Die Linksammlungen zu Flucht und Fremdenfeindlichkeit fallen gerade aus, weil ich den rechten Müll einfach nicht mehr ertrage. Kommen aber wieder.
Das alte Zeug
Gestern gab es eine Swingtanzveranstaltung in einem Autohaus in der Hamburger Innenstadt. Das ist natürlich kein Autohaus, wie man es sich in meiner Kindheit vorgestellt hätte, das ist eher so eine hippe Bargeschichte, in der wie zufällig genau ein vollkommen unbezahlbares Auto herumsteht, als ob es eine nette und ganz selbstverständliche Dekoidee zum nachmittäglichen Latte Macchiato sei. Aus Sicht der Tanzenden stand natürlich auch dieses Einzelexemplar sinnlos im Weg herum. Egal, darum geht es nicht.
Dieser Laden hat ein Schaufenster, wenn man daran während der Musikveranstaltungen vorbeigeht, sieht man die Tanzenden und hört auch die Musik. Ich stand eine Weile mit der Herzdame vor dem Laden und sah mir an, wie die Passanten auf das Event reagierten. In der Regel war das ziemlich klischeemäßig, lebhaft interessierte Frauen, die in vielen Fällen auch sofort anfingen, etwas mitzuwippen oder sogar ein, zwei Schrittchen machten. Daneben skeptische Männer, die zum Weitergehen drängten, plötzlich irgendwohin mussten oder gottergeben abwarteten, bis sie endlich an diesem Kelch vorübergehen konnten. Es gab auch ein paar aufgeschlossene Männer, die waren aber klar in der Minderheit.
Zwei mit Einkaufstüten behängte Frauen sahen sich das eine ganze Weile an, was da in dem Laden passierte. Sie hörten auf die Musik, Bigbandsound aus der Vergangenheit, Peggy Lee und Fats Waller, Louis Prima und Amos Milburn und dergleichen, was auf Lindy-Hop-Partys eben läuft. Das ganze alte Zeug mit dem übergriffigen Rhythmus, bei dem man irgendwann unwillkürlich mitschnippt. Und die Frauen rätselten herum, was das denn nun sein könne. Nach längerem Nachdenken befanden sie schließlich: “Das ist wohl alles Achtzigerzeug, das ist mehr so cindylaupermäßig.”
Was für Menschen meines Alters wieder äußerst eindrücklich beweist: Die Achtziger, in denen man einmal jung war, sind mittlerweile auch schon verdammt lange her.
S-Bahn nach Hammerbrook
Die S-Bahn fährt aus dem Hauptbahnhof Richtung Süden, nächste Station Hammerbrook. Es ist 07:50 am Mittwochmorgen, die Passagiere sind müde, schlecht gelaunt und genervt. Sie sind genervt von ihrem Job, vom Alltag, von all den anderen Menschen, die so blöd genervt gucken. Sie sind genervt vom grauen Wetter und von der Kälte und überhaupt vom Februar und von der Hässlichkeit dieses Teils der Stadt vor den Zugfenstern, überall nur Bürobauten ohne jeden Charme, Klotz neben Klotz. Die Bahn fährt über Ausfallstraßen, Auto an Auto an Auto, darin sitzen sicher auch genervte Menschen. In der Bahn starren fast alle auf ihre Handys, dann müssen sie wenigstens die anderen Menschen mit den schrecklich schlechtgelaunten Gesichtern nicht ansehen. Es ist erst Mittwoch, die Woche zieht sich.
Die Bahn ist voll, sie ist immer voll, wenn sie morgens in diese Richtung fährt, in Hammerbrook wird gearbeitet. Erst ist die Bahn voll, dann sind die Büros voll, mittags sind die Imbisse und Kantinen voll, abends ist hier dann kein Mensch mehr. Und wenn doch, dann macht er sich verdächtig, was schleicht der denn da herum? Hammerbrook ist ein Tagesstadtteil, das ist wie in den Ganztagsschulen, die sind abends auch leer und dunkel und verlassen. Die Menschen werden in Hammerbrook nur tagsüber betreut, sie nennen es Arbeit.
Die Bahn ist so voll, dass in den Gängen und vor den Türen überall Leute stehen. Und vor der einen Tür steht einer nicht wie alle anderen einfach still herum, er tänzelt etwas. Ein ganz junger Mann ist das, gerade erst am Ende der Pubertät angekommen, der muss sicher noch jedesmal seinen Ausweis zeigen, wenn er Bier kaufen geht. Er sieht übernächtigt und abgefeiert aus, vermutlich hat er durchgemacht. Diese Körperhaltung, dieses leicht taumelnde Schaukeln, dieses etwas übertrieben tiefe Wippen in den Knien – Restalkohol und Resttanzen. Er hat große Kopfhörer auf und hört Musik, natürlich brüllend laut. Es klingt nach massenkompatiblem Techno, er bewegt den Kopf im Takt. Er sieht so nichtssagend aus, wenn er hier etwas anstellen würde und es gäbe hinterher Täterbeschreibungen, da stünde nichts von seiner mutmaßlichen Herkunft, wie es gerade so modern ist. Der könnte überall herkommen. Ein schmaler Typ, fast zierlich. Er steht aber betont breitbeinig und gibt sich breitschultrig in seinen Bewegungen, man sieht förmlich, welche körperlichen Dimensionen er eigentlich gerne ausfüllen möchte. Er sieht die anderen an, er probiert, ob irgendjemand zurückguckt. Er hat einen aggressiven Gesichtsausdruck, es kann sehr gut sein, dass er nur darauf wartet, dass jemand eine Sekunde zu lange den Blick hält, vielleicht wartet er nur auf so ein “Was-guckstu-Szenario”, doch, das kann gut sein. Er rempelt ein wenig, mal einen Ellenbogen an den Nebenmann, mal die Hüfte an den auf der anderen Seite. Er rempelt und guckt immer wieder, ob jemand guckt. Ein kleiner Streit könnte ihm wohl gefallen.
Die Menschen neben ihm drehen sich um und gucken angestrengt weg, noch genervter als ohnehin schon. Ist ihr Alltag nicht schlimm genug, brauchen sie noch jugendliche Spinner am frühen Morgen? Man rückt ein paar Zentimeter von dem Typen ab, aber niemand geht von ihm weg, er sieht einfach nicht gefährlich genug aus. Ein ausgewachsener Hooligan ist das nicht, das ist höchstens ein Regionalligarabauke. Den ignoriert man am besten. Und nächste Station steigen eh alle aus.
Jetzt wühlt der Junge in seiner Jogginghose. Er holt eine Packung Zigaretten heraus, fummelt mit unsicheren Fingern eine Zigarette aus der Schachtel. Das sieht jetzt deutlich angetrunken aus, wie er da tapsig fummelt, cool wirkt das nicht gerade. Er steckt sich die Zigarette in den Mund und wühlt schon wieder in den Taschen. Was sucht der da jetzt noch? Der will doch wohl nicht? Die Menschen neben ihm gucken genau hin, zwei Männer in Anzügen rücken näher, da werden schon einmal teammäßig Blicke gewechselt, da wird Einverständnis gesucht. Die Augenbrauen der Passagiere ringsum gehen kollektiv nach oben, Zornesfalten bilden sich in aller Deutlichkeit. Eine Frau guckt über ihre Lesebrille so vernichtend wütend und lehrerinnenhaft, dass der Junge es merkt und irritiert innehält. Er hat sein Feuerzeug in der Hand, es ist schon auf halbem Wege zur Kippe. Er lässt es jetzt doch lieber wieder sinken, als er merkt, was um ihn herum los ist. Er dreht seinen Kopf, überall um ihn herum die blanke Wut.
Als seine Hand sinkt, nickt die Frau mit der Lesebrille zufrieden, und die beiden Männer direkt neben ihm atmen auch endlich wieder aus. Die Situation entspannt sich sichtlich. Der Junge steckt das Feuerzeug weg und hält die Zigarette unentschlossen in den Fingern, versucht dann, sie sich hinters Ohr zu stecken. Das klappt nicht, da hat er die Kopfhörer vergessen, die Zigarette fällt auf den Boden. Er bückt sich, wobei er das Gleichgewicht verliert und stolpert. Die anderen Passagiere sehen schon gar nicht mehr hin, sie starren wieder genervt aus den Fenstern oder auf die Handys. Der Junge da hat es ja verstanden, das kann man jetzt abhaken.
Er hat es verstanden, dass man morgens in einer vollen Hamburger S-Bahn vieles machen kann, man kann sogar versuchen, gefährlich auszusehen und etwas herumzurempeln – aber Rauchen, nein, das kann man dort ganz sicher nicht.
Kurz und klein
Das Kind wollte nachts um 3 wissen, warum Schnee viel, aber Wasser wenig Platz einnimmt.
Als ob mich Peter Lustig damals geschwängert hätte.— Hübscherei (@Huebscherei) 22. Januar 2016
Handschuhe konnten nicht installiert werden. Stellen Sie sicher, dass Kind und Handschuhe kompatibel sind.
— Jenna (@Dunk3lh3rz) 22. Januar 2016
Bei RadioTEDDY wurde heute erklärt, dass Mädchen sich gerne um Pferde kümmern, bis sie in der Pubertät einen Jungen finden. Ähm, gehts noch?
— Hübscherei (@Huebscherei) 21. Januar 2016
Hier soll ein 7-Jähriger eine Lernvereinbarung verfassen und Ziele für das nächste Halbjahr formulieren.
Sind hier eigentlich alle bekloppt?— Sebastian Tombs (@Oschn) 23. Januar 2016
Versuche seit 5 Minuten einen Stecker in eine kindergesicherte Steckerleiste zu drücken. Gleich weine ich und will einen Lutscher.
— Ute Weber (@UteWeber) 25. Januar 2016
„Maria hat heute in der Schule gekotzt. Aber wir habens mit Katzenstreu weggekriegt.“
Von wegen, die Schule bereitet nicht aufs Leben vor.
— Madame de Larenzow (@Larenzow) 26. Januar 2016
Es gab Babybel zum Frühstück und entweder schmeiße ich den Sohn raus oder er wird Künstler. pic.twitter.com/uk021yscCG
— Hübscherei (@Huebscherei) 25. Januar 2016
Das Smartphone vom Fünfjährigen zurückkriegen mit der Meldung „Deine Zahlung war erfolgreich.“
Abenteuer ändern sich.
— Madame de Larenzow (@Larenzow) 24. Januar 2016
Es gibt mehr Trageberaterinnen als Babys in diesem Land. Was vielleicht noch fehlt: Trageberatung von Mann zu Mann.
— Goldvreneli (@froumeier) 27. Januar 2016
Kind 2.0 erklärt wie man homöopathische Mittel herstellt
Kind 2.0 bricht in Lachen aus: Echt? Und wer kauft das?
Kind 3.0: Hexen & Zauberer— Patricia Cammarata (@dasnuf) 30. Januar 2016
„Oh, ihr hattet heute wieder Turnen.“
„Ja. Wieso weißt du das?“ pic.twitter.com/o6hc8b7PEA— bleibCOOLmami (@bleibCOOLmami) 1. Februar 2016
Ich brauche keine Uhr. Ich zähle einfach, wie oft ich schon „Mami“ gehört habe.
Jetzt gerade ist es zum Beispiel sehr spät.
— Mami Huntzefuntz (@krispels) 7. Februar 2016
Der Sohn geht mit Hasenmütze und Star Wars Kostüm zum Späti, um sich etwas Geld mit Pfandflaschen zu verdienen.
Durchschnittsberliner halt.— Hübscherei (@Huebscherei) 7. Februar 2016
„Frau Brune, Sie dürfen uns keine Hausaufgaben aufgeben, weil Sie dann in unsere Privatsphäre eindringen!“
— Kerstin Brune (@BruneKerstin) 9. Februar 2016
Werbeanfrage bei @fraumierau: Ob sie nicht eine Milchpumpe haben wolle und immer mal ein bisschen instagrammen könne. ABER KLAR DOCH!
— leitmedium (@leitmedium) 8. Februar 2016
Kollege kriegt Anruf, dass sein Baby kommt.
„Soll ich fahren?“
„Quatsch, bin ganz ruhig.“
Er rennt raus, kommt wieder.
„Hab kein Auto hier.“— MelleChatte (@MelleChatte) 9. Februar 2016
„Kaum zu glauben, dass man fiktive Figuren so hassen kann.“ „Conni?“ „Conni.“
— Ein Vater (@IamADadNow) 4. Februar 2016
Die Superzeitlupe wurde von einer Vierjährigen erfunden, die sich im Winter ganz schnell für die Kita anziehen sollte.
— Kristina Kaul (@fraukaul) 3. Februar 2016
Einschlafschwierigkeiten
Sohn II hat Einschlafschwierigkeiten. Obwohl er jeden Tag in die Vorschule geht, also früh raus und auch entsprechend früh ins Bett muss, da ist nichts zu machen. Er liegt abends lange hellwach im dunklen Zimmer, er redet mich sich selbst, er turnt im Bett herum, er geistert durch die Wohnung. Es ist einfach nicht seine Tageszeit, um friedlich wegzudämmern. “Weißt du Papa”, sagte er mir neulich, als ich wieder einmal an seiner Bettkante saß und wartete, dass er endlich einschlief, “weißt du Papa, richtig gut einschlafen kann ich eigentlich nur im Morgenkreis.”
Ich habe gefragt, was sie im Morgenkreis machen, ich bin ja nie dabei. Jetzt weiß ich, sie sitzen da alle zusammen, und es ist erwünscht, dass jeder etwas sagt. Zwar ist nicht jedem klar, worum es eigentlich geht, es gibt wohl auch gar nicht immer ein klares Thema, aber Beteiligung soll schon sein. Einige reden irgendwas, einige albern herum und einige, wie mein Sohn, schlafen eben ein, weil es manchmal so langweilig ist. Ich habe gefragt, ob das denn nicht schlimm sei, da einzuschlafen? Was die Erzieherinnen dazu sagen? Das sei schon okay, sagte der Sohn, das komme eben vor. Das Ganze sei auch nicht so irre wichtig, sondern eben nur der Morgenkreis. Und am nächsten Tag sei ja wieder einer.
Ich bin jetzt von Neid zerfressen. Das muss man sich einmal vorstellen: man geht in ein vollkommen sinnloses Meeting, das werden die meisten ja gut kennen, jedenfalls sofern sie irgendeinen Beruf haben. Alle sitzen im Kreis und reden irgendwas, wie das in Meetings so ist. Die Minuten werden länger und immer länger, sie dehnen sich schier unendlich – wenn man sich da bei mangelndem Interesse einfach zurücklehnen, gähnen und einschlafen könnte – und es würde der Karriere garantiert nicht schaden! Dieses Kind lebt doch den Traum!
Und wie bei den meisten privilegierten Menschen gilt übrigens auch bei ihm: er hat nicht die leiseste Ahnung, wie gut er es hat.
(Dieser Text erschien als Kolumne in den Lübecker Nachrichten)
Terminhinweis
Am 29. März, das ist ein Dienstag, findet im Hamburger Hafenklang eine “Electric Night” des Verlags edel & electric statt. Dort stellen diverse BloggerInnen jeweils zehn Minuten lang ihre Lieblingsbücher vor, das nennt sich Blogger Book Pitch. Es treten auf: Isabel Bogdan, Kathrin Weßling, Mara Giese, Sophie Weigand, Miriam Semrau, Karla Paul, Stevan Paul (die beiden haben den gleichen Nachnamen, ist mir noch nie aufgefallen, guck an) Dirk Bathen, Nico Lumma und auch ich. Laut Verlag wird es laut und wild, laut Kathrin Weßling werden wir alle toll aussehen.
Was soll ich sagen, in Wahrheit ist es kompliziert. Ich bin als geborener Hanseat weder laut noch wild, ich sehe schon gar nicht toll aus. Ein Lieblingsbuch habe ich natürlich auch nicht, wer hat das schon, das ist ja eine ganz seltsame Vorstellung – ich will eigentlich nur neben Isa sitzen, wie immer. Na, aber das wird schon! Wer immer strebend sich bemüht, der kann auch etwas lesen.
Vielleicht sehen wir uns? Es wird sicher sehr unterhaltsam, ich lasse dafür sogar meinen Tanzkurs ausfallen, das muss also etwas werden. Der Abend kostet überschaubare 5 Euro Eintritt.
Onesie-Warnung
Beetlebum hat hier einen Beitrag über Onesies, dazu möchte ich gerne etwas ergänzen, bzw. bestätigen. Falls jemand fragend auf das Wort sieht, hier die Wikipedia mit Erläuterungen: Onesie. Irritierenderweise steht da “for adults”, was wieder beweist, dass die Wikipedia ein Abgrund an Desinformation ist. Schlimm! Denn Onesies sind nicht, ich wiederhole: nicht! für Erwachsene. Also zumindest nicht für mich, und ich nehme stark an, auch nicht für Sie oder irgendwen, der älter als, na, etwa zehn Jahre ist. Ich erkläre mal, warum das so ist. Man muss es aus Elternsicht angehen.
Denn als Elternteil weiß man mittlerweile sicherlich: Onesies, gerade die in der ausdrücklichen Schlafanzugversion, sind an Kindern total niedlich. Oberniedlich, quietschniedlich, man möchte Kinder, die Onesies tragen, dauernd und dringend herzen und bekuscheln, man möchte sie permanent an sich drücken, und wenn man ehrlich mit sich ist, was man als aufrechter Blogger selbstverständlich immer sein sollte, kann man dabei tief in sich ein wenig Neid spüren. Neid auf diese unerreichbare Hyperkuscheligkeit, Neid auf diese sensationelle Gemütlichkeit, die man dem Kind und seinem Dress auf zehn Meter Entfernung ansieht. Neid auf diese flauschige Geborgenheit, aus der man als Erwachsener irgendwann so gründlich und unumkehrbar gefallen ist. Ein Kind im Onesie sieht nach glücklicher Kindheit und Geborgenheit und hyggeliger Sorglosigkeit aus, mehr Accessoires oder Deko braucht es gar nicht. Und weil Onesies so wahnsinnig gemütlich sind, tragen Kinder sie natürlich gerne ganztägig und überhaupt immer, am besten wochenlang. Warum soll man etwas ausziehen, was sich ideal anfühlt? Das Kind kann mit dem Onesie ins Bett gehen und braucht nicht einmal eine Decke, es hat an sich und in seinem Kleidungsstück Wärme genug, es braucht eigentlich nicht einmal ein Bett, es rollt sich einfach nur etwas ein, wo immer es gerade liegt, wie ein Tier im Wald, im Einklang mit sich und seiner Umgebung. Ein Onesie ist kein Fell, aber es ist schon ein verdammt guter Ersatz.
So verhält es sich also mit den Onesies für Kinder. Es gibt nun den einen oder anderen Erwachsenen, den das Betrachten des Nachwuchses in diesen Dingern in die Versuchung bringt, sich selbst auch so etwas zuzulegen. Da kann man ja mal drüber nachdenken, denn die Vorstellung, dass eine ganze Familie in so etwas einen ganzen Sonntag lang auf dem Sofa herumliegt – in der Kinderstube eines Maulwurfs kann es doch kaum puscheliger und samtiger zugehen. Die Herzdame hat also Onesies für uns bestellt und zum folgenden Absatz werden Menschen wieder etwas wie “Pics or it didn’t happen” kommentieren, aber nein, oh nein, es gibt keine Pics. Aus sehr, sehr guten Gründen. And it did happen anyway.
Wir haben die Onesies also anprobiert und uns vor den Spiegel gestellt, es war ein erstaunliches Erlebnis. Ich würde mich grundsätzlich ohnehin nicht für eine Schönheit halten, aber so schlecht habe ich vermutlich noch nie ausgesehen. Ein Onesie an einem Erwachsenen ist eine textile Abwertung, es ist die Auslöschung allen Stils, aller Grazie, aller Würde, aller Form. Ja, auch und gerade aller Form, denn die Dinger sitzen grotesk unförmig, es fällt einem an Kindern nur nicht so auf. Sie hängen, weil sie ja locker sitzen sollen, schlapp an einem herunter, es ist ein wenig so, als werfe man plötzlich ganzkörperig Riesenfalten. Man sieht auch nicht etwa wie ein Astronaut, ein Rennfahrer oder ein Monteur aus, man sieht, da gibt es überhaupt nichts zu diskutieren, gleich auf den ersten Blick einfach nur wie ein Depp aus. Und zwar in der Ausführung des Volldepps. Nach dem ersten Blick in den Spiegel verschärft sich der Eindruck beim zweiten Blick noch, denn man bekommt einen Schreck ob seiner völlig unerwarteten Volldeppenhaftigkeit. Und weil der Mensch nun einmal nicht intelligent guckt, wenn er sich erschrickt, sieht man gleich noch dümmer aus, man erreicht ganz unerwartete Dimensionen des depperten Aussehens, und man muss hier auch unbedingt noch eine optische Täuschung erwähnen, die in diesem Zusammenhang wichtig ist. Es findet im Spiegel nämlich auch eine Verzwergung des Ichs statt, weil man in einem Onesie irgendwie nach einer Figur aus Kinderwelten aussieht, nicht mehr wie ein Mensch in den besten Jahren. Man schrumpft vor sich selbst zusammen. Wenn man sich dann ruckartig aufrichtet und den Rücken gerade macht, eine naheliegende und reflexhafte Reaktion, um zu retten, was zu retten ist, sieht man aus wie der siebte Zwerg in Disneys Schneewittchen, der höchst drollig einen Soldaten parodiert. Man kann vor dem Spiegel machen, was immer man will, eine Rettung gibt es nicht.
Da so ein locker sitzendes Onesie ausgerechnet an den Hüften die größten Falten wirft, wirkt es außerdem ein wenig so, als hätte einen jemand von oben in diesen Anzug gedrückt und man wäre früher einmal wesentlich größer gewesen. Man sieht nicht nur aus wie ein Depp, sondern auch noch wie ein zusammengestauchter Depp. Ein zusammengestauchter Volldepp also, wobei die Stauchung, das Spiegelbild ist da recht eindeutig, vermutlich durch kräftige Schläge auf den Kopf erfolgte, was der ohnehin schwachen Restintelligenz des Onesie-Trägers natürlich auch nicht gerade zuträglich gewesen ist, zumindest weiß man nicht, wie man diesen Gesichtsdruck da im Spiegel sonst plausibel erklären könnte. Man wendet sich irgendwann mit Grauen und zieht sich wieder um.
Die Herzdame hat ihren Onesie auch anprobiert, die Folgen waren ähnlich. Sie war, da sie deutlich jünger ist als ich, beim Vergleich ihrer Spiegelung allerdings eher bei den Teletubbies, die habe ich natürlich nie gesehen, das ist die Gnade der frühen Geburt. Wir danken jedenfalls unserem gesunden Menschenverstand, der uns beiden eingab, uns nicht länger als für den Bruchteil einer Sekunde gegenseitig zu betrachten, es ist kaum auszudenken, was dieses Bild, hätte es sich im Kopf festgesetzt, für fatale Folgen für die Beziehung gehabt hätte. Niemand ist gerne mit einem gestauchten Volldeppen verheiratet, der an den Hüften riesige Falten wirft und ob seines irren Blickes und seiner plüschigen Kleidung aussieht wie ein Stofftier auf Drogen. Nein, wir haben sie wirklich nicht lange angehabt. Wir haben sie sehr schnell wieder eingepackt und weggeschickt. Die Söhne, die diese Szene vor dem Spiegel beobachtet haben, werden irgendwann darüber wegkommen und nicht mehr hysterisch lachen, wenn sie daran zurückdenken. Das hoffen wir jedenfalls, im Moment ist das noch nicht abzusehen. Alle paar Stunden hören wir lautes Gewieher aus dem Kinderzimmer und wissen, es ist ihnen doch wieder eingefallen.
Was ich aber eigentlich nur eben sagen wollte: Kaufen Sie das lieber nicht.
Gelesen, vorgelesen, gesehen, gehört im Januar
Gelesen
Weitergelesen in Alex Capus: “Léon und Louise”, das ist ein Roman, der im letzten Monat hier schon vorkam. Ich bin ganz hingerissen von dieser Geschichte, von dieser melancholischen bis bitteren Liebesgeschichte aus dem besetzten Paris im Zweiten Weltkrieg. Wirklich sehr geschmeidig erzählt, das perlt so vor sich hin, in Rezensionen findet man das Wort “leichthändig”, das passt auch. Ein äußerst angenehmer Erzählstil, eine geradezu beneidenswert gute Geschichte. Wobei es fast ein wenig schade ist, das Buch jetzt gelesen zu haben, es ist wohl die perfekte Urlaubslektüre für den Sommer. Liegenlassen wollte ich es nach den ersten Seiten aber doch nicht, bis zum Urlaub dauert es immerhin noch ein paar Monate, ich wollte jetzt schon wissen, wie es weitergeht, nachdem sich die beiden jungen Liebenden bei diesem Bombenangriff auf der Landstraße in der französischen Provinz verloren haben. So ein schönes Buch, echtjetzmal. Und es ist immer noch Capus übrig! Demnächst wieder frische Ware auf dem Nachttisch.
Karl Krolow: Ich höre mich sagen – Gedichte
Das kam hier auch schon einmal vor, ich habe das Buch jetzt beendet. Ein dann doch etwas schwieriger Lyrikband, wunderschön aber die letzte Strophe von “Was bleibt”, ich habe sie eventuell schon einmal zitiert, egal:
Ich lasse mir Zeit jetzt und lasse
den Tag mit den Tagen vergehen.
Von allem bleibt nichts. Und ich fasse
in Luft nur und nenn’ es Geschehen.
Für so eine Strophe kann sich ein Lyrikband eben auch lohnen. Selbst wenn man mit dem Rest nicht ganz so viel anfangen kann. Was nichts macht, ich kann Gedichte, auch wenn sie mir wenig sagen, ganz hervorragend zum Einschlafen lesen. Es ist doch interessanter, über ein seltsames Wort in einem Vers nachzudenken, als etwa über das Mittagessen des nächsten Tages.
Ich habe in letzter Zeit übrigens bei gleich zwei höchst unterschiedlichen Dichtern der Gegenwart, bei Manfred Maurenbrecher und bei Farin Urlaub, gelesen bzw, gehört, dass sie auch deswegen gerne reimen, weil ein Reim sie vielleicht gedanklich in neue Gegenden trägt, in die sie sonst beim Denken überhaupt nicht gekommen wären. Das geht mir gar nicht mehr aus dem Kopf, so ein interessanter Aspekt.
Ursel Allenstein & Ulrike Ostermeyer (Hrsg.): Eine Welt von Schnee
Eine Schnee-Anthologie, sehr schnell zu lesen, quasi auf ex wegzublättern. Nicht weil die Beiträge schlecht wären, nein, nur weil der Schnee doch nicht bleibt. Blieb! Mittlerweile sind draußen schon wieder 12 Grad und ergiebiger Regen, vorbei die Pracht und die Herrlichkeit der weißen Aufhübschung. Das Buch enthält interessante Beiträge, man findet doch glatt Autoren, von denen man dann wieder weitere Bücher auf den Wunschzettel setzt, etwa Stefan Moster, den habe ich anscheinend bisher verpasst. Demnächst auf diesem Sender. Außerdem einige skandinavische Namen, die mir bisher nichts sagten. Immer schlimm, wenn Anthologien Bestellorgien auslösen.
Peter Rühmkorf: wenn – aber dann – vorletzte Gedichte
Rühmkorf geht ja immer.
philosophie-Magazin
Gekauft, weil Hilal Szegin auf Facebook auf diese Ausgabe der Zeitschrift hinwies, wegen des Artikels mit den Antworten der 27 Philosophen/Denker zur Situation der Flüchtlinge und des Landes. Also dieses Landes. Ich habe erst einmal auf den Seiten vor diesem Artikel etwas quergelesen. Das muss ich mir demnächst mal mit mehr Ruhe ansehen, die ersten Seiten überzeugen mich bisher überhaupt nicht.
Vorgelesen
Ilse Kieberger: Ferien mit Oma
Ein Buch aus dem gar nicht so kleinen Bestand an Büchern aus der Kindheit der Herzdame, sie hat es den Söhnen auch vorgelesen. Die Söhne waren sehr angetan und nach den Reaktionen auf Facebook zu urteilen, haben das enorm viele Leserinnen in der Kindheit gelesen. Ich kannte das Buch nicht.
Christian Loeffelbein und Ina Hattenhauer (Illustration): Monster-Fahrt zum Käsemond – Professor Graghuls geheime Monsterschule Band 2
Der zweite Band von Professor Graghuls Monsterabenteuern, die Söhne sind weiterhin hell begeistert. Genau ihr Humor, genau richtig spannend.
Ich habe in diesem Monat wenig vorgelesen, es lag aber gar nicht an mir. Sohn I liest immer mehr und immer schneller selbst, Sohn II erkämpft sich gerade das Alphabet und übt abends so hochkonzentriert das Schreiben, dass er gar keine vorgelesenen Geschichten mitbekommen würde. Er hat in der Vorschule gemerkt, dass seine Freundin schon lesen kann und er nicht – und so geht es ja nicht! Diese Erkenntnis war vor vierzehn Tagen, jetzt buchstabiert er sich schon alleine Werbeplakate und dergleichen zusammen und schreibt erste Einkaufszettel. Läuft.
Gesehen
Noch ein paar Folgen Downton Abbey, aber zusehends lustlos, ich finde die Handlung einfach zu schwachsinnig und konsalikesk. Ich setze das wohl nicht fort.
Gehört
Arthur Schnitzler: Später Ruhm. Gelesen von Udo Samel
Das gibt es als Hörbuch bei Spotify. Den Texte kannte ich nicht, den habe ich zufällig gefunden. Ein älterer Herr wird von Wiener Jungdichtern begeistert auf einen Gedichtband angesprochen, den er vor einer Ewigkeit veröffentlicht und selbst nahezu vergessen hat. Der Band hatte damals keinen Erfolg, der Mann wurde also doch nicht Dichter, er wurde braver Beamter und war mit seinem Leben zwischen Akten und Stammtisch auch nicht unzufrieden. Selbstverständlich schmeichelt ihm aber die unerwartete Verehrung der jungen Leute. Er lässt sich verleiten, sich noch einmal mit der Literaturszene einzulassen, er will es auch mit dem Dichten noch einmal versuchen – allerdings fällt ihm überhaupt nichts ein. Dennoch sagt er noch einmal eine Lesung zu, ein Vorhaben, das gründlich und peinlich scheitert. Schnitzler selbst war nicht ganz einverstanden mit seinem Text, ich habe ihn sehr genossen. Die Stimme von Udo Samel passt wundervoll.
Was man auf Streifzügen durch die Musikgeschichte so findet – Jimmy Smith an der Hammond-Orgel, Mark Withfield an der Gitarre. Ein hervorragendes Stück, um es laut zu hören, während man sich für eine abendliche Tanzveranstaltung stylt.
Und das hier dann eher zu später Stunde nach einer Tanzveranstaltung. The Doors.
Der sehr geschätzte Bernd Begemann hat eine neue CD: “Eine kurze Liste mit Forderungen.” Wenn man bei diesem Lied Sankt Pauli gegen Sankt Georg tauscht, passt immer noch ziemlich viel. Wo auch immer dieses im Song erwähnte Stellingen eigentlich ist, in das der Herr übrigens tatsächlich mit seinem Reihenhaus-Girl gezogen ist.
Schubert kommt hier regelmäßig vor, im Moment bin ich wieder bei den Interpretationen von Matthias Goerne.
Groß aber auch der Erlkönig von ihm:
And now for something completely different, gefunden über die Spotify-Empfehlungen: The Jolly Boys mit Perfect Day. Ich finde es wunderbar.
Auf diese Art kam ich auch auf Bill Fay, von dem ich noch nie gehört hatte, hier etwas mehr über ihn. Zu Bill Fay gibt es kein interessantes Video, man kann aber hier hören, wie er sehr gelungen traurige Musik macht. Ich mag traurige Musik, ich brauche traurige Musik zur Entspannung. Nichts beruhigt mich mehr als Lieder über Liebeskummer und Weltschmerz und allerlei Leid. Eventuell bin ich etwas seltsam.
Der Ohrwurm des Monats ist aber eine Jazzmelodie, hier gespielt von Kenny Ball and his Jazzmen: Midnight in Moscow. Nach dem dritten Hören rastet es ein.
Und noch ein Youtube-Fund: Johnny Cash und Bob Dylan. One too many morning.
Davon findet man auch noch mehr:
Richard Hawley kannte ich auch nicht. Schöne Wintermusik.
Und von jenem Richard Hawley auch ein ruhiges, ein sogar sehr ruhiges Video – auch mal schön.
Zwischendurch ein Dank …
… an die Leserin Ulli, die Sohn I zu seiner Wahl als Newcomer des Jahres ein Buch geschickt hat. Ganz herzlichen Dank, die Freude ist groß und der Buchtitel war genau richtig!
Goldene Blogger – Newcomer des Jahres 2015: Jojo Buddenbohm
Das ist natürlich unfassbar großartig, Jojo, auch bekannt als Sohn I, hat also tatsächlich gewonnen! Wir danken allen, die da mit abgestimmt haben oder auf diversen Kanälen Glückwünsche geschickt haben, das war ein ganz außerordentlich großartiger Abend gestern. Hier die Liste aller Gewinner, das Durchklicken lohnt selbstverständlich.
Wir haben die ganze Veranstaltung im Livestream angesehen, es wurde von Minute zu Minute spannender, weil man natürlich nicht wusste, wann die Kategorie der Newcomer dran war. Die Herzdame und ich starrten auf die Notebooks, die Söhne hüpften beide um uns herum, denn in dem Alter hält einen nichts auf dem Stuhl, wenn es etwas zu gewinnen gibt. Spätestens als die ihnen persönlich bekannte Patricia Cammarata gewann, war hier niemand mehr zu halten. Es wurde immer später, die Kinder wurden immer flummihafter, die Newcomer waren immer noch nicht dran, ich wurde allmählich etwas nervös. Immerhin musste der Nominierte, Wahl hin oder her, am nächsten Tag in die Schule, möglichst in halbwegs ausgeschlafenem Zustand. Die Herzdame saß auch auf Kohlen, sie musste zum Tanzkurs und überlegte minütlich, wie viele weitere Minuten Verspätung wohl gerade noch okay sein könnten.
Die Wahl war dann gerade noch rechtzeitig für die Kinder, Jojo war überglücklich, als das Ergebnis verkündet wurde. Nebenbei bemerkt eine äußerst charmante Gelegenheit, den Söhnen Tortendiagramme und Online-Abstimmungen zu erklären, besser kann man es wohl nicht treffen. Das Prinzip haben beide jetzt wirklich gründlich verstanden. Und ich war heilfroh, dass ich Jojo nicht etwas wie “Auf den Sieg kommt es nicht an, du warst immerhin nominiert, auch schön!” verkaufen musste, was pädagogisch natürlich vollkommen in Ordnung gewesen wäre, gar keine Frage, aber ein wenig anstrengend.
Die Brüder lagen sich hier laut jubelnd in den Armen, was übrigens eine interessante Erfahrung ist, normalerweise geraten sie etwa alle zehn Minuten wegen irgendeiner Nichtigkeit handgreiflich aneinander. Aber Sohn II war dann doch sehr, sehr stolz auf seinen so erfolgreichen großen Bruder, das war wirklich schön zu sehen: “Mein Bruder hat gewonnen! Mein Bruder ist toll! Und ich bin der Bruder von meinem Bruder!”
Und ich bin der Vater der beiden Brüder, darüber freue ich mich jeden Tag. Und an manchen Tagen ist diese Freude eben auch eine abendfüllende Angelegenheit.