Schwarze Spaghetti mit frischen Tomaten

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Als ich die Herzdame kennenlernte, hatte ich eine Wohnung mit völlig unbenutzter Küche. Da stand ein blitzblanker Herd, den hatte ich noch nie angemacht. Das war natürlich eine sehr saubere Küche, wenn auch nicht besonders einladend. Kochen konnte ich überhaupt nicht. Im Nachhinein ist es mir gar nicht mehr verständlich, wie ich aufwachsen konnte, ohne von all dem Kochen um mich herum etwas mitzubekommen. Ich saß doch dauernd zwischen kochenden oder backenden Müttern, Großmüttern, Tanten und Großtanten, ich verstehe es wirklich nicht. Aber, warum auch immer, es kam nichts bei mir an, gar nichts. Ich erinnere mich an die kochenden Frauen, die Fische zerlegten, Fleisch wolften, Sahnetorten türmten, ganze Schinken anschnitten oder Äpfel zu Kompott verarbeiteten, damals kochten die Frauen jeden Tag und stundenlang und immer für viele. Wobei die Generationen sich nicht immer ganz einig waren, wie das mit dem Kochen zu gehen hatte. Meine Großmutter schreckte, ganz Kriegsgeneration, vor keinem noch so verdorbenen Lebensmittel zurück und versuchte des öfteren, uns Fleisch unterzujubeln, das wir schon für die Hunde rausgelegt hatten, oder verschimmeltes Brot und andere Schrecknisse. Da war man etwas auf Abwehrkurs und sah lieber einmal mehr nach, was da genau in der Suppe schwamm. Andererseits aber hatte sie einen Kenntnisvorsprung vor den jüngeren Frauen, den sie konnte noch alles fachgerecht verabeiten, was auch nur ansatzweise essbar war. Sie konnte kompetent mit ganzen Schweinen umgehen, Karpfen erlegen oder andere Fische räuchern, sie wusste, was mit Holunderbeeren zu tun war und wann was im Garten zu säen war usw. – sie war durch und durch küchenkompetent. Meine Mutter konnte vermutlich nicht mehr ganz so viel wie sie, das weiß ich gar nicht genau, es wäre aber logisch. Sie hat schließlich keine Schweine mehr im Hinterhof gehalten und keine Hühner für den Eigenbedarf gehabt, da werden schon ein paar Kenntnisse gefehlt haben.

Es gab aber damals noch eine klassische Auswahl an Gerichten nach familiären und/oder regionalen Rezepten. Die Rinderrouladen schmeckten, wie sie eben gehörten, die Kohlrouladen auch. Die Fliederbeersuppe war bei Oma wie bei Muttern, und meine Cousinen werden sie auch nicht anders gekannt haben. Wenn man zum Essen bei Verwandten war, dann war das weitgehend überraschungsfrei. Es sei denn, man fuhr zur Verwandtschaft im Rheinland, da war alles anders.

Heute versuche ich in langen Versuchsreihen, mir die Gerichte von damals wieder zu erschaffen. Bei manchen, wie etwa beim Rhabarberkompott, ist es mir bis heute nicht ganz gelungen, bei anderen, wie etwa bei den Rouladen, habe ich es in immer wieder neuen Anläufen erfolgreich hingetrickst. Das wird sicher nicht das Originalrezept sein, aber es ist im Geschmack sehr, sehr ähnlich, das reicht mir. Denn im Grunde war es doch eine Dummheit, das Kochen nicht zu erlernen, es war ein Stück Heimat- und Traditionsverzicht, ein Aufgeben von Verwurzelung – und es war nur eine ganz kurze Zeit lang eine ziemlich coole Sache, nur auswärts oder Tiefkühlpizzen zu essen.

Ich habe gerade zwei Interviews mit Michael Pollan gelesen, hier in der taz und hier in der FAZ und es kommt mir ziemlich richtig vor, was er da sagt. Das sind auch die Gründe, warum ich immer öfter mit den Söhnen in der Küche stehe und warum ich ihnen jetzt schon beibringe, was da zu tun ist. Das macht ihnen auch Spaß, das ist recht einfach, das bedarf keiner großen Überredungskunst.

Ich habe es aber eine Weile lang als zusätzlichen Stress betrachtet, auch in der Küche noch etwas leisten zu müssen, womöglich noch mit Foodblog-Output und schicken Bildern, das war erst einmal nur ein weiteres Projekt für mich. Jetzt betrachte ich es allmählich eher als Freizeit, das ist in etwa so, als würde man das ganze Kochen durch einen anderen Filter betrachten. Ich muss es mir immer wieder klar machen: das ist nicht nur irgendein weiteres To-Do vor der entspannten Zeit, nein, das ist die entspannte Zeit. Es geht mir also nicht mehr um Arbeit, nicht darum, etwas zu schaffen und zu leisten. Menschen, die tendenziell zum Workaholic neigen, also Menschen wie ich, haben da offensichtlich ein besonderes Wahrnehmungsproblem. Für mich ist auch “Zeit zur freien Verfügung” noch ein Projekt, das kann ich schwer abstellen. Aber es gibt eben Aufgaben, bei denen man sich dringend klar machen muss, dass sie keine Aufgaben sind. Sondern Freizeit oder genau das, was man heute immer Quality Time nennt, diese Stunden mit der Familie, von denen jetzt alle reden. Es geht darum, mit den Kindern zusammen zu sein, zu reden und nebenbei Gemüse zu schnippeln. Es geht nicht darum, das schnell hinter sich zu bringen, es geht darum, Spaß in der Küche zu haben und auch darum, Traditionen zu erschaffen. Der Punkt wird mir tatsächlich immer wichtiger, den habe ich früher nie bedacht.

Ich habe gestern Weißkohl angebraten und mit viel Kümmel weiter gedünstet, das roch sofort nach Lübeck und Kindheit und Winter und ich würde mich freuen, wenn das auch für meine Söhne irgendwann ein Duft wird, der positiv besetzt ist und etwas mit der Familie zu tun hat.

Das ist alles sicher fürchterlich banal, aber man muss eben erst selbst darauf kommen, um es auch anwenden zu können, denke ich, das theoretische Wissen reicht nicht. Das ist auch einer der Gründe, warum meine Kochbuchsammlung immer noch weiter wächst, auch wenn man in Kochbüchern natürlich nicht die eigene Vergangenheit finden kann. Man findet aber doch immer wieder Ideen, die im eigenen Haushalt zur Tradition werden können. Manchmal ist das aus einem Buch nur ein einziges Rezept, das auf dem Küchenplan bleibt, aber das hat sich dann schon gelohnt. Und das ziellose Blättern in Kochbüchern, in der nur vagen Annahme, man könnte zufällig auf irgendetwas Lust bekommen, das man irgendwann einmal machen könnte, das gehört zu den wenigen Sachen, die ich wirklich entspannend finde.

Neu an Bord, wegen des Titels kam ich überhaupt erst auf den Text hier, ist hier jedenfalls Yvette van Bovens “Home made – natürlich hausgemacht” mit Bildern von Oof Verschuren, übersetzt von Linda Marie Schulhof, aus dem Dumont-Verlag.

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Da sind einige verlockende Rezepte drin, die ganz prächtig in die Reihe “Die Herzdame backt” passen werden, da sind aber auch eine Menge Brote drin, selbstgemachte Liköre, eingemachte Gemüse, selbstgemachter Käse und Senf und dergleichen, das sieht viel nach Spaß aus und nach der Möglichkeit, ein paar grundsätzliche Fertigkeiten zu lernen.Ich habe aber erst einmal gemacht, was ich bei neuen Kochbüchern häufig und gerne mache, ich habe mit dem allersimpelsten Rezept angefangen. Also so ein Abendessen, das in 15 Minuten auf dem Tisch steht.

Schwarze Spaghetti mit frischen Tomaten

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Dazu zerlegt man 6 Tomaten mit etwas Zitronensaft und Zitronenschale, einer bis zwei durchgepressten Knoblauchzehen und evtl. einer Chilischote im Mixer. Wer Kinder hat, lässt sie bitte den Knopf drücken, denn kaum etwas befriedigt sie mehr, als Gemüse zu atomisieren. Salz und Pfeffer dazu. Nebenbei schwarze Spaghetti kochen.

Zwei weitere Tomaten vierteln, Kerne entfernen (steht im Buch, mache ich nicht, so weit kommt’s noch, viel zu fummelig). Tomatenwürfel unter die Sauce rühren, zack, Sauce fertig. Ja, die soll kalt sein, das gehört so.

Dann etwa ein halbes Bund Basilikum mit 100 ml Olivenöl, Pfeffer und Salz pürieren. Das ist übrigens eine sehr gute Idee, warum bin ich da noch nie drauf gekommen? Seltsam. Schwarze Spaghetti auf Tellern anrichten, mit zerpflücktem Mozzarella bestreuen und noch das Basilikumöl darübergeben. Sofort und dringend servieren, sonst werden die Nudeln kalt wie die Sauce. Das ist sehr, sehr gutes Essen, schnell und stressfrei. Das kann man auch gut für Gäste machen, das sieht nach etwas aus und macht keine Arbeit, das ist ja immer gut und erstrebenswert. Das kommt hier auf die Liste der immer anwendbaren Nudelgerichte, von denen man eh nie genug haben kann.

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Und zu den Rezepten, die das Selbermachen mehr betonen, zu denen kommen wir dann natürlich auch noch. Demnächst.

 

 

Das Dienstags-Update bei „Was machen die da“

Bei „Was machen die da“ haben Isa und ich heute das Porträt einer Dame, deren Nachname so dermaßen gut zu unseren passt, man möchte sofort ein Messingschild in Auftrag geben: „Billerbeck, Bogdan und Buddenbohm“. Klingt das nicht fein, seriös und vertrauenswürdig? Möchte man da nicht sofort irgendwas notariell beglaubigen lassen?

Klappt aber nicht, die Dame ist Gitarristin. Das ist natürlich auch interessant, versteht sich.  Bitte hier entlang.

Eine Gitarre

Demnächst in diesem Theater

Es kommt immer wieder vor, dass Kinder plötzlich irgend etwas können oder wissen, von dem man keine Ahnung hatte, dass sie es können. Man hat einfach den Punkt verpasst, obwohl man doch jeden Tag zusammen ist, obwohl man jeden Tag über alles Mögliche spricht, sich austauscht und sich gegenseitig beobachtet. Vielleicht ist man betriebsblind. Es gab vielleicht auch gar keinen sanften Übergang von einem Zustand zum anderen, es gab vielleicht eher einen Sprung, einen Effekt, als hätte jemand einen Schalter umgelegt. Das Kind kann plötzlich etwas und man guckt entgeistert. Das ging mir damals so, als Sohn II irgendwann eine Frage von mir im ganzen Satz beantwortete und ich mich konsterniert fragte, seit wann das Kind eigentlich anständig spricht. Hatte er nicht gestern noch “Dada” oder so etwas gesagt? Das ging mir auch so, als Sohn I plötzlich Schleifen binden konnte oder als Sohn II auf einmal bis hundert zählte. Man kann noch so eng mit jemandem zusammen sein, es gibt dennoch Überraschungen. Und manchmal fallen die Überraschungen etwas größer aus.

Sohn I, der jetzt recht zügig Lesen und Schreiben lernt, hat neulich den ersten Blogartikel hier selbst gelesen, das war eine besondere Premiere für mich. Das wird natürlich auch Folgen für mein Schreiben haben, dass er jetzt manchmal mitliest, das habe ich schon seit einer Weile erwartet, das ist eingeplant. Da saß er jetzt also tatsächlich mit dem iPad auf dem Schoß im Bett und buchstabierte sich den Artikel über Hallamati 2014 selbst zusammen, sehr angetan davon, dass der Begriff in der Überschrift von ihm selbst war. Ich lag daneben, hörte ihm zu und war mir plötzlich nicht mehr ganz sicher, was er eigentlich über das Bloggen alles wusste, über dieses Blog im Besonderen, über die Sache mit dem Internet, den sozialen Netzwerken und das alles. Ich habe darüber vermutlich nie Vorträge gehalten, nur hin und wieder nebenbei etwas erklärt, wenn gerade die Sprache darauf kam, etwa bei Instagram, darüber schrieb ich schon einmal. Aber was für ein Gesamtbild hat das Kind eigentlich im Kopf? Weiß er überhaupt, was sein Vater da treibt, und wie genau weiß er das? Und versteht er es auch richtig? Er weiß natürlich ganz gut, dass unbekannte Leserinnen ab und zu Geschenke für die Söhne schicken – aber sonst? Fällt meine Tätigkeit nicht einfach unter “Papa schreibt irgendwo irgendwas”?

Ich: “Du liest da ja gerade einen Artikel aus dem Blog…”
Sohn I: “Ja, aus den Herzdamengeschichten, wo Mama die Herzdame ist und ich Sohn I und mein Bruder Sohn II. Das ist dein Blog, weiß ich doch. Das und dieses andere, wo du das mit den Interviews mit Isa hast. Mit den ganzen Terminen, wo auch der mit den Kiebitzen war.”
Ich: “Äh, ja.”
Sohn I: “Bei dem mit den Interviews würd ich ja gerne mal mitkommen. Ihr könntet in einer Schokoladenfabrik befragen, das würde ich gut finden.”
Ich: “Oh. Ja, das ist eine durchaus einleuchtende Idee.”
Sohn I: “Aber jetzt lese ich in den Herzdamengeschichten. Das mit Hallamati.”
Ich: “Eines Tages, mein Sohn, wird das alles…”
Sohn I: “Ich lerne ja jetzt Lesen und Schreiben, da könnte ich doch auch eine Kolumne fürs Blog schreiben? Ich kann z.B. Apps für Kinder und so etwas testen und wir nennen das dann “Elektrospielzeug”? Geht das?”

Er weiß, was eine Kolumne ist? Er hat eine gute Idee parat und auch noch einen griffigen Titel? Ich habe wahrscheinlich minutenlang mit offenem Mund neben dem Kind gesessen. Aber hier oben drüber steht “Buddenbohm & Söhne”, und das ist tatsächlich viel mehr Familienbetrieb, als es vielleicht den Anschein hat. Auf die eine oder andere Art haben die Söhne hier schon bei vielen Artikeln tatkräftig geholfen, etwa bei der ganzen Reihe “Hamburg mit Kindern”. Die Theaterrezension neulich zum kleinen Störtebeker hat die Meinungen von vier Personen gebündelt, da haben wir vor dem Erscheinen des Textes alle Aspekte gemeinsam in der Familienrunde verhandelt. Und nachdem die Herzdame mit der noch ziemlich neuen Reihe “Die Herzdame backt” gerade hier als Akteurin zugestiegen ist, freue ich mich natürlich auch über einen schreibenden Sohn. Einen Sohn, versteht sich, der noch keine ganzen Artikel selbst schreiben kann, er wurde gerade erst eingeschult. Aber er kann denken und diktieren und Sätze beginnen und wir werden das gemeinsam lösen, selbstverständlich doch, das fällt ja alles unter Medienerziehung. Ich wäre darauf nicht gekommen, aber wenn er das ausdrücklich möchte – dann machen wir das möglich. Ich habe als Kind im Handwerksbetrieb meines Vaters geholfen, er hilft mir jetzt in meinem kleinen Onlinebetrieb, das passt schon.

Wir sind uns noch nicht ganz sicher, mit welchem Autorennamen er hier publizieren wird, Sohn I wird es sicherlich nicht sein. Als Sohn I wird man beschrieben, als Sohn I schreibt man nicht, das sieht er auch so. Egal, das wird sich noch finden, vermutlich wird es der Spitzname, mit dem ihn seine Freunde anreden. Demnächst gibt es also in diesem Theater die neue Kolumne “Elektrospielzeug”, Sohn I schreibt über Spielzeug 2.0, vermutlich in höchst unregelmäßigen Abständen. Er ist ein Kind, er kennt sich aus mit Spielzeug, das fällt quasi unter Grundqualifikation. Seine Meinung könnte vielleicht für andere Kinder interessant sein. Oder auch für Eltern, warum nicht.

Sohn II läuft derweil den ganzen Tag mit einem Notizbuch in der Hand herum, damit er vermerken kann, wenn ihm etwas begegnet, über das irgendwer in der Familie etwas schreiben sollte. Er zeichnet das dann einfach.

Doch, das ist schon eine spannende Sache, so ein Familienbetrieb. Auch wenn er online stattfindet.

Kurz und klein

 

Hallamati 2014

Es ist alles nur eine Phase. Dieses Eltern-Mantra, das auch der Untertitel eines meiner Bücher geworden ist, muss nun auch für den jährlichen Hallamati-Text zitiert werden, denn die Hallamati-Phase ist wohl vorbei. Da kommt nichts mehr, das war es, es gibt nichts zu sehen. Aber bevor das doch noch etwas näher erklärt wird – es gibt vielleicht Neuzugestiegene, die mit dem Begriff Hallamati gar nichts anfangen können. Bei Interesse an speziellen Traditionen kann die Geschichte des Hallamatis in der Familie Buddenbohm in chronologischer Reihenfolge hier nachgelesen werden:

2009

2010

2011

2012

2013

Die Reihe umfasst immerhin fünf Jahre, das ist doch schon was. Mittlerweile ist Sohn I aber sieben Jahre alt und Klassenältester, also selbstverständlich über solchen Kleindkindkram wie Laternenumzüge ausdrücklich erhaben. Schulfreunde könnten ihn dabei sehen, nicht auszudenken. Sohn II ist fünf Jahre alt und zählt eigentlich durchaus noch zur Zielgruppe, hat aber als geborener Partisan stets etwas gegen die gerade herrschende Mehrheitsmeinung, ist im wahrsten Sinne des Wortes kein Mitläufer und setzt diese spezielle Haltung mit jedem Jahr konsequenter um. Mit einer Laterne um den Block zu ziehen, das sei ebenso langweilig wie sinnlos, hat er mir heute beim Frühstück erklärt, das kommt für ihn nicht mehr in Frage. Und damit ist das Thema wohl endgültig erledigt.

Mit einem Revival im nächsten Jahr rechne ich nicht. Aber irgendwie ist es doch erfreulich, dass regelmässig zum Jahrestag des Heiligen Martin hier einige Suchanfragen per Google und Suchbegriff “Hallamati” anlanden, das ist schön. Das Wort lebt und mit etwas Glück schafft es sogar noch ein paar Jahre. Sollten Sie heute mit kleinen Kindern Hallamati begehen – ich wünsche viel Vergnügen.Sollten Sie sich aber lustlos zur Veranstaltung quälen müssen oder gar mit schlecht gelaunten Kindern durch eisigen Regen ziehen – es ist wirklich alles nur eine Phase.

 

Und noch ein Dank…

An die Leserin H.K. aus meiner Heimatstadt, die den Jungs ein Stickerbuch geschickt hat, nämlich dieses hier. Die Stickerbücher von Usborne lösen hier nach wie vor große Begeisterung aus, ich kann die auch als Mitbringsel sehr empfehlen. Die stehen noch nicht in jedem Kinderzimmer, gefallen aber allen Kindern, so weit ich es mitbekomme. Herzlichen Dank!

Schtzngrmm

Wenn man in diesen Wochen vor unserer Wohnungstür steht und eine Weile den Familiengesprächen lauscht – man hält uns vermutlich für irre. Was machen die da drin? Sprachübungen? Deklamieren sie, rezitieren sie? Reimen sie, lernen sie ein Theaterstück, verbiegen sie einfach nur Sprache, beleben sie den Dadaismus neu? Die Buddenbohms. Wirkten immer schon ein wenig seltsam.

Dabei lesen und schreiben wir nur. Und denken deswegen etwas anders nach, etwas lauter, etwas zielführender im Sinne der Rechtschreibung. Sohn I ist seit ein paar Wochen Grundschüler, da wird es Zeit für ein Update, das war ja versprochen. Wie läuft das Lesenlernen mit der so leidenschaftlich umstrittenen Anlauttabelle? Schreibt das Kind? Nützt das alles was, was die Pädagogen da ersonnen haben, oder geht die Kultur doch unter, während die Bordkapelle noch unverzagt das ABC-Lied spielt. Fragen über Fragen, ich beschreibe einmal, auf welchem Stand wir gerade sind.

Sohn I kann Einkaufszettel, Notizen und kurze Sätze schreiben, er kann Schilder lesen, Haltestellennamen erkennen und Straßennamen enträtseln. Er kann auch ganz langsam Bücher lesen, das ist nur furchtbar anstrengend und er sieht nach wie vor dabei so aus, als käme irgendwann Rauch aus seinen Ohren. Der Kopf wird rot, die Handknöchel weiß, aber es geht! Er liest, keine Frage.

Er macht es sich natürlich leicht, der Mensch sucht den bequemen Weg und dieser ist sowieso eher Filou als Fleißsternchensammler. Er liest in den Lustigen Taschenbüchern erst einmal die lautmalerischen und angenehm groß geschriebenen Geräuschbeschreibungen. Er amüsiert sich über KAWUMM und FUMPPP und WUUUUUUUUSCH und ZISCH. Und fragt sich, wie viel von den Geschichten er allein dadurch verstehen kann. Braucht man den Rest wirklich, das kleine Zeug in den Sprechblasen? Was macht das große Wort mit der Handlung? Und passt es überhaupt? So rutschen die Buchstaben allmählich in die Geschichten. Das ist noch nicht viel, aber das ist egal, das übt. Er liest auch in Wahrheit keine Haltestellennamen, er liest nur die ersten drei Buchstaben. “Röd…” das kann in Hamburg nur der Rödingsmarkt sein, warum sollte man sich da mehr Mühe geben? Mit der Methode kann man natürlich auch reinfallen, das muss er erst noch etwas justieren. Wenn da etwa ein Wort mit “Superhe…” anfängt und daneben Spiderman und Batman herumturnen, dann ist es für ihn ziemlich klar, dass man aufhören kann, was soll da schon stehen? Superhelden natürlich. Das steht da aber gar nicht, da steht Superheroes. Macht das was? Aber nein. Sowieso gilt: Wenn ein Wort sehr komisch ist, dann ist es ein englisches Wort, das weiß er auch schon. Wie oft das vorkommt, das merkt man wieder, wenn man einen neben sich hat, der alles buchstabiert. N…i…g…h…t – was? Nicht? Nickt? Das ist schon sehr, sehr kompliziert, vieles bleibt aber doch einfach. Vorne Ham… , das ist Hamburg, eh klar. Kommt meistens hin.

Nach der Methode lesen wir Erwachsenen übrigens auch, man merkt es nur nicht. Wir erfassen nicht alle Buchstaben, uns reichen gerade so viele, dass unser Hirn auf das richtige Wort im Kontext kommt, dann geht es zum nächsten Wort. Deswegen ist es so schwer, Tippfehler zu finden, besonders eigene, da weiß man zu viel Kontext. Wir fangen allerdings nicht mehr unbedingt vorne mit dem Erfassen der Buchstaben an, das Kind schon. Alles Lernen fängt eben vorne an.

Sohn I schreibt also Einkaufszettel, er schreibt Tomate, das klingt nach Tooooooooommmmmmmma…t…t….t…t. Und dann? Was kommt da hinten dran, dieser seltsame Laut, was ist das? Das ist eigentlich eher ein kümmerliches Schwa als ein stolzes E, dem muss man beim Sprechen etwas auf die Beine helfen, sonst hört man es nicht: Tomaté. Oder sagen wir Tomatö? Und dann Banané. Und wenn man zehnmal Banané gesagt hat, dann läuft das Wort natürlich Gefahr, im Familienslang so zu bleiben. Bzw. zu bleibén, weil es eben nicht bleibn heißt. B…l…a….i…b…e…n. Sprechen Sie das mal aus, wir reden hier gerade dauernd so, das ist interessant. Da ist ein A drin, und wenn man auf diese Art Mais auf einen Einkaufszettel schreibt, dann schreibt man das richtig. Aber Reis nicht. So schwer!

Man hört die Wörter wieder neu, man macht sie nackt und stellt sie bloß in ihren Silben, man vergrößert sie und pustet sie auf, man gibt ihnen Laute, die ihnen niemand mehr anhört. Sagen Sie mal Schlange, so ganz normal – da hört man das G gar nicht. Und wenn man darauf achtet, dann ist zumindest bei uns Norddeutschen der Laut nicht zu hören, den man macht, wenn man Schlan-ge sagt, ganz langsam, sehr betont, mit lustvollem G. Das akzentuierte G ist im Mund viel weiter vorne als der beiläufig reduzierte Konsonant in der Mitte der schnell gesprochenen Schlange. Faszinierend! Hört man da übrigens, bei diesem “faszinierend”, dass das erste I kein E nach sich zieht, das zweite aber schon? Fasziiiiiniiii… Man kaut auf der Sprache herum, man spuckt Konsonanten, man lässt Vokale aus dem Mund laufen und überall hängen Silben in der Luft. In der Lu-f-t.

Sohn II hat währenddessen seine Vorliebe für das Beatboxen entdeckt, er übt unentwegt an allen Geräuschen, die sich mit dem Mund nur machen lassen, und das sind viele. Und da er schon seit Wochen übt, kann er das verdammt gut. Nicht gut im Sinne des Beatboxings, gut eher im Sinne einer eigenen Klicksprache, wie man sie aus Afrika kennt, Wobei Sohn II die stimmlichen Laute und die Klicks nicht mischt, sondern sie hinten an die Wörter hängt. Er sagt also, wenn er etwas bekommt, nicht danke, er sagt etwas, das klingt wie danketskpfftk. Wenn man das ganz langsam und deutlich spricht und versucht, jeden Konsonanten mitzunehmen, kann man ahnen, wie es bei ihm klingt. Nicht wie ein Geräuschbrei, eher tatsächlich wie eine entwickelte Sprache. Er hat verschiedene Sounds für verschiedene Stimmungen, er klickt oder beatboxt sogar abends im Bett, bis er eingeschlafen ist. Ein wenig klingt das nach einem schmatzenden Meerschwein, manchmal aber auch nach einem ganz, ganz leisen Rhythmusgerät. Wenn Sohn I ein Wort lautiert, um zu verstehen, wie es geschrieben wird, hört Sohn II zu. Wenn Sohn I “lobt” sagt, dann muss er die Endkonsonanten aufdröseln, das macht er durch langsames Sprechen:”lo-b-t.” Dann kann er es schreiben. Während er schreibt, greift Sohn II die Endkonsonanten auf, b-t, b-t, b-t, sie werden immer schneller, sie werden irre schnell, sie bekommen einen Rhythmus, einen Beat. Währenddessen hat Sohn I geschrieben und liest noch einmal, er fängt mit einem langgezogenen looooooo an, das ist eingerahmt vom unentwegten btbtbtbtbtbtbtbt seines Bruders. Das geschriebene Wort wird mir gezeigt, gemeinsam überlegen wir, ob da ein B oder doch ein P klingt, wir sprechen das laut und überzogen, das macht einen Heidenspaß. Und weil Reime hier auch gerade in Mode sind, wird aus dem einen buchstabierten Wort schnell ein fix gedichtetes “Wer toooobt, wird geloooobt”, das man unendlich oft wiederholen kann, weil es so toll klingt. Der Jandl fällt einem ein, Schtzngrrm, kennen Sie das? Kein Gedicht für Kinder, das sicher nicht. Aber doch nah am Thema.

 

Wobei auch Ottos Mops nicht weit von den Sprachspielereien hier entfernt ist. Und absolut kinderkompatibel.

Sohn I geht gelassen damit um, dass er nicht jedes Wort richtig schreibt, er scheint das nicht als umwerfenden Misserfolg zu betrachten, das lernt man eben irgendwann. Er schreibt “Schips” auf den Einkaufszettel und sieht im Laden, dass da “Chips” steht. Aber das macht gar nichts, das Wort ist wieder englisch und damit ist das schon geklärt, das kann er ja nicht wissen. Die spinnen, die Briten, das reicht als Erklärung. Die Buta schreibt sich Butter, na ja, das kann man später genau lernen. Gekauft wird jedenfalls das richtige Produkt, man soll den Erfolg nicht unterschätzen, der liegt auf der Hand oder eben im Einkaufswagen.

Ansonsten steigert hier die Medienerziehung die Motivation, und zwar erheblich. Wir schreiben alle plötzlich mehr mit der Hand, weil sich hier alles um die Schrift dreht, aber es gibt auch noch eine ganz andere Welt, da tippt man die Buchstaben. Der Sohn möchte in den Legoladen gehen, dann soll er es bitte im Familienkalender auf dem iPad notieren, sonst vergisst man das doch so schnell. Und wenn Sohn I wissen möchte, welche ferngesteuerten Autos es gibt, dann muss er das eben in einer Suchmaschine eingeben und sich die Ergebnisse ansehen. Da bastelt er sich also “ferngesteuert” zurecht, das ist mühsam, sehr mühsam, aber da hat er ein Ziel, denn es ist bald Weihnachten und er hat einen Wunschzettel. Motivation ist alles, das klappt schon. Heißt es Auto oder Audo? Und dann, Papa, guck mal! Das ist ein irrer Effekt, die Software schlägt ja Wortschreibungen vor! Und da steht auch schon Auto. Ha! So geht das also, so kommt man weiter, so sieht man, was man schreiben wollte, plötzlich glasklar vor sich, das ist aber mal interessant. Das geht auch auf dem Handy, er tippt einen Buchstaben und schon schlägt das Handy ein Wort vor, wie toll ist das denn? Es reißt ihn mit und er nimmt einfach irgendeinen Vorschlag an, immer wieder und wieder, er schreibt einen ganzen Satz auf diese Art, da steht: “Die Frage nach den Fragen der Frage ist die Sonne der Perspektive.”

Das ist einfach nur irgendein Unsinn aus der Rechtschreibkorrektur, nichts davon hat das Kind gemeint oder gedacht, das ist nur Zufall, das ist irres Getippe. Oder aber irgendein Geschwurbel aus dem dritten Semester Philosophie, wer weiß. Wir bewahren den Satz besser auf, vielleicht braucht man ihn noch einmal.

Was ich sagen wollte: Lesenlernen läuft.

 

Zwischendurch ein Dank…

… an die Leserin T.K., die den Jungs „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ von Michael Ende geschickt hat. Das Buch war tatsächlich, warum auch immer, bisher in diesem Haushalt nicht vorhanden, manche Lücken sind ja doch erstaunlich. Den Titel hat sich Sohn I schon selbst zusammenbuchstabiert, den Rest lese ich dann demnächst vor.

Vielen Dank!

Die Herzdame backt: Gedeckter Apfelkuchen

Nachdem das Kleid der Herzdame bei der letzten Ausgabe von „Die Herzdame backt” zu quasi tumultartigen Zuständen in meinen Timelines geführt hat, fahren wir das jetzt etwas zurück, das Niveau kann man so nicht halten. Sie trägt auf den Bildern in dieser Folge also nur ein beliebiges Kleid aus dem Schrank, eines ganz ohne Quellenangabe. Just an old frock, wie Dame Edna sagen würde. Kennt man die überhaupt noch? Egal.

Es geht um gedeckten Apfelkuchen, also um einen Kuchen, der mit dem einen oder anderen Rezept definitiv in jeden gepflegten Haushalt gehört. Gebacken wird der hier nach einem Rezept von dem Apfelhof im Alten Land, den wir regelmäßig zur Apfelernte besuchen, der letzte Text dazu steht hier [nicht mehr]. Es ist, so steht es auf einem Zettel von dem Hof, ein Rezept nach Oma Wilhelmine. Also quasi ein wilhelminischer Apfelkuchen, wir wollen hier ja keinen Wortwitz auslassen.

Man braucht:

150 g Margarine
1 Ei
100 g Zucker
1 Pck Vanillezucker
1 Prise Salz
300 g Mehl
2 gestr. TL Backpulver
1,5 kg Äpfel – genau nach Rezept geht es um Äpfel der Sorte Finkenwerder Herbstprinz. Andere Sorten gehen aber auch, sagen unsere Erfahrungen.
Etwas Zimt
2 EL Zucker zum Dünsten

Der Finkenwerder Herbstprinz mag perfekt geeignet sein, wir machen hier aber Apfelkuchen, wenn Äpfel weg müssen. Und das sind dann eben irgendwelche Äpfel, in diesem Fall irgendeine nicht erkannte Sorte aus Frankreich, wir hatten gerade Besuch von da mit Obst im Gepäck.

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Für den Teig wird die Margarine, die wir übrigens klammheimlich gegen Butter getauscht haben, mit Ei, Zucker, Vanillezucker und dem Salz verrührt. Mehl und Backpulver wird dabei nach und nach dazugegeben. Dann wird der Teig geteilt. Zwei Drittel davon werden in einer Springform ausgerollt und an den Rändern hochgedrückt.

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Dieser Teil des Teigs wird als Boden bei 200 Grad 10 Minuten gebacken. Den Rest des Teigs vor den Kindern in Sicherheit bringen und zur Seite stellen.

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Die Äpfel schälen und würfeln. Das können im Prinzip Kinder übernehmen, die sind damit faszinierend lange still und besinnlich beschäftigt. Allerdings sieht dann der Fußboden aus wie auf dem folgenden Bild. Irgendwas ist immer.

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Sollten Kinder versehentlich zum falschen Obst greifen, erklärt man geduldig Unterschiede. Wobei ich natürlich etwas im Vorteil bin, denn als Controller kann ich jederzeit das tun, was sonst kaum jemand kann, nämlich Äpfel mit Birnen vergleichen. Zahlt sich der Beruf doch einmal aus!

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Dann die Äpfel mit etwas Zimt und zwei EL Zucker etwa 10 Minuten dünsten.

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Die angedünsteten Äpfel als Füllung auf den Boden geben.

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Den Rest des Teiges rund ausrollen und vierteln. In der Theorie geht der folgende Schritt leichter, wenn die Arbeitsfläche bemehlt ist. Das ist allerdings tatsächlich Theorie, das Zeug klebt immer wie Teufel. An allem. Immer.

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Der Kuchen wird damit abgedeckt. Es macht nichts, wenn man die Viertel nicht in ästhetisch ansprechenden Stücken abgelöst bekommt, das verbackt sich. Keine Panik. Mitdenkende Leserinnen merken bei den nächsten Bildern, das wir komplett vergessen haben, den unteren Teigteil vorzubacken – das bitte nicht nachmachen, das ist strategisch unklug.

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Auf der untersten Ebene im Backofen bei 200 Grad 35 Minuten fertig backen.

Laut Rezept soll man den Kuchen noch mit Zuckerguss verzieren, die Herzdame streut lieber VOR dem Backen Rohrzucker drüber.

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Das geht sehr einfach, das geht auch ziemlich schnell, jedenfalls wenn die Äpfel kleingeschnitten sind, und das schmeckt verblüffend super.

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Nicht im Bild eine eigentlich essentiell wichtige Zutat, die Schlagsahne. Oder, um einmal eine akut vom Aussterben bedrohte Hamburger Vokabel unterzubringen: Schlaggermaschü. Ist das nicht schön? Das klingt schon so, wie es sich im Mund anfühlt. Schlaggermaschü. So ein wunderbares Wort, das sollte viel mehr gepflegt werden.