Woanders – Der Wirtschaftsteil

In der letzten Woche hatten wir gestaunt, dass die Schweiz gerade das bedingungslose Grundeinkommen diskutiert, in dieser Woche können wir staunen, welches Land unfassbare Summen für die Förderung erneuerbarer Energien ausgibt: Saudi-Arabien. Wenn das ein Trend ist, dass Länder sich für Themen einsetzen, die man bei ihnen nicht erwartet, was kommt dann wohl noch?  Werden sich am Ende die USA für die Menschenrechte einsetzen? Spannend!

Und dann gibt es ein Land, das seine Landwirtschaft tatsächlich komplett auf Bio umstellt. Als staatliche Vorgabe für die ganze Nation. Klingt utopisch, ist aber wahr. Allerdings handelt es sich um ein Land, das ohnehin ein wenig seltsam ist. So seltsam, dass es dort eine staatliche Kennzahl gibt, die  ein wenig klingt, als hätte sie sich Michael Ende ausgedacht, nicht etwa ein Ministerium: Das Bruttoglücksprodukt. Ein kleiner Bergstaat in unzugänglicher Gegend, zwischen mächtigen Nachbarn. Nein, nicht schon wieder die Schweiz. Es ist Bhutan. In Europa dagegen, bei Ihnen um die Ecke also, da läuft das gerade noch etwas anders auf dem Acker. Und lange nicht so erfreulich.

Einer von Bhutans Nachbarn ist China, jener Wirtschaftsraum, bei dessen Nennung deutsche Vertriebsmanager spontan anfangen zu sabbern. Eine wie irrsinnig wachsende Volkswirtschaft, erigierte Säulendiagramme des Absatzes, das Paradies des Wachstums. Allerdings ein Paradies mit schlechter Luft. So schlecht, dass die ersten Vertriebsmanager schon wieder abhauen, und das will nun wirklich etwas heißen. Diese Lebensform besiedelt sonst auch besonders unwirtliche Gegenden.

Da müssen die sich also wieder einen neuen Job suchen, die Smog-Flüchtlinge. Und wenn sie Pech haben, fangen sie die Suche in Deutschland an, wo man als Neuer im Betrieb gar nicht immer wahnsinnig willkommen ist.

Weibliche und männliche Gehaltsempfänger, die nicht gerade viel verdienen, haben aber jedenfalls eines gemeinsam – sie können sich bei uns kaum noch eine Wohnung leisten.

Der Spielverderberlink der Woche befasst sich mit Gimmicks, wenn ich das mal so nostalgisch ausdrücken darf. Also das Spielzeug, das als Dreingabe bei Kinderzeitschriften fungiert. Oder Spielzeug, das als Dreingabe eine Zeitschrift hinten drankleben hat, wie auch immer man das sehen möchte. Das Zeug ist, große Überraschung, gar nicht mal so gesund.

Kaufen Sie lieber besseres Spielzeug. Spielzeug ist überhaupt ein interessantes Thema, es ist immerhin nicht nur pädagogisch wichtig,  sondern auch die Heranführung des Nachwuchses an den Konsum. In Zeiten des Sharing-Booms ist das Leihen von Spielzeug vielleicht eine Variante, über die man nachdenken sollte.

Und wenn Sie das Spielzeug nicht leihen, sonder lieber online kaufen wollen, dann könnten Sie auch über Plattformen wie Hero-Shopping nachdenken. Auch wenn die Leserinnen und Leser mit BWL-Schädigung bei dem Satz “Der Kunde zahlt keinen Cent dazu” natürlich leise kichern. Die gute Absicht ist sicher dennoch interessant. Ein weiterer Versuch, die Wirtschaft menschlicher zu machen, greifbarer und sinnvoller. In diese Richtung gehen auch die regionalen Experimente mit alternativen Währungen.

Die gute Absicht wollen wir auch beim Smalltalk-Begriff der Woche beachten, da geht es um den Commonismus. Was für eine entzückende Vokabel. Fast so entzückend wie das Etikett “Aus kontrolliert humaner Produktion”, das Herr Dueck gerade so sinnig vorgeschlagen hat.

Wenn Sie diese Kolumne noch im Urlaub lesen, womöglich auf einer Liege am Mittelmeer, können Sie noch eben ein Stück Weiterbildung mitnehmen, Sie haben dann gerade die richtige Umgebung. Und Zeit sowieso. Die Deutsche Welle über die Geschichte des Tourismus und der Pauschalreisen.

Der Design-Link der Woche zum Schluss, er ist ist eher ein Kunstlink. Oder ein Fotolink, ein Umweltlink, ein Oha!-Link. Ein ganz eigenes Ding. Gucken Sie mal hier.

GLS Bank mit Sinn

Kurz und klein

— Gebbi Gibson (@GebbiGibson) July 20, 2013

 

 

In Rust hat’s geregnet

Ich saß am Sonntag im Heimatdorf der Herzdame im Garten unter einem Sonnenschirm und verdaute größere Mengen Himbeertorte.  Das war eine völlig angemessene Tätigkeit für einen weiteren unsinnig heißen Nachmittag, fand ich. Die Herzdame und die Söhne zogen durch die Nachbargärten, ich hörte ihre Stimmen noch von weit her durch die Büsche. Fernes Planschen, fernes Lachen. Die Uroma der Söhne setzte sich zu mir. Gespräche mit ihr sind manchmal etwas schwierig, wir leben in recht verschiedenen Welten. Vielleicht auch in anderen Galaxien. Aber erst einmal sagte sie gar nichts. Sie sah in den strahlend blauen Himmel über Nordostwestfalen, an dem nur an den äußersten Rändern ganz vereinzelte Wolkenfetzen zu sehen waren, die eine eher dekorative als meteorologische Bedeutung hatten. Sie seufzte nach einer Weile und erklärte dann, was sie gerade beschäftigte.

 

Uroma: “In Rust hat’s ja geregnet.”

Ich: “Was?”

Uroma: “In Rust hat’s ja geregnet, sag ich.”

Ich: “Mir fällt zu Rust nur Kremlflieger ein.”

Uroma: “Was?”

Ich: “Egal.”

Uroma: “Da hat’s jedenfalls geregnet.”

Ich: “Wo auch immer.”

Uroma: “Na, in Rust.”

Ich: “Kenn ich nicht.”

Uroma: “Das kennst du nicht?! Na, wo doch die Sendung war!”

Ich: “Was?”

Uroma: “Haste die nicht gesehen?”

Ich: “Was?”

Uroma: “Die Sendung. Die Sendung mit dem Stefan.”

Ich: “Raab?”

Uroma: “Was?”

Ich: “Egal.”

Uroma: “Die Sendung aus Rust. Mit dem Stefan. Da hat’s geregnet.”

Ich: “Welche Sendung auch immer.”

Uroma: “Die Sendung mit der Musik.”

Ich: “Was?”

Uroma: “Der macht doch die Musik.”

Ich: “In Rust, ja.”

Uroma: “Ah guck, haste doch gesehen, was?”

Ich: “Nein.”

Uroma: “Klang gerade so. Das ist nicht schön, wenn das dann so regnet. Bei der Musik.”

Ich: “Nein.”

Uroma: “Was nein?”

Ich: “Das ist nicht schön. Wenn es so regnet. Bei der Musik.”

Uroma: “Ja, finde ich ja auch.”

Ich: “Hier ist aber schönes Wetter.”

Uroma: “Ja. Aber da hat’s geregnet. Beim Stefan.”

Ich: “Wer auch immer das ist.”

Uroma: “Na, der Stefan Mross doch. Der aus der Sendung.”

Ich: “Was?”

Uroma: “Kennste nicht?”

Ich: “Ich kenne den nicht. Ich guck kein Fernsehen.”

Uroma: “WAS?”

 

Es ist wirklich manchmal etwas schwierig mit ihr, wir haben einfach nicht viel gemeinsam. Aber wenn es so regnet bei der Musik, das stelle ich mir jedenfalls auch nicht schön vor. Da waren wir uns tatsächlich völlig einig. Es ist doch immer schön, eine gemeinsame Basis zu haben.

 

Nanu

Sohn I: “Papa, können wir Auto fahren und dabei sehr laut Electro-Swing hören?”

Was für eine verwöhnte, überinformierte Kindheit. Ich konnte damals, als ich in dem Alter war, noch keine einzige Musikrichtung beim Vornamen nennen und musste im Auto noch selber singen, wenn ich ein Lied hören wollte.

Wir hatten ja nichts.

Woanders – diesmal mit Obdachlosigkeit, einer Lehrerin, einer Zeitschriftenverkäuferin und anderem

Eine Buchempfehlung für Eltern, die mit Kindern über Obdachlose oder Obdachlosigkeit reden wollen oder müssen. Bei einer Wohnlage wie der unseren im kleinen Bahnhofsviertel etwa ist das sehr angebracht.

Eine Lehrerin zieht aus Bayern nach Hamburg und wirkt auch sonst sehr vernünftig. Zu dem Text gibt es einen zweiten Teil, den findet man auch dort im Blog.

Ein Interview mit einer Zeitschriftenverkäuferin. “Die anstrengendsten Kunden tragen Aktenkoffer und Anzug. Die halten sich oft für etwas Besseres.”

Glumm schreibt einen ziemlich speziellen Nachruf auf JJ Cale.

Der Herbstwart der deutschen Blogospäre titelt “Überstanden”, da weiß der Kenner gleich, der Sommer neigt sich dem Ende zu. Ein schönes Ritual. Und es werden sich mehr Leser finden, die sich mit dem Verfasser in der ästhetischen Ablehnung des nordeuropäischen Menschen im Hochsommer einig wissen. Sommermode steht uns einfach nicht, da kann man nichts machen. Denn es ist die Mode, die den Herbst erträglich und wünschenswert macht. Und nicht etwa die Temperaturen, die Pfifferlinge oder die blöde Kastanienbastelei.

Das Neusprech-Blog zum Begriff Supergrundrecht. Auch dann lesenswert. wenn man das Wort schon nicht mehr hören kann.

Vielleicht nur für die interessant, die das Jahr 1977 mitbekommen haben, in welchem Alter auch immer. Ein Gespräch zwischen Schmidt und dem Sohn von Schleyer in der SZ. Ein Gespräch, in dem auch die Antworten wichtig sind, die gar nicht gegeben werden. Und zwischendurch darf man sich natürlich auch schaudernd fragen, wie ein so komplett richtungsloser Mensch à la Angela Merkel sich damals wohl verhalten hätte.

Bilder: Mimesis. Ein Blog für Menschen, die Gesichter sehen. Via Giardino.

Bilder: Ein Fotoprojekt, das besonders die Menschen beeindrucken dürfte, die dauernd meinen, kein Motiv finden zu können. Dann macht man eben eine Serie.

Bilder: So eine Hauswand sollte es auch in Hamburg geben. Dringend.


 

Socken

Ich sitze zu viel, also denke ich über Freizeitsport nach. So sehr denke ich darüber nach, dass ich neulich sogar gelaufen bin, wie all die anderen auch. Ich habe gemerkt, dass ich Laufen hasse. Es fühlt sich nicht gut an, man schwitzt unmenschlich und kein Mensch sieht dabei gut aus. Laufen ist schrecklich. Mir unbegreiflich, wie so etwas Volkssport werden konnte. Aber Gehen, das sieht doch ganz gut aus! Also, dachte ich, mach ich doch mal Wanderungen. Klingt etwas spießig, aber man bewahrt in der sportlichen Bewegung noch einen Rest von Würde, hoffe ich. Wandern ist allerdings etwas für Ausrüstungsfreaks, man kann nicht einfach losgehen, nein! Man braucht spezielle Schuhe, spezielle Socken, spezielle Unterwäsche, spezielle Karten, spezielle Gepäckstücke. Man geht ja auch auf speziellen Wegen, logisch. Ich habe also in einem Fachgeschäft spezielle Wanderschuhe gekauft. Dem Mann, der mich beraten wollte, habe ich gesagt, dass ich gerne die günstigsten Schuhe hätte. Ich spüre seine Verachtung noch heute. So etwas sagt man in Fachgeschäften nicht.

Dann las ich mir durch, was auf den Packungen der speziellen Wandersocken stand. Diese Socken haben nämlich keinen leichten Job, die müssen etwas leisten. Die haben z.B. ein eingebautes Feuchtigkeitsmanagement, stand da. Das fand aber keiner lustig, außer mir. Ich las weiter. Diese Socken können Zehen schützen, Fersen polstern, Sohlen schonen, Bündchen anpassen, Gefahrenzonen von Druck entlasten, das Klima regeln, die Gelenke schonen, Raum ausgleichen, Hitze regulieren, extrem viel aushalten, lange durchhalten, atmungsaktiv sein, die Luft zirkulieren lassen, Druckspitzen reduzieren, Tragekomfort schaffen, Stress mindern, sich auch für andere Sportarten anbieten – ich war wirklich entsetzt.

Ich hatte bis zum Besuch dieses Fachgeschäfts keine Ahnung, aber es gibt Socken, die sind beruflich vielseitiger und belastbarer als ich.

 

(Dieser Text erschien als Wochenendkolumne in den Lübecker Nachrichten und in der Ostsee-Zeitung)

Im Heimatdorf

Unbenannt

Auf dem Hof im Heimatdorf steht die Luft wie ein glühender Block zwischen den Hauswänden. Wenn man eine Weile im kühlen Haus war und dann wieder vor die Tür geht, fühlt es sich an, als würde einem jemand eine heiße Bratpfanne an den Kopf hauen. Mit Anlauf. Die Familie ist im Garten, die Büsche geben ein wenig Schatten, in der Sonne hält man es nur minutenweise aus. Die Herzdame liest Zeitung, auf dem Dorf gibt es immer noch gedruckte Zeitungen. Sohn I liegt in einem aufblasbaren Plansch-Pool voller kaltem Wasser, Sohn II liegt in einem Bottich vom Bau, der zur Hälfte mit Schlamm gefüllt ist. Die Geschmäcker sind eben verschieden. Hinten über dem großen Maisfeld flimmert es, die Disteln davor werden von einer Unzahl Hummeln belagert, man hört das Brummen von Weitem. Die Hummeln scheinen sich noch langsamer als sonst zu bewegen, das kann man verstehen. So einen Hummelpelz möchte man jetzt auch nicht unbedingt anhaben. Der Uropa der Söhne steht im Hof, besieht sich das Thermometer und kratzt sich am Kinn.

Der Uropa der Söhne: “Bisschen warm, ne?”

Ich: “Kann man sagen. 38 Grad, hier im Schatten. Und kein Wind.”

Der Uropa der Söhne: “Kannste nicht viel machen, bei dem Wetter.”

Ich: “Nee, kann man wirklich nicht.”

Der Uropa der Söhne: “Ich mach heute auch nichts mehr. Ich will nur eben noch das Dach da reparieren.”

Und dann nahm er eine Leiter und stieg pfeifend auf das Flachdach an der Garage, den Hammer unter den Arm geklemmt. Ich bin mir manchmal nicht sicher, ob ich Nordostwestfallen jemals wirklich ganz verstehen werde.

 

Woanders – Der Wirtschaftsteil

Na, wieviel Zeit haben Sie denn für diese Linksammlung eingeplant? Haben Sie schon nach unten gesehen, wie lang sie diesmal wieder ist? Sind Sie am Ende auch so ein digital gestresster Hektiker, der alles in maximal zwei Minuten erledigen muss? Hm? To-Do-Liste abhaken wie ein Workaholic auf Speed? Zuckt der Finger über der Maus, kreisend wie ein Raubvogel über einem Feld voller junger Karnickel? Kein Problem, wir sind hier unter uns. Wirklich, das können Sie ruhig zugeben. Wir sind alle so, anders funktioniert die Welt doch nicht mehr, die digitale schon gar nicht. Die Wirtschaft natürlich auch nicht. Zeit ist Geld, das war nie so wahr wie heute! Und beides wird immer knapper, wenn wir nicht immer schneller hinterherlaufen. Und wir erziehen auch unsere Kinder schon so, eh klar, die müssen sich uns ja anpassen. Alles muss ganz schnell gehen, dann ist man am Ende schneller… äh… irgendwas. Später mal nachdenken. Keine Zeit jetzt gerade.

Gegen den Geschwindigkeitswahn hilft vielleicht die Rückbesinnung auf Zeiten, in denen man noch Zeit hatte. Denen kann man sich auch wieder anpassen, den guten alten Zeiten, etwa modisch, aber auch im Lebenstil. Ist es nicht logisch, dass jemand die Langsamkeit als Trend wieder auferstehen lässt, als Gegenentwurf zu unserem durchgetakteten Alltag? Und wenn wir es nicht tun wollen, dann machen es eben unsere Kinder, die mit 18 womöglich das Smartphone rebellierend aus dem Fenster werfen, Schäferinnen-Figuren aus heimischem Tannenholz schnitzen und abends mit Gitarre am Lagerfeuer sitzen. Bei Kid37 sind zwei Filmchen verlinkt und erklärt, denen man auch den überaus passenden Smalltalk-Begriff der Woche entnehmen kann: Vintage Ride. Ist es ein netter Freizeitspaß durchgeknallter Hipster – oder geht es um mehr? Mal zwei Minuten erörtern? Ach was, viel zu lang. Schon klar.

Einer von denen, die den überhitzen und rasenden Märkten vor ein paar Monaten zum Opfer fielen, ist, man stelle sich den Namen mit der Synchronstimme von Lee Marvin gesprochen vor,  Dirk Nonnenmacher. Der von der Nordbank, der von den Medien zu einer Art Fürst der Finsternis des deutschen Bankwesens stilisiert worden ist. Die Zeit über seinen Prozess und die Hintergründe.

Andererseits ist es aber, wir wollen hier ja möglichst ausgewogen und also verwirrend bleiben, vielleicht doch so, dass dieses Land gar kein Problem mit rasender Geschwindigkeit hat, sondern immer noch viel zu langsam ist. Etwa beim Umbau der Bildung, wie Nico Lumma hier in einem längeren Stoßseufzer feststellt.

Aber genug von Speed und digitalen Branchen, es gibt noch andere Branchen und Lebensbereiche. Und es ist manchmal geradezu erfrischend, sich bodenständigeren Themen zuzuwenden. Etwa Drogeriemärkten. Werfen wir noch einmal einen Blick auf arbeitslose Schlecker-Frauen, um das grauenvolle Wort aus dem letzten Jahr noch einmal zu erwähnen. In der Süddeutschen ein langer Bericht über drei Damen, die erfolgreich eine eigene Drogerie aufgemacht haben, die sich also die “Anschlussverwendung”, selbst geschaffen haben – und sogar ziemlich schnell.

Der Schäfer hat ein Problem mit der EU, andere Menschen hoffen dagegen auf Hilfe durch die EU. Etwa die Arbeiter aus Rumänien oder Bulgarien, die in Niedersachsen vielleicht Arbeit finden, aber keine akzeptablen Bedingungen.

Aber die armen Bulgaren  oder Rumänen können wir wahrscheinlich eh nicht verstehen, uns geht es nämlich viel zu gut.

Und wenn wir über gut und schlecht im wirtschaftlichen Sinn nachdenken – welches europäische Land führt das bedingungslose Grundeinkommen wohl zuerst ein, zumindest vielleicht? Es ist eher schwer zu raten, glaube ich.

In diesem Wirtschaftsteil ist auch oft von Ressourcen die Rede, von Rohstoffen und vom Umgang damit. Die Ressource Dunkelheit kam bisher noch nicht vor. Aber jetzt rücken wir sie mal ins Licht.

Erwähnen wir kurz noch die natürliche Ressource Schönheit, die der Mensch auch gerne einmal versaut. Denken wir nur an unsere Beine, die viele Menschen seit ein paar Jahren in etwas enden lassen, das man nur als den schändlichsten Moment in der Geschichte der Schuhmode, als Tiefpunkt des Billigkults und als Verwirrung aller ästhetischen Grundregeln bezeichnen kann. Es geht um traumatisierend häßliche Treter, um die fiesesten aller Fußverblendungen, die scheußlichsten Schlappen aller Zeiten, die peinlichsten Puschen ever, schon gut, ich hör ja auf. Was ich sagen wollte – ungesund sind die Dinger auch noch.

Der Designlink der Woche einmal wieder mit architektonischem Bezug: Wohnen in Ruinen. Das sieht wesentlich besser aus, als es klingt. Es erinnert ein wenig an englische Gentlemen, deren Anzüge von den Butlern eingetragen wurden. Damit sie um Gottes willen nicht neu aussahen, neu war in gewissen Kreisen einmal peinlich. Those were the days. Fast könnte man jetzt noch einmal auf diesen Tweed-Film klicken, nicht wahr? Wenn man Zeit hat jedenfalls.

GLS Bank mit Sinn

Gelesen, gesehen, gehört im Juli

Gelesen:

Sarah Kirsch: Regenkatze. Von Sarah Kirsch kannte ich noch gar nichts und hatte eine falsche Meinung von ihr. Ich wusste nur, dass sie Lyrik schrieb und eine Naturkennerin war, DDR-Vergangenheit und Wohnsitz irgendwo in Schleswig-Holstein hatte, das hatte ich so beim Überfliegen der Feuilletons mitbekommen. Ich dachte, ihre Werke seien so ätherisch-versponnenes Zeug, Naturlyrik für Eingeweihte. Manchmal liegt man eben falsch.

Regenkatze ist allerdings gar keine Lyrik, das sind tagebuchartige Prosaskizzen einer etwas exzentrischen alten Dame, die mitten in Dithmarschen in einem kleinen Häuschen wohnte. Und dieses Wohnen beschreibt sie da, das Wohnen und das Leben. Wie sie sich diebisch über Regentage freut, an denen man so viel besser lesen kann als an den Sonnentagen. Und Musik hören. Es dauert nur ein paar Seiten, dann sieht man sie schon deutlich vor sich, wie sie am Fenster mit Blick in den Garten sitzt, Glenn Gould hört, die Katze streichelt und auf die Post von Amazon wartet. Wie sie begeistert Harry Potter oder Murakami liest, angewidert in die Gedichte von Grass blättert, den letzten Kempowski kumpelhaft nebenbei bewertet, an alte Weggefährten denkt. Wie sie durch die Landschaft huscht, in der sie jeden Zweig und jeden Käfer persönlich zu kennen scheint, wie sie mit ihrer Katze spricht und es genießt, viel Zeit zu haben. So als Pensionistin, wie sie sich nennt. Wie sie sich über all ihre Erinnerungen freut, wie sie sich freut, dass ihr “Köppi” so schön voll ist, dass jeder Gedanke so viele andere zum Klingen bringt. Eine Pensionistin, die betont resolut vor sich hin denkt und gerne allein in ihrer Weltabgeschiedenheit ist, stundenlang Assoziationen und Erinnerungen hinterherdenkt. Sie verfolgt nebenbei noch die Politik und die Nachrichten. Sie fühlt sich überhaupt nicht mehr zuständig, findet das gut und sieht lieber aus dem Fenster und im Herbst den Schwalben nach. Und wenn man das halbe Buch gelesen hat, hält man es in einer Stadtwohnung plötzlich nicht mehr aus und möchte aufs Land. So ein schönes kleines Buch. Gleich mehr Nichtlyrik von Sarah Kirsch bestellt. Und aufs Land gefahren. Nun ist das womöglich etwas schräg, sich dem Werk einer großen Lyrikerin nur über ihre Prosa zu nähern, aber ich hatte Urlaub und war unterwegs, da passten keine Gedichte. Gedichte gehen bei mir nur im eigenen Bett. Im Urlaub muss ich beim Lesen Strecke machen, sonst war der Urlaub sinnlos. Also die ganze Prosa von ihr.

Sarah Kirsch: Die ungeheuren bergehohen Wellen auf See. Erzählungen über Frauen in der DDR. Kühl und ohne jedes Pathos erzählt, das liest sich so weg wie kaltes, klares Wasser. Mein Favorit war die Geschichte von der jungen Frau, die in einem Mann verwandelt aufwacht, was dann eine erstaunlich folgenlose Angelegenheit ist und mit größter Selbstverständlichkeit über die Bühne geht. Großartige Geschichte.

Sarah Kirsch: La Pagerie. Notizen über eine Frankreich-Reise, es geht in ein Schloss in der Provence. Die Reisenotizen sind Texte, die manchmal wirken, als könnten sie sich zwischen Lyrik und Prosa nicht recht entscheiden. Da sieht man denen als Leser dann so beim Kippeln zwischen den Gattungen zu und freut sich, wie alles schwankt.

Sarah Kirsch: Irrstern. Skizzen aus Dithmarschen, die kann man sehr gut lesen, wenn man gerade auf Eiderstedt in einem alten Haus auf dem Deich sitzt und Kühe vor dem Fenster hat, die in der Abenddämmerung vor dem Fenster unter den alten Weiden stehen und wie fragend muhen. Im Buch wird irgendwas im Garten beschrieben und vor dem Fenster raschelt gleichzeitig was und das wird es dann schon sein, was da gerade auf der Seite steht, da klingen Buch und Wirklichkeit plötzlich zusammen wie in einem Verwirrspiel, das ist großartig. Wieder gemerkt, wie wichtig die richtige Buchauswahl im Urlaub ist. Muss man viel mehr drüber nachdenken.

Sarah Kirsch: Allerleih-Rauh. Das Buch habe ich nicht verstanden. Aber es sind hübsche Stellen drin. Viele sogar, daher dennoch durchgelesen. Dann etwas recherchiert und eine alte Kritik von Raddatz zum Buch gefunden, der hat immerhin auch nicht ansatzweise verstanden, warum das Buch diesen Märchen-Titel trägt und was das Märchen im Buch überthaupt soll. Gleich nicht mehr ganz so doof gefühlt. Auch gut.

Sarah Kirsch: Schwingrasen. Schwingrasen, das wusste ich auch wieder nicht, sind Wiesen über dem Moor. Das ist noch ein Buch auf der Kippe, zwischen Lyrik und Prosa einerseits und den mittleren Jahren und dem Alter der Autorin andererseits. Diese kippeligen Bücher von Ihr mag ich sehr.

Sarah Kirsch: Spreu. Das sind größtenteils Notizen von Lesereisen und Berichte von Lesereisen finde ich fast immer interessant. Beiläufige Zeilen aus gottverlassenen Kleinstädten und Käffern und Bahnhöfen in der Provinz. Hotelbeschreibungen aus den großen Städten, seltsame Vögel im Publikum, schräge Veranstalter, das liest sich fast bei jedem Dichter gut, das können sie irgendwie alle.

Sarah Kirsch: Das simple Leben. Eigentlich hätte sie auch gut bloggen können. Die Texte sind fast immer in der typischen Blogeintragslänge, weisen sprachliche Marotten auf, leben von Rückbezügen und Andeutungen, das kennt man doch irgendwoher. Hier sehr viel über Schafzucht in Dithmarschen, das Wetter und den Matsch, “wir leben in Matschedonien”. Ein nettes Wort für Dithmarschen.

Sarah Kirsch: Islandhoch. Aufzeichnungen von einer Islandreise, mit dem Schiff unternommen. Liest sich fast so, als würde man da auch einmal hinwollen. Und das will etwas heißen, in meinem Fall. Ich kann zwar ihre Leidenschaft für Botanik so gar nicht teilen, aber was sie über die Gegend schreibt… hach ja.

Sarah Kirsch: Tatarenhochzeit. Das ist wieder etwas mit starkem DDR-Bezug, so etwas lese ich als Westler, der ohne jeden Bezug zur DDR aufgewachsen ist, abgesehen natürlich davon, dass sie immer in Sichtweite lag, als seltsam exotisches Buch. Es spielt in einem sehr weit abgelegenen Land, dass tatsächlich von Travemünde nur wenige Meter entfernt war, das kann man auch keinem mehr erklären, der nicht dabei gewesen ist. Faszinierend. Ob ich das Buch ohne intimere Kenntnis der Vorfälle, um die es da geht, verstanden habe – keine Ahnung. Ich kenne auch sonst gar keine DDR-Autoren, mir fehlt jeder Kontext. Stellenweise rät man ohne Hintergrundwissen so vor sich hin. Einiges dann doch lieber quer gelesen.

Sarah Kirsch: Kommt der Schnee im Sturm geflogen. Worinnen es, um nach all den Büchern von ihr auch einmal im Duktus der Kirsch zu schreiben, um Notate zum Leben und Schreiben sich handelt. Viel über das Dichten, viel über Schnee und Wetter und Landschaft und teures Papier und edle Schreibgeräte.

Bei der Lektüre der Kirsch-Bücher immer wieder verblüfft gewesen, wie viele Pflanzen ich nicht kenne oder nicht als Bild vor Augen habe, nur als Begriff. Gleiches Problem wie bei etlichen Dichtern aus dem neunzehnten Jahrhundert, im Grunde sieht man deren Bilder in den Büchern nicht richtig, wenn man das ganze Grünzeug nicht kennt. Es macht immerhin etwas aus, ob etwas prächtig blüht oder eher ein mittleres Blümchen ist. Wenn man das nicht weiß, fehlt bei der Lektüre doch etwas. Wie etwa auch der mir völlig unbekannte Duft des Heliotrops, der in jedem zweiten englischen Roman vorkommt, darüber habe ich vor Jahren schon einmal etwas geschrieben. Diese Bildungslücken sind vermutlich gar nicht so klein. Als würde man sich unter “Hügel” nichts vorstellen können, oder unter “Tapete”. Auch schade.

Aber dass Sarah Kirsch die Sonne einmal als “Glanzkröte” bezeichnet hat, das fand ich schön und das habe ich mir gemerkt, an diesen heißen Tagen.

Elizabeth Strout: Mit Blick aufs Meer. Deutsch von Sabine Roth. Ein Kleinstadtroman aus Maine, USA. Kleines Küstenkaff, kleine Leute, kleine Schicksale. Immer eine gute Idee, so etwas. Resolute ältere Damen, planlose Jugendliche, Alkoholprobleme – fast kommt es mir vor, als hätte ich auch schon einmal etwas in der Art geschrieben. Travemünde weltweit! Hihi. Ziemlich bittere Geschichten darin enthalten. Hat mir gefallen, wunderbar erzählt, großartig übersetzt. hat nicht umsonst ein paar Preise gewonnen. Liest sich ausgezeichnet am Strand von Pelzerhaken, mit Blick auf Dauercamper.

Daniel Kehlmann: Die Vermessung der Welt. Lese ich wahrscheinlich als letzter Mensch in diesem Land. Und ist es denn zu fassen, es macht tatsächlich genauso viel Spaß, wie alle immer gesagt haben. Was für ein vergnügter Erzählstil. Mit herzlichem Dank an die Spenderin.

Werner Koch: See-Leben I. Das hat mir jemand empfohlen und, pardon, ich komme nicht mehr darauf, wer und in welchem Zusammenhang das war. Dank in die Runde jedenfalls, das ist ein schönes Buch. Ich habe das ein paar mal abends im Bett in die Hand genommen und angefangen zu lesen, das geht so los: “Der Mond ließ sich Zeit. Er war weiß und zaghaft, und als ein Fisch durch ihn hindurch sprang, zuckte der Mond zusammen. Dann beruhigte er sich und tanzte kugelrund weiter.” Und weil mir der Anfang so dermaßen gut gefiel, habe ich das Buch danach jeweils wieder weggelegt und bin zufrieden eingeschlafen. Auch ein nettes Ritual, aber etwa nach dem achten Anlauf habe ich dann tatsächlich einmal weitergelesen. Weitergelesen von dem Mann, der seinen Schreibtisch an den See stellt und einfach nicht mehr ins Büro zurückkehrt, eine Home-Office-Variante, lange bevor es so etwas in der Wirklichkeit gab. Von dem anderen Mann, der rückwärts lebt, vom Sarg auf die Geburt zu. Von der stets beleidigten Katze, mit der man niveauvoll streiten kann. Ein feines Buch. Ein ruhiger, klarer Erzählton, ein Roman, der einem Zeit gibt. Auch von Werner Koch gleich mehr bestellt.

Robert Louis Stevenson: Die tollen Männer. Eine Erzählung. Leider keine Angabe zur Übersetzung zu finden. Man müsste das Buch eigentlich auf Helgoland lesen, wo die Nordsee gegen die Felsen tobt und man sich wenigstens halbwegs vorstellen kann, was Großmeister Stevenson hier beschreibt, wenn er von den Tollen Männern erzählt, einer schiffeverschlingenden Verwirbelung im Meer vor einer nordbritischen Insel, wo Wellen geboren werden, die ein teuflisches Eigenleben zu führen scheinen. Und eigentlich müsste es Herbst sein beim Lesen, Sturmsaison. Vielleicht beim nächsten Mal. Stevenson ist immer gut.

Walter Kempowski: Das Echolot – Abgesang 45. Ein kollektives Tagebuch. Ich bin mit dem anderen Echolot-Band von 41 (Barbarossa) noch gar nicht fertig, hatte mir aber diesen Band hier schon einmal auf Vorrat bestellt. Und weil ich in neu ankommende Bücher immer kurz hineinsehen muss, habe ich das auch bei dem Abgesang gemacht und zack, waren drei Stunden rum und ich schon mittendrin. Beklemmend gut, ungemein erhellend. Unheimlich, monströs, beeindruckend, man kann Kempowski nicht genug für die Arbeit danken. Und obwohl bekannt sein dürfte, wie die Geschichte ausgeht, ist die Lektüre unerwartet spannend. Das klingt vielleicht etwas zu leichthin für das Thema, wenn man es spannend nennt, aber genau das ist es tatsächlich. Ein Buch, dass man durchgelesen haben möchte. Während das 41er Buch kaum auszuhalten ist und das Lesen des akribisch geschilderten und letztlich doch unvorstellbar bleibenden Grauens eher Arbeit ist, schwere Bildungsarbeit, ist das hier ein Buch, das man nicht gerne unterbricht.  Aber es geht natürlich auch deutlich besser aus.

Gesehen:

Unfreiwillig eine Folge der Zeichentrickserie Lauras Stern. Und durchaus überrascht gewesen. Habe wirklich nicht geahnt, dass es noch moraltriefendere Kinderunterhaltung als Leo Lausemaus gibt. Man lernt nicht aus! Ebenso unfreiwillig einige Folgen der “Familie Feuerstein”, die aus der Erwachsenenperspektive geradezu erschreckend unwitzig sind. Die Söhne allerdings fanden beides super, mit deutlichem Vorsprung für die Feuersteins. Und dann noch “Lucky Luke” in der Zeichentrickversion. Nicht halb so witzig wie die Comics.

Gehört:

Walter Kempowski: Schöne Aussicht. Gelesen von ihm selbst. Das kannte ich bereits als Buch, aber es ist immer interessant, den Autoren selbst zu hören. Ich finde das löblich, wenn man Autoren ihre Werke einlesen lässt. “Schöne Aussicht” ist übrigens ein gutes Buch, das steht ganz zu Unrecht hinter den bekannteren Werken der Reihe “Deutsche Chronik” zurück. Die Handlung spielt nach dem Ersten Weltkrieg, die Eltern des Autoren beziehen eine Wohnung in einer wenig präsentablen Gegend in Rostock, bekommen Kinder und versuchen den Aufstieg. Wirklich lesens- und hörenswert. Mit herzlichem Dank an die Spenderin.