Gelesen, vorgelesen, gesehen, gespielt und gehört im Februar
Alexander Posch: Sie nennen es Nichtstun. Ein Hausmann schreibt über das Leben mit Kindern und ohne klassischen Beruf im spektakulär langweiligen Hamburger Stadtteil Rahlstedt. Um Rahlstedt den Nichthamburgern kurz zu erklären – ich bin hundertprozentig sicher, schon einmal dagewesen zu sein, kann mich aber beim besten Willen an nichts erinnern. Das reicht als Beschreibung. Dort lebt ein Vater, versorgt die Kinder, starrt auf rätselhafte Nachbarn, wartet auf die Mutter, die abends vom Job zurückkommt. Und er wird genau so wahnsinnig, wie es alle Hausfrauen und Mütter vor ihm geworden sind, auch wenn die männliche Variante des Wahns in den Details etwas anders ausfällt. Flüchtet sich in Phantasien, schwarzen Humor und Depressionen, liebt und verflucht die Kinder, weiß keinen Ausweg und sucht das richtige Leben im falschen. Komisch und bitter. Alexander Posch ist auf der nächsten Lesung in unserer kleinen Reihe, siehe hier.
Panait Istrati: Kyra Kyralina. Deutsch von O.R. Sylvester. Es ist eine gute Zeit, sich an den rumänischen Beitrag zur Weltliteratur zu erinnern, fand ich, auch wenn die Bücher in der französischen Sprache geschrieben wurden. Einer der großen Erzähler Europas, er wird wohl kaum noch gelesen. Schade, denn es sind große Geschichten, die da erzählt werden. Aus einem südosteuropäischen Märchenland, das man sich heute kaum noch vorstellen kann. “Orientbunte Prosagirlanden” hat das der Spiegel einmal genannt. Passt schon.
Albert Algoud: Hunderttausend Höllenhunde – Haddocks Einmaleins des Fluchens. Übersetzt und bearbeitet von Marcel le Comte. Sämtliche Flüche aus allen Abenteuern von Tim und Struppi lexikalisch aufbereitet und umfassend erklärt. Das ist grandios, Ihr Anthropopitheken, Ihr Faschingsmussolinis, Ihr Rollschwanzaffen! Ein quasi unentbehrliches Nachschlagewerk, gehört in jeden Haushalt. Hagel und Granaten!
Kurt Tucholsky. Im Laufe des Monats ein paar Mal ins Regal gegriffen und kreuz und quer im Tucholsky gelesen und oft hängengeblieben. Er war dann doch einer der Besten, nicht wahr?
Gustav Schwab: Sagen des klassischen Altertums. Lese ich gerade wieder in der E-Book-Version in öden Wartesituationen, etwa beim Arzt etc. Macht einen nicht dümmer.
Vorgelesen
Jakob Martin Strid: Die unglaubliche Geschichte von der Riesenbirne. Deutsch von Sigrid C. Engeler. Das ist ein großer Spaß, sowohl im Text als auch in den Bildern. Detailreiche, großflächige Bilder, eine schön verrückte Erzählung, die Kinder ab 4 verstehen können. Das Buch ist lang, dick und groß, das gefällt hier jedem. Es gibt noch mehr Bücher von ihm, die wollen wir auch haben.
Cornelia Funke/Kerstin Meyer: Emma und der blaue Dschinn. Das Buch lag in einem Karton voller Kinderbücher, den jemand an die Straße gestellt hatte, mit einem Schild: “Zu verschenken”. Sohn I hat es mitgenommen und wollte es sofort vorgelesen haben, gefundene Bücher haben immer einen ganz eigenen Zauber. Gute Kinderbüche irgendwo auszusetzen ist wirklich eine ziemlich gute Idee. Emma findet eine Flasche am Strand, an dem sie nachts alleine spazieren geht, sie ist nämlich ziemlich mutig und außerdem genervt, weil sie zuhause vier Brüder hat. Da braucht man einmal Ruhe. In der Flasche, die sie im Meer entdeckt, ist ein Dschinn eingesperrt. Ein ziemlich kleiner Dschinn, der nicht einmal Wünsche erfüllen kann, das ist natürlich ein wenig enttäuschend. Emma fliegt mit ihm in den Orient, um die Sache mit seiner Wunschkraft zu regeln. Fliegen kann er immerhin, ein in dieser Hinsicht praktischer Teppich lag bei. Das geht also gut und spannend los, Sohn I ist auch tatsächlich begeistert.
Gespielt
Nichts. Der Februar war ein Stress-Monat, da war keine Zeit für Spielerei und Freizeit . Na, oder doch. Man kann es eigentlich nicht als Spiel bezeichnen, aber ich habe mit Sohn I viel Zeit mit Instagram verbracht, das war neu. Er findet es so toll, dort per Doppelkick Herzchen für gute Bilder zu vergeben – aber da er das in meinem Account macht, werden die Herzchen natürlich nur vergeben, wenn wir uns darauf einigen können, welches Bild toll ist. Das ist spannend, weil man dabei über Ästhetik reden muss, über Geschmack, Sonnenuntergänge, Katzenbilder und debile Selfies blonder Busenwunder. Was ist warum toll? Ist eine einsame Straße in grandios gewählter Perspektive und gediegener Farbgebung ein Kunstwerk im Kleinquadrat – oder doch nur ein langweiliger Straßenschnappschuss? Wieso nimmt überhaupt jemand eine leere Straße oder einen Platz auf? Was nimmt Papa eigentlich auf? Und schon sind ein paar Stunden vorbei und das Kind schläft wieder viel zu spät. Schlimm.
Sohn II versteht die Diskussion übrigens noch nicht. Für ihn sind Katzenbilder ebenso schön wie sinnvoll, der ganze Rest ist aber vollkommen entbehrlich. That was easy.
Gesehen
The Paradise. Eine BBC-Serie über ein Kaufhaus aus der Zeit, als es die ersten Kaufhäuser und die ersten Self-Made-Men gab, die man als Vorläufer der heutigen Manager betrachten kann. Die ersten Adeligen, die ihren sinkenden Stern bemerkten. Angelehnt an Zolas Roman “Paradies der Damen”, ich weiß nicht, wie eng, ich habe den Roman nicht gelesen, obwohl er hier im Regal steht, wie ich gerade sehe. Ah doch, ich weiß warum ich das nie gelesen habe, das ist auf einem sehr groben, holzhaltigen Papier gedruckt, gegen das ich amüsanterweise allergisch bin. Dergestalt, dass mir beim Lesen die Hände bluten, weil die Haut aufspringt, das ist ein spaßiger Effekt, der in meiner Antiquariatszeit damals ein klein wenig gestört hat, wie man sich vorstellen kann. Ich bin ein lebender Detektor für billiges Papier, besonders schlimm ist es bei älteren Druckerzeugnissen aus der DDR. Die Fernseh-Serie jedenfalls ist wunderschön dekoriert, ansprechende Damenmode und hübsche Schlösser mit herrlich grantigen Alt-Adeligen, so weit so schön, ich fand allerdings die Handlung beim besten Willen nicht auszuhalten und habe nur zwei Folgen geschafft.
Gehört
Kreuz und quer und ganz vieles aus allen möglichen Richtungen, nirgendwo hängen geblieben. Typisch Februar, da grummele ich mich so durch und warte auf den März. Zuverlässig die Laune gehoben hat einzig das Paul-Kuhn-Trio mit “Unforgettable Golden Jazz Classics.” Besonders die superbe Aufnahme von “I love Paris”, die nach dem zehnten Hören immer noch besser wird, wenn man schließlich jeden Anschlag präzise vorhersagen kann. Das ist sehr “fertiger Jazz”.
Terminhinweis
Es soll ja Menschen geben, die gerne weit voraus planen. Bis weit in den Frühling hinein, bis hin zur nun schon traditionellen Tirili-Lesung. Diesmal mit ziemlich prominenter Besetzung:
Den Abend moderieren und charmieren Isa und ich.
Wir bitten das einzuplanen, das wird nämlich großartig.
Kurz und klein
Ex getroffen.
Er: "Wo ist das Kind?"
Ich: "Du hast es doch seit gestern."
Er wird blass.
Hat meinen Humor noch nie verstanden.
— Tomster (@namenlos4) 5. Februar 2014
Tochter liebt den Bart zum Kuscheln, Sohn hasst ihn. Lasse ab jetzt halbseitig wachsen.
— Heiko Bielinski (@heibie) 8. Februar 2014
Besorgniserregend. 13-Jährige verabreden sich sonntags und zuhause zum Lernen. Die Jugend ist auch nicht mehr das, was sie mal war.
— Mama arbeitet (@Mama_arbeitet) 9. Februar 2014
"Kannst Du mir Matheaufgaben im Internet runterladen, mir ist so langweilig"
#diesejugend
— p47r1c14 c4mm4r474 (@dasnuf) 15. Februar 2014
Ich: "Wie nass habt ihr jetzt den Boden im Bad gemacht?"
Sohn I: "Der Boden ist relativ… da sind ein paar Tropfen… KOMM NICHT REIN!"
— Max. Buddenbohm (@Buddenbohm) 10. Februar 2014
Da ist man früh auf der Arbeit, freut sich über den super Parkplatz, da piepst es von der Rückbank:"Mama, ich muss doch in den Kindergarten"
— Tomster (@namenlos4) 11. Februar 2014
Die Schüler bleiben bei #WhatsApp – durch ihre Rechtschreibung sind die Nachrichten ausreichend verschlüsselt.
— Kerstin Brune (@BruneKerstin) 21. Februar 2014
Die Tochter schläft mit meinem Schal. Ich denke, es ist langsam an der Zeit ihr zu erzählen, dass ich gar nicht berühmt bin.
— Madame de Larenzow (@Larenzow) 12. Februar 2014
Mein kleiner Autist: "FUCK!"
Ich: "Fängt mit…?"
"…'F' an."
"Richtig."
Deutsch-Unterricht geht einfach immer.
— mirili (@diepebbs) 12. Februar 2014
Die kritischsten Momente in der Kinderziehung sind die 3 Sekunden, in denen du dich zwischen Moralpredigt und High Five entscheiden musst.
— Patzilla (@PatzillaSaar) 14. Februar 2014
Sohn (3): "Wenn man nicht will, will man nicht!"
Papa: "Wenn man muss, dann muss man."
Kant, Platon, geht doch nach Hause.
— Madame de Larenzow (@Larenzow) 15. Februar 2014
Packe dem Sohn ab jetzt einen Apfel aus Wachs in die Pausendose.
Sieht gut aus, muss kein Essen mehr entsorgen
Und Er wird es eh nie merken.
— Herr-Hirn-Himmel (@Viel_davon) 11. Februar 2014
Am siebten Tag sollst du ruhn! Es sei denn, du hast Kinder. Dann sollst du vom Morgen bis zum Abend Wäsche waschen.
Gez. Gott.
— Gebbi Gibson (@GebbiGibson) 16. Februar 2014
Eben habe ich aus Versehen ‘Frollein’ zu meiner Tochter gesagt und erwäge nun das Jugendamt zu informieren, damit sie mir sie wegnehmen.
— der_handwerk (@der_handwerk) 17. Februar 2014
Meine Eltern glauben, dass ich das Internet verstehe und meine Kinder, dass ich das Leben verstehe.
Ich gucke weise und pule am Zeh.
— Madame de Larenzow (@Larenzow) 17. Februar 2014
Ironie lässt sich am Besten durch 15 jährige Mütter definieren, die Schutzhüllen für ihre Smartphones haben.
— Carambeau (@Carambeau) 10. Februar 2014
Kindergeburtstag im Indoor-Spielplatz. Es riecht nach Schweißfüßen, Pommeskotze, sehr lange totem Tier und beim Warten gestorbenen Eltern.
— Rockdalf der Weiße (@rock_galore) 15. Februar 2014
Ich male Polizeischneemänner mit langen, silbernen Haaren. Mit so etwas rechnet man auch nicht, bevor man Kinder bekommt.
— Max. Buddenbohm (@Buddenbohm) 19. Februar 2014
Der Sohn (3) geht zur Arbeit. Dort darf er schlafen und Musik hören. Eine Nachwuchsführungskraft.
— Madame de Larenzow (@Larenzow) 19. Februar 2014
Anweisungen für die Zubereitung des Schulbrots erhalten. "Will deine Gefühle nicht verletzen,Mama, aber vom letzten musste ich fast brechen"
— p47r1c14 c4mm4r474 (@dasnuf) 20. Februar 2014
Telefonanruf von Mama, oder wie wir Söhne und Töchter es nennen: "Muddern Talking"
— Marcüs de Bon Marché (@souslik) 19. Februar 2014
Ich habe das jetzt durchgerechnet. Die drei ??? sind 25 mal sitzengeblieben. Bei Peter kann ich das nachvollziehen.
— gallenbitter (@gallenbitter) 20. Februar 2014
Merke: Die "ich-bin-schwanger-gib-mir-sofort-dein-Essen-Nummer" funktioniert nur bedingt bei Straßenbahnmitreisenden.
— Mirameter (@mirameter) 21. Februar 2014
„Papa, Durst!“
„Kannst du bitte richtig fragen?“
„Papa, kann ich bitte Durst haben?“
„Na gut.“
Pädagogik kann ich.
— der_handwerk (@der_handwerk) 21. Februar 2014
Wenn man Kindererziehungstipps am Partner ausprobiert, merkt man schnell wie dämlich sie sind.
— p47r1c14 c4mm4r474 (@dasnuf) 22. Februar 2014
Ich habe mich freiwillig gemeldet, den Rechner in der KiTa flott zu machen. Tja, wir Informatiker wissen, wie man Urlaub macht!
— Gebbi Gibson (@GebbiGibson) 24. Februar 2014
"Mama, wie heisst du eigentlisch mit Vornamen?"
— p47r1c14 c4mm4r474 (@dasnuf) 24. Februar 2014
Heute das erste Mal zum ‘Eltern-Kind-Turnen’. Die meisten hatten ADHS. Schlimm. Die Kinder zum Glück hingegen alle ganz normal.
— der_handwerk (@der_handwerk) 24. Februar 2014
Hochgucken, Tag 3
Ich fahre gar nicht jeden Tag mit der S-Bahn zur Arbeit, ich gehe meistens zu Fuß. Nur wenn es regnet oder ich es sehr eilig habe, steige ich in die Bahn und fahre dann auch nur eine Station, das ist wirklich nicht viel um Material für diese Rubrik zu sammeln. Ich setze mich in der Bahn nicht einmal hin.
Aber manchmal reicht es eben doch. Ich stehe an der Tür der Bahn, neben mir steht eine Frau, die außer Atem ist, weil sie gerade eben zur Bahn gerannt und durch die sich schon schließende Tür gesprungen ist. Als ob die nächste Bahn nicht in 2 Minuten käme, ich verstehe so etwas nicht. Die Frau jedenfalls ist gerannt und gut getan hat es ihr nicht, das ist nicht zu überhören, sie ringt nach Luft. Eine junge Frau, die könnte auch besser in Form sein, allerdings ist sie ohnehin angeschlagen. Nase gebrochen oder sonstwie lädiert, Verband und Pflaster darauf. Natürlich sehe ich da nur eine Sekunde hin, man starrt nicht in verletzte Gesichter, auch die Menschen neben mir sehen in alle möglichen Richtungen, nur nicht zu der Frau mit der vielleicht tatsächlich angeschlagenen Nase, wer weiß. Das eine Auge könnte blau gewesen sein, da war so ein Schatten, aber einen zweiten Blick vermeidet man natürlich lieber. Die Haare etwas strähnig, aber es ist vermutlich auch nicht ganz einfach, sie zu waschen, wenn man so eine Verletzung hat. Die Hose ein wenig kaputt am Knie, die Stiefel etwas dreckiger als in Büros üblich. Die Frau legt eine Hand an die Scheibe der Tür und sieht hinaus, wir fahren gerade über eine Brücke und ihr Blick geht über die Büroklotzlandschaft unter ihr. Um sie herum, das ist ein Zufall, stehen nur Männer, fast wie in einem inszenierten Halbkreis. Männer, die an ihr vorbeisehen, auf Displays oder auf den Boden. Büromänner in Anzügen unter Outdoorjacken. Es ist nur eine Sekunde, dieser Moment auf der Brücke, aber es ist eine Sekunde aus einem französischen Film. Ihre Amour fou ist in die Luft gegangen, die ganze wilde Liebesgeschichte ist nichts geworden, ein neuer Anfang bisher nur angedeutet, im Bereich des immerhin Möglichen. Die Frau ist eine bekannte Schauspielerin, ohne Pflaster und gestylt würde man sie sofort erkennen. Sie spielt die Unscheinbare und ist doch weit davon entfernt. Vor dem Fenster irgendein Vorort von Paris, eine trübe Angelegenheit mit unerfreulichen Umständen und grauen Figuren, aber die Fahrt geht in die Stadtmitte und da wird es dann schon weitergehen, es geht immer irgendwie weiter in französischen Filmen.
Kameraschwenk zu ihrer Hand, die den Schalter zum Öffnen der Tür drückt, mit einem ganz leichten Zittern, gerade eben zu erkennen. Melodramatischer Soundtrack von einer dieser Wisperfranzösinnen, komplizierter Text, versteht man eh nicht, aber so eingängige Melodie, dass das Stück im nächsten Jahr in einem Werbespot für eine Versicherung wieder auftauchen wird, in einem rührenden Clip für eine Lebensversicherung. Die Tür der S-Bahn geht auf.
Schnitt.
Woanders – diesmal mit anderen Eltern, der S-Bahn, Ritalin und anderem
Nichts ist schlimmer als andere Eltern. Alte Regel.
In Hamburg wird das “Zurückbleiben bidde” gestrichen. Ich mag den Grund sehr. Kann man ruhig ein wenig länger drüber nachdenken, das hat was.
Dafür bleiben die unruhigen Kinder in Hamburg schön sediert zurück.
Ein alleinerziehender Vater der besonderen Art.
Andere Leute haben interessante Berufe.
Bei Isa gab es eine Wohnzimmerlesung und ich habe dabei Bilder gemacht.
Und hier wieder ein Link, bei dem Autoren darunter schreiben möchten: das wissen wir alles schon lange. Schon sehr, sehr lange.
Und hier die Leistung des Tages. Dagegen haben Sie vermutlich gar nichts auf die Reihe bekommen. So im Vergleich.
Frau Novemberregen bastelt dispositiv und das dazugehörige Gespräch erinnert fatal an gewisse Diskussionen, die ich erleben, wenn ich beruflich Erwachsene schule.
Meike Winnemuth über Rosalinde. Ich glaube, ich möchte mal nach Spiekeroog. Außerdem habe ich mich schlimm in das Rosaline-Lied verliebt und es in den letzten zwei Tagen schon, äh, unfassbar oft gehört. Mannmannmann. Na, immerhin können die Söhne den Text jetzt. Und die Herzdame. Die Nachbarn frage ich lieber nicht.
Film: Sven zeigt Happiness. Macht gute Laune. Das sind viele Videos, aber bleiben Sie dran. Und bloß nicht Kiew auslassen!
Fangen
Wenn die Söhne Fangen spielen und sich dabei an einem vorher ausgemachten Ort in Sicherheit bringen, dann nennen sie diesen Ort immer “Mi.” Das irritiert mich, denn in meiner Kindheit hieß es Klipp. Und das irritiert wieder andere, denn bei denen hieß es Klippo, mit einem o am Ende. Oder Frei. Oder Aus. Es scheint viele regionale Bezeichnungen dafür zu geben, ähnlich wie beim Brotknust oder beim Apfelgriepsch. Es kommt vor, dass mir ein Kind auf den Schoß springt und mich lauthals zum Mi deklariert. Da bin ich dann froh, dass sie nicht Klippo sagen, denn das klänge doch, als sei ich ein Clown von bestenfalls mäßiger Intelligenz. Mein Papa, der Klippo. Nein danke.
Natürlich habe ich die Herzdame gefragt, was sie in ihrer Kindheit gesagt hat. Die Herzdame kommt aus Nordostwestfalen, einer etwas seltsamen Gegend. Sie verstand die Frage nicht. Ich habe es ihr erklärt, sie sah mich ratlos an. Dann hat sie mir erzählt, dass es so etwas in ihrer Kindheit gar nicht gab. Wenn sie damals Fangen spielten und einer war zu langsam, dann wurde der eben gefangen. Was denn sonst? Da gab es keinen Sicherheitsort, keine Pausenzonen. Nordostwestfalen ist eine Gegend, in der man zur Eindeutigkeit neigt, auch was das Verlieren betrifft. Die Herzdame findet das Mi-Konzept daher total abwegig. Ich habe versucht ihr zu erklären, dass Mi oder Klipp das Spiel wesentlich netter machen. Das war ihr egal: “Wenn man geschnappt wird, dann ist das eben so!” Da habe ich nichts mehr gesagt. Ich habe mich nur noch in Gedanken gefragt, wie sie vor vielen Jahren wohl auf meinen etwas plötzlichen Heiratsantrag reagiert hätte, wenn sie mit anderen Regeln aufgewachsen wäre. “Wenn man geschnappt wird, dann ist das eben so.”
Ich habe manchmal den leisen Verdacht, diese Regel war ganz gut für mich.
(Dieser Text erschien als Sonntagskolumne in den Lübecker Nachrichten und in der Ostsee-Zeitung)
Hochgucken, Tag 2
Heute saß mir eine Japanerin in der S-Bahn gegenüber oder sagen wir besser eine Frau, die für mich so aussah, als sei sie Japanerin. Was natürlich auch Unfug ist und falsch ausgedrückt, das Gesicht spricht heutzutage gar nicht mehr für die Herkunft, jedenfalls nicht in Millionenstädten. Sie hätte auch Gott weiß woher kommen können, geboren in Finkenwerder, aufgewachsen in Pinneberg. Oder aus Manila, New York, Rio, was auch immer. Eine Frau, deren Gesicht aber an die japanischen Gesichter erinnerte, die ich aus dem Fernsehen kenne, also von früher, als ich noch ferngesehen habe. Wahrscheinlich haben sich die Japanerinnen seit der Zeit nicht signifikant verändert. Sehen die Menschen auch anderswo aus wie in Japan? Was weiß ich.
Eine japanisch aussehende Dame in auffällig feiner Kleidung, sie hätte einem Modeprospekt entsprungen sein können, Abteilung Kostümchen und fortgeschrittener Business-Chic. Eine japanisch aussehende feine Dame mit dezenter Dauerwelle im lackschwarzen, kurzgeschnittenen Haar.
Die Dame, sie war 40 Jahre alt, wie ich jetzt mal eben festlege, immerhin kann ich hier an fremden Leuten herumdefinieren, was immer ich möchte, aß einen Apfel. Einen rotbäckigen Apfel, der nicht so glänzend aussah wie ein polierter und gewachster Import-Apfel mit diesem unangenehmen Plastiklook. Eher so ein etwas dumpfes Biorot, gesund aber leicht stumpf, fast könnte man von einem Boskooprot sprechen. Sie biss in den Apfel und sah dabei ausgesprochen vergnügt aus, als wäre das morgendliche Verspeisen eines Bio-Apfels eine Quelle verblüffender Belustigung. Sie biss, sah aus dem Fenster, strahlte, lachte sogar ein wenig. So ein selbstvergessenes Lachen, das einem nur herausrutscht, wenn man äußerst gut gelaunt ist.
Unsere Blicke trafen sich und sie nickte mir ein wenig zu, weil sie sah, dass ich ihr Lachen bemerkt hatte. Blitzende Augen, Grübchen an den Mundwinkeln, sie biss wieder ab und kaute. Sah mich weiter an und lächelte und da hätte ich sie fast so people-blog-mäßig gefragt, ob sie etwas gegen ein Foto hätte, ein Foto, um dieses Apfellächeln zu dokumentieren und anderen zeigen zu können. Fast hätte ich sie gefragt,. sie sah mich so an, als wäre es ganz leicht gewesen, mit ihr ins Gespräch zu kommen. Es gibt immerhin auch Stimmungen, in denen das leichter als sonst ist und Menschen, die morgens in der S-Bahn so lachen, die sind womöglich tatsächlich ansprechbar, wer weiß. Das würde man nur herausfinden, wenn man tatsächlich fremde Menschen ansprechen würde.
Ich finde es also nicht heraus.