Elf Jahre Herzdamengeschichten, ein Jahr “Was machen die da”

Der Bloggeburtstag ist also ein Doppelgeburtstag geworden, denn “Was machen die da” produzieren wir jetzt auch schon ein Jahr und nein, das ist wirklich kein Aprilscherz. Das letzte Jahr war besonders lehrreich für mich, weil Isa, die großartigste Projektpartnerin aller Zeiten, und ich uns an “Was machen die da” noch einmal auf ganz neue Art abgearbeitet haben, weil wir überhaupt zum ersten Mal dieses Online-Teamarbeit-Ding versucht haben. Und weil wir ungeheuer viel Zeit investiert haben, um zu sehen, was man schaffen kann. Es ist immer wieder großartig, was man online alles versuchen und einfach machen kann, das hat in den letzten elf Jahren übrigens kein bisschen Reiz verloren.

Die Herzdamengeschichten haben sich in ihrem elften Jahr etwas verändert. Dass Jojo, bzw. Sohn I jetzt mitlesen und auch mitschreiben kann, hat Einfluss auf die Inhalte, auch wenn es noch nicht so auffällt. Aber es ist doch eine Person mehr in der Familie, mit der ich über die Inhalte manchmal reden kann, manchmal auch reden muss. Das ist auch eine Person mehr, die Ideen für Inhalte hat: “Guck mal auf dem Plakat, da könnten wir doch hinfahren, kannste dann drüber schreiben, Papa.” Sein Mitlesen wirft ein ganz neues Licht auf manche Texte, und da muss man gar nicht nur an die typischen Familiengeschichten denken. Er lässt sich manchmal auch die Artikel im Wirtschaftsteil für die GLS Bank erklären, was wiederum nicht ohne Wirkung auf mich und mein Schreiben ist. Man denkt über Inhalte ganz anders nach, wenn man sie Kinder erklären und mit ihnen diskutieren muss. Ich kann das übrigens sehr empfehlen. Es erdet ganz ungemein.

Jojo hat mittlerweile seine erste Kolumne geschrieben, er bastelt an der zweiten, ich bin gespannt, was daraus noch wird. Ich dränge ihn natürlich zu gar nichts, ich werde ihn von machbaren Sachen aber auch nicht abhalten. Sohn II kann noch nicht lesen, versteht das Prinzip des Blogs aber auch immer besser und passt natürlich genau auf, was sein Bruder da macht. Er meldet bereits vehement Interesse an Veröffentlichungen an. Neulich hat er vorgeschlagen, meine Artikel mit selbstgemalten Bildern zu illustrieren. Das kann man niedlich finden, das ist aber in diesem Haushalt ein naheliegender und auch konstruktiver Gedanke, eine Möglichkeit, sich einzubringen. Das Blog entwickelt sich so immer weiter zum Familienbetrieb, das finde ich erfreulich, denn “Buddenbohm und Söhne” steht ja nicht nur als Scherz hier oben drüber.

Da passt es natürlich, dass nicht nur Sohn I, sondern auch die Herzdame in den Vordergrund getreten ist und mit “Die Herzdame backt” ein ganz neues Format erfunden hat. Vielleicht kommen noch weitere dazu – bei der Intensität, mit der sie immer noch in der Wohnung Möbel herumschiebt, dekoriert und ihren überbordenden Inneneinrichtungsphantasien nachhängt… wer weiß.

Ich habe für dieses Blog nie Pläne gemacht, die meisten Entwicklungen haben sich erfreulich einfach ergeben. Ab und zu habe ich mir etwas gewünscht, denn das hilft ja manchmal. Im Moment treibt mich der Wunsch um, etwas mehr heraus- und herumzukommen, was sicherlich einigermaßen überraschend für alle klingt, die mich als überzeugten Stubenhocker kennen. Aber tatsächlich reizt mich ein Wechsel der Umgebung immer mehr. Ich möchte viel öfter an die Küste, aufs Land, in andere Städte oder Gott weiß wohin. Ich war mein ganzes Leben nicht reiselustig, aber in bescheidenem Ausmaß scheint es mich jetzt doch noch zu ereilen, vermutlich werde ich schon schrullig. Ich würde gerne mehr über Erlebnisse unterwegs schreiben, ich würde gerne öfter Gegenden und Szenen fotografieren, die nicht direkt vor der Haustür liegen, womöglich nicht einmal im Stadtteil. Ich suche noch nach Möglichkeiten, das im Alltag unterzubringen. Bisher habe ich noch nicht die leiseste Idee, wie das gehen kann, es spricht alles eher dagegen. Aber wenn ich doch auf etwas komme – ich werde berichten.

Vielen Dank, dass Sie hier lesen! Denn das sind weiterhin die Konstanten dieses Blogs – ich denke immer noch nach jedem Eintrag, dass mir sicher nie wieder etwas einfallen wird, und ich freue mich immer noch jeden Tag, dass das gelesen wird, was mir dann doch eingefallen ist.

 

Zwischendurch ein Dank

… und zwar erstens an die Leserin Tamara K., die den Jungs einen Film vom Wunschzettel geschickt hat. Ganz herzlichen Dank!

Und zweitens an Bettina H. und Sohn Moritz, die uns doppelte Fußballsammelkarten  geschickt haben, was Sohn I übrigens Anlaß zur Vermtung gab, dieser Moritz könnte womöglich das netteste Kind der Welt sein. Rückpost folgt!

 

 

 

 

 

Der Lenz ist da

Sohn II ist verliebt. Das ist bei ihm keine dezente romantische Wallung, das ist ein Naturereignis.  Es ist spannend zu beobachten, viel spannender als etwa eine Sonnenfinsternis. Der Sohn  strahlt und  leuchtet, er schwebt zum Kindergarten. Er spricht nicht mehr, er säuselt. In der Kita baut er Höhlen aus Kissen und Decken, damit sich das Traumpaar in aller Ruhe küssen kann. Er ist entschieden heiratswillig und denkt über die passende Anzahl von Kindern nach, wobei er gerade Zahlen bevorzugt. Sechs oder acht oder so. Meinen leisen Hinweis, dass er nicht noch in diesem Jahr heiraten kann, den will er gar nicht gerne hören. Wann darf er heiraten? Als Erwachsener erst? Bitte?!

Geduld ist nicht seine Stärke, das hat er von  mir. Und auch in der Verliebtheit erkenne ich mich wieder. So gehört das nämlich, wenn schon, dann ganz. Und sofort und für immer.  Aber er ist noch nicht routiniert in der Liebe, es kommt noch zu Zwischenfällen. So ist es ihm nicht ganz gelungen, die Angebetete auf Händen zu tragen. Er hat sie nach einem kurzen Moment wirklich heldenhafter Anstrengung leider fallen lassen, was zu Beulen und Tränen führte und ihn etwas verunsichert hat. Ist das mit der Liebe etwa doch schwerer als gedacht?

Ich habe ihn natürlich getröstet. Denn gerade bei solchen Themen muss man als Vater präsent sein und Erfahrung weitergeben. „Das kann vorkommen“, habe ich gesagt, „wenn ich deine Mutter auf Händen tragen müsste, sie würde auch nach ein paar Schritten auf dem Boden liegen.“   Das fand der Sohn super, diese Erklärung, er war sofort getröstet, hat sich seinen Fehler verziehen und wieder neuen Mut gefasst. Da habe ich doch glatt mal eben eine Beziehung gerettet.

Nach dem Blick der Herzdame zu urteilen, muss  ich an meiner eigenen aber wieder etwas arbeiten.

(Dieser Text erschien als Sonntagskolumne in den Lübecker Nachrichten und in der Ostsee-Zeitung)

Terminhinweis

Wir haben kürzlich auf „Was machen die da“ die Deutsch-Türkeistämmigen Biografiegespräche vorgestellt, hier noch einmal der Link zum Interview mit Christiane und Metin, die diese Wochenenden im Raum Norddeutschland moderieren.

Am 25. und 26. April finden die nächsten Gespräche statt – und zwar in Hamburg. Es sind noch einige Plätze frei, wer sich für dieses äußerst sympathische Projekt interessiert, kann sich gerne noch melden. Alles weitere, Kontaktformular etc., findet man hier.

 

Ostern naht: Diese DVDs für Kinder müssen sich nicht verstecken

Es folgt ein Gastbeitrag vom Kinderfilmexperten Rochus Wolff:

Die ersten Wochen nach Weihnachten sind für’s Kinderkino gerne einmal ein wenig Saure-Gurken-Zeit; die Produzenten haben im Weihnachtsgeschäft auf DVD und ins Kino rausgehauen, so viel es ging, um jeden Cent aus dem Publikum zu pressen, dass sich vor der Kälte in Lichtspielhäuser und vors heimische Lagerfeuer der Neuzeit flüchtet… Aber lassen wir das, bevor die Bilder allzu bemüht werden.

In diesem Jahr war die Klage eh nur fürs Heimkino berechtigt, denn mit Baymax – Riesiges Robuwabohu und Manolo und das Buch des Lebens gab es immerhin zwei leuchtende Beispiele dafür, warum man sich auch im Januar und Februar mit seinen Kindern in den Kinosessel kuscheln kann. Und jetzt läuft gerade Shaun das Schaf – der Film an, den ich wirklich (ab sechs Jahren) nur wärmstens und eindringlichst empfehlen kann. Zumal jenen Kindern, die das Knetschaf aus dem Hause Aardman eh schon in ihr Herz geschlossen haben: Der Film bleibt den kurzen Episoden aus der Sendung mit der Maus, ihrem Ton und Gestus weitgehend treu, und macht sich doch auf zu neuen Ufern bzw. Stadtgrenzen. Sehr gelungen.

Mit nahendem Frühlingsanfang sprießen aber nun auch wieder die ersten schönen Neuerscheinungen auf DVD und Blu-ray, und da sind bis Mitte April einige dabei, die ich hier gerne empfehle: mal laut, mal leise, mal schnell, mal eher gemächlich. Und sicherheitshalber fangen wir gleich mal mit dem mächtigsten (nicht dick!) Brummer in der Reihe an, Die große Asterix-Edition, sieben der seit neuestem neun Asterix-Animationsfilme in einer sogar recht bezahlbaren Box; und wer wissen möchte, ob sich das Paket lohnt, bzw. wer meiner Empfehlung allein keinen Glauben schenkt, darf sich gerne den tollen Rückblick auf 50 Jahre Asterix-Filme zu Gemüte führen, den Alexander Matzkeit für mein Blog verfasst hat.

AsterixGallier

(Foto: Studiocanal)

Noch so ein Klassiker, eher der belehrenden Art: Die Studio Hamburg Enterprises komprimieren derzeit nach und nach die Reihen „Es war einmal…“ in handliche Boxen – wer jetzt Kinder im Grundschulalter hat, wird die Serien wohl aus der eigenen Fernseh-Sozialisation in der einen oder anderen Form kennen. Da kann man sich also nostalgisch drin wälzen und wird womöglich die Erfahrung machen, dass die eigenen Kinder damit nur bedingt viel anfangen können… ein hervorragender Anlass also, sich einmal richtig alt zu fühlen. Aktuell erscheint Es war einmal… der Weltraum, im Mai kommt dann das besonders von mir heiß herbei gesehnte Es war einmal… das Leben. Darüber dann noch einmal ausführlicher.

Genug mit DVD-Boxen; frisch erschienen sind auch ein paar reizend kastenförmige Gesellen, Die Boxtrolls aus den Laika-Studios. Dort hat man sich – ähnlich wie im britischen Hause Aardman – noch ganz der Stop-Motion-Animation verschrieben, mit einem ganz eigenen visuellen Stil, der irgendwo zwischen Hyperrealismus und Expressionismus liegt. Die Geschichte, die Figuren sind für kleinere Kinder wohl noch zu düster: Das menschliche Findelkind Eggs lebt bei den titelgebenden Trollen im Untergrund der Stadt Cheesebridge; bei den Menschen oben trifft sich die Elite zu geheimen Käseverkostungen, die Boxtrolls aber gelten dem Volk als kinderfressende Monstren und werden deshalb massiv gejagt. Ihre Herzensgüte und Ängstlichkeit hindert sie daran, sich zu wehren, als es ihnen gänzlich an den Kragen gehen soll – erst Eggs reißt sie aus ihrer Lethargie.

Boxtrolls

(Foto: Universal)

Das ist in letzter Konsequenz in seiner Erzählstruktur ein wenig bekannt; aber die Boxtrolls und ihre Welt sind so schön schräg anzuschauen, da lässt sich das leicht ertragen.

Wesentlich gefälliger kommt natürlich Paddington daher, dem man um Weihnachten herum praktisch nicht aus dem Weg gehen konnte; und in der Tat ist die Realverfilmung um den kleinen Bären, den einst der Brite Michael Bond aus dem dunkelsten Peru nach London schickte, samt computeranimierter Titelfigur erstaunlich gut gelungen. Sowohl der Bär als auch seine englische Adoptivfamilie wurden elegant in die Gegenwart modernisiert, Paddingtons Herkunft wird ein wenig beleuchtet, und die Rahmenhandlung des Films macht daraus einen fröhlichen Aufruf, Immigrant_innen selbst aus dem dunkelsten Peru bitteschön freundlich gegenüberzutreten.

Paddington

(Foto: Studiocanal)

Dass der streng episodische Charakter von Bonds Geschichten (und den Animationsserien, die daraus entstanden) etwas verloren geht, ist für einen Spielfilm grundsätzlich nicht schlecht. Die einzige echte Schwäche von Paul Kings Verfilmung ist, dass er sich auf eine wirklich bedrohliche Antagonistin einlässt (eine Tierpräparatorin, die Paddington töten und ausstopfen will) und diese (in der Gestalt von Nicole Kidman) so effektvoll in beängstigende Szene setzt, dass der Film für sensiblere Kinder unter zehn Jahren eigentlich nicht zu empfehlen ist. Daheim, wo der Bildschirm nicht ganz so überwältigend ist wie die Kinoleinwand, mag sich das etwas weniger dramatisch darstellen. (Ab 4. April erhältlich.)

Wesentlich leichtfüßiger, aber auch völlig unbritisch-frenetisch geht es bei Die Pinguine aus Madagascar zu. Die eine oder der andere werden die Vögel schon aus den (der Titel sagt’s) Madagascar-Filmen kennen, in denen sie, obgleich eigentlich Nebenfiguren, mit ihrem sarkastischen und sehr selbstbewussten Auftreten zu kleinen Stars entwickelten. Nun haben Skipper, Private, Kowalski und Rico (die heißen so, fragen Sie gar nicht erst) nach einer Fernsehserie auch einen eigenen Spielfilm verpasst bekommen. Das klingt sehr nach im voraus berechnetem Franchise-Kino, ist aber zumindest in seiner ersten Hälfte so respektlos und vor allem gaga, dass man das gerne in Kauf nimmt. Die vier Pinguine verstehen sich selbst als Top-Agenten-Truppe, allerdings nur im Auftrag für sich selbst, und es kratzt nur kurz an ihrem Selbstbewusstsein, als sie von dem Superschurken Dave gefangen genommen werden, der sich an ihnen rächen will, indem er alle Pinguine der Welt in unansehnliche Monster verwandelt…

Pinguine

 

(Foto: 20th Century Fox)

Das ist bizarrer Hochgeschwindigkeits-Animationsklamauk mit vielen James-Bond-Referenzen und noch mehr Quatsch. Als Erwachsener muss man jedoch höllisch aufpassen, sonst versteht man schon nach ein paar Minuten nicht mehr, worum es geht; der Film schreitet in einem bemerkenswerten Tempo voran und legt dieses bis zum Schluss auch nicht mehr ab. (Ab 26. März, FSK 0, empfohlen ab 6 Jahren)

Zum Runterkommen noch ein etwas ungewöhnlicherer und wesentlich ruhigerer Vorschlag. Aus Spanien kommt eine sehr jugendliche Variation auf diverse Indiana-Jones-Motive: Das Geheimnis der Murmel-Gang. Der lief im vergangenen Jahr auf dem wunderbaren Kinderfilmfestival „Schlingel“ in Chemnitz: zwei Brüder landen für die Sommerferien in einer recht altertümlichen Erziehungsanstalt und kommen bald darauf, dass sich in dem Gemäuer ein Geheimnis verbirgt. Der autoritäre Schulleiter will aber wohl nicht, dass jemand dieser Sache auf die Spur kommt… und so nimmt das Abenteuer seinen Lauf. Mit Geheimtüren, ein wenig kindertauglichem Grusel und einer Freiheitsbotschaft am Schluss wird daraus zwar kein Meisterwerk, aber ein wirklich solider kleiner Abenteuerfilm für Kinder, sechsmal besser als die ganze furchtbare Fünf-Freunde-Franchise zusammen. (Ab 17. April und 11 Jahren; FSK 6.)

Murmelgang

(Foto: Capelight)

Wer sich die kommenden Feiertage übrigens so richtig versauen möchte, kann zur Neuerscheinung Der kleine Medicus – Bodynauten auf geheimer Mission im Körper greifen, der ich seinerzeit einen tief empfundenen Verriss gegönnt hatte: ein in jeder Hinsicht enttäuschendes Häufchen Film, an dem die „Deutsche Film- und Medienbewertung“ (FBW) nun ihre ganze Ahnungs- und Bedeutungslosigkeit bewies, indem sie ihm das Prädikat „Wertvoll“ verlieh. In der Begründung dazu steht unter anderem: „Das ist bunt, das ist poppig“. So dient diesem seltsamen Gremium als ein Kriterium für filmische Qualität, was schon bei der Auswahl von Ostereiern allenfalls fragwürdige Entscheidungskraft haben sollte.

In diesem Sinne: Frohe Ostern!

Rochus WolffRochus Wolff ist Filmkritiker, Feminist und Vater, nicht unbedingt in dieser Reihenfolge. Im Kinderfilmblog sucht er nach dem schönen, guten, wahren Kinderfilm. Er lebt mit seiner Familie in Berlin und arbeitet hauptberuflich als PR-Mensch und Konzepter für eine Online-Agentur in Süddeutschland.

 

Hochgucken: Eine ältere Dame liest in der S-Bahn

Diese Rubrik, in der ich das beschreibe, was man sieht, wenn man ausdrücklich einmal nicht aufs Handy sieht, besonders in der S-Bahn, droht schon wieder auszutrocknen – also schnell mal etwas nachgießen.

Ich fahre am frühen Abend mit der S-Bahn. Es ist ein Freitagabend und die ersten Pulks von Jugendlichen, die in Richtung Reeperbahn oder zu ähnlich vielversprechenden Zielen unterwegs sind, steigen schon ein. Bierflaschen und Energydrinkdosen gehen in den Gruppen herum, wildes Schultergeklopfe und hysterisches Gekicher, so ein Freitagabend kann eine spannende Angelegenheit sein, wenn man im richtigen Alter dafür ist.

Mir gegenüber sitzen keine Jugendlichen, mit gegenüber setzt sich eine ältere Dame hin, die einen großen Einkaufstrolley dabei hat. Sie scheint es eilig zu haben, so schnell, wie sie sich hinsetzt, einmal durchatmet und dann sofort im Einkaufstrolley herumwühlt, mit schnellen Bewegungen, fast hektisch. Es sieht aus, als hätte sie womöglich etwas vergessen, vielleicht findet sie ihren Schlüssel nicht oder dergleichen? Dann kramt sie dort aber ein Buch hervor, und zwar ein Buch von äußerst respektabler Dicke, man könnte es glatt auf sechshundert Seiten oder noch mehr schätzen. Ein Wälzer, und zwar ein ganz neuer Wälzer, der ist noch in Folie. In Folie, die von der Dame sofort ungeduldig abgerissen wird. Dann schlägt sie das Buch auf und liest den ersten Satz, atmet wieder durch und sieht sich noch einmal kurz um, wobei sie nicht aussieht, als würde sie etwas mitbekommen von dem, was im Waggon um sie herum passiert, das ist ihr alles vollkommen egal, das ist alles unwichtig. Sie hat hier den ersten Satz einer langen, langen Lesereise vor sich und sie liest so gierig, so aufmerksam über das Buch gebeugt, dass man unweigerlich neugierig auf dieses Buch wird, das sie vom ersten Satz an so konzentriert, schnell und völlig versunken liest, als müsse sie es bis zur Endstation geschafft haben, was allerdings vollkommen unmöglich ist. Sie liest schnell, sie blättert schnell, ihre Finger folgen ungeduldig aufs Papier tippend den Absätzen, noch einer, noch einer, noch einer, nächste Seite, die fliegen nur so, die Seiten, das ist wirklich großer Lesesport, was sie da zeigt.

Die Jugendlichen trinken und lachen und stürzen sich ein paar Stationen später in das Leben. Die Dame ignoriert sie und liest vom Leben und als sie das erste Kapitel durch hat, nickt sie einmal kurz und ist dann schon zwei, drei Absätze weit im nächsten, aber in diesem Nicken liegt so viel Zustimmung, dass man annehmen kann, sie stürze sich auch gerade in das Leben, wenn es auch an diesem Abend das Leben anderer Menschen ist, das Leben literarischer Figuren.

Ich habe das Buch natürlich sofort auf dem Handy gegoogelt, es handelt sich um “Melnitz”, von Charles Lewinsky, eine jüdische Familiensaga aus der Schweiz, hier eine ausführliche Rezension dazu. Vielleicht sollte man mal wieder einen richtigen Wälzer lesen. Er hat tatsächlich immerhin fast achthundert Seiten.

 

Indiebookday

Heute ist, Sie werden das wissen, Indiebookday. Sollten Sie das aber nicht wissen, dann lesen Sie das z.B. hier einmal nach, denn das ist eine überaus feine Sache zur Förderung unabhängiger Verlage.

Wenn man in Blogs, auf Twitter, Facebook oder in welchen Netzwerken auch immer heute nach #indiebookday guckt, bekommt man genug Lesehinweise für den ganzen Rest des Jahres, das ist auch praktisch – und es sind viele Titel dabei, die es nicht in die Feuilletons oder Literaturblogs geschafft haben. Und bei denen es sich selbstverständlich dennoch um Perlen handeln kann.

Ich habe mich für eine Vater-Sohn-Geschichte entschieden, von dem Buch habe ich bisher noch nichts gehört oder gesehen, egal, das macht ja nichts. Sapphia Azzeddine: Mein Vater ist Putzfrau. Aus dem Französischen von Birgit Leib.

Mein Vater ist Putzfrau

 

Die Herzdame backt: Osterlamm

Keine Angst, das ist fleischlos, das geht hier alles ganz friedlich zu. Ostern ist quasi in wenigen Minuten, da wird es höchste Zeit für dieses Rezept. Denn hierfür brauchen Sie noch etwas, das Sie vielleicht gar nicht im Haus haben: eine Lammbackform.

Lamm im Nest

Osterlamm

Die bekommen Sie aber für rund zehn Euro quasi überall, das ist schnell besorgt. Man könnte sich jetzt fragen, ob sich das lohnt, eine Backform für nur einen Zweck? Warum macht man das? Nun, das lohnt sich auf jeden Fall, wenn man Kinder hat. Kinder finden gebackenes Osterlamm großartig, dieses Tierchen ist bei uns die Ostertradition schlechthin.

Wobei wir an dieser Stelle kurz etwas bekennen wollen, ein schweres elterliches Versagen. Das tut anderen Eltern oft gut, wenn sie so etwas lesen, das entspannt und nimmt Druck, wenn andere Eltern etwas nicht auf die Reihe bekommen, nicht wahr? Wir z.B., wir sind serielle Eiversager. Seit sieben Jahren nehmen wir uns kurz vor Ostern fest vor, dieses Jahr aber wirklich, wirklich Eier auszublasen, anzumalen, zu färben oder sonstwie zu ansprechender Deko zu verbasteln. Und seit sieben Jahren scheitern wir komplett daran. Wir kommen zu nix, ich erwähnte es vielleicht bereits irgendwann einmal. Keiner der Söhne hat jemals ein Ei ausgeblasen, keiner hat je ein Ei gefärbt. Oster-Deko kennen sie nur als Fertigprodukt. Schlimm, ich weiß. Man sieht schon vor sich, wie spätere Therapeuten den Kuli aufs Papier setzen und nickend ein paar Notizen machen, während die Söhne von Ostern bei den Buddenbohms erzählen.

“Aber”, möchte ich an dieser Stelle dem bisher nur imaginären Therapeuten zurufen, “aber die Söhne können Lämmer backen. Beide! Und zwar routiniert!”

Sie können das also, weil das hier die Standardostervorbereitung ist, weil wir eine Lammbackform haben. Um in dieser ein Lamm mit Marzipan zu backen, brauchen wir:

Eier

Backzubehör

100 g Marzipanrohmasse
2 Eier
75 g Butter
50 g Zucker
1 Pk Vanillezucker
1 Prise Salz
10 Tropfen Bittermandelöl (eher weniger)
80g Weizenmehl
20 g Speisestärke
1 gestr. Teelöffel Backpulver
Etwas Puderzucker zum Bestäuben

Wir lassen uns die Rezepte jetzt übrigens von Sohn I vorlesen, was ziemlich gut klappt. Nur bei den Mengenangaben wird es manchmal noch etwas abenteuerlich. Aber irgendwas ist ja immer. Wenn er achthundert Gramm Mehl sagt, werden wir doch noch misstrauisch.

Sohn I liest Rezept

Herzdame und Sohn I lesen Rezept

Den Backofen auf 175 Grad vorheizen. Die Marzipanrohmasse in kleine Stücke teilen lassen, was sich hervorragend als Kinderarbeit eignet, dabei aber verschärft auf Schwund achten.

Marzipan

Schüssel mit Marzipan

Das Marzipan mit dem Zucker und dem Vanillezucker verrühren. So steht es jedenfalls im Rezept, de facto geht das kaum, man wirft die Zutaten mehr gemeinsam in einer Schüssel herum. Egal. Eier, Salz und Bittermandelöl dazugeben. Das dann rühren, bis eine glatte Masse entsteht, was etwas länger dauern kann. Das Mehl in eine Schüssel geben und mit der Speisestärke und dem Backpulver mischen.

Dann alles zusammenrühren, inklusive der Butter.

Herzdame, rührend

Die Lammform mit Butter oder Margarine einfetten, zusammensetzen und mit Teig betanken.

Lammbackform

Lammbackform

Der Teig füllt das Lamm nicht komplett aus, das ist korrekt so.

Herzdame und Lammbackform

Das Lamm etwa eine halbe Stunde bei 175 Grad backen.

Herzdame an Herd

Dann nimmt man das Lamm aus dem Ofen, eine dekoratoive Körperhaltung an und macht die bekannte Stäbchenprobe.

Stäbchenprobe

Lammbackform mit Lamm

Abkühlen lassen. Danach die Form vorsichtig (!) aufmachen, das Lamm unten begradigen und dann noch mit Puderzucker bestäuben.

Lammbegradigung

Lammbestäubung

Zack, fertig!

Lamm an Herzdame

An so einem Lamm ist übrigens nichts dran, das kann man in der Osterzeit nahezu täglich backen.

Lamm

Die aufmerksame Leserschaft wird an dieser Stelle bemerken wollen, dass wir das natürlich nicht jeden Tag backen können. Denn wir verzichten ja aufgrund einer seltsamen Idee der Herzdame gerade auf Zucker, wie unlängst berichtet. Nach einigem Nachdenken hat sie aber festgelegt, dass diese Regel für Backwerk am Wochenende nicht gilt, sonst könnten wir diese Kolumne ja nicht produzieren, und das wäre doch schade. Dachte sie. Also gibt es am Wochenende doch Zucker, was vielleicht auch dieses leichte Grinsen hier unten erklärt.

Herzdame und Lamm

Schritt für Schritt

Mehrere Menschen um mich herum zählen neuerdings ihre Schritte. Das geht mit Handys ganz einfach, man muss das Handy nur mit einer Zähl-App in der Hosentasche haben. 10.000 Schritte pro Tag sollten es wohl sein, die muss man absolvieren, wenn man halbwegs fit sein möchte. Mehr sind natürlich noch besser. Nach neuerer Erkenntnis ist Sitzen nämlich das Böse schlechthin. Stehe auf und wandle! Das sagt einem nicht mehr die Bibel, das sagt jetzt jede Zeitschrift und jede Ratgebersendung. Aber schaffe ich jeden Tag 10.00 Schritte? Ich habe mitgespielt und gezählt, ich bin bei so etwas ja neugierig.

Manche halten 10.000 Schritte am Tag für ziemlich viel, manche für normal, mein Durchschnitt liegt deutlich darüber. Ich habe zwei Kinder und laufe schon etwa 4.000 Schritte pro Tag den Kindern hinterher, und das sogar ohne die Wohnung zu verlassen. Als ich neulich mit den Söhnen zu Fuß beim Zahnarzt und danach beim Einkaufen und dann noch auf dem Spielplatz im Park war, schickte mir die Schrittzähl-App einen Glückwunsch, ich hätte gerade so viel getan wie bei einer Bergwanderung. Familienleben ist also reiner Sport, ich habe es immer geahnt.

Aber es hat noch einen ganz anderen Grund, warum ich auf viel mehr Schritte als 10.000 pro Tag komme. Die Söhne prüfen nämlich abends meinen Zähler. Und wenn er noch deutlich unter dem Soll ist, dann schnappen sie sich das Handy und rennen damit mal eben ein paarmal um den Block. “Wir wollen ja einen fitten Vater”, hat der größere Sohn gesagt, als er keuchend von der großen Runde zurückkam und mir stolz die 16.000 auf dem Zähler zeigte. Je höher die Zahl, desto gesünder der Papa, das hat er soweit korrekt verstanden.

Familienleben ist Sport, das ist völlig richtig. Aber man bekommt auch tatsächlich viel zurück. Schritt für Schritt.

 (Dieser Text erschien als Kolumne in den Lübecker Nachrichten und in der Ostsee-Zeitung)