Gelesen, vorgelesen, gesehen, gehört im Februar

Gelesen

Februar – Gedichte. Ausgewählt von Evelyne Polt-Heinzl und Christiane Schmidjell.

Februar-Gedichte

Das war, wie erwartet, eine etwas karnevallastige Auswahl und auch sonst wurde ich mit dem Band nicht recht warm. So wenig wurde ich damit warm, dass ich gleich den März dazu gekauft habe, eine Schummelei ohne Beispiel. Aber der Februar ist nun einmal definitiv nicht mein liebster Monat, im Gegenteil. Da kann man literarisch etwas vorspulen, das finde ich legitim.

Groß fand ich aber doch einen Vers aus Karl Krolows “Tätiger Winter”, ganz kurz und ganz einfach:

Schnee
tut einen Reim lang
weh.

Das hat man ja manchmal, dass man sich in so etwas spontan verliebt und es immer wieder angucken kann. Ich finde die sehr schlau, diese drei Zeilen. Und das brachte mich dann darauf, dass ich Karl Krolow zwar seit Ewigkeiten als Anthologieteilnehmer kenne, der kommt ja praktisch per Gesetz in jedem deutschen Lyriksammelband vor – aber ich wusste gar nichts über den. Also habe ich etwas nachgelesen. Und überrascht zur Kenntnis genommen, dass er ganz anders aussieht als gedacht, nämlich nicht wie ein bärbeißiger Arbeitertyp mit Rudererhänden, Stiernacken, Stoppelhaaren und dickem Bleistift hinterm Ohr. Faszinierend, wenn man so falsch liegt. Karl Krolow, das klingt wirklich nach einem Mann von Statur, klingt es nicht? Dann jedenfalls gleich ein Buch von ihm gekauft.

Karl Krolow: Ich höre mich sagen. Gedichte.

Krolow

Ein Band mit geradezu amüsant hochtrabendem Klappentext, Suhrkamp galore, wirklich schlimm. Die Gedichte gehören zum Spätwerk, sie klingen schon nach weit fortgeschrittenem Abend, das ist melancholischer, bitterer Stoff in anziehender Uneindeutigkeit. Das meint, man liest da so in Gedicht hinein, die sind alle ganz unprätentiös formuliert, und dann merkt erst nach etlichen Zeilen, dass man vielleicht doch eher nichts verstanden hat. Oder nur den ersten Satz? Den ersten Vers? Und dann denkt man nach und wiederholt vielleicht, was man noch einleuchtend fand, lässt das Buch sinken, kommt vom Thema ab und denkt so vor sich hin und dann ist es auch schon spät und man macht das Licht aus. Weswegen ich dem Buch ein seltsames Kompliment machen kann, das aber völlig ernst gemeint ist – man kann es hervorragend nach ein paar Zeilen wieder weglegen und alleine weiter denken. In angenehm angemoderter Stimmung. Das wird noch länger auf dem Nachttisch liegen, das gefällt mir.

Ein beliebiger Tag. Nur die Zeit vergeht.
Ich laß mit der Zeit mich nicht ein –
ein Wasser, das mir zum Halse steht.
Ich hab nicht den ersten Stein.

[…]

März-Gedichte. Ausgewählt von Evelyne Polt-Heinzl und Christiane Schmidjell.

März-Gedichte

Der März also, in dem es natürlich schon nach Frühling klingt. März ist eine feine Sache, auch in Gedichten. Und weil es beim Februar so nett war, auf den Einzelband von Krolow zu kommen, habe ich mich vom Märzband zu Mascha Kaléko treiben lassen, aber dazu komme ich erst im nächsten Monat. Das lyrische Stenogrammheft, also ein lyrischer Bestseller, gleich wieder eine Bildungslücke weniger.

Robert Seethaler: Ein ganzes Leben.

Ein ganzes Leben

Das ist sehr, sehr gut, kaufen Sie das auch. Ich habe es in der Ausgabe der Büchergilde, deren Arbeit man ab und zu vehement loben muss, weil sie so wunderschöne Bücher machen. Andreas Egger, die Hauptfigur des Romans, vergisst man so leicht nicht, obwohl seinem Leben alles Spektakuläre fehlt, jedenfalls wenn man die üblichen Maßstäbe anlegt. Literarisch gelten natürlich ganz andere Regeln und die Liebe zu Marie, ebenso wie das sehr späte Wiedersehen mit ihr nach der tragischen Trennung – das ist schon ergreifend, das bleibt einem. Und kurz ist das Buch übrigens, für ein ganzes Leben sogar sehr kurz. Das kann man in zwei Hapsen weglesen, das ist so ein Buch auf die Hand. Wirklich große Empfehlung.

Erich Ohser bzw. e.o. plauen: Vater und Sohn. Sämtliche Streiche und Abenteuer.

Vater und Sohn

In der gerade herausgekommenen und wunderschönen Ausgabe aus dem Südverlag, da ist schon das Anfassen eine Freude. Zum Lesen bin ich allerdings kaum gekommen, weil, womit ich gar nicht gerechnet hätte, Sohn I von dem Buch vollkommen hingerissen ist und dauernd darin liest. Lachend und sichtlich begeistert.

Geo Wissen: Wie Erziehung gelingt.

Geo Wissen

Ich lese fast nie Erziehungsratgeber, aber das lag gerade so einladend in der Wohnung herum. Weil die Herzdame gerade Erziehungsratgeber liest. Sie dachte sich, es sei vielleicht sinnvoll, nach ein paar Jahren abgeleisteter Erziehung die Sache einmal neu zu kalibrieren und teilt mir, sehr praktisch, ab und zu die Kurzfassungen ihrer Erkenntnisse mit. Mir hat an diesem Heft von Geo jedenfalls gefallen, dass man ein Interview mit Jesper Juul einem Interview mit einem etwas autoritärer orientiertem Experten direkt gegenübergestellt hat, so dass man nach der Lektüre beider Texte wieder überhaupt nichts weiß – das passt doch ganz gut zum Thema, finde ich.

Natürlich findet man in Erziehungsratgebern generell hin und wieder sinnvolle Kapitel, und es ist auch richtig, sich an ein paar Aspekte wieder zu erinnern, ja doch. Und sei es nur, um die tägliche Herumkommandierquote wieder einmal kritisch zu hinterfragen oder auch versuchsweise gen Null zu abzusenken, da schadet etwas Motivation überhaupt nicht. Aber wenn man etwas Erfahrung mit Kindern hat, merkt man auch, wie geschickt sich etliche Autoren an wirklich sinnvollen Beispielen vorbeischummeln.

Josef Rohrer: Meran kompakt: Die Stadt und ihre Umgebung. Da fahren wir im Sommer hin. Als überzeugter Spießer bereite ich mich natürlich gründlich vor.

Meran-Buch

Eshkol Nevo: Vier Häuser und eine Sehnsucht. Aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer.

Eshkol Nevo

Das ist ein Roman aus Israel, aus Jerusalem. Der ganze Irrsinn des Landes in den Einzelschicksalen einer kleinen Nachbarschaft. Juden und Araber, Orthodoxe und Zweifler, das ganze Durcheinander. Eines dieser Bücher, die mir gut gefallen, von denen ich aber dennoch dauernd abkomme und etwas anderes in der Hand habe. Manchmal kann man es nicht recht erklären und weiß gar nicht, woran es liegt. Dennoch ein gutes Buch. Vielleicht finde ich nur die Unlösbarkeit der Konflikte in dem Land schwer auszuhalten.

Vorgelesen

Ingrid Uebe und Markus Spang (Bilder): Die Abenteuer des Barons von Münchhausen.

Münchhausen

Ein Buch aus der Leserabe-Reihe, das sind Bücher speziell für Leseanfänger, also mit heruntergedimmten Schwierigkeitsgrad in Satzbau und Vokabular. Aus der Reihe lese ich gerade gemeinsam mit Sohn I einige Bücher. Er ein paar Sätze, ich ein paar Sätze, oder ich ein Wort, er ein Wort – oder wie auch immer. Um etwas Schwung beim Lesen aufzunehmen, um etwas mit Geschichten zu locken. Sohn II hört natürlich auch zu oder liest schon mal ein besonders kurzes Wort selbst, er ist da etwas ehrgeiziger als sein großer Bruder.

Beide Söhne mussten etwas länger über das Konzept der Geschichte nachdenken, das war interessant. Da geht es also um einen Lügner, der dauernd betont, dass er die Wahrheit spricht. Was ist nun richtig? Ist es ein einfacher Trick in der Erzählung, ist es ein doppelter, gar ein dreifacher Trick? Gab es den Baron am Ende wirklich, genau so? Wer erzählt da eigentlich? Warum lügt er so offensichtlich? Das bedeutet doch etwas? Wer so lügt, der sagt am Ende die Wahrheit? Da denken die Kinder plötzlich über Stilmittel nach, über Erzähltricks und literarische Finten, das ist herrlich. Und wenn man gut aufpasst und den Jungs ausnahmsweise hinterherspioniert und dann noch etwas Glück hat, kann man sehen, wie sie sich doch einmal im Kinderzimmer probeweise selbst in die Haare greifen und kräftig daran ziehen – ob einen das am Ende nicht doch etwas hochhebt, wie bei dem Münchhausen im Sumpf? Nein? Verdammt.

Der olle Lügenbaron. Funktioniert immer noch.

Gudrun Sulzenbacher: Die Gletschermumie – Mit Ötzi auf Entdeckungsreise durch die Jungsteinzeit. Das dient natürlich auch der Vorbereitung auf den Sommerurlaub. Sohn II ist noch etwas zu klein für die Fachsprache, aber sein Interesse macht das locker wett.

Ötzi

Gesehen

Nichts. Macht nichts. Der Februar ist eh zu kurz für fast alles.

Gehört

Georges Moustaki. Das war ein Zufallsfund, mir ist durch irgendeine Assoziation eine Platte wieder eingefallen, die im Schrank meiner Mutter stand und damals in Travemünde dauernd lief. Darauf die Déclaration von Moustaki, die ich seit vielen, vielen Jahren nicht mehr gehört habe und deren Anfang ich immer noch mitsprechen kann, das Langzeitgedächtnis ist eine erstaunliche Angelegenheit. Es ist übrigens ganz gut, Musik dieser Art lange nicht gehört zu haben, weil sie einen dann geradezu ruckartig in die Vergangenheit werfen kann. Da rauscht man rückwärts durch die Jahre und landet auf einem Sofa, das es schon längst nicht mehr gibt, und die Luft ist verraucht, und die Platte läuft, und man sieht den Plattenspieler mit dem Schriftzug “Dual” und auch das Regal darüber sieht man plötzlich wieder, die ganze Zimmerecke und man sieht überhaupt alles, es fällt einem sogar ein, was man an Kleidung getragen hat, was es gerade zum Abendessen gab, wie die Stimmung war und wer gleich klingeln wird… Was nicht unbedingt schön sein muss, aber doch lehrreich ist. Ach, so war das? Guck an.

Je déclare l’état de bonheur permanent. Et le droit de chacun à tous les privilèges.Ein schöner Anfang. Mir sind noch weitere Platten von damals wieder eingefallen, die Platten meiner Kindheit oder frühen Jugend, ich sehe die ganze Reihe wieder vor mir, so viele waren das gar nicht. Ich höre da nach und nach mal rein.

Element of Crime. Und da ich gerade nach langer Pause wieder an einer längeren Geschichte schreibe, halte ich mich an das altbewährte Rezept, nachdem alle meine Erzählungen entstanden sind – man begieße den Autor zwei Stunden mit Element of Crime, lasse ihn eine Stunde an einem kühlen Ort gehen und setze ihn dann an einen Schreibtisch. Der Rest findet sich dann. Hoffentlich.

(Und da saß er dann und wartete. Und wartete. )

 

Ein Update bei „Was machen die da“

Drüben bei „Was machen die da“ haben wir ein Interview mit dem Sponsor des Projektes. Der übrigens, so ein wilder, wilder Zufall, auch Sponsor dieses Blogs hier ist. Das ist also der Herr Korten von der GLS Bank, den kannt man vielleicht auch von seinem privaten Blog.

Mit dem Herrn habe ich mir auch damals den Wirtschaftsteil ausgedacht. Denn es ist ja so – mit Turnschuhbankern kann man ziemlich gut reden.

Turnschuhe

Beim Herumschieben der Möbel – Teil 4

(Die Fortsetzung hierzu.)

Ich: “Wir könnten auch einfach an die Nordsee ziehen. Eiderstedt, weißt du, gefällt uns ja allen. Bessere Luft und so. Mehr Platz. Viel, viel mehr Platz. Eigenes Zimmer für jeden. Sogar für mich!”

Sohn I: “Eigenes Zimmer wäre sehr toll. Aber da hätte ich voll den krassen Schulweg nach Hamburg, Papa.”

Ich: “Es gibt an der Nordsee auch Schulen.”

Sohn I: “Vergiss es einfach.”

 

Beim Herumschieben der Möbel – Teil 3

Die Fortsetzung hierzu.

Das war so wirklich nicht geplant, dass daraus eine Serie wird, aber das Thema bleibt hier dominant. Schon weil wir einfach nicht fertig werden, nichts abhaken können, weil wir schlicht überhaupt nichts erreichen. Die Wohnung ist offensichtlich unvollendet. Nach dem letzten Herumschieben blieb alles etwas unfertig stehen. Wenn man bei uns hereinkommt, sieht man erst einmal eine nackte Wand, an der so offensichtlich früher etwas stand, dass man sofort eine Decke vor die Lücke hängen möchte, so nackt und bloß und falsch sieht es da aus. Aber wir haben uns leider noch nicht entschieden, was da hinkommt. Es gibt einfach zu viele Möglichkeiten.

Unterdessen ist die Herzdame an einer ausgeprägten Wohnzeitschriftensucht erkrankt und verbringt die Abende blätternd und murmelnd vor Hochglanzbildchen von Möbeln, Wohnungen und Dekoartikeln. Ab und zu gibt sie völlig zusammenhanglos Formulierungen wie etwa “Laminat, Dekor Eiche gesägt, weiß geölt” von sich und nickt dazu, ohne eine Antwort von mir zu erwarten. Dann googelt sie etwas, dann kommt sie vom Thema ab, dann denkt sie doch lieber über Balkonpflanzen nach. Oder greift zur nächsten Zeitschrift. Sie klemmt sozusagen vor dem nächsten Möbelkauf irgendwo zwischen Oblomow und Tine Wittler fest, es ist fraglich, ob sie aus diesem Zustand jemals wieder ohne Hilfe herauskommt. Sollte sie wider Erwarten noch einmal handlungsfähig werden, müsste ich ihr aber ohnehin schonend klar machen, dass das für die Möbel zurückgelegte Geld mittlerweile komplett in Wohnzeitschriften und Bildbände über den Landhausstil investiert wurde.

Das einzige, was uns momentan wirklich helfen würde, wäre eine Innenausstattung, an der alles leicht beweglich, verschiebbar und wandlungsfähig ist. Einmal alles da hinein, zack, einmal alles dort hinein. Links, rechts, oben, unten, einmal flott alles durchgespielt, dann wüssten wir vermutlich Bescheid. Das kann man natürlich auch digital erreichen, schon klar, aber richtig Spaß habe ich daran irgendwie nicht. Ich muss das alles in natura sehen. Ich muss probesitzen und hinfühlen.

Aber probeweise z.B. die ganzen rappelvollen Bücherregale in einen anderen Raum zu stellen – das ist schon etwas herausfordernd. Und das ist genau genommen exakt die Herausforderung, vor der ich gerade stehe. Jetzt gerade. Jedenfalls sobald ich nicht am Schreibtisch sitze und intensiv arbeite. Ich tippe hier quasi seit Stunden gegen die Plackerei des Möbelherumschiebens an, das ist einmal eine ganz neue Motivation und übrigens auch ein grandioses Heilmittel gegen Schreibblockade. Tippeditipp! Ach, was bin ich fleißig, ich bin die reinste Textameise, die Sätze perlen wie aus einer stetig sprudelnden Quelle. Ab und zu guckt die Herzdame um die Ecke und fragt, ob ich Zeit habe. Nein, ich habe keine Zeit, ich muss ja schreiben. Herrje, was muss ich alles schreiben. Ich muss sehr, sehr viel schreiben, es ist geradezu unfassbar, wieviel ich schreiben muss. Sollten heute noch zwanzig Artikel hier erscheinen – Sie wissen Bescheid.

 

Beim Herumschieben der Möbel – Fortsetzung

Eine Fortsetzung zu diesem Text. Es hat dann doch nicht sollen sein, der Schreibtisch steht nun wieder in der lichtlosen Ecke im Flur. Ich wohne sozusagen, ganz wie im Märchen, wieder im Pisspott. Kurzentschlossen alles zurückgeräumt, alles wieder auf Start. Kein blauer Himmel mehr über mir, kein Bett mehr neben mir, in das ich mich spontan fallen lassen könnte. Und zwar aus mehreren Gründen, die wie folgt erörtert werden:

Zum einen haben Menschen meines Alters irgendwann in der langhaarigen Hippiephase ihres Lebens natürlich Carlos Castaneda gelesen. Den kennt heute kein Mensch mehr, das macht auch nichts. Von der Lektüre weiß man sowieso kaum noch etwas, ich jedenfalls nicht, man war ja bei der Lektüre damals auch nicht ganz nüchern. In Erinnerung geblieben ist mir aber doch die Szene, in der der Erzähler im Auftrag seines Schamanen nächtelang den einzig richtigen Platz in einem Haus für sich sucht. Denn es gibt, so die Annahme im Buch, für einen Menschen immer nur einen genau richtigen Platz in einer Wohnung. Castaneda hat die Suche nach diesen zwei Quadratmetern damals mit bewusstseinserweiternden Substanzen sicher nennenswert spannender gestaltet als ich heute mit meinem bescheidenen abendlichen Bier, aber das Ergebnis ist doch vergleichbar. Ich sitze nun einmal nur hier in der Ecke richtig. So fühlt es sich jedenfalls an. In dieser Ecke in der Mitte der Wohnung, an der Kreuzung zwischen den Zimmern. In dieser Ecke, wo alle immer vorbeikommen, wo ich also spätestens alle drei Minuten gestört werde. Wo jeder komplett missachtet, dass ich arbeite. Wo mich Kindergeschrei umgibt, Kinderlieder, Kinderfragen. Wo ich beim Aufstehen fast unweigerlich über Spielzeug stolpere. Wo mich die Herzdame garantiert wegen irgendwas anspricht, sobald ich anfange einen Satz zu tippen. Wo ich mit Kopfhörern auf den Ohren auf den Bildschirm starre und Konzentration eher vortäusche als einsetze. Egal, das muss alles so. So habe ich in den letzten sieben Jahren alle Texte geschrieben, ich lass das jetzt einfach so. Das passt schon.

Zum anderen war der Schreibtisch zwischenzeitlich im Schlafzimmer, und das ist der Raum, in dem es am ruhigsten ist. Das Schlafzimmer liegt am Ende der Wohnung, da ist außer einem Bett und einem Kleiderschrank fast überhaupt nichts drin. Da geht keiner hin, da ist so gut wie nie ein Kind anzutreffen, jedenfalls nicht tagsüber, was sollte man da auch tun? Das Schlafzimmer ist aus Kindersicht ein eher langweiliger Raum. Normalerweise. Als aber mein Schreibtisch dort stand, war der Raum plötzlich faszinierend belebt. Die Söhne fanden es auf einmal hochspannend, neben mir auf dem Bett herumzuspringen, dort stundenlang herumzuliegen und Selbstgespräche zu führen oder sich gemütliche Leseecken auf den Decken und Kissen einzurichten. Sie haben sich neben meinem Schreibtisch gestritten und geprügelt, sie haben darunter mit Murmeln gespielt. Sie haben mir kommentarlos selbstgemalte Bilder und Legokunstwerke auf die Tastatur geworfen. Sie haben ihren CD-Player rübergeholt und furchtbares Zeug abgespielt. In der ruhigsten Ecke der Wohnung. Was also heißt, ich kann dem Trubel sowieso nicht entkommen, der Trubel kommt mir nach – und er findet mich sowieso. Da kann man auch gleich bleiben, wo man ist, dann muss man sich nicht umgewöhnen.

Und zwischendurch kam es dann doch auch vor, dass tatsächlich niemand bei mir im Schlafzimmer war. Um mich herum nichts als Ruhe. Alle spielten irgendwo anders, machten irgendwas in den anderen Räumen. Und das habe ich dann nicht mitbekommen, was sie da gemacht haben. Das war ganz furchtbar.

Mal sehen, welches Kunststück der Raumplanung uns als nächstes einfällt, ich werde natürlich berichten. Von hier aus meiner ollen Ecke.

 

Kurz und klein

 

Prost

Ich nehme mit Freude zur Kenntnis, dass immer mehr kleine Brauereien entstehen und es eine ganz neue Bierszene gibt. Das ist wunderbar, dass man das Brauen nicht mehr nur den Konzernen überlässt, deren Produkte oft ganz okay sind, aber längst nicht so gut, wie ein Bier sein kann. Ich trinke gerne Bier, ich mag es, wenn es da Vielfalt gibt. Andererseits nehme ich mit Sorge zur Kenntnis, dass in Getränkekarten bei Bierspezialitäten immer öfter verdächtige Vokabeln auftauchen. Da liest man von Karamellaromen, von fruchtigen Noten und Obstsorten. „Anklänge von grünem Apfel“, ja nee, ist klar. Was machen denn diese Begriffe bitte beim Bier? Das ist doch, als ginge man auf ein Rockkonzert und der Sänger würde vor Beginn ans Mikro treten, die Arme heben und ganz ernst erklären, dass der erste Song noch piano sei, der zweite eher capriccioso und dann ginge es aber so richtig furioso weiter. Statt es einfach krachen zu lassen.

Wenn man diese Entwicklung weiterdenkt, muss man bald seitenlang Bierbeschreibungen lesen und mit fachkundigen Obern Diskussionen über Hopfenanbaugebiete führen, bevor man in der Kneipe endlich etwas ins Glas bekommt. Und womöglich muss man dabei so kultiviert gucken, wie es die Weintrinker immer schon tun. Nichts gegen Weintrinker, versteht sich, ich mag ihre stets bemühte Grundhaltung. Aber möchte man sich denn bemühen, wenn man Durst hat? Möchte man nicht einfach nur ein Bier? Ein sehr, sehr gutes Bier meinetwegen.

Nein, ich will mein Bier nicht erklärt bekommen. Ich will nichts von tannenzapfig im Abgang oder über Anklänge von Brombeer und Moos lesen. Ein so beschriebenes Bier kann man doch nicht mehr auf ex trinken, ohne dabei ein schlechtes Gewissen zu haben. Und dann denkt man wehmütig zurück an damals, als Bier noch gegen Durst half.

Was war das schön.

(Dieser Text erschien als Kolumne in den Lübecker Nachrichten und in der Ostsee-Zeitung)

Fragen an die Söhne

Ich wurde hier gebeten, Fragen zu notieren, die Fremde an meine Kinder richten. Da musste ich erstaunlich lange nachdenken, was vielleicht daran liegt, dass wir in Hamburg wohnen. Wenn man sich hier fremd ist, dann spricht man sich nun einmal nicht an. Nein, auch Kinder nicht. Weder Sohn I, noch Sohn II werden dauernd von irgendwem irgend etwas gefragt, nicht beim Einkaufen, nicht auf dem Schulweg, nicht auf dem Spielplatz. Das scheint in anderen Gegenden anders zu sein.

Damit es dennoch eine Antwort gibt, nehme ich dafür die beiden häufigsten Fragen, die den Jungs von Erwachsenen gestellt werden – die dann allerdings eher keine fremden Erwachsenen sind.

Wenn wir mit dem Auto irgendwo hinfahren, etwa um jemanden zu besuchen, dann fragt man aus guten Gründen, wenn wir aus dem Auto steigen, Sohn II: “Und? Haste gekotzt?” Seine Antwort darauf ist in nahezu jedem Fall wahrheitsgemäß: “Jo.”

Und seit ein paar Monaten fragen nahezu alle Erwachsenen, die uns in egal welchem Kontext begegnen, Sohn I: “Und? Wie ist die Schule?”

Worauf die Antwort übrigens auch in jedem Fall “Jo” ist. Mehr hat er dazu nämlich nicht zu sagen. Schule ist zwar eindeutig super, aber die Frage nervt ihn allmählich doch sehr. Er fragt ja auch nicht jeden Erwachsenen bei jedem Treffen, wie es im Job so ist.

Die Söhne lernen hier also sehr früh, dass “Jo” eine sowohl zureichende als auch universal brauchbare Antwort ist. Das ist pädagogisch sicher nicht verkehrt.

 

Beim Herumschieben der Möbel

Mir geht es mit dem Blog fast schon wie Isa, was angesichts unserer Projektpartnerschaft kein Zufall ist, aber auch noch mit weiteren Gründen erklärt werden kann. Zum Beispiel damit, dass die Herzdame und ich zum Jahreswechsel angefangen haben, Möbel umzusortieren, ich berichtete hier. Und das hat immer noch nicht aufgehört. Es wird auch so leicht nicht aufhören. Da wir offensichtlich keine größere Wohnung finden können, die für uns auch nur halbwegs bezahlbar ist, müssen wir wohl an dieser Wohnung herumoptimieren, bis alles in der denkbar besten Weise genutzt wird. Das ist nicht so einfach.

Wir schieben also weiterhin Sachen durch die Gegend. Wir überlegen, was wo wie hineinpasst, was man nicht mehr braucht, was man wohin auslagern kann, was in welcher Farbe besser oder sogar größer aussieht, wie die Wohnung besser genutzt werden kann. Das ist ein ungeheuer ergiebiges Thema, damit kann man etliche Tage und Abende verbringen und nebenbei noch etwas über Mathematik nachdenken. Ja, Mathematik.

Etwa am Beispiel unseres Wohnzimmers. In dem stehen fünf Möbelstücke. Diese fünf Möbelstücke stehen an den fünf Standorten, die im Raum überhaupt für Möbel in Frage kommen, wenn man absurde Lösungen einmal ignoriert. Wenn man fünf Möbel auf fünf Plätze verteilt, dann hat man wie viele Möglichkeiten? Das sind 5! Was jetzt keine 5 mit einem Ausrufezeichen ist, sondern “Fünf Fakultät”, die mathematische Schreibweise für die erstaunliche Lösungsvielfalt von 5x4x3x2x1. So viele Möglichkeiten gibt es nämlich tatsächlich, das sind also 120. Erstaunlich, nicht wahr? 120 Möglichkeiten? Wenn man im Wohnzimmer vor den Möbeln steht und sich umsieht, was wie wo hinpassen könnte, dann kommt man zunächst nicht auf so eine hohe Zahl. Man denkt eher an zehn Möglichkeiten, vielleicht an fünfzehn. Wenn man aber darüber nachdenkt, wird es mathematisch schnell klar. Man hat für den ersten Platz fünf Möglichkeiten, für den zweiten vier, für den dritten drei und immer so weiter und wieder von vorne, mit dem zweiten Möbel auf Platz eins. Aber wenn man nicht nachdenkt, sondern nur kurz hinfühlt, dann liegt man völlig falsch.

Wir wollen aber keine Möglichkeit auslassen, also denken wir zumindest etwas intensiver nach, wenn auch sicher nicht bis zur vollen Zahl aller Möglichkeiten. Am Grundproblem, dass es nur ein Kinderzimmer gibt, ändert sich ohnehin nichts, da ist nichts zu machen. Aber sonst – wir spielen jetzt Möbelschach auf der vollen Grundfläche. Verloren hat dabei, wer keinen Platz für seinen Schreibtisch mehr hat.

Mein Schreibtisch steht jetzt plötzlich im Schlafzimmer, so dass ich zum ersten Mal seit Jahren etwas schreiben kann und dabei Tageslicht sehe. An meinem alten Platz im Flur, da gab es kein Fenster.Ich hatte ja nichts! Nicht einmal Licht. Aber egal, so sind in den  letzten Jahre alle Texte hier entstanden, gebloggt aus fensterloser Ecke, wer weiß, was das alles erklärt.

Jetzt steht mein Schreibtisch im Schlafzimmer, direkt neben dem Bett. Wenn ich den Arm ausstrecke, kann ich das Bett sogar fühlen, so dicht steht es. Ich kann, noch während ich mit der rechten Hand weitertippe, mit der linken Hand ganz nebenbei ertasten, wie weich das Bett ist, wie warm, wie einladend. Wenn ich mich ganz leicht mit dem Oberkörper nach links kippen lasse

[…]

Wo war ich? Es ist jetzt jedenfalls ein ausgesprochen nickerchenfreundlicher Arbeitsplatz, das kann man nicht anders sagen. Ich muss mich hier erst ein wenig eingrooven, glaube ich. Und dann gibt es auch wieder mehr Texte.

 

Ein Update bei „Was machen die da“

Wir haben ein neues Interview online, es geht um Equality Dancing und nein, den Begriff kannte ich bis vor ein paar Wochen auch nicht. Das ist aber eine interessante Sache, da kann man etwas über Normalität nachdenken und was warum getrennt wird und was nicht, das ist und bleibt ein spannendes Thema.

Und es gibt heute nicht nur ein Update, es gibt auch noch eine kleine Neuerung bei „Was machen die da“ – nämlich einen Spendenbutton unter den Artikeln. Wir freuen uns über jeden Betrag, versteht sich. Herzlichen Dank und viel Spaß bei der Lektüre – zum neuen Interview hier entlang.

Die Beine von Tanzenden