Weil das Leben ist doch hart genug

Neulich erwähnte ich, hier war es, die so früh geschlossenen Geschäfte im Hamburger Bahnhof Dammtor, darunter sogar der Kiosk mit den Presseprodukten. Es war vermutlich gegen 18 Uhr, je nach Betrachtung war es noch nicht einmal Abend. Im Grunde sah ich da eine fast komplett geschlossene Bahnhofshalle, nur die Systemgastronomie war noch geöffnet. Dazu war irgendwas mit dem Deckenlicht nicht in Ordnung, es war teils kaputt oder falsch geschaltet, was weiß ich. Es war jedenfalls deutlich zu dunkel im Bahnhof.

Dunkel und geschlossen, man kann es sich wieder als Bild abspeichern für die länger werdende Reihe „Zeichen des Niedergangs“, deren Symbole man allzu leicht übersieht. Weil sie einem schnell, viel zu schnell selbstverständlich vorkommen. Wegen unserer unfassbar leistungsstarken Anpassungsfähigkeit, die es uns so schwer macht, derartige Veränderungen ausreichend zu würdigen. Dabei sind sie gravierend und geschichtlich relevant.

Man muss zurückdenken, einige Jahre mindestens, vielleicht bis 2019, um sich wieder klarzumachen, was sich hier dreht und wie signifikant dieser Wandel ist. Im Sinne des Assoziationsdominos hier anzulegen ist der Hautbahnhof von München, wie ich ihn bei der Sommerreise beschrieben habe, an und in dem praktisch alles kaputt war, und das nicht nur baustellenbedingt.

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Abends vor dem Einschlafen lese ich gerade ein, zwei Texte von Adelheid Duvanel aus „Fern von hier“, mehr schaffe ich davon nicht. Kurze und intensive Erzähltexte sind das, die wie Gedichte zu lesen sind, meine ich zu verstehen. Man kann nicht alles gleich einsortieren, man kann vielleicht auch nicht alle Bilder deuten, es klingt etwas an oder nicht. Es bleibt manchmal etwas im Abgang, tatsächlich wie bei Gedichten.

Das Buch "Fern von vier", Adelheid Duvanel, btb-Taschenbuchausgabe

Den Uwe Johnson, die Mutmaßungen über Jakob, habe ich allerdings in der Mitte abgebrochen und dann zurück in den öffentlichen Bücherschrank gebracht. Natürlich in den anderen der beiden Schränke um die Ecke, also in den, aus dem ich das Buch nicht habe. Immer für weiteren Umlauf sorgen! Ich glaube, es war nun mein vierter oder fünfter Versuch, dieses Werk bis zum Ende zu lesen. Aber es gibt eben Bücher, in die kommt man immer wieder gut rein, doch nie ganz durch. Mit Wolfgang Koeppen geht es mir ähnlich. Und es macht auch nichts, vielleicht habe ich im nächsten Sommer wieder Lust, noch einmal zu beginnen, die sich jährlich erneuernde Lust der ersten Seiten.

Jeder sportliche Ehrgeiz bei diesem Thema geht mir ab, ich bin längst bei einer tiefenentspannten Lesegrundhaltung angekommen. Weil das Leben ist doch hart genug, wie es bei Extrabreit damals vollkommen zu Recht hieß, und da wussten sie noch gar nichts von unserer Zeit.

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Ansonsten sah ich in den Timelines am Freitagmorgen der letzten Woche die ersten kapitulierenden Heizungsmeldungen. Im Supermarkt lag nun auch bei uns das erste Produkt mit Weihnachtsmannaufdruck und im Discounter wurde das übliche Saisonsonderwarenregal aufgebaut. Zucker, gestern wurde es gemeldet, wird passend wieder billiger, deutlich sogar.

Auf den Wegen in Hamburg mischten sich in den letzten Tagen bei teils überschaubaren sechzehn Grad die Menschen in T-Shirts und kurzen Hosen unter die Menschen in Winterjacken, mit Mützen und Schals. Beide Parteien sahen sich gelegentlich etwas entgeistert an, wenn sie nebeneinander an den Ampeln standen, denn die Temperaturempfindungen fallen beim Menschen krass weit auseinander. Ich hielt mich etwa in der Mitte, für mich war bestes Pulloverwetter.

Alle Pullover habe ich dermaßen lange nicht getragen, es ist ausgesprochen nett, sie nach und nach wiederzusehen. Alte, textile Kameraden. Wenn man sich darüber freut, was man vor Jahren einmal gekauft hat, es ist ein so billiges, einfaches Vergnügen.

In unserem Haus steht noch die Restwärme aus dem August. Heizen müssen wir hier nicht, und das kann noch zwei, drei Wochen dauern. Mit etwas Glück sogar länger, denn der Wetterbericht wirft noch einmal die 25 Grad für die nächsten Tage aus. Es ist mit den Jahreszeiten wie mit den Toten in den Gruselfilmen– manchmal kommen sie wieder.

reife Äpfel, rotgrün, an einem Baum, Regentropfen darauf, aber das Licht ist sonnig

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Im Bild hier unten das Riesenrad auf dem Hamburger Dom. Der längst vorbei ist, ich schiebe noch etliche verschleppte Bilder vor mir her. Demnächst wird schon wieder Winterdom sein, nehme ich an. Ich werde vom Veranstaltungskalender der Stadt überrundet, so sieht es aus.

Das obere rechte Viertel des Riesenrads auf dem Hambuger Dom

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Alice im Migräneland

Gehört: Eine Folge Radiowissen über Stresemann – das Genie des außenpolitischen Ausgleichs.

Ein Steg am Strand von Wackerballig, im Hintergrund der Mastenwald eines ´Segelclubs

Ansonsten habe ich weiter das bereits erwähnte Buch von Herta Müller gehört, Niederungen. Nicht eben einfach auszuhalten, diese Erzählungen, ob all der so gekonnt und auch schön geschilderten Schrecklichkeiten. Aber vermutlich ist es ein Buch über das Landleben, das in dieser Ausprägung sonst ausdrücklich fehlen würde. Etwas leidend gehört also, etwas gequält, aber doch gerne. Literatur und die Liebe zu ihr – manchmal auch eine merkwürdige Angelegenheit.

Ich habe mich außerdem endlich einmal um das Hören von Büchern bei den öffentlichen Büchereien gekümmert. Also die entsprechende App heruntergeladen (Libby), mich dort registriert etc. Zur Usability hätte ich diverse erstaunte Anmerkungen der wenig amüsierten Art, aber egal. In der App habe ich auf den ersten Blick auch weniger gefunden, als ich vorher angenommen hatte, am Ende liegt es an der Usability. Oder an mir. Öffentliche Bibliotheken muss man jedenfalls unterstützen und nutzen, wo es nur geht, da sollen Anfangsschwierigkeiten nicht hochgedreht werden. Im Gegensatz zum Streamingdienst merkt sich die App zuverlässig, wo man zuletzt aufgeört hat, ein lebenserleichternder Umstand.

Ein kleines, blaues Boot liegt kieloben am Strand von Wackerballig, dahinter aufgewühlte See, ein Sturmtag

Ein Hörbuch habe ich prompt auch auf dieser Plattform angefangen, und zwar Kempowskis letzten Roman: „Alles umsonst“ Interessanterweise gelesen von ihm selbst. Ich kenne Kempowskis Bücher nahezu komplett, dieses Werk, sein letztes, fehlt mir noch, er liest es mir jetzt elf Stunden lang vor. Und es passt wieder hinter den gerade gehörten Victor Klemperer, ich bleibe also im Kontext, bzw. eher: Ich entkomme dem im Moment nicht.

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Gesehen: Endlich wieder eine Doku auf arte, und zwar über Fleetwood Mac (verfügbar bis 13.10.). Die Band war so lange so erfolgreich, dass ich mich wundere, was ich alles von ihr kenne, und ich merke vor, auch die mir eher unbekannten Solowerke von Peter Green, Stevie Nicks und Christine McVie einmal anzuspielen. Begleitmusik für die Herbstspaziergänge.

Eine Hagebutte am Strauch, ein Fluginsekt krabbbelt darauf

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Ich habe vor zwei Tagen hier im Text gerade nebenbei Alice im Wunderland erwähnt, und weil ich bekanntlich eine seltsam innige Liaison mit dem Zufall habe, begegnete mir Alice am Abend des Blogeintrags schon wieder. Sie tritt nämlich in Siri Hustvedts „Leben, Denken, Schauen“ auf, das gerade auf dem Nachttisch liegt.

Das Buch "Leben, Denken, Schauen" von Siri Hustvedt

In einem der Essays dort geht es um Migräne. Grüße gehen an dieser Stelle raus an den weiten Freundeskreis dieser interessanten Krankheit, dem ebenfalls anzugehören ich die überaus zweifelhafte Ehre habe. Wobei ich mit etwa einem, höchstens zwei, drei Anfällen pro Jahr zu den Glücklicheren der Betroffenen zähle. Ich hätte vom Erbteil meines Vaters her reelle Chancen auf deutlich Schlimmeres gehabt, auch lange Angst davor gehabt, denn in meiner Jugend hatte ich wesentlich mehr Vorkommnisse der unangenehmen Art. Es hörte dann in meinen Zwanzigern auf, warum auch immer. Nicht hinterfragen, nur genießen.

Aber egal, es ging um Alice, genauer um ihr erstaunliches Größerwerden, Kleinerwerden, das ich in meinem Eintrag erwähnt hatte. Das wird im Essay in Verbindung gebracht mit der heftigen Migräne, an der Lewis Carroll litt. Migräne kann die seltsamsten körperlichen Empfindungen und Täuschungen auslösen, darunter auch überzeugend eingebildete Größenveränderungen von Körperteilen oder auch des ganzen Menschen.

Eine banale und nüchterne, wenn auch vielleicht treffende Erklärung für ein so schönes Stück Literatur. Ich finde das leider vorstellbar.

Die Autorin lässt dann im weiteren Verlauf nur kurz und eher scherzhaft anklingen, welche literarischen Werke vielleicht noch alle medizinisch erklärt oder zumindest unterfüttert werden könnten. Sie macht das, ohne die weiten Felder der Neurodivergenz zu erwähnen, wobei ich allerdings meine, dass der Deutungsspaß da erst richtig beginnt. Ich würde einen großen Teil meiner Lektüreerfahrungen wirklich gerne mit meinem Wissen von heute zu diesem Thema wiederholen. Allein die mir verbleibenden Lebensjahre werden dafür kaum ausreichen können, eine Frage der Statistik.

Ein Regenbogen vor grauem Himmel über der Ostsee vor Steinberghaff

Wie auch immer. Alice im Migräneland, das können Sie künftig gerne mitdenken, wenn es um ihre Abenteuer geht. Oder Sie können, wenn Sie bedauerlicherweise ab und zu ebenfalls Migräne haben, dabei verstärkt auf das weiße Kaninchen achten. Das wird sicher auch gehen und vielleicht sogar interessant sein, wenn nicht heilsam.

Ich hatte mir ansonsten deutlich mehr versprochen von diesem Buch, die Essays ließen mich bisher fast durchweg mit einem etwas ratlosen „Na und?“ zurück. Am Ende liegt es aber wieder nur an mir, an meiner geistigen Schlichtheit oder an meiner Phase, ich will damit also nichts Definitives über das Buch gesagt haben.

Ich sage lieber nur, dass es sich passagenlang erstaunlich blogartig liest. Was ich selbstverständlich als Kompliment meine, denn Sie können sich vermutlich vorstellen, ich mag einen blogartigen Stil.

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Im Text verteilt heute letzte Bilder aus Angeln, haben wir das auch erledigt. In den nächsten Tagen dann wieder Hamburg ansehen, wir haben hier immerhin auch Wasser, Ufer und etwas Herbst.

Wilde Kamille vor Findlingen am Strand von Steinberghaff

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Zusammengefegte Reste

Verbleibende Anmerkungen von der kleinen Reise in den Norden. Ich fege eben die Reste zusammen, um wieder in der Gegenwart anzukommen, denn ich falle zurück.

Eine leere Bank am Strand von Steinberghaff

Im Sinne der großen Chronik stelle ich noch eben fest, dass der Personalmangel mittlerweile als platte Selbstverständlichkeit im Kontext der Öffnungszeiten benannt wird. „Küche nur bis 19 Uhr“ und dergleichen, der bekannte Personalmangel. So steht es dann auch wörtlich auf den Speisekarten oder auf den Schildern mit den Öffnungszeiten an den Eingängen. So wird es längst gedruckt und nicht mehr nur handschriftlich sondergemeldet, Textbausteine der Gegenwart. Es ist keine außergewöhnliche Situation mehr, es ist die Normalität, das gehört jetzt so.

Die Service-Zeiträume und -Möglichkeiten schnurren um uns herum zusammen in diesen postpandemischen Jahren der Boomer-Dämmerung, in den Großstädten und auch in den Touristenregionen. Ruhezeiten und Ruhetage, Mittagspausen und dergleichen, späteres Öffnen, früheres Schließen. Gestern gegen 18 Uhr am Dammtorbahnhof in Hamburg, es war dort alles zu, der Kiosk, der Blumenladen, die Imbisse.

Da sind sie also wieder, die Beschränkungen, und es ist ein wenig wie in meiner Kindheit, als alle kleinen Läden noch Pausen gemacht haben, machen mussten. Ein merkwürdiges zweites Mal im Leben, nachdem wir uns im Jahrzehnt vor Corona zumindest in den Millionenstädten so entschlossen vom Schließen entfernt hatten. Als alles immer länger geöffnet wurde, als wir es so gerne etwas mehr wie in New York etc. gehabt hätten. Als alles immer offen sein sollte und nie schlafen durfte.

Auch hier folgt umgehend eine Selbstbezichtigung, denn ich weiß noch, dass die Herzdame und ich bei unserer ersten Südtirolreise über die katholisch-ländlichen Öffnungszeiten dort unten in den Bergen gelästert haben. Dauernd war dort alles zu. Wir waren aus dem mondänen Hamburg anderes gewohnt, so holt einen das wieder ein. Am Ende ist es nur fair, ist alles wieder ausgleichende Gerechtigkeit. Lächelnde Göttinnen an der Waage, ein Stups mit dem Finger und die Geschichte wendet sich.

Ein ugestürzter Baum liegt auf dem Strand von Steinberghaff

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Und Helmbert und Helmtraut, es gibt sie wirklich. Sie kennen die beiden vielleicht von Tiktok oder Insta, Youtube etc., diese dort beliebten Karikaturfiguren älterer Deutscher auf dem Fahrrad oder eher auf dem E-Bike. In Angeln kommen sie in einer Form vor, die von einem Sketch praktisch nicht mehr zu unterscheiden ist.

Etwa die Version „Hotelankunft“: Ein Auto fährt vor dem Hotel vor, ein älteres Paar, Rentenalter, steigt aus. Sie regelt an der Rezeption die Ankunft und die Formalitäten, er montiert, stetig leise fluchend, die beiden Bikes von der Fahrradhalterung am Kofferraum. Klingt bis dahin nicht witzig, wird nur witzig durch die stete Wiederholung. Es ist bei allen Paaren gleich, noch einmal und noch einmal, als dürfe es nicht anders sein.

Kurz darauf dann der erste Aufbruch der beiden zur gemeinsamen Radtour über Land, wobei Mann und Frau in kompletter Outdoorgewandung mit viel Zubehör vor dem Hotel erscheinen. Wenn Wolken zu sehen sind, treten sie auch mit kompletter Regenschutzausrüstung auf. Und das ist alles so durchdacht, so vielschichtig und detailreich, dass es, wenn es ein Playmobilset wäre, wahnsinnig viele Einzelteile gäbe. Was man da alles zusammenstecken könnte, die Polizeiausrüstung ist nichts dagegen. Und es wirkt in den meisten Fällen alles noch recht neu und, das gehört auch dazu, es wird nicht eben billig gewesen sein.

Immer sind sie beide im nahezu vollständigen Partnerlook, wie auch ihre Räder zwingend aus gleicher Produktion sind, und immer, immer fährt er vor.

Es macht einen als Beobachter etwas unruhig, man möchte eine Abwechslung. Alles wirkt so erzwungen und vorherbeschrieben. Aber es wird keine Variante geben, sie machen alle alles gleich. Sie sehen auch alle gleich aus und Helmbert und Helmtraut, die selbstverständlich auch nur Versionen von uns sind, fahren über die Landstraßen und begegnen auf allen Wegen ihren Kopien, vermutlich hundertfach.

Es gibt keinen Grund, darüber zu spotten, ich schreibe es nur so mit. Es verwirrt etwas durch das Unweigerliche – wie gleich und ungemein berechenbar wir alle sind. Oder aber in Kürze werden. Warte, warte nur ein Weilchen, dann kommt E-Bike auch zu Dir. Mit Zubehör, mit viel Zubehör.

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Wie waren auf dem Hof Norderlück in Steinberghaff. Keine bezahlte Werbung, nein. Es hat uns gefallen dort, das kann man gut machen. Ringsum ist recht wenig, ist also viel ansprechende Gegend, sind zu dieser Jahreszeit auch angenehm leere Strände. Das war uns alles recht so und wie erhofft, das kann ich empfehlen.

Ein paar Meter vom Hotel entfernt gibt es ein Restaurant mit Meerblick, und was wir dort aßen, es war erfreulich fein. Für die Auszeit zwischendurch ist das da oben also eine gute Wahl und eine Wiederholung kommt für mich sicher in Betracht.

Der Strand bei Steinberghaff

Diesen Kurz-Tripp haben uns freundlicherweise erneut die Leserinnen und Leser mit den Trinkgeldern finanziert, wofür wir wiederum herzlich danken! Es macht die Ausflüge noch ein wenig schöner für mich, dass ich sie mir erschreibe.

Um in Bewegung zu bleiben, gleich einmal etwas für das nächste Wochenende einplanen. Wenigstens für einen Tag. Es gibt Ziele auch im Hamburger Umland, und mir scheint, ich könnte da öfter mal hin.

Menschenleerer Strand bei Steinberghaff, ein umgestürzter Baum im Bildschirmhintergrund, der über den Strand hängt

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Ich werde älter, ich werde jünger

Ein Tipp für Instagram in Verbindung mit Hamburg: Ulrike Schimming besucht nach und nach alle (über hundert) Hamburger Stadtteile und dokumentiert ihre Touren jeweils mit kurzem Text und einigen Fotos. Hier etwa beispielhaft und zuletzt besucht Altengamme. Kann man was lernen, kann man was gucken, kann man sich Ausflugsziele vornehmen. In etwa 20 der Stadtteile war ich noch nie. Ich stelle es gerade beim Sichten der Liste fest, darunter auch der Klassiker fürs Nichtdagewesensein, die Insel Neuwerk. Die ist allerdings auch mehr als einen Nachmittagsspaziergang entfernt.

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Weiter mit dem Bericht aus Angeln. Es gibt erwartbare Standarddialoge bei Paaren, die gemeinsam durch die Jahre heranreifen. Etwa die morgendlichen Gespräche über Nächte in Hotels oder Ferienwohnungen, wenn man sich zu früher Stunde stöhnend darüber austauscht, wie man in den ungewohnten Betten geschlafen hat. Das knurrende Abwinken, die hochgezogenen Brauen, der Griff zu den Lendenwirbeln oder wo immer es morgens schmerzt.

Die leere Außenterrasse eines Restaurants am Strand von Steinberghaff

Und dann erwähnt der eine oder die andere, dass der Schlaf schlecht war. Weil die Matratze zu weich oder zu hart, zu durchgelegen oder sonst etwas war, weil das Bett gequietscht hat oder das geöffnete Fenster zu nah dran am Bett oder aber zu weit weg davon war. Oder weil es ein nicht zu erkennendes Geräusch in der Nacht gab oder eine Eule im Wald rief und der Stier auf der nahen Weide herumbrüllte. Weil dann auch noch der verdammte Hahn morgens um fünf krähte und ein Lieferwagen kam, was einem alles einfallen kann. Jedenfalls aber: Nein, leider nicht so gut geschlafen.

Die schlichte Wahrheit ist allerdings, dass man sich die Aufzählung der Argumente und Umstände auch sparen könnte. Die Wahrheit ist, dass man schlecht schläft, weil das Bett ein anderes Bett ist. Man schläft schlecht, weil man die Zeiten längst hinter sich gelassen hat, in denen man bei Eintritt von Müdigkeit überall selig schlafen konnte, Hauptsache man war irgendwie horizontal ausgerichtet. Das können die Söhne, das können wir nicht mehr.

Der Strand von Steinberghaff im Morgenlicht

Die Rückkehr nach Hause wird einem nach jedem Urlaub immer mehr schon durch die bloße Aussicht auf das eigene Bett versüßt. Ein vorausgreifendes Wohlgefühl spürt man beim Gedanken an die richtigen Kissen und die einzig zum abendlichen Lesen passende Nachttischbeleuchtung, mit der man nicht kämpfen muss. Was man wieder als eindeutigen Vorteil sehen kann, denn Zufriedenheit im Alltag wird bei manchen Aspekten mit jedem Jahr leichter erreichbar. Es ist nicht alles schlecht am Altern, ein paar Stücke vom Glück liegen deutlich näher um einen herum als in der Jugend.

Ein still liegender Katamaran auf der Ostsee vor Steinberghaff

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Ich bin ansonsten aber in den Cafés in Angeln, beim Hotelfrühstück und auch am Strand über weite Strecken das, was ich sonst nur noch ziemlich selten bin: Ich bin mit Abstand der jüngste Mann weit und breit. Alle um mich herum sind mir zehn, zwanzig Jahre und mehr voraus. Sie sind deutlich eine andere Boomer-Charge als ich oder etwas, das noch deutlich davor war. Die Silent Generation ist dann wohl der Fachbegriff, das musste ich kurz nachsehen. Oder dreht man es um, Generation Silent? Es scheint beides vorzukommen. Wie auch immer, Geburtsjahr 1928 bis 1945 jedenfalls, meine, vermutlich in vielen Fällen unsere Eltern.

Verblühende Kletterrosen in Rosa

In Hamburg muss ich erst ins Ohnsorg-Theater gehen, um eine derartige Jungbrunnerfahrung zu machen. Hier oben im ländlichen Norden fällt sie mir überall zu. Und das ist auch einmal nett, fast möchte ich ein wenig hüpfen beim Gehen. Es ist eine spürbar belebende Erfahrung, der Jüngste zu sein, vielleicht geht es noch Neunzigjährigen unter Hundertjährigen so.

Mir ist ein wenig zumute wie Alice im Wunderland. Die wurde in schneller Folge größer oder kleiner, der Buddenbohm im Angelland wird binnen Stunden älter oder jünger. Je nach gerade beachtetem Umstand.

Am Ende ist es bei der komplexen Frage, wie alt man sich fühlt, so wie bei der Bruchrechnung, man kann einige Gefühle einfach herauskürzen. Und das, was nach dieser Operation noch übrigbleibt, das ist man selbst als kleinster gemeinsamer Nenner seiner variablen Zustände.

Das vielleicht mal ermitteln.

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Über der Schlei der Vogelzug

Über der Schlei der Vogelzug, die fortziehenden Flattermigranten. Die hauen jetzt alle ab, bevor die Grenzen wieder geschlossen werden. So wirkt der wirre Wahnsinn der Tagespolitik selbst dann noch auf die Gedanken, wenn man sich in den letzten Winkel des Landes zurückzieht und kaum noch Nachrichten liest. Man entkommt dem nicht ganz, man hat es immer weiter alles im Sinn, zumindest am Rande.

Unwirklich schöne Bilder sehen wir jedenfalls in Angeln. Strebsam ziehende Gänse und andere Vögel über den sturmgetriebenen Wassern am Tag der Anreise, dekorativ komponiert wie auf Fototapeten und Postern. Dabei ist es umgekehrt, und die Tapeten, Poster und Postkarten richten sich nach eben solchen Bildern hier draußen, etliche Vorlagen könnte ich heute aufnehmen.

Das Nach- oder Nebensaisonale steht der Gegend hier ausgesprochen gut. Die weite, sanft hügelige Leere in Angeln, die schon etwas hinfällige, septembrige Müdigkeit im Grün der Wäldchen und Hecken. Die am Wegesrand schwarz und krumpelig werdenden Brombeeren, die wegknickenden Stockrosen an den Gartenzäunen, die Blüten im Wegsinken noch weit offen. Überhaupt die Stauden aller Art mit den letzten Blüten, etliche aber auch schon schmucklos, starr und in Tarnfarben. Darüber das Bojenrot der Hagebutten und der üppig angerichteten Vogelbeeren. Die Reste vom Fest des großen Sommers.

Schwalben fliegen noch kleinteilig kurvend darüber hin. Aber es wird nur noch um wenige verbleibende Tage gehen, es sind ihre Abschlussrunden, dann ziehen auch sie.

Etwas in dieser Stimmung, etwas im graublauen Licht des aufklarenden nächsten Morgens und in der Ausstrahlung der alten Dörfer und der Reetdachhäuser passt seltsam gut zum zwischendurch gelesenen Uwe Johnson. Obwohl der nicht reich an Naturbeschreibungen ist, aber einige Zeilen zwischendurch treffen für mich doch etwas. Wie auch das eingestreute Plattdeutsch, selbst wenn seine Version von einem anderen Ostseestrand kommt, aus einer östlicheren Richtung.

Das aufgeschlagene Buch "Mutmaßungen über Jakob" auf dem Hotelfrühstückstisch

Es fühlt sich passend an. Und es ist nur schade, dass ich nicht mehr Zeit habe, dem etwas nachzuspüren. Dieses vage Gefühl, ich käme, wenn ich nur etwas länger unter dem großen Birnbaum stünde, unter dessen Ästen es längst fruchtig gärt und herbstlich modert, noch auf etwas.  Auf etwas Wichtiges, Vergessenes oder zumindest auf bisher Unerkanntes. Auf irgendeinen Zusammenhang, der, wer weiß, in diesem Leben noch herzustellen ist. Aber zu greifen ist es doch nicht. Vielleicht noch nicht, und da fängt es auch wieder an zu regnen, ich gehe weiter und ins Trockene. Unklar, dies alles, was auch immer da innerlich wölkt und wabert. Urlaube bringen die Alltagsgedanken durcheinander und stellen vor neue, andere Rätsel.

Vollkommen klar ist dagegen der Blick über die Ostsee beim ersten Strandspaziergang nach dem Frühstück im Hotel. Detailreich die ruhig liegenden Segelboote, gestochen scharf die Möwen im freien Flug nach Dänemark. Eine Luft, eine Fernsicht, als hätte man die Schärfe in der Foto-App ein wenig höher als sonst geregelt.

Ruhende Segelboote auf der morgendlichen Ostsee

Langsam und allein am Strand entlanggehen, über braunen Tang und herbstfarbenen Sand. Dabei ein Gefühl aus der Vergangenheit in den Beinen, ein fernvertrautes Gehen. Längst und vollkommen zu Recht verblasste Erinnerungen fallen mir ein, aber auch wie beruhigend das immer war, Strecke zu machen am Meer entlang. Dieses besondere Küstenlicht des Vormittags, diese umarmende Ruhe abseits der touristisch interessanten Zeiten. Als Erwachsener weiß ich die Abwesenheit von Trubel und Unruhe eher zu würdigen als damals, wie es zu erwarten war.

Ein Gestänge mit aufgehängten, leeren Schaukelbänken auf einem Steg an der Ostsee

Eine tief schweigende Szenerie um mich herum. Nur mit dem leisen Schwappen der kleinen Wellen darin. Die heute in der Windstille am Tag nach dem Sturm niemanden mehr belästigen wollen, die nur äußerst unverbindlich an diesen Strand rollen und in aller Zurückhaltung flüsternd auf den Kieseln vergehen.

Wie die eigenen Gedanken, die nicht weit genug kommen.

Ein leerer Steg an der Ostsee, Steinberghaff

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Mit Hui durchs Gekachelte

Andere schaffen es noch, über alles nachzudenken, ohne vor Widerwillen zwischendurch abzubrechen, Respekt: Giardino über hierarchische Weltbilder

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Auf dem Weg zum Hotel an der Ostsee halten wir in Arnis, bzw. vor Arnis. In diese winzige Stadt kann man nicht fahren, sie ist zu überschaubar für die Autos der Gäste. Eine Handvoll SUVs und dort würde schon nichts mehr gehen oder fahren. Die kleinste Stadt Deutschlands, ich wollte sie doch einmal gesehen haben, seit Jahren schon, nachdem ich oft davon gelesen hatte. Die größte Stadt, die kleinste Stadt, ein paar Superlative doch einsammeln im Laufe des Lebens. Die nördlichste Stadt fehlt mir auch noch, merke ich gerade, das ist Glücksburg, das habe ich merkwürdigerweise immer verpasst. Die südlichste Stadt fehlt eh, das ist Sonthofen, von westlich und östlich zu schweigen.

Ruhig ist es da, in Arnis, sehr ruhig. Es ist ausgesprochen sonntäglich in der Ausstrahlung, wenn nicht feiertäglich und außerdem nachsaisonal, an einem Dienstag Anfang September. Eine etwas unwirkliche, kulissenhafte Stimmung herrscht dort, wenn man sonst die Mitte der Großstadt gewohnt ist, das stete Tosen, Brausen und Wimmeln. Ein schöner Spaziergang führt um die Stadt herum, am heute unruhigen Wasser der Schlei entlang. Durch heftigen, rempelnden Wind gehen wir, bzw. gegen diesen Wind an, und uns wird dabei tatsächlich und ernsthaft herbstkalt. Da ist es also, dieses so gründlich vergessene Gefühl. Uns wird dann schnell bewusst, was wir alles doch nicht eingepackt haben, etwa Mützen und Schals.

Die Schlei an der Werft auf Arnis, unruhiges Wasser, bedeckter Himmel, graue Stimmung

Ein rabiater, heftiger Wechsel ist das, von den fast dreißig Grad am Sonntag in Hamburg zu diesen sechzehn Grad am Dienstag an der Küste. Ein Herbsteintritt wie mit dem Vorschlaghammer in unseren Kalender geprügelt.

Eine verlassene Rutsche für Kinder am Strand von Arnis, ziemlich verloren aussehend

In der Nähe von Arnis gehen wir in ein Café mit traditionell unfreundlicher Bedienung, das korrekte Wort ist wohl pampig. Für mich sind es Kindheitserinnerungen, so ist man im Service an der Ostsee gerne einmal. Zumindest an der in Schleswig-Holstein, für die ich es aus reicher Erfahrung beurteilen kann. Irgendeine Art von ruppigem Charme kann ich dabei nicht ausmachen, ich finde diese Art eher anstrengend. Aber es wirkt natürlich und echt, könnte man anfügen, fast entschuldigend. Aber nur fast.

Und weil die schärfsten Kritiker der Elche bekanntlich früher selbst welche waren, beeile ich mich, eine an dieser Stelle unvermeidliche Selbstbezichtigung hinzuzufügen. Denn auch ich komme von der Ostsee, wie sattsam anderweitig beschrieben, und kann daher keineswegs ausschließen, selbst so zu sein. Im Gegenteil, es ist wahrscheinlich so. Lieber also nicht in Cafés oder überhaupt im Tourismus arbeiten, das vielleicht daraus ableiten.

Eine Standardsituation in deutschen Cafés wird jedenfalls für uns aufgeführt: Es gibt Kuchen in einer Vitrine. Es ist für die Gäste nicht genau zu erkennen, was für Sorten wohl auf den Tellern stehen und es sind auch keine hilfreichen Schildchen dabei. Also fragt man das Personal – und das Personal rollt schwer genervt die Augen, also wirklich, diese Gäste, was für sensationell blöde Fragen die heute wieder stellen. Sollen sie doch irgendwas bestellen, Kuchen ist Kuchen. Meine Güte, was ist mit den Leuten.

Kurz zwischendurch die ferne Erinnerung an eine Bedienung im mecklenburgischen Zarrentin, die vor vielen, vielen Jahren, als wir in einem Café dort fragten, welchen Kuchen es gebe, die vermutlich in diesem Zusammenhang treffendste Antwort gab, schnippisch wie nur denkbar: „Das sehen Sie ja dann.“ Drehte ab und brachte zwei Teller. Es gab nur eine Sorte Kuchen, und ja, wir sahen es dann.

Die junge Frau, die bei uns am Tisch heute die Augen tatsächlich so rollt, dass es wie in einem alten amerikanischen Cartoon aussieht, fragt irgendwann ihren gutmütigen und ob ihrer Art sichtlich etwas verzweifelten Chef zischend hinter dem Tresen, wir hören es nur zufällig: „Was soll ich denn noch alles machen!?“ Und in dieser Frage erkennt man die Haltung gut beschrieben, denke ich mir, erkennt man auch die Erklärung. Der Alltag als bloße Zumutung, und es ist nun nicht so, dass ich oder wir es gar nicht nachvollziehen könnten.

Auf der Toilette des Cafés dann aber etwas ausgesprochen versöhnend norddeutsch Nettes, ein maritimes Pinkeln gewissermaßen. Denn in den Räumen sind zwei gegenüberliegende Fenster weit geöffnet und es zieht dort nicht etwa nur, nein, es stürmt einfach quer durch. Draußen tobt der Wind mit Stärke sieben oder acht, wenn nicht mehr, und mit ordentlich Hui pfeift es ungebremst um mich herum durchs Gekachelte, dass es mir den Seifenschaum am Waschbecken flockig von den Händen treibt und im Raum verweht. Ich mag das sehr, es fühlt sich ausgesprochen heimatlich an.

Gellende Möwenschreie in den durchjagenden Böen, während man die Kleidung vor dem Heraustreten wieder richtet, ach ja. Es ist ein mir so vertrautes Szenario, und die frühherbstlichen Strandtage meines früheren Lebens ziehen kurz an mir vorbei.

Wir fahren dann weiter zum Hotel, von dem ich hoffe, es gut ausgesucht zu haben. Die Optik stimmt schon einmal.

Ein Fachwerkhaus unter alten Bäumen

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Kühle, Wind und Wetter

Ein Sohn ist also auf Klassenfahrt, wie gestern angerissen, das ist eine gute Gelegenheit für Eltern, sich einfach davonzumachen, den Pflichten des durchgetakteten Familien- und Berufsalltags zwischendurch zu entkommen. Das gilt sogar noch für Teenager-Eltern, haben wir uns gedacht, und es ist auch ein alter Brauch bei uns. Die Herzdame und ich haben also drei Tage Urlaub eingeplant, mittendrin im Alltag und außerhalb der Saison. Wir verdrücken uns für einige Tage an die Ostsee.

Wenn Sie sich die Landkarte von Deutschland bitte eben vorstellen, da oben, wo man Dänemark schon sehen und hören kann, wo man gerade Grenzen unbegreiflicherweise wieder dicht machen will, wo einem nicht mehr viele Städte einfallen und man den genauen Küstenverlauf vermutlich nicht mal eben aus dem Gedächtnis nachzeichnen könnte, denn es gibt da so Schlenker, dort fahren wir hin. Denn da kennen wir beide eher wenig, in der Gegend da, in Angeln, an der Schlei, zwischen Kappeln und Flensburg. So in etwa. Wenn Sie öfter in Blogs lesen, kennen Sie da einiges sicher von der Frischen Brise, sie ist da öfter und macht sehr schicke Fotos.

Der Wetterbericht wirft Kühle, Wind und Wetter aller Art für die nächsten Tage aus, etliches davon, viel Regen wird auch dabei sein. Mir ist das alles recht und angenehm, ich finde das erholsam nach den letzten Wochen mit der deutlichen Überdosis Sommer. Wind und Regen am Meer klingen für mich im Moment eher nach Rettung, keinesfalls aber nach Herausforderung.

Schwierig, ungewöhnlich schwierig ist für mich nur das Packen, und der Herzdame geht es ähnlich. Denn nach wie vor fehlt uns jede Vorstellung vom Frieren, vom Frösteln, von kalten Füßen, von textilkuscheliger Gemütlichkeit etc. Als habe unser Körpergedächtnis alle Herbste und Winter der letzten Jahre gelöscht. Wie war das denn bloß noch? Ich habe tatsächlich etwas Mühe, mir die richtige Herbstgarderobe vorzustellen. Monatelang habe ich keinen Pullover mehr angehabt, dermaßen gründlich raus war ich aus warmer Kleidung selten im Leben.

Aber egal, wir fahren mit dem Auto, da oben fahren eh keine Züge hin, wo wir hinwollen. Einfach alles in den Kofferraum hineinwerfen, was irgend in Betracht kommt. Das gilt dann auch für die Lektüre, einfach den Bestand auf einem Regalbrett komplett mitnehmen.

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Nicole Seiferts Buch habe ich nun durchgelesen. Ich bin sehr zufrieden damit, eine dicke Empfehlung ist das, Sie wollen das auch lesen. Und bestimmt ist es auch gut für Literaturinteressierte zu Weihnachten. Jetzt an Schenken denken!

In meiner Antiquariatszeit, die mittlerweile etwa hundertfünfzig Jahre her sein muss, haben wir früh im Herbst ein altes Poster ins Schaufenster gehängt. Ein gemalter Weihnachtsmann mit streng erhobenem Zeigefinger und eben diesem Satz war darauf, jetzt ans Schenken denken. Rituale aus der Vergangenheit.

Aus dem Laden heraus haben wir dann beobachtet, wie die Leute stehenblieben, die Zeile lasen und lachten. Und weitergingen.

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Die bisher verfügbaren Klemperer-Folgen hatte ich gerade sämtlich durchgehört, da wurden schon frische Folgen nachgelegt, es war just in time und wie bestellt von mir. In den neuen Episoden geht es um seinen letzten Lebensabschnitt in der DDR.

Ungemein bedrückend sind die gehörten Auszüge quer durch die Systeme, Zeiten und Staaten, wirklich schrecklich. Aber angemessen und richtig ist es doch, sich das alles noch einmal bewusst zu machen. So ist sie eben, unsere Geschichte, die unseres Landes und auch die unserer Familien. Kurz dann auch über die Bezüge meiner Sippe zur Geschichte nachgedacht. Aber nur einen Moment, man ist sonst schlagartig in Familienromandimensionen. Wer kennt es nicht, und wer hat schon die Zeit für so etwas.

Zumindest für mein Gefühl war das Hörerlebnis jedenfalls passend zur aktuellen Entwicklung. Und im öffentlichen Bücherschrank sehe ich auf meiner Morgenrunde eine alte Fischer-Taschenbuch-Ausgabe der Mutmaßungen über Jakob vom Johnson, gut abgegriffen und mit emsigen Kugelschreiberanmerkungen der altklugen Art. Das Buch passt hervorragend hinter Klemperers letzte Jahre, ich werde also an der Ostsee, auch das passt, noch einmal hineinsehen. „Aber Jakob ist immer quer über die Gleise gegangen“, es ist immer noch mein Lieblingsanfangssatz, nennenswert besser als „Ilsebill salzte nach.“

Ich lese das nach, das mit dem schönsten ersten Satz und dem Wettbewerb damals. Auf Platz zwei nach Grass war Kafka mit Gregor Samsa, das können wir alle auswendig, auf Platz drei war Siegfried Lenz: „Hamilkar Schaß, mein Großvater, ein Herrchen von, sagen wir mal, einundsiebzig Jahren, hatte sich gerade das Lesen beigebracht, als die Sache losging.“

Das ist aus der Geschichtensammlung „So zärtlich war Suleyken“, und jetzt raten Sie mal, was gleich neben dem Johnson im öffentlichen Bücherschrank stand.

„Hex, hex“, sagte der Autor kichernd.

Blick über Barkasssen am Anleger an den Landungsbrücken

 

Blick on oben aus einem Fenster heraus auf eine Fußgängerbrücke über den Alsterfleet, Höhe Buceriurs-Forum

Blick über Boote der weißen Flotte am Anleger Jungfernstieg

Ich muss in den nächsten Tagen dringend all die Sommerbilder verbraten, bevor sie saisonal vollkommen falsch aussehen.

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Fallobst, Kastanien, Weinlaub

Vorweg ein herzlicher Dank für die freundliche Zusendung eines E-Gitarren-Lehrbuchs für Sohn I und für zwei Bände Alice Munro für mich. Der Herbstlektürestapel wächst und wächst, schon in den Oktober, wenn nicht in den November. Sehr schön ist das!

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Ein weiteres Update zum Overtourism: Rom erwägt Eintrittsgebühr für den Trevi-Brunnen.

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Die Kaltmamsell zitiert Nils Minkmar. Sie war diesmal schneller als ich, ich hätte das auch vorgesehen, und ähnlich in der Auswahl. Aber man beachte bitte bei ihr auch den Verweis zum Grabstein von Ströbele.

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Am Sonntag haben wir einen Sohn zur Klassenfahrt ins Ausland verabschiedet. Wir standen mit den anderen Eltern und Schülerinnen des Jahrgangs auf dem Schulhof und warteten auf die Reisebusse, die dann lange, lange nicht kamen. Nach alter Tradition geht am Tag der Cyclassics, des großen Hamburger Radrennens, nichts mehr in der Stadt. Der Verkehr wird mehr als kompliziert, die Umleitungen absurd. Wir standen da also ungeplant über eine Stunde und merkten in etwa alle gleichzeitig, womit im Sommerendspurt dieses Wochenendes schon keiner mehr gerechnet hatte – dass wir nämlich sämtlich in den allerletzten Stunden der ausklingenden Hitzeperiode in akute Sonnenbrandgefahr gerieten.

Sich monatelang vor der Strahlung verstecken wie ein Grottenolm, nur um am letzten Tag der Phase noch draußen knusprig geröstet zu werden. Es ist doch alles nur als eher schwarzer Humor der Göttinnen zu verstehen.

Und dann so eine gemeinschaftliche Bewegung der ganzen Gruppe in den schmalen Schattenstreifen unter den paar Bäumen hinein. Wie choreografiert sah es aus. Wieder ein Moment, in dem besonders gut zu beobachten war, wie gleich und synchron wir alle oft ticken, wie getaktet wir sind. Wir Herdentiere, wir Schwarmvögel.

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Kalendarisch programmgemäß habe ich beim morgendlichen Spaziergang durchs Revier urbanes Fallobst und auch die erste Kastanie gefunden. Ich habe diese Kastanie dann aber nicht mitgenommen, wie es doch Tradition ist. Denn es lag weit und breit nur eine einzige davon herum und ich dachte, irgendein Kind wird sie gewiss dringender brauchen. Und sich hoffentlich mehr darüber freuen.

Wenn das denn noch stimmt. Am Ende geht man bei solchen Themen von der eigenen Kindheit und der der eigenen Kinder aus und liegt längst falsch. Es hat sich alles weiterentwickelt und wer weiß wohin. Am Ende interessieren Kastanien seit Jahren keine Sau und keine Kinder mehr. Aber mich doch noch für ein Foto, denke ich widerständig, das immerhin, und damit nehme ich sie in gewisser Weise doch mit.

Und es war ohnehin, das ist auch richtig, noch kein Übergangsjackentag, und erst ab diesen Tagen hat man genug Taschen an den Klamotten, um Herbstfundstücke aller Art mit sich herumzuschleppen.

Auf dem Kirchhof der Wein an der Ziegelwand, er wird programmgemäß und dekorativ wie immer rot, es geht nun alles recht schnell, nehme ich an. Der Herbst wird etwas aufholen.

Ein gammelnder Apfel auf einem Mauervorsprung

Eine erste Kastanie vor einem nicht dazugehörigen welken Blatt

Rot werdendes Weinlaub an ziegelroter Kirchenmauer

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Gehört: Niederungen, eine Auswahl aus dem ersten Erzählband von Herta Müller, gelesen u.a. von ihr. Wiederum keine erheiternde Lektüre, was soll ich sagen. Es ist auch Herbst in meinen Themen, so kommt es mir vor.

Außerdem habe ich Sendungen über Bruckner gehört. Es waren gerade mehrere im Angebot, etwa hier das Kalenderblatt, zu seinem Geburtstag vor zweihundert Jahren. Ich glaube, die Symphonien merke ich mir für den weiteren Verlauf der Dunkelsaison einmal vor, ich habe da eine größere Bildungslücke. Und schon hat man weitere Pläne, so geht das zu.

Apropos Pläne, durch Nicole Seiferts Buch, das mich weiter begeistert, habe ich mittlerweile Nachholbedarf bei Ruth Rehmann, Ingeborg Drewitz, Barbara König, Helga M. Novak, Ingrid Bachér, Gisela Elsner sowie weiteren Frauen vermerkt. Und ich bin noch gar nicht durch, ich bin erst etwa in der Mitte des Buches. Sehr erfreuliche Lektüreaussichten und Weiterbildungsmöglichkeiten wachsen mir da zu.

Außerdem habe ich gestern noch Diverses auf arte hoffnungsvoll in die Lesezeichen geschoben und nebenbei sogar Theaterkarten für die Herzdame und mich gekauft, weitere für mich und eine geschätzte Freundin sind in Terminverhandlung. Die Tage der Monate mit -er am Ende werden zu kurz für das alles sein, es ist recht klar abzusehen.

Aber wenn sie zu lang wären – nicht auszudenken.

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Rosa und Glitzer

Herr, höchste Zeit.

Der Sommer war zu groß.

Die Lyrik schonend anpassen, ich sage es ja, für kommende Generationen. Der Samstagabend findet als grandioses Finale statt, noch einmal ein letzter Sommerabend mit allem. Und die, die es mögen, werden ihn vermutlich als schön warm und sonnig und überhaupt genau richtig empfinden, alle anderen schwitzen und stöhnen am Rande des Bildausschnitts.

Ich gehe um die Außenalster, wo sich ein überdimensioniertes Wimmelbild des schönsten städtischen Friedens zeigt, ein urbanes Idyll erster Klasse. Szenen wie aus Werbeclips für den neuen September im Norden, für den August 2.0., für den mediterran gewordenen Hanseherbst. Alle paar Meter liegen Picknickdecken am Ufer, darauf Familienverbände, Freundeskreise oder Pärchen. Blicke in das klischeehaft vergoldete Frühabendlicht und über das weite Wasser, das mit all den SUP-Boards, Tret-, Ruder- und Segelbooten und auch diesen neuen Dingern, die wohl Foilboards heißen, aber sicher bin ich mir da nicht, aussieht wie ein riesiger Freizeitpark mitten in der Stadt. Ein Freizeitpark ohne Eintrittspreise, wie toll ist das denn, und die Leute kommen in Scharen und machen mit oder staunen.

Ein Mann sitzt am Ufer der Ufenalster, Sankt-Georg-Seite, er ist von hinten zu sehen. Vor ihm Ruder- und Segelboote, Sommreabend.

Gar nicht wenige Grüppchen mit Wohlstands- oder Kulturaccessoires sind auf meiner Runde zu sehen. Es gibt Wein aus Flaschen mit anspruchsvoll designtem Etikett, auch Sekt, Prosecco und Champagner kommen vor. Es gibt Bierzeltgarnituren mit Tischdecken und Sitzpolstern. Dazu die guten Gläser, im mit weißen Tüchern gepolsterten Korb mitgebracht, man hat alles dabei. Und das Essen besteht keineswegs aus den Käsewürfeln des Discounters und den Fertigfrikadellchen aus der roh aufgerissenen Plastikschale, wie man es von Ausflügen mit Kindern kennt. Es gibt eher betont Feines vom Catering-Service, Gerichte aus aller Welt, von Sushi bis zu bunten Hummus-Varianten auf frischem Fladenbrot neben Salat mit allem, was als gesund und schmackhaft durchgeht. Für „Women lauging with salad“ einige werden sich an das Meme erinnern, könnte man ergänzende Aufnahmen machen.

Vermutlich wird heute dieses und jenes gefeiert, das kann ich mir gut vorstellen. Da darf es eben etwas Besseres sein, und warum auch nicht. Außerdem die große Freude, dass es mit dem Wetter tatsächlich noch einmal geklappt hat. Dass man wirklich draußen und am Ufer sitzen kann, in den heiter farbigen Sommersachen, im Kleidchen, in Shorts, im luftigen Leinenhemd. Hat man bei der Planung immerhin nicht ahnen können. Nicht frierend sitzt man da, nicht nass, nicht klamm.

Und dabei auch noch genau zu wissen, dass es vermutlich schon morgen nicht mehr gehen wird! Was für ein Hauptgewinn dieser Abend ist.

Ein Mann sitzt am Ufer der Außenalster, Höhe Schwanenwik, er hat sein Fahrrad hinter sich abgelegt und liest etwas.

Vielleicht erklärt das, warum ich auf der ganzen verdammten Runde, immerhin 7,4 Kilometer lang, nichts als Frieden und Glück und Harmonie sehe. Alles sieht aus wie gecastet und geplottet, weichgezeichnet und warmgefiltert. Lachen und Knutschen und Umarmungen, neckendes Herumalbern an den Stegen und Wegen. Küssen und besinnliches Schweigen in trauter Gemeinsamkeit unter den alten Bäumen. Spielende Gruppen von Studentinnen mit Bällen und anderen Sportgeräten, selbstverständlich sieht alles überaus gekonnt aus.

Vertrauliches Flüstern unter Weidenzweigen am Wasser. Einige einzeln lesende Menschen, und sie wirken durch die Bank mit sich zufrieden und tiefenentspannt, nicht etwa einsam, zurückgelassen und verbittert. Besinnliches Blättern unter nur zögerlich bunter werdenden Blättern. Dazu heiter spielende Kinder vor dem Schilf, schlafende Babys im Schatten und wedelnde Hunde von ausgeprägter Niedlichkeit.

Zwei Männer und eine Frau auf einer Picknickdecke am Ufer der Außenalster

An einem Anleger ein attraktives junges Paar, das einen südamerikanischen Tanz einübt, sie sind beide weit Fortgeschrittene. Es sieht filmreif aus, und selbstverständlich filmten es einige auch tatsächlich und heimlich mit dem Handy und sehen dann angestrengt unbeteiligt in die weitere Gegend, als der Tänzer sich zwischendurch nach ihnen umsieht.

Also wirklich, es ist insgesamt seltsam und untypisch für diese Stadt. So hört der Sommer hier auf, mit einem Groß- und Generalidyll. Diese junge und vehement gut aussehende Frau, die mir auf einem E-Scooter entgegenkommt und ein sehr leichtes, sehr dünnes, langes Kleid trägt, das übertrieben malerisch im Fahrtwind nach hinten flaggt, als sei sie eine moderne und bemerkenswert gelungene Interpretation der ehrwürdigen Galionsfiguren im Altonaer Museum. Alles, was ich sehe, ist ein klein wenig zu gut.

Blick von der Krugkoppelbrücke auf die belebte Außenalster, etliche Boote, Freizeitvergnügen.

Vielleicht, um doch noch und endlich einen negativen Gedanken hineinzubringen, denn zu viel Rosa und Glitzer halte ich auf Dauer schlecht aus, hat die Hitze der letzten Wochen alle dermaßen erschöpft, dass für Streit und Unfrieden an diesem letzten Abend der Saison einfach keine Energie mehr verfügbar ist. Und sich also alle in süßer, erschöpfter Passivität dem finalen Sommersonnenuntergang ergeben. Das Stockholm-Syndrom und die Jahreszeiten, ein vermutlich eher unbehandeltes Thema.

Ja, so mag es sein.

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Egal. Wir haben es jedenfalls geschafft und legen passend zu den Erscheinungen des phänologischen Stadtkalenders die Musik von damals auf. Das Jahr, die Stadt und wir alle sind eine Runde weiter.

John Prine, man kann ruhig ab und zu daran erinnern, ist auch einer von denen, die wir an die Corona-Pandemie verloren haben.

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Altersmilde und tolerant

Für den Freundeskreis Elizabeth Strout gibt es ein Interview mit der Autorin im Guardian. Und demnächst gibt es dann Neues von ihrer Olive Kitteridge, das schon einmal vormerken.

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Gehört: Herta Müller, Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt, gelesen von Matthias Brandt. Mir fallen im Moment einfach keine erheiternden Inhalte zu, aber gute und wichtige sind es doch. Die Maigret-Serie, die ich abends sehe, ist gemäß der Buchvorlagen auch nicht direkt aus der Comedy-Ecke und Nicole Seiferts „Einige Herren sagten etwas dazu“ ist ebenfalls kaum erheiternd, nur besonders lesenswert und erhellend. Humor ist in meinen Zulieferungen gerade aus, wie es scheint.

Na, kommt vielleicht später wieder rein.

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„Die Naach woor schwöhl un stickisch heiß.“ Es gibt zum Wetterbericht am Morgen wieder passendes Liedgut, und zwar die gelungene BAP-Adaption des Simple Twist of Fate von Bob Dylan, des Songs mit komplettem Kurzgeschichteninhalt.

„Er registriert: Dat Zemmer ‘s leer.
Sie ‘s niemieh do, et fällt ihm schwer,
zo dunn als ob et ejal wöhr,
un riehß et Finster op.
Er spürt die Leer‘ enn singem Kopp,
für ‘ne Moment un säät sich dann:
„Wahnsinn, wat einem all passiere kann.“

Man kann außerdem, wenn man dem Kölschen irgendwie nahesteht, eine Zeile des Liedes jederzeit auf das Wetter und den Wandel anwenden, wenn sie einem gerade nicht passen: „Sujet deit et Schicksal einem ahn.

Ich kann kein Kölsch, ich habe nur die Satzmelodien in meiner Kindheit gelernt. Damals bei der rheinischen Verwandtschaft, bei der anderen Großmutter und der Tante. Wo sich für mich alles nach einem anderen Land anfühlte, die Sprache, das Essen, die Stimmung, die Landschaft, die Häuser.

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Ich mache etwas erstaunt eine Feststellung beim abendlichen Spaziergang, der mich diesmal durch das neue Wohnquartier am Baakenhafen führt. Das ist gleich neben den Elbbrücken, die sie vielleicht auch dann kennen, wenn Sie mit Hamburg nicht so vertraut sind. Die Bilder im Text passen heute nicht recht, sie sind eher neben dem neuen Areal entstanden, in der direkten Nachbarschaft.

Ein altes Auto mit sportlicher Anmutung vor neuen Bürogebäuden im Elbbrückenquartier

Ich merke nämlich, dass ich nach etwa einer Woche mit mehr Bewegung als sonst keine Rückenschmerzen mehr habe. Gar keine. Nicht einmal beim sonst für mich so schwierigen Stehen. Obwohl ich nur gegangen bin, was unsere normalste Bewegungsform ist und den meisten kaum als Sport gilt.

Das wirkt also. Da dann besser mal dranbleiben, denn es ist ausgesprochen nett und der Stimmung zuträglich, wenn es hinten nicht schmerzt. Allerdings muss ich dann in der bald kommenden Regen- und Winterzeit vermehrt durch U-Bahn-Stationen und Passagen gehen, um nicht nass und frierend am frühen Abend durch die Stadt zu streichen.

Blick auf die neuen Häuser am Versmannkai

„Nass und frierend“, ich kann es mir im Moment kaum vorstellen, bei 20, nein, bei 21 Grad schon am frühen Morgen. Aber gut, es gibt etliche U-Bahnstationen, S-Bahnhöfe und Passagen in Hamburg, in denen Wetter aller Art nur stark begrenzt stattfindet. Die damalige Vorsicht bei der Wohnortwahl zahlt sich immer wieder aus. Ich nehme mir also weitere Gänge für die nächsten Monate unverbindlich vor und gehe auch im Herbst auf Tour.

Blick durch die Scheiben der U-Bahn-Station Elbbrücken auf den Feierabendverkehr auf der Zweibrückenstraße, im Hintergrund noch neu wirkende Hochhäuser

Noch eine zweite Feststellung gibt es bezüglich der Gegenden in der Hafencity. Nämlich dass sich mein Hirn nach wie vor konsequent weigert, dort irgendwelche Straßennamen abzuspeichern. Ich finde mich da zurecht und kenne die Richtungen, was an der Elbe auch nicht schwer ist. Erstaunlich kategorisch weiß ich aber nicht, wie da was heißt. Ich notiere es nur deswegen, weil ich zuverlässig weiß, dass es nicht nur mir so geht, dieses Defizit ist gängig in der Stadt. Vermutlich ist es ein Fall von Verweigerung gegenüber neu erbauten Quartieren: Diese Stadtviertel sind nicht von hier.

Ich nutze zur Orientierung oder um doch einmal Straßennamen nachzusehen übrigens eine Open-Maps App, Organic Maps, die finde ich sympathisch, was Datenschutz etc. betrifft und die Darstellung gefällt mir. Sie läuft mit heruntergeladenen Karten auch ohne Netz. Also sogar, wenn man einmal Zug fährt oder an der Nord- oder Ostsee ist. Keine bezahlte Werbung, nein.

Und schließlich werde ich, das ist das dritte Bemerknis, altersmilde und tolerant, denn auf einmal mag ich es da. Mir gefallen diese frischen Straßen, die gerade eben erst bezogenen Häuser, die neu eröffneten Läden für die Nahversorgung. Vielleicht baue ich geistig schon massiv ab und das kritische Denken fällt zuerst … wie soll man es präzise von einer Milderung unterscheiden können, und es ist auch egal. Unterm Strich war es immerhin ein positives Gefühl, das lasse ich erst einmal so.

Aber ich gehe demnächst noch einmal hin, um alles erneut nachzuprüfen.

Blick über die menschenleere Baakenhafenbrücke

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