Grundgenervtheit

Zwei aktuelle Folgen Radiowissen gehört, die auch als Weiterbildung für Tirolreisende durchgehen, es muss nicht der Südteil der Gegend sein: Einmal über Seilbahnen (mit Bezug zur Verkehrswende auch im flacheren Land), einmal über Margarete Maultasch. Diesen Namen hat man schon einmal gehört, wenn man im kleinen Bergland Schlösser, Burgen etc. angesehen hat.

Außerdem gehört: Eine Sendung über die Familie Bosch und ihr Weltunternehmen.

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Es war ansonsten wiederum zu warm und es gab zu viel Alltag, zu viel Brotberuf und auch zu viel nebenbei. Nach den Gesichtern der Leute in der S-Bahn, im Bahnhof und auf den Wegen zu urteilen, ging es zur Wochenmitte allen so, natürlich in jeweils leicht verschiedenen Ausprägungen.

Diese unübersehbare Grundgenervtheit, die in diesen Tagen auch deswegen stärker auffällt, weil mittlerweile weniger Touristen mit entspannten Feriengesichtern zwischen uns allen und im Weg herumstehen. Die Reisesaison ist so gut wie durch, die Stadt wird an manchen Stellen deutlich lichter. Die Arkaden am Rathaus waren nahezu menschenleer und durch die Fußgängerzonen kam ich ohne Zickzackkurs. Nicht einmal den Weg blockierende Schlangen vor den Eisständen gab es, auch der Jesusbrüller predigte ins Leere.

Die erste Schulmail erreichte uns, pünktlich wie früher die Bahn. Ich habe Termine bis weit in den Januar in den Kalender übertragen.

Abends dann weiter die alte Maigret-Serie gesehen. Der Herr kümmert sich beruflich um Mordfälle, hat aber einen viel entspannteren Alltag als ich, es fällt doch sehr auf. Unfassbar, wie ruhig und bedacht es da zugeht. Aber gut, es liegt auch an den dienstbeflissenen, servilen Assistenten und selbstverständlich an der Ehe- und Hausfrau, die rund um die Uhr klaglos Service leistet und bedient und in jeder Beziehung durch und durch farblose Nebenfigur ist. Diese Optionen sind geschichtlich durch, und das ist auch gut so.

Den letzten Absatz habe ich situativ korrekt beim Bügeln gedacht, die Serie lief nur nebenbei. Eine Tischdecke für die Laube habe ich da gebügelt, und die innere Großmutter nahm lebhaft Anteil.

Blick über die Außenalster von der St-Georg-Seite aus. Im Hintergrund Segelboote, ein Tretboot, im Vordergrund das Laub der Bäume am Ufer.

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Was das Leben geschmeidiger macht

Ein Update zum Thema Algen, wir bleiben da jetzt dran: „Die Erhitzung des Wassers schafft für die Alge einen optimalen Lebensraum, den es hier unter normalen Bedingungen nicht gäbe …“

Ich habe übrigens, eine vielleicht doch wichtige Randbemerkung für die große Chronik des Ganzen, in diesem Jahr zum ersten Mal nach der Sommerreisesaison mehrfach im Smalltalk Bemerkungen gehört, die in etwa übereinstimmend aussagten, dass man da ja gar nicht mehr hinkönne. Womit jeweils der europäische Süden gemeint war, Italien, Spanien etc. Wegen der übermäßigen Hitze, auch wegen anderer Unwetter auf dem Weg dorthin, wegen der Strände, auch wegen des Over-Tourism-Problems.

Alle diese Bemerkungen waren eher scherzhaft gemeint. Aber sie wurden doch jeweils in einem Tonfall vorgebracht, bei dem man schon merkte, dass Scherze dieser Art vielleicht nicht mehr allzu weit tragen werden.

Und apropos Over-Tourism: Beim Deutschlandfunk gab es neulich einen Kommentar, der mir etwas zu kurz vorkam, besonders das Ende fand ich arg unbefriedigend – aber zwischendurch war doch einiges richtig gedacht, ob es uns nun passt oder nicht: Infantiler Selbstbetrug. Ich kann mir die Leserbriefe dazu gut vorstellen.

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Am Nachmittag ein Routinebesuch bei der Zahnärztin. Ich bin schon im Behandlungszimmer, während sie noch an einem der Söhne arbeitet, und ich stelle im weiteren Verlauf fest, dass es mir nennenswert unangenehmer ist, den Zahnreinigungsgeräuschen bei anderen zuzuhören, als selbst auf dem Stuhl zu liegen. Körperlich unangenehm ist es, so etwas hören zu müssen, es kribbelt unschön im Rückenmark. Es ist dann fast angenehm, endlich selbst dran zu sein.

Vielleicht sollte ich also immer einen Sohn mitnehmen und den dann vor mir drankommen lassen. Im Grunde ist es ein naheliegender und auch überzeugender, leicht anzuwendender Trick, um mir selbst alles erträglicher zu gestalten. Und man muss unbedingt alles beachten, was das Leben geschmeidiger macht.

Dumm ist dabei nur, dass beide Söhne eigentlich längst zu groß für diese Übung sind. Es fällt mir um Jahre verspätet ein, da habe ich nicht rechtzeitig aufgepasst. Sollte ich die nächste Zahnreinigung alternativ erst mit Enkelbegleitung einplanen? Oder andere Personen für diese Zwecke einplanen, aber wie überredet man die dazu.

Ich überlege noch.

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Der Mittelkanal in Hammerbrook, am rechten Ufer moderne Hausboote

Im Bild noch einmal der Mittelkanal in Hammerbook. Spränge man von dieser Brückenseite und schwömme dann immer geradeaus durch das allerdings verdächtig grüne Wasser, in dem man zwischen zwei Schwimmzügen schon wieder über Algen nachdenken müsste, man käme bis zur Hafencity, etwa Richtung Oberhafenquartier und Lohsepark.

Rechts im Bild liegen moderne Hausboote, wie sie an mehreren Stellen in Hamburg vorkommen. Sie haben heute, man erkennt es wohl, keinerlei romantische Anmutung mehr, die man mit dem Begriff Hausboot vielleicht noch reflexmäßig verbindet, weil man sich assoziativ eher bei alten Filmen als an der Gegenwart bedient.

Man gerät auch bei so etwas leicht aus der Gegenwart, eine Art generationsbedingter Assoziationsnachklapp.

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Von der Sinnfrage freigestellt

Die Herzdame hat Pflaumenkuchen gebacken. Der schmeckt nennenswert besser als der saure Spaß neulich aus der Bäckereikettenfiliale, was aber auch nicht allzu schwer zu erreichen war. Wir nehmen den Kuchen mit in den Garten.

Ein Pflaumenkuchen mit Streuseln, noch in der Springform, auf einem Bretterstapel im Gras des Gartens

Wir essen ihn von dem aus dem Heimatdorf der Herzdame geerbten Geschirr mit dem Großmutterdesign, wir besitzen da eine große Vielfalt, und unterhalten uns. Das Gespräch hat womöglich eine etwas schmollende Anmutung, da es neben unserem Pflaumenbaum stattfindet, der auch in diesem Jahr wieder keine Früchte trägt. Wir reden laut über wohlschmeckende Pflaumen, große Früchte und die besten Kuchenvarianten.

Ein angeschnittenes Stück Pflaumenkuchen auf einem sehr altmodischen Kuchenteller, der im Gras steht

Ich weiß allerdings nicht, ob dieser Baum überhaupt noch empfänglich für unser Schmollen oder überhaupt für irgendwelche Botschaften ist. Er wirkt doch insgesamt nicht nur etwas frühherbstlich verkahlt, sondern eher spontan verstorben. Was mich nach dieser insgesamt verlorenen Saison auch nicht mehr wundern würde.

Im späteren Herbst werden wir wohl wieder etwas Neues pflanzen, vielleicht etwas weiter vorne im Garten. Es ist ein wenig wie früher mit den Zimmerantennen. Man muss immer nach den besten Stellen suchen, um ein gutes Ergebnis zu erzielen. Es dauert bei Gartenthemen nur etwas länger. Ein paar Jahre länger manchmal.

Egal. Guter Kuchen ist das jedenfalls.

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Es beginnt die Woche, in deren Verlauf wir die Teenager wieder mühsam auf den regulären Alltag umstellen müssen. Was jedes Mal viel schwieriger und herausfordernder ist als die vergleichsweise kinderleichte Uhrumstellung im März oder Oktober. Die beiden Söhne auf einmal um halb sieben zu wecken, nachdem sie wochenlang einen eulengleichen Biorhythmus hatten – es wird erneut ein entsetzliches Drama, es ist kaum anders zu erwarten.

Aber wie auch immer – wir werden damit einen großen Schritt weiter in diese Jahreshälfte machen. Dann noch eben die Wochen abzählen, bis in Hamburg die nächsten Ferien beginnen, und das Ergebnis als aufmunternd sein sollende Botschaft an den Familienkreis weitergeben.

Es ist vollkommen zwecklos. Aber es ist auch Tradition, und damit von der Sinnfrage freigestellt.

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Keramikkürbisse und Pilzskulpturen

Nils Minkmar berichtet uns Erstaunliches von den französischen Stränden.

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Das Hörbuch am Wochenende, verstörend gut: „Bereitschaftsdienst – Bericht über eine Epidemie“, von Hans Erich Nossack. Gelesen von Helmut Zhuber, klare Empfehlung.

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Ich ging an einem Deko- und Geschenkeladen in der Innenstadt vorbei, dessen Fläche nun zu einem Teil auf den Herbst ausgerichtet wurde, was immerhin saisonal angemessener ist als die Lebkuchenauslagen im Supermarkt. Besinnlich und zierend sein sollender Tinnef in hokkaidofarbenen, modergrünen und oktoberlaubgoldenen Farbvarianten gab es im Schaufenster und im Laden zu sehen. Ich blieb als pflichtbewusster Chronist kurz stehen und nahm Notiz. Keramikkürbisse und kleine Pilzskulpturen für Wohnzimmervitrinen oder Arztpraxisempfangstresen und dergleichen. Gartenzwergverschnitte mit Erntewerkzeugen auch, sie sind wohl unausrottbar. Alles mit etwas spießiger Anmutung, also aus meiner Sicht.

Für Herbstdeko haben wir bei uns gar keine Tradition, fällt mir auf. Diese Art von Verschönerungen ließen wir stets aus, selbst in der Kleinkindphase der Söhne. Es gab nicht einmal verstaubende Kastanienmännchen in den Kinderzimmeregalen. Jahreszeitenzubehör gibt es hier nur für Ostern und Weihnachten, das muss reichen. Man will auch nicht dauernd in den Keller und Dekokisten von dort heraufholen und wieder hinunterbringen, und das Basteln ist dieser Familie stets fremd geblieben.

Jahreszeitliche Wechsel drücken sich bei uns durch den regelmäßig von mir erneuerten Blumenstrauß auf dem Wohnzimmertisch aus, das muss reichen.

Nicht einmal in unserem Garten gibt es in diesem Jahr einen dekorativ leuchtenden Kürbis, der in ein schlüssiges Frühherbst-Szenario passen könnte. Keinen einzigen gibt es, wegen der Schneckensaubande und sicher auch wegen irgendwelcher Wetterphänomene, was weiß ich.

Es gibt nur nach Atomunfall aussehende Zucchini-Unglücke in unwirklichem Ausmaß, deren grüngelb gezackte Färbung beim besten Willen nicht als attraktiv bezeichnet werden kann und eher verdächtig giftig wirkt. Sie wachsen direkt in Richtung Kompost. Da gehören sie meiner Meinung nach auch hin und erfüllen final immerhin einen guten Zweck.

Schön sind im Garten allerdings die Himbeeren und die tausendfachen Früchte des Weißdorns, die schon fallen und das Gras sprenkeln wie Rubinstreu. Schön sind auch die späten Kornelkirschen. Diese sind viel üppiger als in den Vorjahren und in einem beachtlich intensiven Rot gehalten, unglaublich schmackhaft sehen sie aus. Früchte, die so edel und perfekt aussehen, liegen in japanischen Delikatessengeschäften in kleinen Schälchen auf kunstvoll verflochtenen Strohhalmen aus und kosten Unsummen, könnte man meinen.

Der Geschmack kommt zwar mit der Optik nicht mit, aber egal. Wunderbare Früchte sind es jedenfalls, und ich stelle mich für das 2024er Erntedankgefühl vor diesen noch jungen Baum, kaum größer als ich, und sehe ihm unters Laub, wo es rot glänzt.

Es ist alles nur eine Frage des Bildausschnitts, wie fast immer im Leben.

An den Rändern der großen Kronen der Laubbäume auf der Billerhuder Insel septembert es währenddessen schon sachte. Man kann es aber noch leicht übersehen, wenn man das lieber möchte. Wenn man nur flüchtig hinsieht, ist alles weiterhin sommergrün.

Der August ist also weiterhin gültig und kann zweifelsfrei bis zum Ende verwendet werden.

Ein gefallener Apfel im Gras des Gartens, Klee um ihn herum, er ist wurmstichig und hat braune Stellen

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Heißes Pfeifen

Bei Netzpolitik gibt es eine Entscheidungshilfe zur Elektronischen Patientenakte, zur ePa, die ab 2025 eingeführt wird. Eine Entscheidung will nun getroffen werden, von allen, und wer sich nicht entscheidet, entscheidet sich damit auch.

In meinen Timelines las ich Meinungen diverser Fachmenschen aus IT, Datenschutz und Medizin, es ging etwas hin und her. Mich störte in dem oben verlinkten Artikel vor allem dieser Absatz:

Allerdings können Patient:innen ausgewählte Dokumente und Daten nicht nur für bestimmte Behandelnde ausblenden. Entweder sind sie verborgen und können damit von keiner behandelnden Person eingesehen werden – oder sie sind sichtbar. Dass die Psychotherapeutin ein Dokument sieht, der Zahnarzt aber nicht – das geht nicht.

Das würde ich so nicht wollen, ich habe erst einmal widersprochen. Es war schon mehrmals in meinem Leben gut und richtig, dass nicht alle Ärztinnen alles wussten. Es gibt nach meiner Erfahrung zweifellos eine Art Vordiagnosen-Bias, das muss ernsthaft bedacht werden.

Wäre ich aber 10, 20 Jahre älter und/oder hätte ich zig komplex dauermedikamentierte Gebrechen mit tausend Laborergebnissen, ich hätte der ePa vielleicht aus eher praktischen Gründen nicht widersprochen. Man kann es so oder so sehen. Aber irgendwie muss man es jetzt sehen.

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Am Freitag gab es ansonsten zwei, drei Stunden, in denen die Temperatur etwas unheimlich schnell stieg. Als säße man vor einer gerade aufgedrehten Heizung oder neben einem aufflammenden Kamin. Ich hätte im Home-Office spontan und dringend alles von mir werfen mögen, so warm und schwül wurde es in der Wohnung. Aber die Kamera des Notebooks war an, es gab immer noch weitere Meetings, wenn auch keine weitere Konzentration. Hitze und Hirn, es bleibt ein Widerspruch für mich.

Während draußen auch der Wind gewaltig aufdrehte, wild am sperrangelweit geöffneten Dachfenster rüttelte und dabei eine in dieser Stadt ungewohnte Föhnqualität hatte, eine Art heißes Pfeifen ums Dach wurde da aufgeführt. Eine seltsame Inszenierung für Menschen mit norddeutscher Klimakonditionierung war das. Die Stadt wurde gründlich trockengeblasen. Dazu gab es auf dem Handy aufpoppende Sturmflutwarnungen in den Wetter-Apps, diesmal eben alles mit Warmwasser.

Es war dann nur ein bescheiden ausfallendes Sturmflütchen, für die allfälligen Bilder in den Nachrichten musste man sich als Kamerafrau oder Fotografin schon etwas Mühe geben, aber wir halten doch fest und schütteln wieder die Köpfe: Eine Sturmflut im August.

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Im Bild heute der Mittelkanal in Hammerbrook am Morgen. Spränge ich von der Brücke, auf der ich bei dieser Aufnahme stehe, und schwämme (man kann auch schwömme schreiben, kurz habe ich irritiert nachgesehen) geradeaus drauflos, ich käme bis zur Billerhuder Insel, bis zu unserem Garten also. Eine dreiviertel Stunde Schwimmzeit wäre es vielleicht. Obwohl ich das mangels aller Erfahrungswerte nur schwer raten kann und auch nicht recht weiß, ob meine Kondition reichen würde. Ich kenne mich nur mit dem Gehen aus.

Ich könnte dort jedenfalls anlanden, die paar letzten Meter zu unserer Parzelle gehen, mich in der Laube abtrocknen und wieder hinlegen. Ein ausgesprochen netter Gedanke auf dem Weg zur Arbeit ist das. Jedenfalls in den paar Monaten, in denen die Bille und die angrenzenden Kanäle eine erträgliche Badetemperatur haben.

Das hört also vermutlich bald auf. Aber bis dahin schwimmt mein innerer Freigeist an den Office-Office-Tagen von dieser Brücke aus los.

Blick auf den Mittelkanal in Hammerbrook, die mit Bürogebäuden bebauten Ufer

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Wir bleiben in Bewegung

Gelesen: Bei der Kaltmamsell die Zitate von Hedwig Richter.

Außerdem den Zeno Cosini von Italo Svevo endlich durchgelesen, und ausgesprochen gerne. Das Buch zur Bücherei zurückgebracht und unter nicht geringen Mühen keine neuen Werke dort ausgeliehen. Jetzt lieber mal den Stapel neben dem Bett angehen! Disziplin, Konsequenz und alles, worin ich bekanntlich sehr gut bin.

Also blättere ich wieder weiter in „Personenbeschreibung – Tagebuch mit Menschen“ von Georg Stefan Troller, nach wie vor ein unterhaltsames Buch. Wobei ich allerdings bei fortschreitender Lektüre die negativen Bewertungen fast aller Menschen, die ihm beruflich begegnen, immer verstörender finde. Überaus scharfe, harte und auch schnell gefällte Urteile liest man da, erstaunlich wenig Milde und Gnade. Eher wenig Bemühen um Verständnis auch, und es zieht sich so durch.

Ich habe mir darüber noch nie tiefschürfende Gedanken gemacht und ich habe gewiss keine religiöse Motivation, aber ich habe beim Lesen doch so ein Gefühl, und Sie dürfen das gerne merkwürdig finden, als sei man auch als schreibender, beobachtender Mensch für menschliche Gnade zumindest am Rande zuständig. Aber das mag eine nicht übertragbare und kaum zeitgemäße Ansicht sein.

Wobei mir ein Song einfällt, von wem war der noch … Mary Gauthier. Auch ein interessanter Lebenslauf.

Es gibt, wenn ich schon dabei bin, in meinen Playlists auch ein Lied über Mercy in einer bekannten Instrumentalversion, nur mit einem kurzen, einleitenden Text von Cannonball Adderley: „You know, sometimes we are not prepared for adversity …“

Ein Stück aus meinem Geburtsjahr, ich mag es sehr. Ausnahmsweise ist auch das Publikum, das man nicht überhören kann, ein wichtiger und richtiger Teil der Live-Aufnahme geworden.

Und bei Youtube immer auch die Kommentare lessen, etwa den: „My dad was in Korea with cannon. He would tell me stories about being in the „cool“ tent with him

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Ansonsten eine weitere Werkwoche absolviert und anlässlich etlicher Meetings viel darüber nachgedacht, dass ich sprachlich allmählich aus der Berufswelt falle, was auch eine faszinierende Erfahrung ist. Ich komme an der Feststellung jedenfalls nicht vorbei: Der Slang dort ist nicht mehr meiner. Die letzten Bedeutungsverschiebungen bei Business-Vokabeln habe ich, haben wohl die meisten Menschen in meinem Alter nicht mehr mitgemacht. Wir denken anders, wir reden und schreiben auch anders. Es gibt teils auffällige Deutungsdifferenzen bei etlichen Vokabeln, sie müssen gar nicht englisch sein.

Es ist eine etwas irritierende Form des Fremdwerdens in der Welt. Die ich aber nicht einmal ansatzweise für originell halte und die auch nicht zu bewerten ist. Es ist doch nur der gewöhnliche Lauf der Dinge. Es ist ausgesprochen altersgerecht und das, was ich voller Begeisterung als noch karrierewilliger Mittzwanziger in Meetings von mir gegeben habe, es wird die damals Älteren auch mit großer Sicherheit verstört zurückgelassen haben. Wie in der Rückschau leider nur allzu klar zu erkennen ist.

Es ist also, wie es ist, und so können wir uns etwa über aktuelle Anglizismen gar nicht beschweren. Nicht über ihre Ausprägung, auch nicht über ihre Anzahl. Wir haben sie damals in den Büros immerhin mit eingeführt, wir haben dieser Sprachänderung entschlossen und modebewusst den Weg bereitet. Wir waren, haha, der erste Milestone in dieser Entwicklung.

Heute denken wir nur, schon wieder im Sinne eines Asterix-Zitates, dass die neuen Anglizismen nicht von hier sind.

Na, egal. Wenn man dauerhaft den Kopf schüttelt, ist man auch in Bewegung, nicht wahr. Und darauf kommt es doch an, in den letzten Berufsjahren.

Blick durch die Rathausarkaden, in denen gerade kein Menschengewimmel ist

Das sind die Rathausarkaden, die alle Gäste der Stadt besuchen müssen, es ist eine Pflicht. Deswegen ist es da nie leer, fast nie. Man braucht viele Besuche dort und auch verdammt viel Glück, um so ein Bild zu erwischen. Es war etwa zehn Sekunden so leer, länger nicht.

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Bauzaunversprechen

Im Instagramstream von Carola fängt es dieses Jahr also an, die erste Lebkuchensichtung war schon fällig, Herzensternebrezeln. Die Läden, die ich regelmäßig besuche, gehören nie zu den ersten in diesem seltsamen Rennen, habe ich in den letzten Jahren gemerkt. Hier gibt es stets noch etwas Schonzeit, zwei Wochen etwa.

Aber die Hausregel, die ich hier als Chefeinkäufer der Familie leicht für alle aufstellen konnte, lautet eh, dass es dergleichen erst gibt, wenn man einmal gründlich gefroren hat. Wenn ein Tag, vermutlich im späten Oktober erst, eine zumindest fast winterliche Anmutung hatte. Mit scharfkalter Luft, Frost, Winterjackenbedarf und allem.

Und vorher kommt uns dieses Zeug nicht ins Haus.

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In der Innenstadt steht ein Bauzaun vor der grässlichen und gemeinen Lücke, in der einmal der große C&A war, ältere Konsumentinnen erinnern sich. Nicht weit von dem Gebäude entfernt, in dem einmal Kaufhof war, was wiederum gegenüber von der Ecke ist, an der einmal Karstadt Sport war. Es ist eine Art Leerstellenstadtplan, den man sich da allmählich zusammenkonstruieren kann.

Jemand hat mit blauem Edding groß und eher ungelenk „Jesus liebt dich“ auf den Bauzaun geschrieben. Das Wort Jesus hat ein anderer Mensch dann wieder durchgestrichen und korrigierend durch „Marx“ ersetzt.

Ich bin bei beiden eher skeptisch, denke ich im Vorbeigehen. Allerdings bin ich auch kein Fachmann für eine derart ins Allgemeine erweiterte Zuneigung zum Menschen an sich. Ich würde gewiss nicht vorbehaltlos jeden lieben können, der an diesem Zaun vorbeilatscht, ich kenne mich da also überhaupt nicht aus.

Ich lese nur die Bauzaunversprechen in der Stadt mit, nehme zur Kenntnis und schreibe mit. Nach Möglichkeit im eigenen Metier bleiben.

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Gehört: Eine Folge Radiowissen über die literarische Moderne. Bei der ich es etwas geschichtsironisch finde, wie wenig uns diese Texte aus der Zeit heute noch ansprechen. Das damals, also zur Zeit dieser Moderne, als eher dröge geltende Zeug aus dem Realismus ist im Vergleich deutlich lesbarer geblieben. Jedenfalls für mich, aber ich denke, das wird mit einiger Wahrscheinlichkeit mehrheitsfähig sein im Freundeskreis Buch und Roman.

Danach hörte ich in letzter Zeit noch eine Folge über Henry Miller, eine über Jean-Paul Sartre sowie eine über die frühe Bundesrepublik, die 50er. Diese Jahrzehntefolgen finde ich sehr ansprechend, es gibt auch passend die DDR in den 50ern.

Ich habe mich jetzt erfolgreich und zufrieden quer durchs Archiv bei Radiowissen gehört. Falls Sie meinen Interessen in etwa folgen, ich nahm noch diese paar Sendungen zum Schluss mit:

Unternehmen Barbarossa

Vladimir Nabokov

Die industrielle Revolution

Über den Briefwechsel der Else Lasker-Schüler mit Gottfried Benn

Charles Lindbergh

Rudyard Kipling

Das war insgesamt eine angenehme Erfahrung, all diese Sendungen dort nachzuholen. Ein Bildungsformat, mit dem ich ausgesprochen gut zurechtkomme. Sehr schön, dass es so etwas bei den Öffentlich-Rechtlichen gibt, und alles ohne jede Werbung im Text. Man muss es ab und zu einmal ausdrücklich loben und feiern.

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Im nach wie vor sommerlichen Bild, morgen werden es wieder fast 30 Grad in Hamburg, die Alsterarkaden am Rathaus.

Die Hamburger Alsterarkaden und die Kleine Alster. Zwei Menschen sitzen auf den Treppen am Ufer, man sieht sie von hinten. Sommerliche Anmutung, blauer Himmel, Dekowölkchen.

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Langsam, etwas ruckelig und eher gemütlich

Vorweg ein herzlicher Dank für die freundliche Zusendung von Schreibgerät, herzliche Grüße zurück!

Ein Update zum Thema Tourismus und Algen. Es scheint mir ein schönes Beispiel für die Geschwindigkeit der immer wieder bemerkenswerten Anpassungsleistung unserer Art zu sein. Für unsere so emsigen Bemühungen in dieser Richtung. Und während ich mittlerweile schon drei Berichte zum Thema Algen verlinkt habe, ist mir das Thema als Erwähnung im privaten Umfeld als Urlaubserwähnung bisher kein einziges Mal begegnet. Auch nicht in den Timelines, kein Fotobeleg, nichts. Aber es wird nur eine Frage der Zeit sein, dann eben in der nächsten Saison.

Bei Frau Herzbruch gibt es währenddessen noch mehr zum Thema Fleisch. Wo es für ihren Bedarf herkommen darf oder soll.

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Der Alltag nimmt hier in den letzten Tagen etwas Fahrt auf, vermutlich auch bei Ihnen, denn wie bereits festgestellt ist es zumindest ungefähr unser aller Timing. Noch wird da allerdings nicht besonders viel Fahrt aufgenommen, ein wenig nur. Die Achterbahnwägelchen werden erst langsam, etwas ruckelig und eher gemütlich zum Fahrtbeginn hochgezogen. Die Insassen lachen noch vereinzelt und verbreiten entspannt gute Laune. Man muss genauer hinsehen, um mitzubekommen, dass die ersten Hände schon etwas fester um die Sicherheitsbügel greifen.

Nein, es passiert bisher eher wenig. Man weiß nur immer klarer, dass gleich etwas passieren wird. Man sieht es schon kommen, und man weiß es auch aus Erfahrung, man hat das immerhin alles schon mehrfach erlebt, man kennt die Abläufe. „Wenn viele Herbste sich verdichten, in deinem Blut, in deinem Sinn …“ so heißt es beim kundigen Jahreszeitenexperten Gottfried Benn. Und ja, man könnte auch schon einen Blick in die Herbstlyrik werfen, warum denn nicht.

Vorbereitung ist alles. Auch bei den so klar erwartbaren Gefühlslagen und den überaus vorhersehbaren Alltagseskalationen der nächsten Wochen und Monate.

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Instagram zeigt mir währenddessen mit fast verzweifelt zu nennender Vehemenz immer wieder und wieder die gleiche Werbung für Kaltern am See. Für den Sommerurlaub dort, den ich doch gerade erst hinter mir und eben dort verbracht habe. Sommer am See, ruft der Algorithmus, Sommer am See! Geradezu aufdringlich.

Vielleicht ist es statistisch gesehen richtig, ehemalige Reisende mit dem zu ködern, was sie vor ein paar Tagen erlebt und per Bild belegt haben. Womöglich haben ausreichend viele Menschen dann tatsächlich ein Gefühl von „Noch mehr, bitte noch mehr davon!“ und buchen also die gleiche Nummer erneut. Vielleicht ist es, vielleicht sind wir in der Mehrheit wirklich derartig berechenbar, ich kann es mir sogar vorstellen.

Bei mir greift das allerdings nicht. Aber gut, man kann auch nicht in allen Aspekten im Mainstream sein. Ich ignoriere die Werbung also und fühle mich sehr speziell, was bin ich heute wieder für ein unberechenbares Individuum. Ein angenehmer Gedanke ist das.

Denn wie immer gilt: Man muss sich die guten Gefühle zusammensuchen, wo es nur geht.

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Im Bild ein etwas kunstvolleres Graffiti in der Innenstadt. Unterhalb der Linie der U3, kurz bevor die Schienen unter dem Rathaus und den Fleeten verschwinden, wobei sie spektakulär dicht an Bürofenstern vorbeiführen. Ein Moment der Fahrt, der bei Touristen verständlicherweise besonders beliebt ist.

Ein mit gezeichneten Köpfen verzierter Betonständer unterhalb der Schienen der U3

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Sommersachensattheit

Gehört: Eine SWR-Sendung über den Zahlensinn des Menschen und über Kulturen, die nicht rechnen und keine Zahlen kennen, etwa die der australischen Ureinwohnerinnen. 28 Minuten.

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Außerdem gehört: Eine wunderbare lange Nacht über Kapitän Joseph Conrad. Da hat man, vielleicht unvermutet, schon wieder einen Ukraine-Bezug, denn dort kam er her, „aus dem polnischen Teil der Ukraine, damals zu Russland gehörend.“ Ein Satz wie aus dem Geschichtsunterricht: „Welche Probleme können wir aus dieser Beschreibung der Herkunft ableiten, erörtern Sie bitte.“

Lange und schöne Zitate aus seinen Werken hört man in der Sendung. Sogar ich spüre ein leichtes Ziehen, ein immerhin leichtes Ziehen, fast wie Fernweh und Abenteuerlust, sicher eine Art Phantomschmerz, wenn ich Joseph Conrad lese oder höre. Conrad ist einer, den ich wieder und wieder lesen kann.

Wie sein Kollege Stevenson. Und zu dem wiederum gibt es eine Folge Radiowissen, die passt hervorragend hinter die Lange Nacht zu Conrad. Wenn man immer noch Zeit hat, es addiert sich dann doch etwas. Dafür bitte hier entlang.

Und ausgerechnet da, wo der Stevenson an seinem Lebensende in der Südsee gewohnt hat, da treibt sich auch der neulich mehrfach erwähnte Georg Stefan Troller in meiner abendlichen Lektüre herum und schreibt darüber und erwähnt Stevensons Haus auf einer Insel nebenbei im Tagebuch, sehe ich noch kurz vor dem Einschlafen.

Und wie immer freue ich mich unsinnig über diese Verbindungslinien zwischen allem.

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Gesehen: Diese Doku auf arte über Marcello Mastroianni. Ich sehe die alle gerne, diese Film-Dokus, aber die über Marlon Brando war bisher die abgründigste Folge.

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Man liest schnell darüber hinweg, aber vermutlich sind die E-Bike-Erfahrungen bei Frau Herzbruch zeitgeistiger und auch generationstypischer, als man zuerst annehmen möchte. Wie auch ihre Anmerkungen zur Ernährung und die in den Kommentaren, und überhaupt: Das Private ist selbstverständlich und jederzeit politisch.

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Beim besinnlichen Aufräumen der Accounts in den sozialen Medien stellt sich nebenbei die Frage, ob man den Toten noch folgen sollte. Man kann entfolgen, man folgt ihnen doch irgendwann wieder, auf den Gedanken kann man dabei auch kommen. Das wird dann allerdings schnell zu tiefsinnig und passt nicht mehr in einen lauen Spätsommerabend der noch vergleichsweise entspannten Art.

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Mit dem im Urlaub beschädigten Sohn bin ich noch einmal bei einem Facharzt gewesen. Nur sicherheitshalber, noch einer freundlichen Empfehlung aus dem Krankenhaus in Bozen folgend, eine letzte Urlaubsabschlusshandlung also. Aber bei dem Sohn ist erwartungsgemäß alles wieder in Ordnung im Kopf.

Dann kann das also wenigstes einer in dieser Familie von sich behaupten, das ist auch schön.

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Obwohl es nach wie vor augustgemäß warm in der Stadt ist und die Temperatur auch noch weiter steigen soll, fast wieder in Julidimensionen, obwohl es nur zwischendurch etwas grauhimmelig bedeckt ist und die Sonne nur ab und zu etwas dunstig verhangen, sind einige Menschen auf den Fußwegen doch schon entschieden und auffallend herbstmodewillig, sie scheinen im saisonalen Dresscode dezent vorzugehen.

Vielleicht eine Art von Sommersachensattheit. Ja, ist gut jetzt.

Einer der Abgänge zum Ponton der Landungsbrücken im Hamburger Hafen

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Stadtgeschichten und Adressen-Memory

Am Wochenende haben die Herzdame und ich zeitgleich eine Spaziergangsneigung, das kommt nicht oft vor. Wir sind bezogen auf unsere Tagesrhythmen meist eher nicht im gleichen Takt und leben vieles zu verschiedenen Uhrzeiten aus.

Wir haben allerdings beide, eine eher privilegierte Sichtweise, an diesem Tag keine Lust auf die üblichen Postkartenlocations vor unserer Haustür. Außenalster, Rathausarkaden oder Elbe, immer die gleichen Motive, wir wollen heute etwas anderes. Alles Bekannte haben wir längst totgeknipst, abgefilmt und endlos oft umrundet. So kann man auch nur denken, wenn man mitten im Bildteil der Reiseführer wohnt.

Wir fahren stattdessen nach Altona und gehen vom Bahnhof aus durch Ottensen, dort waren wir beide schon länger nicht mehr. Wir finden überraschend viele Nebenstraßen, Ecken und kleine Plätze, die wir beide nicht kennen oder an die wir uns nicht deutlich erinnern können. Ausreichend Anblicke dieser Art jedenfalls für dieses ansatzweise touristische Gefühl, das einen Spaziergang in der eigenen Stadt interessant macht und ihn ungeplant ausdehnt.

Ab und zu auch Gebäude oder Kreuzungen, vor oder an denen uns Termine und Szenen aus der Vergangenheit einfallen. Was war hier noch einmal, das kommt mir seltsam bekannt vor. Aber warum eigentlich. Zehn Jahre her, zwanzig Jahre her, dreißig Jahre her. Schon längst nicht mehr wahr, vergessen, verschüttet oder verdrängt. Wie lange wohne ich in Hamburg – 37 Jahre sind es jetzt, guck an. Wie viele Straßen dieser Stadt ich bis heute nie gesehen habe, es bleibt ein faszinierender Gedanke.

Vier Quietscheentchen über einer Haustür in Ottensen, in einem giebeligen Dekoelement der Fassade abgestellt

Weißt du noch, die Tanzkurse damals, unsere ersten Versuche. Hier um diesen Block herum haben wir abends immer einen Parkplatz gesucht. Noch mit dem alten Benz, den wir geerbt hatten. In dem musste man die Fenster noch hoch- und runterkurbeln. Für die Söhne ist das sicher schon unvorstellbar, knapp nach der Kutschenzeit muss das alles gewesen sein. Doch wo diese Kurse damals genau waren, darauf kommen wir beide nicht mehr, es sieht alles nicht richtig aus.

Vielleicht gibt es das Haus längst nicht mehr. In Hamburg ist das häufig eine zutreffende Erklärung.

Dort an dem Platz einmal ein Date gehabt, mit wie hieß die noch. Dahin einmal jemanden umgezogen, aber da wohnt der auch schon lange nicht mehr.

Am Wegesrand, der in den kleinen Straßen unerwartet oft begrünt ist, teils sogar erfreulich dschungelhaft, wie es bei uns im kleinen Bahnhofsviertel in diesem üppigen Ausmaß gar nicht vorkommt, sehen wir etliche spätsommerliche Stockrosen auf Halbmast. Die Blüten so schwer und groß, sie sind in den letzten Wochen untragbar geworden.

Wir gehen durch Straßen, da ist an jedem zweiten Haus das Schild einer Heilpraktikerin, einer Therapeutin oder das von jemandem mit einem verwandten, irgendwie sorgenden Beruf (es ist, haha, ein Spektrum). So viele sind es, ich denke unwillkürlich an Asterix und den Arvernerschild, an die zahllosen Läden der Wein- und Kohlehändler in diesem Comic. Ein Name auf einem dieser Praxisschilder, nur aus dem Augenwinkel gesehen – das könnte eine ehemalige Mitschülerin von mir sein.

Stadtgeschichten, immer noch eine und noch eine. Adressen-Memory und Erinnerungsschnipsel.

Unterhaltsam ist das. Zu je 20000 Schritten kommen wir wie nebenbei, und gehen dann noch durch das Kleingedruckte des Stadtplans bis zur U-Bahn St. Pauli, und wir fühlen uns solcherart ausreichend getummelt für einen Wochenendtag ohne weiteres Programm.

Demnächst vielleicht gemeinsam nach Eimsbüttel. Oder so.

Street-Art, ein an eine Wand geklebter Teller mit der Aufschrift "Randale und Liebe", am Rand fehlt ein Stück

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