( Es folgt ein Gastbeitrag von Patricia Cammarata, die viele auch von ihrem Blog kennen werden)
Wenn man sich für ein Kind entscheidet, dann weiß man eigentlich gar nicht was auf einen zukommt. Weniger Schlaf, das ahnen die meisten. Windeln wechseln. Gegebenenfalls Besuche beim Kinderarzt. Aber sonst? Niemand sagt einem vorher die Wahrheit. Die ganze Wahrheit. Nur ich. Ich bin so nett. Ich mache sogar eine Serie daraus.
Heute: Wie sich die Musik in eurem Zuhause verändert
Als das erste Kind kam, packte der gute Musikgeschmack seine Sachen und verließ mich. Nein, eigentlich ist das falsch. Er ging nicht von heute auf morgen. Er verließ mich schrittweise. Jeden Tag ein bisschen mehr. Wobei, auch das ist unpräzise. Genau genommen blieb der Musikgeschmack – aber die passende Musik verließ uns.
Das erste Baby ward geboren, und in mir wuchs der Wunsch für mein Kind zu singen. Ich denke, ein Nebeneffekt der Hormone, denn eine große Sängerin war ich noch nie. Nicht mal unter der Dusche. Ich hatte lediglich die Entwicklungsphase pubertierender Mädchen mitgemacht, in der man gemeinsam Popsongs hört. Immer und immer wieder. Bis man sie auswendig konnte. Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, da gab es kein Internet. Wir konnten nie googeln „Lyrics Madonna Vogue“. Wir saßen damals vor dem Radio und warteten darauf, dass das Lied gespielt wird. Wenn es endlich passierte, drückten wir hektisch den Aufnahmeknopf am Kassettendeck. Das Lied wurde dann zerstückelt gehört. Satz für Satz wurde abgehört und transkribiert.
Strike a pose
Strike a pose
Vogue, vogue, vogue
Vogue, vogue, vogue
Ok, das war nicht so anspruchsvoll, aber es war nötig, um das Lied hinterher auswendig zu lernen.
Hey, hey, hey
Come on, vogue
Es dauerte je nach Lied Stunden, bis man alle Zeilen zusammen hatte. Am Ende konnte ich Melodie und Text auswendig, aber ich hatte das Lied so oft gehört, dass ich eigentlich keine Lust mehr hatte, es zu singen. Ich beschränkte mich auf die Sängerinnen und Sänger, die man noch halbwegs gut verstehen konnte. Damals, in den frühen 90ern gab es eine Menge, die man kaum verstehen konnte und von denen man nur die Lautsprache notieren konnte.
Whitney Houston war für mich sehr schwer zu verstehen, und so wunderte ich mich jahrelang, warum sie in „Saving All My Love For You“ „‘Cos I’m shaving off my muff for you?“ sang.
Jetzt da ich diese Zeilen tippe, wird mir auch klar, dass mein Musikgeschmack der 90er nicht so wahnsinnig anspruchsvoll war, aber die Sache ist folgende: Im Vergleich mit dem, was ich heutzutage hören muss, sind Madonna und Whitney Huston wirklich unfassbar komplex.
Es fing, wie gesagt, im Babyalter an. Da wollte ich den Kindern Einschlaflieder vorsingen. Leider kannte ich keine. Also tätigte ich Verzweiflungskäufe. Zunächst spontan aus dem Drogerieregal mit dem Titel „Süße Einschlaflieder für Babys“ für nur 2,99 Euro. Es war g r a u e n h a f t! Also suchte ich auf Amazon nach Kinderlieder-CDs und las stundenlang gewissenhaft Rezensionen.
„Mein Sternchen liebt die Lieder, wir hören sie rauf und runter. Die Kinder werden auch im Kindergarten zum Mittagsschlaf gesungen und so können wir das Ritual zuhause weiterführen. Selbst wenn wir die CD auf langen Autofahrten hören, verfehlen die Songs ihre Wirkung nicht. Sie beruhigen und machen schläfrig, ohne dabei je langweilig zu werden.“
Doch entgegen aller Hoffnungen, zeigten auch diese Käufe nur eines: Die ganze Babyliedereinschlafwelt besteht aus Kopfstimmenkinderchören. Manchmal unterstützt durch eine fiepsende Frau, welche die Hauptstrophen singt. Für mich mit meiner Alt-Stimme unmöglich nachzuahmen. Fiiiep! Schlimmer als in jeder „Deutschland sucht den Superstar“-Sendung. Ich beschränkte mich also aufs Babyschaukeln, beschmusen und das Geschichten vorlesen.
Die Kinder wurden größer und spätestens mit dem ersten Bibliotheksbesuch, wo man bedauerlicherweise auch Musik-CDs ausleihen kann, kamen die wirklich schlimmen Dinge in unser Haus.
Conni mit der Scheiße im Haar… Ich weiß, dass da „Schleife“ gesungen wird, aber ganz ehrlich? Das versteht man doch nicht. Egal wie sehr man sich anstrengt. Oder die neue Bibi Blocksberg Titelmelodie? Däng däng ding! Da ist ja Bibi! Sie fliegt auf ihrem Besen! Und das ganze im flotten Foxtrottrhythmus in Schlagermanier geträllert.
Alles schrecklich.
Es muss auch gar nicht echte Musik sein. Ich grusele mich nämlich nicht nur vor Kopfstimmen. Auch Ohrwürmer als solches sind nicht zu unterschätzen. Seit 2007 trage ich z.B. den Text der Jahreszeitenuhr mit mir herum. Immer wenn jemand einen Monatsnamen sagt (zum Beispiel weil wir in einem Meeting einen Folgetermin ausmachen), setzt der Text an der Stelle ein und singt in meinem Kopf weiter, meistens über Stunden („Gut, dann treffen wir uns im Juni…“ „JULI AUGUST! WECKT IN UNS ALLEN DIE LEBENSLUST!!!“ „Frau Cammarata?“ „SEPTEMBER! NOVEEEMBER! DEZEMBER! UND DANN! UND DANN! FÄNGT DAS GANZE…“ „FRAU CAMMARATA?!?!“
Varianz gibt es nur je nach Saison. Stichwort „In der Weihnachtsbäckerei!“ Lalalalalala lala la la la! Oder „Stups, der kleine Osterhase…“. Gehirnschmerzen-Evergreens! Ich wette, ich kann einfach einige Worte als Stichwort nennen und schon setzt in jedem Elternkopf die passende Melodie ein. Nein? Doch!
Eine Rolle Klopapier!
Emma, die Ente!
Ok, ich höre auf.
Ich dachte, die Kinder wachsen, das wird besser! Alles nur eine Phase. Aber ganz ehrlich. Wenn die Kindergartenzeit überstanden ist, dann kommt die Schulzeit mit all ihren Learning – Englisch – with the little witch! und dann wird es richtig schlimm. Dann sind die Kinder nämlich alt genug, sich selbst Radiosender einzustellen und man wird mit gängigen Popsongs beschallt. Glück hat man, wenn die Kinder Peter Fox oder Sportfreunde Stiller mögen. Jedenfalls wenn man sich klar macht, dass andere Kinder Frida Gold oder Helene Fischer hören wollen!
Das geht natürlich gar nicht. Das ist ja was ganz anderes als Madonna in den frühen 90ern oder Whitney Houston. … OH!
Falls ihr mir Ideen schenken wollt, was sich mit Kindern noch ändert, worüber aber nie jemand spricht – immer her mit den Inspirationen. Von mir wird hier in Bälde erscheinen:
Wie sich Eure Ernährung verändert
Wie sich die Art zu kleiden verändert
Warum ihr Hocker und andere Gegenstände hassen lernt…

Patricia Cammarata ist IT-Projektleiterin, Psychologin und Mutter. Seit Mai 2004 bloggt sie unter dem Pseudonym dasnuf. Dort erzählt sie einer langen Familientradition folgend gerne Geschichten. Es fehlt ihr gelegentlich an Ernsthaftigkeit aber so ist das eben, wenn man morgens gemeinsam mit den Kindern Clowns frühstückt.