Kurz und klein

 

Zwischendurch ein Dank …

… an Frau A.H., für das äußerst nette Kompliment an mich und für die Geschenke, die sie den Söhnen vom Wunschzettel ausgesucht hat. Die Geschenke werde ich jetzt leider aus naheliegenden Gründen nicht mehr explizit benennen können – es ist immerhin möglich, dass Sohn I das Blog liest. Und eine Überraschung soll es natürlich noch bleiben, was da geschickt wird.

Ganz herzlichen Dank!

Vitalisiert

Neulich habe ich eine Parfümerie betreten, da fühlte ich mich gerade frisch und im besten Alter. Wie man sich eben fühlt, wenn man einen Herbstspaziergang durch angenehm kühle Luft hinter sich hat. Vitalisiert nennt man das wohl, und das Wort passt auch schön zum Sprachgebrauch in diesen Geschäften. So vitalisiert war ich, dass ich Lust bekam, mal wieder mein Rasierwasser zu wechseln. Was man eben so tut, wenn gerade kein Baum zum Ausreißen herumsteht.

Ich fragte eine junge Verkäuferin nach den Düften eines bestimmten Herstellers. Ich erinnerte mich dunkel an etwas, das ich früher von dem genommen hatte. Sie zeigte mir die Flakons,  aber die sahen falsch aus. Das Design war wohl verändert worden. Ich fragte, ob die Flaschen früher anders gewesen seien? Die Verkäuferin guckte irritiert und fragte, wann denn genau. Ich überlegte. Ich überlegte sogar ziemlich lange und fing schließlich an zu rechnen. Wann hatte ich das Zeug eigentlich genommen? Welche Lebensphase war das denn bloß? Ich versuchte mich an die Umstände und Badezimmerregale zu erinnern, ich zählte Jahre ab, das war gar nicht so einfach. Die Verkäuferin sah mich an, für ihr Alter war sie bemerkenswert geduldig. “Nun”, sagte ich, “es kann fünfzehn Jahre her sein.”

Die Verkäuferin lächelte. Sie stand seit etwa einem Jahr im Berufsleben, vor fünfzehn Jahren hat sie noch Kuchen aus Sand auf dem Spielplatz gebacken. “Wir können die Dame an der Kasse fragen”, sagte sie, “die geht bald in Rente. Vielleicht weiß sie noch was von früher.” Und die Dame an der Kasse sah mich über ihre Lesebrille hinweg verständnisvoll an. Ich verließ den Laden als Senior, der mit einer Ruhestandskandidatin ein nettes Gespräch über damals geführt hat.

Manchmal reicht ein kurzer Dialog, um so schnell zu altern, dass es sich anfühlt wie im Zeitraffer.

(Dieser Text erschien als Kolumne in den Lübecker Nachrichten und in der Ostsee-Zeitung)

Ein Update bei „Was machen die da“

Wir haben eine Premiere. Das ist natürlich leicht, bei einem so jungen Format, wir haben eigentlich dauernd Premieren. Manche fallen mehr, manche fallen weniger auf. Diesmal sind wir jedenfalls zum ersten Mal beim Interview gegangen. Und gleich quer durch die Stadt, vom Rathausmarkt zur Hafencity, durch Betonelend und über historische Plätze und große Straßen.

Wir haben Hendrik Neubauer getroffen, er ist Moderator in der Stadtplanung. Und was er da so macht, das erklärt er hier und das ging natürlich nur unter freiem Himmel.

Handelskammer Hamburg

November/Dezember

Ich habe neulich beim Lesen der Novembergedichtsammlung von Reclam gedacht, dass es doch schade ist, wie wenig man von den Jahreszeiten mitbekommt, wenn man mitten in der Millionenstadt wohnt. Schon das herbstliche Ziehen der Vögel merken wir kaum, hier sammeln sich keine Schwärme, das machen sie irgendwo da draußen. In Pinneberg oder so, was weiß ich. Stadttauben fliegen eben nicht nach Afrika, Stadttauben fliegen aufs nächste Dach oder in den nächsten U-Bahnschacht. In der Innenstadt stehen auch kaum Bäume, da leuchtet also kein Herbstlaub weit und breit und wenn das Straßenbegleitgrün kahl ist, fällt das gar nicht weiter auf. Und gerade die Stille, die man sich zum Finale des Herbstes im November doch geradezu zwingend hinzudenken muss, damit das alles vernünftig auf uns einwirken kann, sie findet hier nicht statt.

Manchmal wäre ich gerne öfter auf dem Land, nur zu Besuch, versteht sich, um so etwas genauer mitbekommen zu könnnen. Und auch, um es den Kindern zu zeigen, wie das alles eigentlich gehört. Gerade nach dem vollkommen schneelosen letzten Winter weiß doch zumindest Sohn II überhaupt nicht mehr, wie die Jahreszeiten gemeint sind. Aber dann gibt es Momente in der Stadt, da geht es doch, da sieht man den Kalender ganz deutlich vor dem Fenster. Ein Abend Ende November, der Dezember rückt mit Macht heran und wir haben beide Monate in einem Moment gesehen, ganz genau sogar. Und das kam so:

Wenn die Herzdame ausgeht, schlafen die Söhne und ich im Wohnzimmer. Eine Tradition, deren Ursprung ich schon gar nicht mehr weiß, aber wann immer sie zum Tanzen oder sonst wohin geht, bauen wir uns ein Lager auf dem großen Sofa, auf dem man sehr bequem zu dritt liegen kann, und schlafen dort. Da reden wir dann abends noch etwas länger als sonst, und sehen gemeinsam raus, denn vom Wohnzimmer aus hat man Ausblick, richtig guten Ausblick. Über den Spielplatz hinweg auf die alte Kirche, deren Turm nachts angeleuchtet ist und sich würdevoll über die Altbauten daneben erhebt. Das ist wirklich ein ziemlich schönes Stück Stadt, ein Bilderbuchausschnitt. Man kann zusehen, wie in den Häusern um den Spielplatz herum die Lichter an- und ausgehen, man sieht Menschen an Fenstern stehen oder auf Balkone treten, um zu rauchen. Und neuerdings sieht man auch Vögel.

Da denkt man erst, man guckt nicht richtig, weil man sie nur als wilde Schattenfetzen wahrnimmt, aber nach einer Weile erkennt man es dann doch. Da fliegen Vögel vor dem Fenster herum, noch Stunden nach Sonnenuntergang. Krähen sind das, die auf der großen Eiche schlafen, die mitten auf dem Spielplatz steht. Eine Großfamilie von Krähen, um die fünfzig vielleicht. Sie sitzen in der Eiche, wippen auf den dünnen Zweigen und man wundert sich, warum sie nicht auf den dicken Ästen sitzen, das müsste doch viel bequemer sein? Sie sitzen und wippen lieber auf dürren Zweigen im Wind und wenn in den Häusern ringsum eine Tür zuknallt, dann fliegen sie alle auf. Fliegen auf und drehen eine schnelle Runde um den Kirchturm und um den Block, flattern lautlos durch die Nacht, zwei Runden, drei Runden bevor sie wieder landen. Sie krächzen nicht, sie schlagen nicht laut mit den Flügeln, sie huschen sehr schnell vorm Fenster vorbei wie Novembergespenster. Wenn man die dunkle Bewegung am Rande des Blickfelds wahrnimmt, sind sie auch schon wieder weg.

Der Himmel ist leer, dann ziehen fünfzig Schatten vorbei, eine schwarze Wolke senkt sich auf die Eiche. Ganz selten ein leises Krächzen, als hätten sie Ruhezeit und würden jetzt nur noch das Notwendigste sagen. Tagsüber krächzen sie unentwegt, nachts schweigen sie sich an, eine eingeschworene Gemeinschaft, eine verdächtige Bande. Da, wo heute der Spielplatz ist, war früher ein Friedhof, es gibt Details, die man gerade im November erwähnen muss.

Ich liege mit den Söhnen im Dunkeln auf dem Sofa und beobachte die Vögel. Wenn man geduldig wartet und genau aufpasst, sieht man sie deutlich vor dem Himmel, und da fällt Sohn I zum ersten Mal auf: Hier wird es gar nicht richtig dunkel. Der Himmel ist grau, nicht schwarz, und es ist nicht einmal ein sehr dunkles Grau, es ist ein helles Grau mit einem Stich ins Gelbe, es ist ein Nachthimmel über der großen Stadt. Schmutziggelb, diesig und unklar. Keine Sterne über Hamburg, fast nie, schon gar nicht im November. Aus den Fenstern ringsum das goldene Licht der Wohnzimmerlampen, dazu weißes Licht der Autoscheinwerfer, die lange Spuren durch die Nacht ziehen, rot blinkende Flugzeuge ziehen darüber hin. Wir sehen uns all die Lichter an, die dem Schwarz keine Chance lassen. Nachtschwarz sind hier nur die Krähen, die Novembervögel, die unruhige Truppe, die beim leisesten Geräusch auffliegt, obwohl die Vögel all die Geräusche der Menschen doch längst kennen müssen. Immer noch eine Runde um den Kirchturm, als gelte es, noch schnell ein wenig zu spuken, schwarzes Flügelvolk vor düsterem Backsteingemäuer. Wenn man vor der Kirche steht und hochsieht, genau diesen Anblick kennt man aus Gruselfilmen, es fehlt nur noch ein voller Mond mit ein paar dekorativ vorbeijagenden Wolkenfetzen davor.

Die Söhne und ich lauschen, es ist auch nicht still. Da fahren Autos durch die Stadt. Einige hört man ganz deutlich heraus, einige fahren an unserem Haus vorbei, der weiter entfernte Verkehr summt unentwegt um uns herum, das hört nie auf. Da hinten spielt Musik, irgendwo muss eine richtig große Party sein. Autotüren klappen, Hunde bellen, jemand ruft irgendwas, man versteht es nicht. Jemand ruft jemandem etwas hinterher, eine Frage vielleicht, eine Unfreundlichkeit, ein Gruß. Schritte auf dem Fußweg, die Leute gehen schnell, es ist kalt da draußen, der Frost ist hinter den Leuten her. Dann fährt ein Auto weg. Die Vögel kreisen schon wieder, das Grau des Himmels schwarz durchflockt, all die Geräusche ringsum etwas gedämpft in dicker Großstadtluft. Das ist November in Hamburg. Die Vögel kreisen und kreisen und durch die Schar hindurch sieht man, dass seit heute im oberen Kirchturmfenster wieder der große Stern leuchtet, wie in jedem Jahr. Der leuchtet da bis nach Weihnachten, ich weiß gar nicht, wie lange, das folgt bestimmt irgendeiner christlichen Regel, die ich wieder nicht kenne. Der Stern sieht jetzt aus, als würde er blinken, das liegt aber nur daran, dass die Krähen immer wieder daran vorbeiflattern. Der Stern blinkt den Dezember heran, mit noch mehr Licht in der Stadt und einem großen Themenwechsel, und Sohn II stellt ganz richtig fest: “Da hängt schon Weihnachten im Turm.”

Und in der nächsten Woche steht jetzt ein Schneeflöckchen im Wetterbericht. Wenn es tatsächlich fällt, muss es vielleicht für die Naturbeobachtung im Dezember reichen. Ich werde berichten.

 

Zwischendurch ein Dank…

… an den komplett unbekannt gebliebenen Menschen, der den Jungs die Adventskalender-CD von den Drei Fragezeichen geschickt hat. Zumindest für Sohn I ist Rocky Beach sowieso gerade quasi die zweite Heimat, bei Sohn II steigt das Interesse auch langsam, das passt sehr gut. Vielen Dank!

Gelesen, vorgelesen, gesehen, gespielt und gehört im November

Ilse Helbich: Vineta.

Vineta

Die Dame kam nun schon mehrfach vor, die muss ich wohl nicht mehr vorstellen. Dies sind ihre Jugenderinnerungen. Nicht stringent erzählt, eher Erinnerungsfetzen, heranwehende Bilder von Menschen, Situationen und Gegenständen aus einer gründlich vergangenen Zeit.

Meir Shalev: Fontanelle.

Fontanelle

Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama. Eine Familiensaga aus Israel, erzählt von einem Mann, dessen Fontanelle sich nie geschlossen hat, weswegen er etwas mehr wissen und sehen kann als andere. Ich habe nach einem Drittel des Buches immer noch nicht verstanden, was dieser halbphantastische Kniff mit der Fontanelle soll, ich rätsele auch an anderen erzählerischen Marotten herum und werde das vermutlich nicht durchlesen. Wobei die Figuren nicht uninteressant sind. Eventuell bin ich in einer ungnädigen Phase. Schlimm.

November – Gedichte. Ausgewählt von Evelyne Polt-Heinzl und Christiane Schmidjell.

Novembergedichte

Das habe ich gar nicht gewusst, dass es so ein kleines Reclam-TB mit einer Gedichtauswahl zu jedem Monat gibt. Das kostet nur 5 Euro und ich fand es sehr interessant, das habe ich tatsächlich gleich mehrfach gelesen. Das Büchlein passt in jede Anzugtasche, das kann man zwischendurch kurz herausnehmen und in der knackvollen S-Bahn zwischen Hauptbahnhof und Hammerbrook ein paar Strophen über menschenleere, neblige Wälder nachlesen, das ist wie einmal kurz den Kopf aus dem Fenster halten und draußen ist nichts als Natur, die sich korrekt und jahreszeitenkonform verhält. Das hat mir wirklich sehr gefallen und die anderen Monatsbände kaufe ich mir nach und nach auch. Der Dezember liegt schon bereit.

Passend wie kein anderes Gedicht angesichts des Wetters in den ersten Wochen des Novembers in diesem Jahr:

Sonne, was machst du?
Spät noch im Jahr
Äugelst und lachst du
Freundlich und klar.

Lockest die Bienen
Wieder nach Seim,
Weckest den grünen
Schlafenden Keim.

[…]

Seim, so ein hübsches Wort, fast ausgestorben, das lebt nur im geschützten Reservat der Feuilletons, wenn es süßliche Lyrik zu verreißen gilt und einem Dichter die Produktion von Seim oder Honigseim vorgeworfen wird. Das zitierte Gedicht ist von Martin Greif, den ich nicht kannte, wirklich nie gehört den Namen. Immer diese Bildungslücken, schlimm. Es scheint nichts mehr von ihm lieferbar zu sein, da muss ich doch glatt mal wieder in eine Bücherei gehen.

R C Sheriff: Septemberglück.

Septemberglücl

Das hat mir jemand, ich habe leider vergessen, wer es war, auf Facebook empfohlen. Ich kannte weder den Namen des Autors, noch hatte ich vom Buch je gehört, es ist auch gar nicht so einfach zu bekommen. Den Autor hätte ich allerdings gekannt haben können, wie ich jetzt weiß, so unbekannt ist er nicht. Das Buch selbst ist großartig, eine Freude. Da geht es um nichts Besonderes, man liest von einem bescheidenen Urlaub an der See in England, eine Vorortfamilie im jährlichen Ritual, alles ist wie immer. Die Kinder sind teils schon ziemlich groß und gehen in Berufe, man reist aber doch noch einmal zusammen, man tut das sogar gerne. Der Vater plant generalstabsmäßig das Packen der Koffer, die Mutter tut so, als würde sie sich über alles freuen, hat aber eigentlich Angst vor dem Meer und möchte nur bloß niemandem den Spaß verderben. Ein kleines, fragiles Glück, das hier ausgebreitet wird, man ahnt die Zerbrechlichkeit einer Familie, die entschlossen glücklich sein möchte. Ordinary life at it’s best, hier eine Rezension zum Buch (englischer Text). “All of human life is here in the seemingly simple description of the family’s annual holiday in Bognor.” Eines der besten Bücher in diesen Listen in diesem Jahr.

Arthur Schnitzler: Der Mörder – Eine Novelle. Als gemeinfreies Buch bei Sobooks gelesen, ich finde die Darstellung des Textes im Browser sehr angenehm, wobei ich mittlerweile sehr lange Texte doch wieder lieber auf Papier lese. Dies ist aber ein Kurztext. Schnitzler schreibt ein berauschend schönes Deutsch, man möchte schon den ersten Satz gleich mehrfach lesen, so prächtig steigt man da ein: “Ein junger Mann, Doktor beider Rechte, ohne seinen Beruf auszuüben, elternlos, in behaglichen Umständen lebend, als liebenswürdiger Gesellschafter wohl gelitten, stand nun seit mehr als einem Jahre in Beziehung zu einem Mädchen geringerer Abkunft, das, ohne Verwandtschaft gleich ihm, keinerlei Rücksichten auf die Meinung der Welt zu nehmen genötigt war.”

Da wird die Wanduhr langsamer, wenn man so etwas liest. Schön.

Vorgelesen

Hamburg. Ja, Hamburg, das klingt nur komisch, ist es aber gar nicht. Wenn man nämlich ein Kind hat, das gerade lesen lernt, dann liest man die Stadt. Die Werbung, die Schilder an den Gebäuden und Haltestellen, die Gedenktafeln, die Stolpersteine, die Kinoplakate, die Veranstaltungshinweise an Kirchen, die Ausstellungsplakate an Museen und immer so weiter. Die Stadt ist voll von Schrift, überall steht irgendwas. Und wenn man mit einem leselernenden Kind durch die Stadt geht, dann merkt man erst wieder, wie sterbenslangweilig oder rätselhaft das alles ist. Blöde Abkürzungen, die für Investementfonds werden, immer gleiche Verkehrsschilder, unauflösbare Anglizismen, seltsame Rechtschreibung. Warum steht da BackCafe? Wieso ist der Buchstabe da mittendrin groß? Ja, das möchte ich auch mal wissen. Was ist Debeka, was heißt Edeka, was ist eine AG? Haspa? Dr.? Wieso heißt ein Fitnessstudio “Body Street”? Wenn man es mit Kinderaugen sieht, ist die Stadt gar nicht so einfach zu lesen und Papa erklärt und erklärt und erklärt. Und denkt sich insgeheim, dass es für Leseanfänger auch ganz nett wäre, wenn irgendein Restaurant noch “Zum goldenen Ochsen” heißen würde, mit entsprechendem Bild dabei. Aber tempi passati, heute muss ich “Hollywood Canteen” erklären. Es ist wirklich kompliziert.

Gesehen

Akram und die Mauer im Meer” ist ein Kurzfilm über einen Jungen aus dem Gaza-Streifen, der die Schule verlassen hat, weil er Fischer werden musste, um die Familie zu ernähren. Das habe ich mit den Söhnen gesehen, die, ich weiß gar nicht mehr warum, etwas über Gaza wissen wollten, über den Krieg dort. Der Film war ein Zufallsfund, aber ein guter. Hier kann man ihn ansehen (sorry, Link kaputt). Auch die anderen dort verlinkten Filme aus der Reihe “Schau in meine Welt” sind sehenswert.

Hogi. Da mir das Kinderfilmangebot bei Watchever nicht mehr richtig zusagte und ich selbst da fast nie etwas gesehen habe, habe ich das wieder gekündigt und probeweise Kixi auf dem iPad installiert. Das ist eine App nur für Kinderfilme und -serien, ich bin noch gar nicht dazu gekommen, mir das Angebot wirklich näher anzusehen. Immerhin aber habe ich mit den Söhnen schon einmal Hogi gesehen, das ist ein Naturfilm über einen Igel, von der Geburt an bis zum Winterschlaf im Haus einer Igelschützerin. Schön gefilmt, Aufnahmen aus Igelhöhlen sieht man ja nicht jeden Tag. Leider wird der Begleittext etwas kinderfilmtypisch dümmlich gesprochen, aber das stört natürlich immer nur Erwachsene, nicht die Kinder. Immerhin die Erkenntnis: Naturfilme finden die Söhne super, es gibt jetzt also mehr davon.

Gespielt

Nichts, glaube ich. Die Söhne haben Lego wiederentdeckt, das läuft alles von selbst. Auch mal schön. Ab und zu bewundere ich die Konstruktionen, das reicht vollkommen aus.

Lego

Gehört

Renato Carosone. Den kennt man noch am ehesten durch dieses Stück, das kürzlich durch eine Coverversion wiederbelebt wurde. Der hat aber noch viel, viel mehr produziert, in so einem lässig-vergnügten Swingstil, das ist wirklich Musik, die aufhellt. Auf Spotify findet man viel von ihm. Wenn man Renato Carosone über Kopfhörer abspielt und dabei durch Hamburg im November geht, dann sieht alles plötzlich so aus, als könnte die Geschichte gleich lustiger werden. Vielleicht fängt die junge Frau, die da gelangweilt im Geschäft steht, plötzlich an zu tanzen? Vielleicht küssen sich die beiden doch noch, die da ohne Blickkontakt im Bus sitzen, aber nur drei Zentimeter Abstand zwischen ihren Händen haben? Na, vielleicht beim nächsten Lied. Muss doch irgendwann.

 

Kurz und klein

 

Szenen aus Sankt Georg (4) Dein Wille geschehe

Wir wohnen neben einer Kirche und vor der Kirche ist ein Platz, auf dem eine bronzene Kreuzigungsgruppe unter freiem Himmel steht. Früher war sie einmal die letzte Station eines Kreuzweges vom früheren Dom aus, den gibt es schon lange nicht mehr. Die Figuren sind nicht mehr original, aber es sind Nachgüsse eines der ältesten Kunstwerke Hamburgs, sagt zumindest die Wikipedia. Die Figuren von Jesus am Kreuz, von den beiden Trauernden Maria und Johannes und den anderen Gekreuzigten, sie stehen auf hohen Granitblöcken, und die sind tatsächlich noch aus dem Mittelalter.

Vor der Kreuzigungsgruppe steht eine steinerne Bank. Auf der sitzen oft Touristen, die dort gerade stranden, weil sie orientierungslos zwischen Hauptbahnhof, Lange Reihe und Alster nicht mehr weiter wissen und dann eben zum schönen Kirchturm gehen und sich erst einmal hinsetzen. Was man so macht, als Tourist. Sie sitzen dann auf der Bank und essen Fastfood, machen Fotos oder suchen im Reiseführer, was es nun mit dem Kunstwerk da vor ihnen auf sich hat und ob die Kirche irgendwie wichtig ist, ob man die am Ende sogar kennen muss? Ratloses Geblätter, die Kirche kommt längst nicht in jedem Reiseführer vor. Kinder versuchen, an der Kreuzigungsgruppe hochzuklettern. Einige Eltern untersagen es sofort, einige sehen dem gelassen zu. Kleine Kletterkönige legen nach dem Aufstieg den Arm um Jesus und winken in die Kamera.

Manchmal sitzen dort auch Gläubige, manchmal knien sie sogar. Gucken hoch, ernst und lange, die Hände gefaltet. Alte Menschen sind das oft, die da sitzen und beten und den Jesus schweigend ansehen. Der guckt leidend in den Himmel, sie sehen nachdenklich zu ihm. Neben der Steinbank stehen leere Flaschen, weil abends oder nachts jemand dort noch den letzten Schluck genommen hat. Mittags liegen manchmal schlafende Menschen auf der Bank, besonders wenn die Sonne scheint. Das sind manchmal Obdachlose, manchmal aber auch Menschen aus den Büros ringsum, die in der Mittagspause ein Nickerchen machen. Die Bank ist gut besucht.

Ich gehe am Nachmittag dort vorbei, eine junge Frau sitzt auf der Bank. Der Oberkörper schaukelt etwas hin und her, da sieht man schon von weitem, dass sie nicht nüchtern ist. Wenn man näher kommt, hört man ihre Stimme, die verrutschten Konsonanten, die breiigen Vokale, sie klingt wirklich sehr betrunken. Sie sitzt und schaukelt und gestikuliert, während sie mit dem Jesus da oben spricht. Ein friedliches Gespräch ist das aber nicht, es klingt eher nach einer Beziehungskrise – und zwar einer fortgeschrittenen. Sie spricht mit einem deutlichen, sofort zu erkennenden osteuropäischen Akzent. Sie kneift die Augen zusammen, um die Figuren da auf den Granitsteinen besser fixieren zu können, was wohl gar nicht so einfach ist, zumindest schüttelt sie immer wieder wild den Kopf, dass die Haare fliegen, und orientiert sich dann ganz neu. Der Jesus rutscht aber nach einer Weile immer wieder aus ihrem Blick.

“Dein Wille geschehe” ruft sie nach oben und nickt heftig, “Dein Wille geschehe!” Es ist eher ein Befehl als eine Fügung in ein Schicksal, es ist mehr der Tonfall von “Kommst du jetzt nach Hause!” als “In Deine Hände befehle ich meinen Geist” oder dergleichen. Sie ruft das noch einmal und noch lauter, “Dein Wille geschehe!” und dann guckt sie gebannt hin, ob sich da oben etwas rührt. “Jetzt!” ruft sie noch hinterher, dann schweigt sie aber und wartet. Sie erhebt sich sogar ein klein wenig, um näher an dem Angesprochenen zu sein und ihn besser sehen zu können. Das lässt sie dann aber wieder sein, die Welt schwankt doch zu sehr, sie sucht mit beiden Händen tastend Halt. Guckt auf den Boden und atmet durch, hebt dann wieder den Kopf. Sie sitzt und guckt. Sie starrt ihn an, ihn, der sich weiter nicht rührt und immer gleich leidend zum Himmel sieht, über sie hinweg. Zwischendurch dreht sie sich um und folgt seinem Blick, was ist da eigentlich, wo er die ganze Zeit hinsieht? Nichts. Grauer Novemberhimmel über Häusern. Sie dreht sich wieder um und starrt ihn an. Minutenlang sitzt sie so.

Dann atmet sie tief durch und schüttelt den Kopf, vermutlich findet sie, dass die Gesprächspause jetzt unangemessen lang wird. “Ja, was jetzt!” brüllt sie und ist wirklich wütend, dass das nichts kommt. Sie ist außer sich, und wenn sie auch traurig ist, dann sieht und hört man davon nichts, gar nichts. Sauer ist sie, sauer und empört, und so nah an einer Kirche könnte man sogar von flammendem Zorn sprechen.

Denn sein Wille scheint zu sein, dass nichts geschieht. Auch wenn sie den Atem anhält und sich nicht bewegt und ihn einfach nur ansieht und ganz genau hinhört, ihm ganz und gar zugewandt – da kommt nichts. Ist es zu fassen? So geht es ja nun nicht. Sie schüttelt den Kopf, wie man bei einem Streit den Kopf schüttelt, wenn man nicht mehr daran glaubt, dass all die Debatten jemals zu etwas führen können. Sie schüttelt den Kopf, wie man in Beziehungen nach einem langen Streit den Kopf schüttelt, bevor man das Licht ausmacht und unversöhnt einschläft, sie schüttelt den Kopf wie eine Mutter, die das heillos verzogene und bockige Kind doch wieder ohne Abendbrot ins Bett schickt. Sie hat es immer geahnt, das sieht man an diesem Kopfschütteln, dass da nichts kommt. War ja klar.

Sie schüttelt den Kopf aber auch wie jemand, der zu betrunken ist, um sich am nächsten Tag auch nur ansatzweise an die Szene zu erinnern. Sie wird schon Mühe genug haben, nach Hause zu finden. Sie wird am nächsten Tag in keinem guten Zustand aufwachen und nicht mehr viel vom letzten Tag abrufen können. Doch, dass dies so geschehen wird, darauf kann man wetten. Ob das aber sein Wille ist, die Frage kann man den Gläubigen überlassen.