noch nie etwas gehört hatte – etwa Slim Gaillard. Sehr abgefahrenes Zeug.

Slim Gaillard war auch an dem heiligen Film der Swingszene beteiligt, also an Hellzapoppin, wie man hier sehen kann.

Falls der Filmtitel dunkel bekannt vorkommt – wie hatten da mal eine Erwähnung in unserem “Was machen die da”-Interview mit den Swinglehrern Mareil und Ole.

Dalida

Bei der Recherche zu einem anderen Blogartikel blieb ich wieder – ich neige im Herbst zu so etwas – an dem vermutlich traurigsten Lied aller Zeiten hängen. Nein, das ist es natürlich nicht, das ist auch gar nicht auszumachen, da gibt es entschieden zu viele Kandidaten, zu viele herzzerreißende Texte. Aber es ist ganz sicher ein vernichtendes Lied über die Unmöglichkeit der rettenden Liebe, über das Alleinsein des Menschen. Und wenn man weiß, wie Dalida endete, sieht man die Darbietung eh noch einmal mit anderen Augen. Ein wirklich grausamer Text. Pour ne pas vivre seul – um nicht allein zu sein.

Und dann stößt man wieder auf Videos, die man gar nicht suchen wollte, aber die eben ab und zu doch wieder gefunden werden wollen, ich kann es ja auch nicht ändern. Zum Beispiel dieses Filmchen, das einen mit der nagenden Frage zurücklässt, wie um Gottes willen jemals so viel Talent in so einen schmalen Menschen passen konnte. Mr. Sammy Davis Jr.

Aber im November dürfen die Lieder auch langsamer sein und länger dauern, versteht sich. Und die Sänger dürfen auch etwas beschädigt aussehen. Chet Baker.

Und zwischendurch immer wieder Diana Krall, bei der man ja durchaus einmal Klaviertaste sein möchte. Hach.

Und überhaupt, die ruhigeren Stücke. Der ganz späte Paul Kuhn mit “Almost the Blues”, das hatten wir hier auch schon einmal, warum auch nicht. Ein hervorragendes Stück, um Regentropfen an Scheiben zu beobachten. Und auch sonst, ein sehr schönes Konzert.

Und ganz zum Schluss der unerwartete Ohrwurm des Monats: Lou Rawls mit “See you when I get there”. Auch ein sehr aparter Anzug, nicht wahr.

Familien-Kanban Teil 3

Nachdem ich neulich erwähnt habe, dass bei gewissen familiären Aufgaben auch Comiczeichner Mühe hätten, sie mal eben für einen Kanban-Aufgabenzettel zu zeichnen, hat sich prompt einer bei mir gemeldet – weswegen diese Folge der kleinen Kanban-Reihe illustriert ist. Herzlichen Dank dafür an Till Laßmann, Comic- und Eventzeichner!

In der ersten Woche haben wir (siehe Teil I und Teil 2) tatsächlich 27 Aufgaben abgearbeitet, das ist doch gar nicht so wenig. Fast alle Zettelchen im Bereich “Machen” wurden am Wochenende erledigt, das gehört auch zu den Erkenntnissen, auf die man erst kommt, wenn man die betrieblichen Abläufe zuhause einmal einem Audit unterzieht: Wochentage bestehen hier zu 99% aus Routine und es gibt überhaupt keinen Grund, irgendwem irgendwelche Aufgaben mitzuteilen. Jeder weiß, was wann zu tun ist. Das heißt selbstverständlich nicht, dass es dann auch jeder macht, aber das ist ein anderes Problem, das kann Kanban so nicht lösen. Am Wochenende ist das ganz anders, am Wochenenende wird hier der ganze Betrieb neu erfunden, immer wieder.

Illustration Tim Lassmann

Um es etwas geschäftsmäßiger auszudrücken, immerhin kommt Kanban aus der Industrieproduktion: an Werktagen sind die Probleme im Familienbetrieb in der Regel nicht prozessbedingt, an Werktagen ist man im Management eher mit verhaltensaufffälligen Mitarbeitern beschäftigt, die teils enorme Motivationsprobleme haben und auf Bonussysteme schon lange nicht mehr recht ansprechen, dabei unkündbar sind und enorme Privilegien genießen, man beschäftigt sich also mit ganz normalen Kindern. An Wochenenden muss man dann mit aus heiterem Himmel hochmotivierter Belegschaft plötzlich den gesamten Betrieb ad hoc auf neuen Betriebsabläufe umstellen, so dass am Ende der manchmal völlig improvisierten Prozessketten z.B. das Produkt “Familienausflug” stehen kann, während man selbst eher von einem Sabbatical, von einer Kur oder wenigstens von einem Nickerchen träumt. Das ist ein wenig so, als würde man in zwei völlig verschiedenen Unternehmen und auch in zwei Rollen arbeiten, je nachdem welcher Wochentag gerade ist. Es ist kompliziert.

Wobei man ja auch kleine Lehren aus diesem Audit gerne mitnehmen kann. So hat es sich, um ein prägnantes Beispiel zu nennen, als total sinnvoll erwiesen, sich am Sonnabendmorgen mit der ganzen Belegschaft vor der Kanban-Wand zu versammeln, die “Erledigt”-Karten der letzten Woche feierlich abzunehmen und ggf. herausragende Einzelleistungen noch einmal gesondert zu würdigen. Um dann gemeinsam eine Lagebesprechung abzuhalten, aus der die neuen Aufgaben entstehen, die sofort gezeichnet und verteilt werden. Das klingt schon wieder banal, aber ich glaube tatsächlich, das behalten wir so bei. Es scheint vorteilhaft für alle Beteiligten zu sein, sämtliche Aufgaben einmal vor sich zu sehen, ganz greifbar und verständlich. Es passiert etwas in den Köpfen, wenn man das so macht. Und man merkt auch am Sonnabendmorgen schon, was nicht mehr passt, was nicht realistisch ist, was übertrieben anspruchsvoll ist . Sieben Zettel bei Sohn II? Try again. Den eben von Sohn I gezeichneten Zettel versteht schon nach fünf Minuten keiner mehr? Try again. Viel zu viele Zettelchen, die kleben schon in zwei Schichten an der Wand? Try again.

Insbesondere das letzte Problem, hinter dem die Frage nach der richtigen Priorisierung steht, ist ein weiterer bedenkenswerter Aspekt. Man priorisiert natürlich immer, quer durch den Alltag, aber es ist vermutlich wirklich schlauer, gemeinsam und sortiert über Prioritäten nachzudenken und sie abgestimmt im ganzen Team festzulegen. In der Familie und im Büro.

Und wirklich wunderbar und erheiternd ist immer wieder das alte und längst aus Tom Sawyer bekannte Neidprinzip unter den Kindern, dieses sofortige Misstrauen, wenn einer eine bestimme Aufgabe gerne haben möchte. Warum will der das? Macht das am Ende Spaß? Der denkt sich doch was dabei? Kann ich das dann nicht lieber machen? Gib das sofort her! Das hat im neunzehnten Jahrhundert bei Mark Twain funktioniert, das kann man immer noch beliebig oft reproduzieren, der Mensch ist nun einmal so. Neid und Gier, man muss es eben nur sinnvoll anwenden. Wenn es nur immer so einfach wäre!

 

Kleine Szenen (7)

Ich arbeite seit vielen Jahren für eine weltweit tätige französische Firma. Die Konzernzentrale ist in Paris, über siebenhundert Leute arbeiten dort. Nach den Attentaten vom 13.11. sehe ich in meinen Firmenmails, auf Facebook und und auf Twitter nach, jemand könnte ja schreiben, dass alle Kolleginnen okay sind. Ich lese aber einen Tag lang nur, dass man noch nichts weiß. Es ist Wochenende, wie sollte man es auch wissen. Auf Twitter posten die Kollegen schließlich nur einen Link zu einem Song: Imagine von John Lennon.

Im Supermarkt in unserem kleinen Bahnhofsviertel läuft ein auffällig vergnügter Familienvater herum. Er trägt ein sehr langes, kleidähnliches Hemd und eine goldbestickte Mütze, wenn man sich gut auskennen würde, man könnte womöglich am Gewand sein Herkunftsland erkennen. Aber ich kenne mich nicht aus. Seine Frau trägt Kleid und Kopftuch, sein etwa sechsjähriger Sohn trägt die Tracht seines Vater in klein. Der Vater lädt alles in den Wagen, was mit Weihnachten zu tun hat. Lebkuchen, Dominosteine, Spekulatius und Stollen. Aber auch eine Baumspitze, Lichterketten, Lichterbögen, Christbaumkugeln, er kauft das ganze Zeug, das hier im November sonst noch keiner anrührt. Er hält ab und zu ein Stück hoch und zeigt es strahlend seinem Sohn. Der guckt eher irritiert als begeistert, nickt aber doch bei jedem Stück zustimmend. Die Frau schüttelt etwas bemüht lächelnd den Kopf, mit einem Gesichtsausdruck, als sei sie seltsames Verhalten des Gatten lange gewohnt. Ich kenne diesen Blick von der Herzdame, der Blick ist auf der ganzen Welt gleich. Der Vater rollt den Wagen zur Kasse, er sieht aus, als hätte er das Schnäppchen seines Lebens gemacht. Die Geschichte hinter dieser Szene kann man nur raten.

In einer Kneipe sitzt eine junge, arabisch anmutende Frau mit zwei Männern, natürlich kann sie aber auch Spanierin, Griechin, Afghanin oder sonst etwas sein, man kann das alles nur raten, wie bei fast allen Szenen hier. Eine Touristin, eine Frau, die seit Jahren in Hamburg arbeitet, eine Expat aus den USA oder von Sizilien, was auch immer, jedenfalls ist sie keine Deutsche, sie kann auch kein Wort Deutsch. Die Kleidung verrät nichts, sie ist so durchschnittlich, wie sie nur sein kann, Jeans und grauer Pullover. Die Männer sind Deutsche, sie reden gelegentlich ein paar deutsche Sätze miteinander. Die drei reden miteinander Englisch, ich kann nicht verstehen, worum es geht. Bis sie alle drei einen Satz mehrmals laut wiederholen, noch einmal und noch einmal: “Leck mich am Arsch.” Die beiden Männer sagen das auf Deutsch vor, die Frau versucht es nachzusprechen, was ihr aber nur ansatzweise gelingt. Besonders das R bekommt sie überhaupt nicht hin, was alle sehr amüsiert. So eine schwere Sprache! Allmählich bekommt die ganze Kneipe mit, was sie da machen, und nach und nach kommen Vorschläge von den anderen Tischen. Denn man kann doch auch “LMAA” sagen, viel einfacher! Und sogar ganz ohne R, das muss sie doch können. Oder, sehr norddeutsch, einfach nur: “Ja, ja.” Und weil die Frau immer wieder eher Jasch als Arsch sagt, denken alle über das Wort nach und murmeln es vor sich hin, wir haben hier aber auch eine seltsame Aussprache, oder nicht? Wie reden wir eigentlich? Klingt es nicht eher wie Orsch? Oarsch? Aarsch? Aasch? Die ganze Kneipe spricht kurz über Sprache und Klang und fremde Vokabeln, murmelt mehrmals testweise das Wort, bevor sich jeder wieder wie vorher seinen Gesprächspartnern zuwendet. Ich höre nur noch die nächste Herausforderung für die junge Frau und ahne, dass sie kaum zu bewältigen sein wird: “Kreuzweise”.

Ich rede mit Sohn I über die Schwierigkeit, sich in diesem Jahr auf einen strengen Winter zu freuen. Auf so einen Bilderbuchwinter, in dem man endlich einmal wieder Schlitten fahren kann, in dem man womöglich sogar einen Schneemann bauen kann, in dem Schneeballschlachten in der großen Pause möglich sind, das ist sein größter Wunsch. Das gab es alles so lange nicht, das wäre doch schön. Auch für seinen kleinen Bruder, der sich an Schnee schon gar nicht mehr erinnern kann, das muss man sich mal vorstellen. Die Schwierigkeit besteht nun aber darin, dass dem Sohn das Thema Winter genau vor den Versorgungszelten am Hauptbahnhof eingefallen ist, vor denen frierende Menschen in unangemessen leichter Kleidung herumstehen. Werden die es im Winter alle warm haben? Was ist mit denen, die jetzt noch auf der Flucht sind, irgendwo im Gelände? Stehen die echt tagelang im Schnee? Es ist kompliziert.

Ich sitze am Computer, die Söhne kommen vorbei und sehen auf meinem Bildschirm das Bild eines Polizeiwagens, es gehört zu einer Lokalzeitungsmeldung über einen Mord hier um die Ecke. Sohn I sieht nur das Bild des blauweißen Autos und murmelt: “Ah, Paris.”

Ich helfe abends bei der Vorbereitung der Kirche vor unserer Haustür, die nachts einige der Geflüchteten aufnimmt, die am Hauptbahnhof nicht mehr weiterkommen. Es ist kalt draußen, die Kirche kann man heizen. Sie wird nicht mollig warm, aber warm genug. Es wird Tee in großen Kannen gekocht, Isomatten werden zwischen die Bänke gelegt, Kekse bereitgestellt. Mir werden die Lichtschalter erklärt: “Und hier kannste den lieben Gott dimmen”. Es ist ruhig in der großen Kirche, nur ein paar Menschen, die mit Kannen und Tüten hantieren, Decken sortieren, Becher bereitstellen. Aber, das merkt man erst nach einer Weile, es kommen und gehen doch erstaunlich viele Menschen. Weil sie für die Kirche arbeiten und kurz nachsehen wollen, wie es läuft. Weil sie da sauber machen. Weil sie zu der Freiwilligengruppe gehören, die Suppe für Obdachlose kocht. Weil sie zu der Freiwilligengruppe gehören, die Suppe für die Flüchtlinge kocht. Weil sie dafür Töpfe holen oder bringen oder abwaschen. Weil sie nachsehen wollen, ob genug Helferinnen da sind. Weil sie die Hilfe der nächsten Tage abstimmen wollen.Weil sie Chorprobe haben. Die Kirche hat mehrere Türen, alle paar Minuten tritt durch eine jemand auf. Manche kenne ich, manche nicht, manche begegnen mir sonst in ganz anderem Kontext, man lernt sich durch diese Hilfsinitiativen im Stadtteil auch neu kennen. Wäre ich Theaterautor, ich würde diese Szene vermutlich einladend finden, das große leere Kirchenschiff im Halbdunklen, das kleine improvisierte Versorgungslager unter der Orgelempore, ein paar Tische mit Wachstuchdecken. Die Auftritte der wechselnden Personen, die alle irgendwie mit Hilfe, aber nicht unbedingt mit der Kirche zu tun haben. Die kurze Dialoge führen und gleich wieder abgehen. Wenn die Türen aufgehen, sieht man kurz Dunkelheit und Regen. Jemand bringt hartgekochte Eier, jemand holt Gemüse, das für die Suppen morgen geschnippelt werden muss. Jeder sagt bei seinem Auftritt zuerst etwas davon, dass es kälter wird. “Es wird jetzt echt kälter, was?” Ja, das wird es wirklich. “Es wird kälter”, ein Theaterstück über Deutschland 2015, das passt alles. Die vorkommenden Typen kennt mittlerweile jeder, der irgendwie mit den Hilfsaktionen zu tun hat. Wenn ich aus unserem Wohnzimmerfenster abends auf die Kirche sehe, kommt sie mir wie ein ruhendes, dunkles Gebäude vor. Aber in diesem November ist es abends ziemlich lebendig in dem großen Bau.

Für die Hilfsinitiativen hier im kleinen Bahnhofsviertel kann man weiterhin spenden. Für die Suppe, die den Geflüchteten am Bahnhof gereicht wird, für so elementar Wichtiges wie Trinkwasser und heißen Tee, für die Nachtquartiere, für etwas Hilfe auf dem Weg. Spendenbescheinigung auf Wunsch möglich! Vielen Dank.

 

Oh!

Höchst ungewöhnlich, dass hier ein Paket kommt und nicht für Söhne ist, sondern für mich. Ganz herzlichen Dank also an die Leserin Christina, die mir Donald Antrim: „Das smaragdene Licht in der Luft“, übersetzt von Nikolaus Stingl geschickt hat. Ich kenne Antrim bisher gar nicht, fand neulich aber eine Rezension seiner Geschichten so interessant, dass mir das Buch wünschenswert erschien. Demnächst dann mehr dazu!

Und wo ich gerade den Vogel auf dem Titel sehe – im Zusammenhang mit diesem Tierchen gibt es im nächsten Jahr auch etwas von mir. Eine einzelne Geschichte nur, aber doch mal wieder auf Papier. Warum auch nicht.

 

 

Familien-Kanban Teil 2

Das mit den Aufgabenzettelchen, die in unserem familiären Kanban-Raster jetzt auf “Machen” und “Gemacht” verteilt werden, das ist übrigens gar nicht so einfach. Denn es ist ja ein Familiending, also muss auch alles allen verständlich sein. Sonst würden die Kinder sicher nicht allzu lange mitspielen. Die Erwachsenen können da also nicht mit abstrakten Begriffen um sich werfen, so etwas wie “Urlaubsvorbereitung” oder “Umzug planen” kommt eben nicht in Frage (nein, wir ziehen nicht um, wir tauschen nur Zimmer). Wir brauchen ganz konkrete Aufgaben. Auch etwas wie “Wohnung auf Zack bringen” ist schon zu wolkig, aber “Staubsaugen” geht, da kann man einen Staubsauger malen und jeder weiß genau, was gemeint ist. Man muss alles zum konkreten Handeln runterbrechen.

So entstanden unsere ersten Zettelchen, die Großaufgaben wurden in Kleinaufgaben zerlegt, die bildlich darstellbar waren. Boden wischen, Toast kaufen, Kleingeld sortieren, Bücher aufräumen, das bekommt man alles hin. Und dann kam der Moment, wo mich die Söhne fragend ansahen, weil ich nebenbei erwähnt habe, dass ich an dem Tag noch ein paar Stunden arbeiten musste. Und in ihren Augen stand ein deutliches: “Was macht der da eigentlich?” Und wie passt das denn bloß auf einen Zettel? In der Situation wollte ich als nächstes gerade einen Blogeintrag über genau diese Situation schreiben, das überforderte uns dann zeichnerisch aber leider alle vollkommen, das kann hier kein Mensch abbilden, da würden vermutlich auch Comiczeichner erst einmal einen Moment nachdenken.

Was also mache ich eigentlich, wenn ich vorgebe zu arbeiten? Mein indianischer Name wäre Tippeditipp, ich sitze am Schreibtisch und bearbeite die Tasten, warum auch immer und offensichtlich zu jeder Tageszeit. Ich kann die Arbeit im Sinne dieser Familienaktion leider schlecht in Einzelteile zerlegen, weil etwas wie “Kolumne für X” schreiben” zumindest Sohn II noch nicht genug sagt und das auch als Bild nicht recht in Frage kommt. Weswegen mir Sohn I nach etwas Nachdenken kurzentschlossen einfach einen Computer gezeichnet hat, der da jetzt bei mir unter “Machen” an der Wand klebt.Dem Bild entnehme ich übrigens, dass mir hier wohl unterstellt wird, ich würde pausenslos lustige Zeichentrickfilme am Computer gucken. Schlimm.

Kinderzeichnung Computer

Aber da es sich bei der Sache mit dem Computer um eine Arbeit handelt, die prinzipiell niemals fertig ist, könnte man den Zettel da auch in die Wand dübeln, der kann natürlich niemals in den Bereich “Gemacht” wechseln. Das haben die Söhne dann auch verstanden und mich ein wenig mitleidig angesehen, weil bei ihnen unter “Gemacht” schon viel mehr Zettelchen als bei mir zu finden sind.

Sohn I: “Wir können den Zettel mit dem Computer ja ab und zu nach unten zu “Gemacht” hängen, damit das für dich mal gut aussieht. Dann kommst du kurz gucken, freust dich, und dann, was weiß ich, nach zehn Minuten oder so, hängen wir ihn gleich wieder hoch. Sonst machste ja nicht weiter.”

So ein mitfühlendes Kind, ist das nicht wunderbar? Ich freue mich jetzt jedenfalls sehr auf meine zehn Minuten Pause, die mir hier irgendwann in hoffentlich absehbarer Zeit zustehen werden.

 

Familien-Kanban

Ich war auf dem Barcamp Hamburg, einer sehr gelungenen Veranstaltung mit zahllosen Vorträgen zu einer bunten Themenvielfalt. Wer das Prinzip Barcamp nicht kennt: Das sind offene Veranstaltungen, bei denen vorher nicht klar ist, worum es gehen wird. Jeder Teilnehmer kann morgens im großen Plenum Themen vorschlagen, wenn sie ein paar Leute interessieren, finden die Vorträge auch statt, sonst eben nicht. Thematisch kann zwischen technischen Internetfragen, hochspeziellen Marketingstrategien, Weinverkostungen und “Wie kommt der Honig ins Glas” so ziemlich alles passieren. Betont lustige und todernste Themen, Ersteinführungen für Dummies und Expertenpanels, Workshops, Diskussionsrunden, alles möglich. Es waren wirklich interessante Sessions dabei, es sind natürlich immer viel, viel mehr, als man hören könnte, das gehört zum Prinzip der Barcamps, es finden etliche Vorträge gleichzeitig statt.

So ein Barcamp ist für uns auch ein Familienevent. Die Herzdame hat ziemlich spontan selbst eine gute besuchte Session gehalten, über die Hilfe für die Geflüchteten in Sankt Georg. Die Söhne waren den ganzen Tag in der Kinderbetreuung des Barcamps, die ihnen sehr gefallen hat, das war auch im letzten Jahr schon so. Und ich schreibe jetzt etwas über die Veranstaltung, so hat hier jeder etwas davon.

Das mit den Kinder, das läuft da übrigens so entspannt und selbstverständlich, dass andere Veranstaltungen sich gerne daran ein Beispiel nehmen könnten. Das Gewusel in Kniehöhe gehört dort einfach dazu, es ist ganz selbstverständlich, da laufen eben Kinder herum, da haben Menschen eben Babys auf dem Arm und reden dennoch übers Business. Man muss eigentlich nur beschließen, es normal zu finden, dann läuft das schon. Eine Betreuerin und ein Betreuer, ein wenig Entgegenkommen der Erwachsenen, viele Schokobrötchen und Limo, mehr braucht man gar nicht.

Und auch bei solchen Kongress-Veranstaltungen gilt: Man bekommt so viel zurück. Die Kinder waren nämlich nicht nur einfach da, zwei von ihnen haben auch gleich einen Vortrag gehalten, und der hatte es in sich. Das waren zwei elfjährige Mädchen, die etwas über ihr Verhalten im Internet erzählen wollten, was alle Erwachsenen sofort so interessant fanden, dass der Saal sehr voll war. Und zu einem Vortrag kam es dann genau genommen gar nicht, die Gäste fingen einfach sofort an zu fragen, die Mädchen antworteten, es kamen mehr Fragen und noch mehr Fragen, wirklich sehr neugierige Erwachsene waren da im Publikum. Und die Antworten waren dann so beschaffen, dass nicht wenige, mich eingeschlosssen, zu der Erkenntnis kamen, dass diese beiden Mädchen mit ihren Smartphones und Computern womöglich lange nicht so junkiehaft und besessen umgehen wie wir. Wie mein Nebenmann mir irgendwann zuflüsterte: “Die sind cooler als wir, oder?” Und das ist ja auch einmal einen Gedanken wert.

Für Kinder, das wurde sehr deutlich, gibt es auf Barcamps wirklich gute Möglichkeiten, Erwachsenen die Welt zu erklären, Sohn I hat das am Rande mitbekommen und kann sich gut vorstellen, da auch einmal etwas zu erzählen. Das klingt nur wie eine nette Anekdote, ist aber pädagogisch eine wirklich feine Sache – denn die Kinder können sich früh für kompetent und mitmachfähig halten, der Graben zwischen ihnen und den Erwachsenen wirkt dann manchmal überraschend leicht überbrückbar. Ich finde das schön.

Ich habe auch einen Vortrag über Kanban im Privatleben gehört. Und da “Man kommt zu nix” einer meiner häufigsten Sätze ist, möchte ich da gerne noch etwas länger drüber nachdenken, denn womöglich ist an diesen Methoden etwas dran. Könnte ja sein. Ich neige sonst dazu, so etwas als Berater-Spinnkram abzutun, aber Arroganz ist bekanntlich auch nicht immer der richtige Weg. Und weil wir gerade spektakulär daran scheitern, die Aufgaben im Haushalt hier streitfrei und just in time zu verteilen, versuchen wir mal eine Art abgespecktes Familien-Kanban-System, warum auch nicht. Wer sich für die ausgefeiltere Variante mit allen tollen Anglizismen interessiert, hier etwas mehr dazu.

Wir haben uns ganz einfach mit diesen bunten Tape-Dingern ein Raster an die Wand gebastelt, fünf Spalten. Die erste als Pool, da kommen die Aufgaben rein, die jemand übernehmen muss. Dann vier Spalten, eine für jeden im Haushalt. Diese Spalten haben einen Trennstrich in der Mitte, oben steht, was zu tun ist, unten das, was getan wurde, was abgehakt ist. Wirklich ganz einfach.

Man kann das mal eine Woche oder länger testweise laufen lassen und an den Wochenenden nachsehen, wer was gemacht hat. Ohne Belohnungssystem, mir werden solche Sachen zu schnell merkantil geprägt. Wir nehmen das einfach nur als Sortierspiel, und auch ein wenig um Prioritäten festzulegen. Und natürlich, um ein wenig mit dem ewigen Konkurrenzdenken der Söhne zu spielen, die sich bereits nach wenigen Minuten in den Haaren hatten, wer denn nun die meisten Aufgaben übernehmen dürfe: “Die hatte ich zuerst!”

Das Spiel scheint jedenfalls wunderbar zu motivieren. Während ich hier tippe, saugt Sohn II so ekstatisch Staub, wie Jimy Hendrix Gitarre spielte. Ich werde hier keine Beweisfilme einstellen, aber der Vergleich ist so unpassend nicht.

Weil Sohn II aber noch nicht lesen kann, werden die Aufgabenzettel gezeichnet. Und da hier niemand großartig zeichnen kann, lassen die Bildchen auf den Post-Its erheblichen Raum zur Spekulation.

Kanban-Zettel

“Wir sollen Insekten zertreten!?”

“Das ist ein Wischdings, du Blödi!”

Von diesen Startschwierigkeiten abgesehen sind heute in wenigen Stunden schon überraschend viele Aufgabenzettel vom oberen “Machen”-Bereich in den unteren “Erledigt”-Bereich gewandert, Heinzelmännchen nichts dagegen. Ich bin gespannt, wie sich das System in der nächsten Woche bewährt. Und ich glaube, wir bauen hier zwischendurch ein kleines Ratespiel mit unseren allerschönsten Aufgabenzetteln ein.

 

12 von 12 im November

Wenn jemand 12 von 12 nicht kennt – hier die Erklärung.

Nachdem ich es in den letzten beiden Monaten tatsächlich nicht geschafft habe, einen Artikel in dieser Reihe zu produzieren, springe ich jetzt doch wieder auf den Zug auf.

Der Tag beginnt mit dem Schreiben einer Kinderfilmrezension, zu der ich allerdings inhaltlich gar nicht komme, weil mein lodernder Hass auf gigantische Multiplexkinos, übersüßtes Popcorn in mülltonnengroßen Portionen und widerliche Nachos in Käsesoße aus Industriemüll und Beck’s Bier zu Mondpreisen im Text einfach zu viel Platz kostet. Schlimm.

Währenddessen bastelt Sohn II, der kleine Streber, noch vor dem Frühstück Blumen für seine Mutter. So romantisch! Das Bastelmaterial besteht heute aus Birnen, warum auch nicht. Sohn II kann vermutlich aus allem etwas bauen, zaubern, gestalten, er ist damit allerdings ziemlich allein in diesem Haushalt.


Danach zur Arbeit, da komme ich unweigerlich am Hauptbahnhof vorbei. Im Stadtteil fragen sich alle, was die schwedische Grenzschließung für die Geflüchteten bewirken wird, noch ist die Lage aber ruhig. Es ist bei den Versorgungszelten nicht voller als sonst auch.

Ich eile ins idyllische Hammerbrook, um ein paar Stunden in einem Büro zu verbringen, von dem es keine Fotos geben wird. Hier aber doch die Einflugschneise.


Am Vormittag ein kleiner Imbiss, aus reiner Bosheit so auf dem Teller angerichtet, dass es gewisse Symmetriefanatiker nicht aushalten. Irgendwo muss die Aggression ja hin!

Auf dem Rückweg von der Arbeit komme ich am Mariendom vorbei, wo etliche hochkalibrige katholische Würdenträger gerade in die Kirche eilen. Im Bild ist nur einer, das ist die sogenannte Text-Bild-Schere, da muss man jetzt durch.


Ein paar dieser Würdenträger grüßen mich, als würden sie mich gut kennen, ich überlege immer noch, wonach ich jetzt schon wieder aussehe. Stelle mich zuhause vor den Spiegel, sehe aber wohl nicht übertrieben katholisch aus. Bin es ja auch nicht.

Am Nachmittag werfe ich einen ersten Blick in ein frisch geliefertes Buch von Herrn Bakker, der normalerweise großartige Bücher schreibt. Wie dieses hier ist, weiß ich noch nicht.


Ich hole Sohn I aus der Schule, Sohn II ist anderweitig verabredet. Stelle zuhause irritiert fest, dass ich nicht dringend an irgendwas arbeiten muss, also zumindest nicht so deadlinedringend, dass es mich wirklich motivieren würde. Damit kann ich nicht umgehen, ich stehe plan- und orientierungslos auf dem Balkon, gucke in die Gegend und tue entspannt, um nicht aufzufallen. Imitiere dabei chamäleongleich andere Balkonsteher mit Zeit und Muße. Draußen Herbst, alles ganz hübsch.

Und hier wird jetzt gnadenlos geschummelt, statt Bild ein Video. Ich gucke nämlich zurück am Schreibtisch mehrmals diesen Clip hier, weil ich mich gerade für einen entsprechenden Workshop im Dezember angemeldet habe. Collegiate Shag, ein unfassbar anstrengender, schneller und leicht alberner Tanz. Den die Herzdame auch wieder schon kann, eh klar.

Dann: Pfannkuchen. Es kommt nicht oft vor, aber ab und zu koche oder brate ich hier auch etwas, das den Söhnen schmeckt


Damit würde der Tag eigentlich enden, wenn ich nicht dieses seltsame neue Hobby hätte, das einen Frontalangriff auf meinen Biorhythmus darstellt. Ich gehe also nicht ins Bett, nein, ich habe um 22 Uhr noch eine sehr erfreuliche Verabredung zum Lindy-Hop, die Schuhe stehen schon bereit. Wie ich mich allerdings bis dahin wach halten soll – vollkommen unerfindlich.