Dialog am Abend

Ich: “Was macht eigentlich Lars beruflich?”

Die Herzdame: “Welcher Lars?”

Ich: “Na Lars, der Vater von Dings. Tim.”

Die Herzdame: “Der heißt Lars?”

Ich: “Heißt er nicht?”

Die Herzdame: “Keine Ahnung. Ich wusste nicht einmal, dass der überhaupt einen Namen hat.”

Gelesen, vorgelesen, gesehen, gespielt und gehört im März

Gelesen

Guy de Maupassant: Stark wie der Tod. Übersetzt von Hermann Lindner und illustriert von Jim Avignon.

Maupassant

Maupassant

Wiedergelesen, weil die Büchergilde jetzt diese schön illustrierte Ausgabe hat. Das ist, wie man bei Edeka sagen würde, ein sehr geiler Roman, gar keine Frage, der wäre bei einer Auswahl meiner zehn liebsten Romane ganz sicher dabei. Ein alternder Maler, der seinen kreativen Höhepunkt deutlich hinter sich hat, hat immer noch seine Muse als Geliebte, eine Dame, die ihn vor vielen Jahren in die richtige Richtung seiner Kunst geschoben hat. Man ist gemeinsam älter geworden, das Feuer ist heruntergebrannt, man ist sich aber nach wie vor sehr gewogen. Bis der Maler sich in die Tochter der Dame verliebt, die aussieht wie eine verjüngte Ausgabe der Mutter, schön wie damals, lockend wie damals, unwiderstehlich wie damals. Das ruiniert selbstverständlich alles und konsequenterweise endet das Buch äußerst betrüblich. Aber egal, wer schon einmal ein paar Runden in seinem Leben geliebt hat, der versteht, was hier passiert, der leidet mit. In der Story passiert nicht viel, das findet alles nur in den Herzen statt, und man möchte den bluttriefenden Plakatwerbungen für aktuelle Thriller zurufen, dass das hier wirklich grausam ist und einen mitnimmt, diese Liebesgeschichte, nicht die noch so bestialischen Morde in den Bestsellern. Wenn Sie das Buch nicht kennen, lesen Sie doch mal in einer Buchhandlung nur die ersten drei Seiten. So gehen großartige Romananfänge.

Robert Louis Stevenson: Die Herren von Hermiston. Eine dieser kostenlosen Klassikerausgaben für den Kindle, leider ohne Übersetzerangabe – oder ich bin zu blöd, sie zu finden, das kann natürlich auch sein. Stevenson meisterhaft wie immer, ich habe es dennoch wieder weggelegt. Das klingt übrigens immer noch besser und gepflegter als wieder weggeklickt, nicht wahr? Tatsächlich wurde es sogar eher weggewischt, wenn man es sprachlich genau nimmt. Ein Zeigefingerstrich durchs Menü. Am Ende ist das Lesen auf dem Tablet vielleicht doch etwas herabwürdigend für die Werke, wer weiß. Ich kann im Frühling jedenfalls keinen englischen Klassiker lesen, der in Schottland spielt, das fühlt sich komisch an. Als würde man neben den blühenden Forsythien draußen am Spielplatz in der Sonne einen Glühwein trinken, das ist falsch. Das Buch gehört in den Oktober, vielleicht besser noch in den November.

Ulrich Hub: Füchse lügen nicht. Illustrationen von Heike Drewelow. Das ist ein Kinderbuch, aber die Söhne sind noch ein wenig zu klein, da fehlt ihnen noch zu viel Wissen, um die Anspielungen zu verstehen. Also selber hineingelesen – zwar nur ein paar Seiten, aber das werde ich auch weiter lesen, das gefällt mir. Das ist ein wenig Beckett für Jüngere, Tiere, die am Flughafen herumlungern und mehr oder weniger unbestimmt warten, die Situation wird immer absurder und grotesker. Hier eine schöne Rezension dazu, ich schreibe im nächsten Monat mehr.

Zwei weitere Bücher bereits hier erwähnt.

Vorgelesen

Roald Dahl: James und der Riesenpfirsich. Deutsch von Inge M. Artl und Kai Ohlen. Ein Buch, das mir schon in meiner Kindheit gefallen hat und das jetzt geradezu spektakulär gut bei den Söhnen ankommt, sogar bei beiden. Und das sich sehr gut vorlesen lässt, mit einem Spannungsbogen, der die Kinder geradezu atemlos zurücklässt. Sollte hier jemand versehentlich schwarzpädagogischen Erpressungen anhängen, ich erwähne das nur ganz diskret unter uns, dann ist dieses Buch wirklich bestens dafür geeignet. “Ich lese noch drei Seiten, wenn ihr…”

Die Eltern des kleinen James werden bereits auf der ersten Seite gefressen, das ist nicht schön, aber so ist es nun mal und danach kommt es erst richtig dicke für die Hauptfigur. Aber natürlich wird es auch wieder besser. Und wie! Das Buch kommt übrigens ohne zwischenzeilige Scherze für Erwachsene aus, keine Andeutungen, nichts, das Buch ist für Kinder und für die ist es perfekt. Nachdrückliche Empfehlung.

Gesehen

Nichts. Macht nichts.

Gespielt

Nichts. Macht auch nichts. Oder nur ein wenig Fussballgekicke auf dem Spielplatz, inkl. einer bemerkenswert erfolglosen Stunde vor einer Torwand, auf die Sohn I und ich pausenlos einschossen, ohne auch nur einen einzigen Treffer zu erzielen. Schlimm.

Aber darüber habe ich eben tatsächlich kurz nachgedacht, wieso spiele ich eigentlich nicht mit den Kindern? Die Antwort ist: weil die mit sich selbst spielen. Oder mit anderen Kindern. Es gibt so viele Kinder hier in der Stadtmitte, da sind immer mehrere Kinder bei uns oder unsere bei den anderen, da ziehen immer größere Kindergruppen um die Häuser, die haben gar nicht so viel Bedarf an pädagogisch wertvoller Bespaßung durch mich. Ich gehöre sicherlich zu den Vätern, die ziemlich oft verfügbar sind, vielleicht ist auch gerade deswegen die Nachfrage gar nicht so groß, BWLer verstehen das. Ich finde es jedenfalls toll, dass sie sich selbst beschäftigen können, auch fast tagelang, das fühlt sich alles ganz richtig an. Zum Vorlesen sind sie dann doch wieder an Bord.

 Gehört

JJ Cale. Den habe ich lange vergessen gehabt. Dann habe ich irgendwo das Cover zu “5” gesehen und mich erinnert, dass meine Mutter das Album früher endlos gespielt hat. Und dann fand ich ihn überraschend angenehm zum Arbeiten. Doch, kann man ruhig mal wieder hören. “Magnolia” zum Beispiel.

Und die passende Neuentdeckung zum frühen Frühling: Hindi Zahra. Das perlt.

 

Anders lesen

Ich komme gerade gar nicht dazu, die Leseliste für den März zu bloggen, aber das Format hat vermutlich ohnehin wenig Anhänger, also ist das wohl egal. Aber etwas ist vielleicht dennoch interessant, ich habe nämlich beim Lesen etwas umgestellt – und das werde ich wohl auch beibehalten.

Eine Umstellung, auf die ich durch meinen eigenen Wirtschaftsteil kam, da war nämlich neulich ein Link drin, in dem es um einen Imbiss  in den USA geht, der nur Gerichte aus den Regionen anbietet, mit den sich die USA gerade herumstreiten. Also etwa Kimchi aus Nordkorea usw. Und das, dachte ich, kann man ja auch literarisch ganz ähnlich umsetzen. Ich warte allerdings nicht auf tatsächliche, diplomatische oder potentielle Kriegshandlungen zwischen Deutschland und anderen Staaten, ich achte einfach darauf, was in den Nachrichten vorkommt. Also jetzt etwa die Ukraine. Kenne ich Literatur aus der Ukraine? Keine einzige Silbe. Kurz recherchiert und ein Buch bestellt, reingelesen und ganz schnell ein interessantes, aufregend anderes Bild von Kiew im Kopf gehabt. Obwohl das kein ukrainischer Dichter war, sondern ein Russe aus Kiew, aber das passt natürlich in dem Fall schon. Andrej Kurkow, “Picknick auf dem Eis”, ein Roman aus der Ukraine in der Postsowjetzeit, übersetzt von Christa Vogel. Also ein Roman aus einer beinharten Zeit. Ukrainer würden evtl. bezweifeln, dass sie dort jemals andere Zeit erlebt haben, schon klar.

Ein Journalist schreibt in diesem Roman Nachrufe auf Vorrat für eine Zeitung. Als die Menschen passend zum Timing seiner Nachrufe zu sterben beginnen, eskaliert die Angelegenheit bemerkenswert schnell, fordert beträchtlich viele Menschenleben – und die ganze Zeit begleitet die Hauptfigur ein depressiver Pinguin als Haustier, den der Zoo mangels Futter irgendwann loswerden musste. Ein Pinguin, dessen seltsam niederschmetternde Anwesenheit in der Wohnung man nach den ersten 100 Seiten förmlich spüren kann. Und ja, das Buch lohnt schon wegen des Pinguins.

Ich weiß jetzt natürlich nicht mehr über die Lage in der Ukraine. Aber die Nachrichten sind doch anders geworden. Ich sehe andere Bilder zu Kiew, ich weiß ein paar Kleinigkeiten mehr aus dem Alltag dort, ich weiß, welche Szenen man sich dort als Autor vorstellen kann oder konnte. Das dreht dann doch ein wenig mehr Farbe ins Bild.

Parallel dazu lese ich weiterhin den Rumänen Panait Istrati, im Moment “Codin”, das ist ein schmaler Band aus seinem nicht ganz kleinen Erzählwerk. Aus dem Französischen von Elisabeth Eichholtz. Da geht es um wüste, wirklich wüste Lebensläufe aus einer Region Europas, in der einmal so viele Sprachen und Völker durcheinander lebten, dass man beim Lesen gar nicht mehr mitkommt. Man versteht aber doch, dass die Menschen damals, vor dem Zweiten Weltkrieg, ganz selbstverständlich miteinander und durcheinander lebten, auf engem Raum. Sie teilten Straßen, Häuser und Geschichten, natürlich auch Liebesgeschichten, und trugen doch ihre Aversionen gegen die jeweils anderen, gegen die Griechen, Juden, Rumänen, Türken, Armenier, Serben, Deutsche wie geladene Waffen mit sich herum, man ahnt die Gefahr auf jeder Seite.

Das lese ich abends und morgens sehe ich, wie die rumänischen Obdachlosen hier ihre Matratzen vor der Kirche einrollen und für den Tag wieder in den Büschen am Spielplatz verstecken. Wenn man diese Menschen nicht als Nachrichteninhalt sieht, sondern als Menschen, dann sind das die Hauptfiguren für einen Istrati von heute. Und das mit den geladenen Waffen, das würden sie vermutlich unterschreiben, wenn sie sich die Gesichter der Deutschen so ansehen. Panait Istrati ist ein großartiger Erzähler, das hat Kawumm und Druck, den kann ich sehr empfehlen, der ist viel zu vergessen.

Zu jeden Nachrichtenthema wird man nicht gerade ein Buch lesen können. Aber so ab und zu? Im Moment liest man viel aus der Türkei in den Nachrichten. Demnächst liegt dann also auch ein Roman von da auf meinem Nachttisch. Empfehlungen gerne in die Kommentare, ich kenne sehr wenig Bücher aus der Türkei.

 

10

Die ersten zehn Jahre hat dieses Blog dann also geschafft, das ging ja verblüffend fix. Ich erzähle jetzt nicht zum hundertsten Mal, warum es ausgerechnet an einem 1. April gestartet wurde, das fällt allmählich sicher schon unter “Opa erzählt vom Krieg”, das will man nicht.

Vor zehn Jahren war die Herzdame noch meine Verlobte, vor zehn Jahren habe ich noch ganztags im Büro gearbeitet und zuhause haben keine Kinder auf mich gewartet, das kann ich mir alles kaum noch vorstellen.

Mittlerweile sind hier im Blog unzählige Geschichten über die Herzdame und die Söhne erschienen, mittlerweile finanziert das Schreiben für Magazine, Zeitungen und andere Kunden jeden Monat einen erheblichen Teil des Haushalts. Ohne das Blog würde ich einen ganz anderen Freudeskreis haben, eine ganz andere Freizeit, ein anderes Leben. Vielen Dank an die Leserinnen und Leser, die das begleitet haben, kommentiert haben, weiterempfohlen haben, ich freue mich nach wie vor jeden Tag darüber. Und Dank natürlich an die Herzdame, die es seit zehn Jahren aushält, Content zu sein, das ist ganz sicher auch eine Leistung. Und eine Frau, die nach zehn Jahren immer noch für Content sorgt, die war dann ganz sicher auch die richtige Wahl, um einmal eine neue, zeitgemäße Messeinheit dafür einzuführen. Dass ich mich nach zehn Jahren immer noch neu in sie verlieben kann, das ist dabei natürlich auch ganz praktisch.

Und ich denke übrigens immer noch nach jedem Eintrag, das mir jetzt aber sicher nie wieder etwas einfallen wird. Das scheint sich also dauerhaft nicht zu geben, zehn Jahre können dabei wohl als Langzeitversuch durchgehen, nehme ich an. Auch gleich, nach dem Absenden dieses Textes, wird es vermutlich wieder so sein.

Ich habe sehr viele Menschen durch das Blog kennengelernt, darunter auch solche, die ich im Grunde gar nicht treffen dürfte, wie etwa Isa. Mit Isa gemeinsam komme ich nämlich dauernd auf Ideen und Projekte, das ist wirklich schlimm und sehr zeitaufwändig. Aus reinem Selbstschutz vergessen wir die meisten Ideen gleich nach unseren Treffen wieder, wir würden sonst wirklich zu gar nichts mehr kommen.

Jetzt haben wir aber doch mal ein Projekt gemeinsam umgesetzt und festgestellt, dass wir auch noch toll zusammen arbeiten können, das verkompliziert die Sache leider erheblich. Jetzt haben wir nämlich noch tausend gemeinsame Termine mehr, nicht auszudenken, wohin das führen soll. Erst einmal führt es aber auf eine neue Seite, auf ein neues Projekt.

“Was machen die da” ist die Umsetzung einer unserer gemeinsamen Ideen. Wir befragen Menschen, die das gerne machen, was sie machen, zu dem, was sie gerade machen, fotografieren sie dabei und bloggen das. Auf einem brandneuen Blog, in wunderbarer Teamarbeit für uns aufgesetzt von Sylvia Oberstein und Christian Fischer.

Wobei wir auch der GLS Bank zu danken haben, die durch den regelmässigen Wirtschaftsteil bereits mit den Herzdamengeschichten als Sponsor kooperiert und sich auch nicht gescheut hat, ein Blog, das es bis heute nur als Idee und Skizze gab, zum Start zu unterstützen. Das wäre sicher vor ein paar Jahren so noch nicht möglich gewesen, das ist eine sehr schöne Entwicklung. Trotz des Datums ist auch das neue Blog übrigens kein Aprilscherz, falls jemand gerade querlesend nach der Pointe sucht.

Isa und ich erzählen drüben im neuen Blog nichts, wir lassen die Leute reden. Von ihren Berufen, Ehrenämtern, Hobbys, was auch immer. Wenn es dazu noch etwas zu erzählen gibt – und das wird ganz sicher so kommen – dann erzählen wir es wie gehabt in unseren Blogs, das wird also eine Art Dreiklang und gehört zusammen. Wir spielen uns dort jetzt erst einmal warm. Geplant ist, jeden Dienstag einen Text erscheinen zu lassen. Aber mit Plänen ist es manchmal so eine Sache, vielleicht werden es auch mehr Einträge. Oder weniger? Wir gucken mal, was geht.

Blogheader-1

 

Woanders – diesmal mit der Elternzeit, den Kammerspielen, Instagram und anderem

Notizen aus der Elternzeit. Der Zettel hätte hier so auch hängen können. Textgleich.

Ein nicht ganz so bekannter Aspekt der Hamburger Kammerspiele.

Darf man Essen im Restaurant fotografieren? Siehe dazu auch hier.

Isa mit dem Service für Suchende.

Studenten und Rechtschreibung. Früher war alles besser. Wir bekamen ja bei einer Sechs im Diktat noch eine gelangt! Ach nee, war auch doof.

Bilder: japanische Gullydeckel.

Bilder: Kinder in syrischen Flüchtlingscamps – keine Angst, keine Horrobilder. Oder doch, wie sollte es anders sein. Aber anders, als man zunächst denken könnte.

 

Service

In dem Coffee-Shop, in dem ich mir ab und zu einen Kaffee zum Mitnehmen besorge, ist das Personal bestens geschult. Ausgesucht höflich und hilfsbereit. Kein Dialog ohne “Guten Morgen”, ohne “Was darf es noch sein”, ohne “Schönen Tag”. Sie reichen dort den Kaffee über den Tresen, als hätten sie einem Kronjuwelen in den Becher gefüllt. Sie erinnern die Kaffee-Vorlieben, als wäre man der prominenteste Stammgast. Der Laden ist natürlich auch mit Liebe zum Detail eingerichtet. Der Kuchen in der Auslage sieht aus wie aus einem edlen Fotoband, die belegten Brötchen, als hätte sie eine italienische Großmama eben gerade auf Sizilien aus dem Ofen gezogen und mit frisch im Garten gepflückten Tomaten belegt.  Die Kaffeesorten werden auf einer schwarzen Tafel angepriesen, elegante Deko-Schrift in weißer Kreide, sehr kunstvoll.  Ist das nicht toll, das alles?

Und dann geht man mit dem offenen Pappbecher in eine Ecke des Ladens, in der alle Herrlichkeit endet. Da liegen Zuckertütchen auf einem Tisch,  Servietten, Plastiklöffel  und Deckel, denn man braucht ja einen Deckel für den Kaffee. Und den muss man selber draufmachen. Andere Kunden haben da schon Zucker verstreut, die Deckelstapel sind längst umgekippt, alles liegt wild durcheinander. Man muss selber herausfinden, welche der 3 Deckelgrößen auf den Becher passt. Man kleckert bei der Deckelprobe mit dem Milchschaum, niemand kümmert sich um die Pfützen, die andere vor einem hinterlassen haben. Weit hinten sieht man die freundlichen Verkäuferinnen andere Kunden bedienen, aber man steht jetzt in einer komplett service-freien Zone, von allem Personal verlassen. Und oben drüber über diesem Chaos hängt ein Schild, auf dem steht: “Service-Station”.

Ich liebe diesen feinen Humor.

(Dieser Text erschien als Sonntagskolumne in den Lübecker Nachrichten und in der Ostsee-Zeitung)

Kurz und klein

 

Hochgucken, Tag 5

Die Kinder treiben einen zu den seltsamsten Freizeitbeschäftigungen, so fahre ich neuerdings auch des öfteren Bus. Ich habe, das ist natürlich Zufall, in Hamburg bisher immer so gewohnt und gearbeitet, dass ich mit Bahnen auskam, Busse sind für mich eher exotisch. Ich staune immer, wenn Menschen wissen, welcher Bus hier wohin fährt, ich kenne nur den 5er und den 6er, der Rest ist mir rätselhaft. Angeblich komt man mit Bussen auch in Stadtteile ohne jede Bahnanbindung! Wenn mir einmal sehr langweilig ist, werde ich vielleicht darauf zurückkommen und es testen. Allerdings ist mir nie langweilig. Hm.

Nun ist Sohn I aber mittlerweile in einem Schwimmverein, und zum Training kommt man tatsächlich am besten mit dem Bus, quer durch die Stadt. Aufgrund einer Tradition, auf deren Anfänge ich gar nicht mehr komme, nimmt sich Sohn I mein Handy, sobald wir in einen Bus steigen, im Bus ist es nämlich seins. Immer. Dann macht er darauf irgendwelche Vorschulspiele, ich sehe mir die Leute an, das Hochgucken braucht in dem Fall also gar keinen Plan, das geht gar nicht anders. Wobei das Hochgucken im Bus oft eher ein Hochhorchen ist, im Bus hört man Gespräche nämlich viel besser als in der S-Bahn.

Ein Frühlingstag, die Sonne scheint und die Kulisse der Stadt wirkt ungewöhnlich angenehm. Erstes Grün an Büschen und Bäumen, bunte Blüten im Straßenbegleitgrün, erste Frühjahrsmode an den Menschen. Entspannte Gäste räkeln sich in Straßencafés, Touristen fotografieren irgendwas vor knallblauem Himmel, guck mal, das ist Hamburg, das war echt schön. Der Bus ist halbleer und sonnendurchflutet, der Fahrer pfeift leise vor sich hin. Weiter hinten erzählt ein junger Mann, stellen Sie sich einfach ein Erstsemester mit prächtigem Hipsterbart vor, es wird schon passen, was er im Fernsehen gesehen hat. Nämlich einen krassen Film über die Massentierhaltung. Da waren Szenen drin! Alter! Also das hat er natürlich alles schon mal gehört, ist ja klar, aber jetzt eben auch gesehen und dann wird es einem doch erst klar, sagt er. Also Szenen! Alter! Ey!

Die Freunde, drei andere junge Männer, die ihn umstehen, nicken mit leichter Panik im Blick und dann kommt, was kommen muss: der Erzähler fängt bei den ersten Szenen an, es geht um gekürzte Entenschnäbel, und berichtet detailliert, was da gezeigt wurde. Eine klare, junge, deutliche Männerstimme, die hört man ohne jede Konzentration ein paar Sitzreihen weit, zumal er sich beim Reden etwas aufregt und dadurch immer lauter wird. Auf den Gesichtern der anderen Fahrgäste ringsum sieht man erstaunliche und verblüffend wilde Bewegungen, als würde man neben ihnen sehr laut mit Kreide über eine Tafel quietschen. Köpfe sinken tiefer zwischen Schultern, Hände bewegen sich in Richtung der Ohren und der Bericht geht von Station zu Station unerbittlich immer weiter, er ist gerade bei den geschredderten Hähnchen angekommen und geht jetzt noch zu Ferkeln über, da ist ja das mit der Kastration, wisst Ihr das? Alter! Wisst ihr, wie man das macht? Nein? Also…

Eine Frau setzt sich Kopfhörer auf und wirkt danach deutlich erleichtert. Die ältere Dame mir gegenüber beugt sich zu ihrer Freundin, die ob des zwangsweise mitgehörten Themas mittlerweile etwas grünlich im Gesicht wirkt, und fragt, wo man denn heutzutage eigentlich noch Hähnchen kaufen könne. Na, wo denn? Hm? Die Freundin sagt, beim Aldi jedenfalls nicht, das könne sie mal glauben, und dann denken beide über Supermärkte nach. Ob Rewe denn besser sei? Oder der Edeka? Der habe ja doch bessere Sachen, oder? Hinter mir höre ich andere Damen diskutieren, da fällt gerade ein “Fisch geht ja auch nicht mehr”. So setzt sich die Erzählung des Erstsemesters in anderen Gruppen fort, hier ein Satzbrocken, dort eine Ergänzung. Jeder weiß etwas zu dem Thema, so ist es ja nicht. Es sind dann aber doch alle recht froh, als die jungen Männer aussteigen und man nur noch das vergnügte Pfeifen des Fahrers hört.

Die Mutter neben mir hat von all dem nichts mitbekommen, sie redete nämlich die ganze Zeit engagiert auf die Freundin neben ihr ein. “Die Frage ist doch”, sagt sie gerade zum wiederholten Male, “die Frage ist doch – wie kommt das Kind aufs Gymnasium? Das ist doch die Frage.” Dabei streicht sie ihrem Sohn durchs Haar und man fragt sich, ob er wohl mit der Frage gemeint ist oder ob er vielleicht noch größere Geschwister hat. “Das ist doch die Frage”, sagt sie noch einmal sehr energisch, und es muss wirklich eine wichtige Frage sein, so ernst, wie sie guckt.

Eine wichtige Frage, die das Kind aber überhaupt nicht interessiert. Es beschäftigt sich vielmehr konzentriert mit der Produktion von Spuckebläschen. Was man eben so macht, wenn man etwa ein Jahr alt ist.

#spring

 

 

Kinderfilme für feuchte Frühlingstage daheim

Ein Gastbeitrag von Rochus Wolff

In den Wochen und Monaten vor Weihnachten gibt es regelmäßig fast explosionsartig zunehmende Massen von Neuerscheinungen für jene Menschen, die nach Filmmaterial suchen, das sie mit ihren Kindern gemeinsam ansehen können. Da trifft sich, wie bei allen Dingen, die mit Kindern und Geldverdienen zu tun haben, die saisonale Kaufwut mit dem Angebot des Marktes, auch wenn natürlich – leider, leider – die wirklich feinen Angebote zu wenig beachtet werden.

Und wenn das Fest dann geschafft ist, die Lebkuchen verdrückt und das Feuerwerk abgebrannt, dann lassen die Filmverleiher ganz, ganz stark nach. Der Jahresanfang ist in Sachen Kinderfilm erst einmal eine sehr müde Angelegenheit. Im Kino hat sich die Flaute mittlerweile wieder ein wenig gefangen, da ist jetzt der großartige dänische Kindersuperheldenfilm Antboy zu sehen, und für kleinere Kinder bietet Pettersson und Findus – Kleiner Quälgeist, große Freundschaft mehr als solide, wirklich gelungene Unterhaltung.

Aber man kann es sich auch daheim gemütlich machen. Zwei Neuheiten sind da besonders zu empfehlen, beide Großproduktionen aber deswegen tatsächlich ja nicht unbedingt schlechter. Das wäre zum einen Wolkig mit Aussicht auf Fleischbällchen 2, (Cloudy With A Chance Of Meatballs 2) die Fortsetzung des Animationsfilms aus dem Jahr 2009, die vor allem ein wilder, sehr witziger Actionritt ist. Der noch ziemlich jugendliche Erfinder Flint Lockwood hatte im ersten Film eine Maschine erbaut, die aus Wasser Essen produzierte – so wurde aus seiner sehr verdrießlichen Heimatinsel irgendwo im Atlantik eine Art Schlaraffenland, erst als Sehnsuchts-, dann als Horrorphantasie. Nun muss er auf die Insel zurückkehren, denn dort leben mittlerweile aus Obst, Gemüse und anderen Speisen entwickelte Tiere, deren genetischer Code vor allem in Sprachwitz besteht (vom Wassermelofant über die Schrimpansen bis zu den Nilpfertoffeln). Die Tiere drohen, die Welt zu übernehmen – oder sind sie vielleicht doch nur freundliche Wesen? Der Fortsetzung fehlt ein wenig die Originalität und vor allem der emotionale Drive des ersten Films, aber sehr, sehr vergnüglich ist das allemal.

Wolkig mit Aussicht auf Fleischbällchen

Foto: Sony Pictures

Zum anderen kommt Anfang April Die Eiskönigin – Völlig unverfroren (Frozen) auf den DVD-Markt, Disneys Weihnachtsfilm aus dem vergangenen Jahr, den zumindest an unserer Grundschule die meisten Kinder schon gesehen haben – ein spannender und witziger Abenteuerfilm, der am Ende sogar ein wenig von den üblichen Disney-Prinzessinnen-Standards abweicht. Mainstream ist das natürlich schmalziger, aber schöner, sehr gut gemachter Mainstream.

Aus dem Hause Disney kommt auch die zweifellos wichtigste Klassikerneuerscheinung der letzten Wochen: Mary Poppins ist endlich hochauflösend auf Blu-ray erhältlich. Man muss den Film wahrscheinlich kaum vorstellen, viele heutige Eltern haben ja ihre eigenen Kindheitserinnerungen an tanzende Pinguine, Schornsteinfeger oder „Superkalifragilistikexpialegetisch“. Robert Stevensons Film gehört zu den Filmen, die trotz für damalige Verhältnisse (der Film entstand 1964) umfangreicher (und preisgekrönter) Spezialeffekte sehr gut gealtert ist und nie albern wirkt. Gewiss, man kann an weltanschaulichen Details herumkritteln, wie ich das vor einiger Zeit ausführlich getan habe; aber insgesamt ist das punktum halt einer der schönsten, wichtigsten Musicalfilme des 20. Jahrhunderts, den jedes Kind einmal gesehen haben sollte. (Und, versprochen, sie reden dann noch tagelang davon.)

Mary Poppins

Foto: Disney

Auch Mary Poppins freilich hat ein Manko, das zumindest in unserer heimischen Filmschaupraxis eine große Rolle spielt: Der Film ist eigentlich zu lang. Der Alltag unter der Woche erlaubt es eigentlich nie, mal eben neunzig Minuten Film noch unterzubringen (wir schauen aber auch generell im Alltag kein „normales“ Fernsehen, und die Kinder schauen nie allein – wir wollen sofort über das Gesehene sprechen können, und außerdem wollen wir die Filme ja auch sehen!). Und an den raren Wochenenden muss das Wetter schon sehr schlecht sein, bis wir uns die anderthalb Stunden für einen Langfilm an einem Tag nehmen. Wir teilen Filme deshalb meist in zwei oder drei Teile, was aber regelmäßig zu Unzufriedenheit führt; es fehlt eigentlich vor allem an geeigneten kürzeren Formaten.

Bestens geeignet dazu sind natürlich Fernsehserien, die für Kinder meist noch nicht zu lang angelegt sind und deren einzelne Folgen sich wiederum leicht in einen Abend einpassen lassen. Luzie, der Schrecken der Straße werden auch viele Eltern noch kennen – eine perfekte Serie für Regentage im Sommer vor der Einschulung. Neu herausgebracht wurde jetzt aber auch die klassische Serie Die schwarzen Brüder, die in den 1980ern nach einem Roman von Lisa Tetzner entstand. Am 17. April wird dazu ein Film in die Kinos kommen, der Serie – die ich leider selbst noch nicht habe sehen können – eilt aber der Ruf einer sehr sehenswerten Umsetzung um die Erlebnisse Mailänder Kaminkehrerjungen voraus.

Gleich eine ganze Reihe solcher Klassiker gräbt derzeit More Entertainment aus, die für die Reihe The Children’s Film Foundation Collection mittlerweile schon sechs in den 1950er und 1960er Jahren in Großbritannien entstandene Miniserien aufgestöbert hat. Filmpuristen werden sich dabei womöglich an der Form stoßen – der fünfte Beitrag der Reihe etwa, Geheimsache fünf (im Original The Treasure of Woburn Abbey oder Five Clues to Fortune) wurde 1957 als Mini-Serie mit 8 Episoden produziert. Für die erste Ausstrahlung in der ARD wurde daraus in den sechziger Jahren ein zweiteiliger Fernsehfilm; auf der DVD ist nun jedoch die vierteilige Schnittfassung zu sehen, die 1975 im WDR zu sehen war.

Dafür bekommt man in diesem Fall eine höchst klassische Abenteuergeschichte zu sehen: Drei Kinder stoßen auf Spuren zu einem alten Klosterschatz, aber natürlich heftet sich auch ein Bösewicht an sie dran und will ihnen den Fund streitig machen. Ein Hirschgeweih und Tonsplitter bilden den Anfangspunkt, es folgen dann unwahrscheinliche, aber für Kinder höchst nachvollziehbare Indizien, die immer näher auf die Spur führen. Das ist alles sehr aufregend und spannend, obgleich es für heutige Kinderfilme fast schon betulich zuzugehen scheint, und für den nötigen Humor sorgen die ungeschickten Gehilfen des Bösewichts. Wie sich das gehört.

Wer noch lieber einen neueren Kurzfilm genießen will, ist schließlich mit Für Hund und Katz ist auch noch Platz (Room on the broom) gut versorgt, der dieses Jahr auch für einen Oscar als bester animierter Kurzfilm nominiert war. Man sieht dem 25-Minüter sofort an, dass er aus dem gleichen Hause stammt wie der sehr großartige Kurzfilm Der Grüffelo, und auch das gleich Autor/innengespann hinter dem zugrundeliegenden Kinderbuch steckt: Axel Scheffler und Julia Donaldson. Für Hund und Katz ist eine im Grunde klassische Geschichte, eine Handvoll Außenseiter finden sich und raufen sich zunächst eher widerwillig zusammen, und sind am Ende gemeinsam natürlich nicht mehr Außenseiter, nicht mehr allein.

Hund und Katz

Foto: Concorde Home Entertainment

Der Film kombiniert Computeranimation und Zeichentrick, vor allem aber trifft er genau Tonfall, Spannungsmaß und Filmlänge, die man für jüngere Kinder braucht, wenn sie so ab etwa vier Jahren mehr als nur Fünfminutenclips von Molly Monster, Shaun das Schaf oder Tom und das Erdbeermarmeladebrot mit Honig ansehen können, wollen und womöglich auch sollten.

Wobei, Shaun geht für jedes Alter.

Rochus Wolff

Rochus Wolff ist Filmkritiker, Feminist und Vater, nicht unbedingt in dieser Reihenfolge. Seit Januar 2013 beschäftigt er sich im Kinderfilmblog am liebsten mit dem schönen, guten, wahren Kinderfilm. Er lebt mit seiner Familie in Berlin und arbeitet hauptberuflich als PR-Mensch und Konzepter für eine Online-Agentur in Süddeutschland.

 

 

Woanders – diesmal mit Monstern, Beppo, Thüringen und anderem

Wo die müden Monster wohnen.

Die zwei Geschwindigkeiten von Beppo.

Über eine Jugend in Thüringen.

Ein Vater, der nicht fegen kann.

Eine dörfliche Soundcollage.

Herr Kid denkt über Perlhühner nach.

G8/G9, ach wie scheun. Und hin und her und hopsassa, ist das Abi endlich da. So geht Schulpolitik in Deutschland, kurzgefasst. Hier steht die Langversion.

Wie unterschiedlich die Sternzeichen mit der Buchhaltung umgehen, habe ich für die Firma lexoffice hier erklärt.

Und hier noch ein äußerst interessanter Text zur Zombie-Apokalypse. Na, oder so ähnlich. Aber wirklich lesenswert.