Das Wort zum Montag

Der Elendsmonat Februar ist also einen Tag länger als sonst, die Herzdamentanzkapelle spielt dazu das alte Volkslied “Wie soll ein Mensch das ertragen”.  Es ist zu kalt draußen, es bleibt auch noch weiterhin kalt, der Wetterbericht ist gnadenlos wie ein früherer Mathematiklehrer von mir, der mir eine Arbeit einmal mit der Anmerkung “Kaufen Sie sich einen Sarg” zurückgab. Die meisten Menschen um mich herum sind seit Wochen krank, waren gerade krank oder werden es nach Maßgabe der Statistik schon ab morgen sein, das ist saisonal und regional korrekt, das ist alles fein, das gehört so, was soll man machen. Ich bin auch krank, ich schreibe aber keine Blogartikel darüber, das will ja keiner wissen. Mein Problem ist auch gar nicht der grippale Infekt, meine Güte, so etwas hat man eben mal. Mein Problem ist, dass mich so etwas unleidlich macht. To say the least.

In dem Lieblingsbilderbuch von Sohn II,  der Riesenbirne von Jakob Martin Strid, gibt es eine Figur, die sich mit diesem schönen, mit diesem geradezu unsterblichen Satz vorstellt: “Mein Name ist Odysseus Karlsen, und ich mag keine Menschen.” So auch ich, möchte man im grippalen Zustand da an den Rand schreiben und es doppelt unterstreichen und mit einem Bündelchen Ausrufezeichen versehen, so auch ich. Mein Name sei Odysseus Karlsen, das ist überhaupt ein schöner Name. Menschen! Geh mir doch weg. Menschen sind doof, machen doofe Sachen, sprechen über doofe Themen. Menschen machen überall doofe Werbung, an der man dann kopfschüttelnd vorbeilaufen muss wie ein doofer Wackeldackel. Menschen machen doofe Politik, über die in doofen Medien berichtet wird, dann schreiben doofe Menschen doofe Kommentare dazu. Wer soll das auf Dauer aushalten? Menschen schreiben doofe Texte über ihre Launen in soziale Netzwerke, Blogs, Zeitungen und an Wände, sogar in Bücher. Und dann ist diese Konzentration an Doofheit noch nicht einmal echt, denn das liegt in Wahrheit alles an mir, nicht an denen, dass ich alles gerade doof finde, so doof bin ja nicht, dass nicht zu merken. Aber das ist doch auch doof.

Nur Minden, Minden ist nicht doof, in Minden hatte ich am Wochenende eine sehr nette Lesung. Aber Minden nützt jetzt schon nichts mehr, ich bin wieder in Hamburg. Und was soll man auch von einer Welt halten, in der nur Minden nicht doof ist.

Ich sitze mit Sohn II auf dem Sofa, wir sagen uns gegenseitig ab und zu, wie doof wir sind, solche Dialoge kann man sehr gut mit ihm aufführen, er ist recht gut im Beleidigen. Sohn I dagegen ist beim Fußball. Fußball ist doof, finden wir zwei hier auf dem Sofa. Wir spielen gleich Schach nach den Spezialregeln von Sohn II, ich werde also nicht die geringste Chance gegen ihn haben, das passt schon zum Gesamtbild des Tages. Ich sehe so überzeugend schlecht gelaunt aus wie der späte Günter Grass, ich lasse mir jetzt einfach genau so einen doofen Oberlippenbart stehen und schreibe so lange abscheuliche, aber doch wahnsinnig durchdachte und abgrundtief empfundene Sachen, bis mich jemand auch einmal irgendwo “sensibler Grantler” nennt, man braucht ja auch Ziele, trotz allem.

Vielleicht geht es mir morgen aber auch schon besser.

Dialog am Morgen

Sohn II: „Wenn ich mich so sehr für Fußball interessiere, dass ich mich in der Schule überhaupt nicht mehr konzentrieren kann, würdet ihr es mir dann verbieten?“
Ich: „Äh … Du interessierst Dich nicht ansatzweise für Fußball und du gehst noch gar nicht zur Schule.“
Sohn II: „Ja. Ich denke nur so herum.“

Gedankliche Abgründe

Wir haben ein neues Bett, in dem schlafe ich viel besser und entspannter als in dem vorherigen, obwohl es auch nur ein normales Doppelbett ohne jeden Spezialeffekt ist. Das finde ich beunruhigend. Sehr beunruhigend sogar. Wir haben dieses neue Bett nämlich nicht, weil mit dem alten Bett etwas nicht stimmte. Ich war zufrieden damit, es gab keine Klagen. Es war eben irgendein Bett, ich habe mir nie viele Gedanken über mein Bett gemacht, ich war da eher anspruchslos.

Wir haben das neue Bett nur, weil wir alles umdekoriert und verschoben haben, weil das alte Möbel danach einfach nicht mehr gut aussah. Das war also ein reiner Zufallstreffer, das mit dem besseren Schlafen. Ich habe nicht einmal gewusst, dass ich überhaupt besser schlafen kann, ich habe mein schlechtes Schlafen gar nicht als verbesserungsfähig erkannt. Ich dachte, das sei völlig normal, wie ich schlafe.  Und jetzt werde ich den Gedanken nicht mehr los – was könnte noch alles besser in meinem Leben sein, wenn ich etwas ändern würde, was mich bis jetzt gar nicht stört?

Einfach mal was versuchen, irgendwas ändern? Wieviel Potential ist da wohl noch, an Stellen, wo man mit normalen Gedanken im Alltag nicht hinkommt? Man kommt doch nie dazu, sich um das zu kümmern, was man jahrelang einfach so hinnimmt. Ein wahrer Abgrund, vor dem man da plötzlich gedanklich steht, das ist doch von geradezu philosophischem Interesse, da wird man glatt zum Denker und grübelt sich fest. Geht nicht fast alles auch anders? Und ist dann vielleicht sogar besser? Wenn man da länger drüber nachdenkt! Dann kommt man auf tausend Ideen, da hinterfragt man alles, da sieht man plötzlich überall unendlich viele Optionen. Die Gedanken rattern nur so – und dann kann man übrigens nicht mehr schlafen. Aber wenn ich nicht mehr schlafen kann, dann hätten wir ja auch gleich das alte Bett behalten können. Ist das kompliziert!

Ja, ich weiß schon, warum aus mir kein Denker geworden ist.

 

Dieser Text erschien als Kolumne in den Lübecker Nachrichten

Das alte Zeug

Gestern gab es eine Swingtanzveranstaltung in einem Autohaus in der Hamburger Innenstadt. Das ist natürlich kein Autohaus, wie man es sich in meiner Kindheit vorgestellt hätte, das ist eher so eine hippe Bargeschichte, in der wie zufällig genau ein vollkommen unbezahlbares Auto herumsteht, als ob es eine nette und ganz selbstverständliche Dekoidee zum nachmittäglichen Latte Macchiato sei. Aus Sicht der Tanzenden stand natürlich auch dieses Einzelexemplar sinnlos im Weg herum. Egal, darum geht es nicht.

Dieser Laden hat ein Schaufenster, wenn man daran während der Musikveranstaltungen vorbeigeht, sieht man die Tanzenden und hört auch die Musik. Ich stand eine Weile mit der Herzdame vor dem Laden und sah mir an, wie die Passanten auf das Event reagierten. In der Regel war das ziemlich klischeemäßig, lebhaft interessierte Frauen, die in vielen Fällen auch sofort anfingen, etwas mitzuwippen oder sogar ein, zwei Schrittchen machten. Daneben skeptische Männer, die zum Weitergehen drängten, plötzlich irgendwohin mussten oder gottergeben abwarteten, bis sie endlich an diesem Kelch vorübergehen konnten. Es gab auch ein paar aufgeschlossene Männer, die waren aber klar in der Minderheit.

Zwei mit Einkaufstüten behängte Frauen sahen sich das eine ganze Weile an, was da in dem Laden passierte. Sie hörten auf die Musik, Bigbandsound aus der Vergangenheit, Peggy Lee und Fats Waller, Louis Prima und Amos Milburn und dergleichen, was auf Lindy-Hop-Partys eben läuft. Das ganze alte Zeug mit dem übergriffigen Rhythmus, bei dem man irgendwann unwillkürlich mitschnippt. Und die Frauen rätselten herum, was das denn nun sein könne. Nach längerem Nachdenken befanden sie schließlich: “Das ist wohl alles Achtzigerzeug, das ist mehr so cindylaupermäßig.”

Was für Menschen meines Alters wieder äußerst eindrücklich beweist: Die Achtziger, in denen man einmal jung war, sind mittlerweile auch schon verdammt lange her.

S-Bahn nach Hammerbrook

Die S-Bahn fährt aus dem Hauptbahnhof Richtung Süden, nächste Station Hammerbrook. Es ist 07:50 am Mittwochmorgen, die Passagiere sind müde, schlecht gelaunt und genervt. Sie sind genervt von ihrem Job, vom Alltag, von all den anderen Menschen, die so blöd genervt gucken. Sie sind genervt vom grauen Wetter und von der Kälte und überhaupt vom Februar und von der Hässlichkeit dieses Teils der Stadt vor den Zugfenstern, überall nur Bürobauten ohne jeden Charme, Klotz neben Klotz. Die Bahn fährt über Ausfallstraßen, Auto an Auto an Auto, darin sitzen sicher auch genervte Menschen. In der Bahn starren fast alle auf ihre Handys, dann müssen sie wenigstens die anderen Menschen mit den schrecklich schlechtgelaunten Gesichtern nicht ansehen. Es ist erst Mittwoch, die Woche zieht sich.

Die Bahn ist voll, sie ist immer voll, wenn sie morgens in diese Richtung fährt, in Hammerbrook wird gearbeitet. Erst ist die Bahn voll, dann sind die Büros voll, mittags sind die Imbisse und Kantinen voll, abends ist hier dann kein Mensch mehr. Und wenn doch, dann macht er sich verdächtig, was schleicht der denn da herum? Hammerbrook ist ein Tagesstadtteil, das ist wie in den Ganztagsschulen, die sind abends auch leer und dunkel und verlassen. Die Menschen werden in Hammerbrook nur tagsüber betreut, sie nennen es Arbeit.

Die Bahn ist so voll, dass in den Gängen und vor den Türen überall Leute stehen. Und vor der einen Tür steht einer nicht wie alle anderen einfach still herum, er tänzelt etwas. Ein ganz junger Mann ist das, gerade erst am Ende der Pubertät angekommen, der muss sicher noch jedesmal seinen Ausweis zeigen, wenn er Bier kaufen geht. Er sieht übernächtigt und abgefeiert aus, vermutlich hat er durchgemacht. Diese Körperhaltung, dieses leicht taumelnde Schaukeln, dieses etwas übertrieben tiefe Wippen in den Knien – Restalkohol und Resttanzen. Er hat große Kopfhörer auf und hört Musik, natürlich brüllend laut. Es klingt nach massenkompatiblem Techno, er bewegt den Kopf im Takt. Er sieht so nichtssagend aus, wenn er hier etwas anstellen würde und es gäbe hinterher Täterbeschreibungen, da stünde nichts von seiner mutmaßlichen Herkunft, wie es gerade so modern ist. Der könnte überall herkommen. Ein schmaler Typ, fast zierlich. Er steht aber betont breitbeinig und gibt sich breitschultrig in seinen Bewegungen, man sieht förmlich, welche körperlichen Dimensionen er eigentlich gerne ausfüllen möchte. Er sieht die anderen an, er probiert, ob irgendjemand zurückguckt. Er hat einen aggressiven Gesichtsausdruck, es kann sehr gut sein, dass er nur darauf wartet, dass jemand eine Sekunde zu lange den Blick hält, vielleicht wartet er nur auf so ein “Was-guckstu-Szenario”, doch, das kann gut sein. Er rempelt ein wenig, mal einen Ellenbogen an den Nebenmann, mal die Hüfte an den auf der anderen Seite. Er rempelt und guckt immer wieder, ob jemand guckt. Ein kleiner Streit könnte ihm wohl gefallen.

Die Menschen neben ihm drehen sich um und gucken angestrengt weg, noch genervter als ohnehin schon. Ist ihr Alltag nicht schlimm genug, brauchen sie noch jugendliche Spinner am frühen Morgen? Man rückt ein paar Zentimeter von dem Typen ab, aber niemand geht von ihm weg, er sieht einfach nicht gefährlich genug aus. Ein ausgewachsener Hooligan ist das nicht, das ist höchstens ein Regionalligarabauke. Den ignoriert man am besten. Und nächste Station steigen eh alle aus.

Jetzt wühlt der Junge in seiner Jogginghose. Er holt eine Packung Zigaretten heraus, fummelt mit unsicheren Fingern eine Zigarette aus der Schachtel. Das sieht jetzt deutlich angetrunken aus, wie er da tapsig fummelt, cool wirkt das nicht gerade. Er steckt sich die Zigarette in den Mund und wühlt schon wieder in den Taschen. Was sucht der da jetzt noch? Der will doch wohl nicht? Die Menschen neben ihm gucken genau hin, zwei Männer in Anzügen rücken näher, da werden schon einmal teammäßig Blicke gewechselt, da wird Einverständnis gesucht. Die Augenbrauen der Passagiere ringsum gehen kollektiv nach oben, Zornesfalten bilden sich in aller Deutlichkeit. Eine Frau guckt über ihre Lesebrille so vernichtend wütend und lehrerinnenhaft, dass der Junge es merkt und irritiert innehält. Er hat sein Feuerzeug in der Hand, es ist schon auf halbem Wege zur Kippe. Er lässt es jetzt doch lieber wieder sinken, als er merkt, was um ihn herum los ist. Er dreht seinen Kopf, überall um ihn herum die blanke Wut.

Als seine Hand sinkt, nickt die Frau mit der Lesebrille zufrieden, und die beiden Männer direkt neben ihm atmen auch endlich wieder aus. Die Situation entspannt sich sichtlich. Der Junge steckt das Feuerzeug weg und hält die Zigarette unentschlossen in den Fingern, versucht dann, sie sich hinters Ohr zu stecken. Das klappt nicht, da hat er die Kopfhörer vergessen, die Zigarette fällt auf den Boden. Er bückt sich, wobei er das Gleichgewicht verliert und stolpert. Die anderen Passagiere sehen schon gar nicht mehr hin, sie starren wieder genervt aus den Fenstern oder auf die Handys. Der Junge da hat es ja verstanden, das kann man jetzt abhaken.

Er hat es verstanden, dass man morgens in einer vollen Hamburger S-Bahn vieles machen kann, man kann sogar versuchen, gefährlich auszusehen und etwas herumzurempeln – aber Rauchen, nein, das kann man dort ganz sicher nicht.

Kurz und klein

Einschlafschwierigkeiten

Sohn II hat Einschlafschwierigkeiten. Obwohl er jeden Tag in die Vorschule geht, also früh raus und auch entsprechend früh ins Bett muss, da ist nichts zu machen. Er liegt abends lange hellwach im dunklen Zimmer, er redet mich sich selbst, er turnt im Bett herum, er geistert durch die Wohnung. Es ist einfach nicht seine Tageszeit, um friedlich wegzudämmern. “Weißt du Papa”, sagte er mir neulich, als ich wieder einmal an seiner Bettkante saß und wartete, dass er endlich einschlief, “weißt du Papa, richtig gut einschlafen kann ich eigentlich nur im Morgenkreis.”

Ich habe gefragt, was sie im Morgenkreis machen, ich bin ja nie dabei. Jetzt weiß ich, sie sitzen da alle zusammen, und es ist erwünscht, dass jeder etwas sagt. Zwar ist nicht jedem klar, worum es eigentlich geht, es gibt wohl auch gar nicht immer ein klares Thema, aber Beteiligung soll schon sein. Einige reden irgendwas, einige albern herum und einige, wie mein Sohn, schlafen eben ein, weil es manchmal so langweilig ist. Ich habe gefragt, ob das denn nicht schlimm sei, da einzuschlafen? Was die Erzieherinnen dazu sagen? Das sei schon okay, sagte der Sohn, das komme eben vor. Das Ganze sei auch nicht so irre wichtig, sondern eben nur der Morgenkreis. Und am nächsten Tag sei ja wieder einer.

Ich bin jetzt von Neid zerfressen. Das muss man sich einmal vorstellen: man geht in ein vollkommen sinnloses Meeting, das werden die meisten ja gut kennen, jedenfalls sofern sie irgendeinen Beruf haben. Alle sitzen im Kreis und reden irgendwas, wie das in Meetings so ist. Die Minuten werden länger und immer länger, sie dehnen sich schier unendlich – wenn man sich da bei mangelndem Interesse einfach zurücklehnen, gähnen und einschlafen könnte – und es würde der Karriere garantiert nicht schaden! Dieses Kind lebt doch den Traum!

Und wie bei den meisten privilegierten Menschen gilt übrigens auch bei ihm: er hat nicht die leiseste Ahnung, wie gut er es hat.

(Dieser Text erschien als Kolumne in den Lübecker Nachrichten)

Terminhinweis

Am 29. März, das ist ein Dienstag, findet im Hamburger Hafenklang eine “Electric Night” des Verlags edel & electric statt. Dort stellen diverse BloggerInnen jeweils zehn Minuten lang ihre Lieblingsbücher vor, das nennt sich Blogger Book Pitch. Es treten auf: Isabel Bogdan, Kathrin Weßling, Mara Giese, Sophie Weigand, Miriam Semrau, Karla Paul, Stevan Paul (die beiden haben den gleichen Nachnamen, ist mir noch nie aufgefallen, guck an) Dirk Bathen, Nico Lumma und auch ich. Laut Verlag wird es laut und wild, laut Kathrin Weßling werden wir alle toll aussehen.

Was soll ich sagen, in Wahrheit ist es kompliziert. Ich bin als geborener Hanseat weder laut noch wild, ich sehe schon gar nicht toll aus. Ein Lieblingsbuch habe ich natürlich auch nicht, wer hat das schon, das ist ja eine ganz seltsame Vorstellung – ich will eigentlich nur neben Isa sitzen, wie immer. Na, aber das wird schon! Wer immer strebend sich bemüht, der kann auch etwas lesen.

Vielleicht sehen wir uns? Es wird sicher sehr unterhaltsam, ich lasse dafür sogar meinen Tanzkurs ausfallen, das muss also etwas werden. Der Abend kostet überschaubare 5 Euro Eintritt.