Die große Gnade einer Wolke

Wo ich im letzten Text gerade beim Thema Kommunikation war, es ereignet sich im Urlaub in Südtirol noch etwas Erstaunliches: Ein Sohn schreibt Postkarten. Von sich aus, und sogar innerhalb seiner Altersgruppe. Es wird noch eine weitere Generation in dieses Phänomen und vermutlich auch in die altbekannte Erwartungshaltung der Zuhausegebliebenen involviert, das hätte ich nicht gedacht.

Vermutlich wird es auf den postpandemisch stark geschrumpften Büroflächen der Zukunft immer noch irgendwo eine Pinnwand mit vergilbten Karten geben. Strandansichten, Berghüttenbilder und berühmte Gebäude aus fremden Millionenstädten. Gesendet mit lieben Grüßen von Kolleginnen, deren Namen niemand entziffern kann. Aber stets getreulich angesteckt, hat mal jemand eine Stecknadel, die XY hat aus Paris geschrieben, guck mal.

Ich erkläre dem Sohn, wie man in der Fremde zu Briefmarken kommt. Ich zeige ihm auch, wo diese auf die Karten geklebt werden, was alles in die Adresse muss und dergleichen. Man weiß so etwas nicht von Natur aus, wenn man es noch nie gemacht hat. Danach gehen wir einen Briefkasten suchen.

Eine Spaziergangsmotivation wie aus dem Geschichtsbuch ist das. Man geht mit einem anderen Blick als sonst durch den Ort und sucht die Hauswände ab. Wo mag so etwas sein und wie sehen die Dinger in Italien eigentlich aus. Sind sie gelb wie bei uns oder rot oder was sonst. Nie haben wir bisher darauf geachtet. Die Herzdame und ich schreiben im Urlaub keine Postkarten. Längst nicht mehr.

Ein Torbogen in Kaltern

Die Hauswände, die wir dann in der Altstadt auf der Suche sichten, sind erstaunlich schön. Der ganze Ort ist schöner, als wir dachten. Kaltern am See hatten wir auf unseren Reisen bisher nur auf Durchfahrten gestreift. Am Ortsrand einmal zum Einkaufen gehalten, das Freibad besucht, so etwas.

Übrigens keine bezahlte Werbung für Urlaub in Südtirol, nein.

Wir gehen zum ersten Mal überall im Städtchen herum und finden Faszinierendes und Altes. Wir sehen Verfallendes, das auf diese ansprechende Art zerbröckelt, die bei der Bachmann in den Briefen an Frisch einmal als „in Würde verarmt“ beschrieben wurde. Wunderbare Altstadthäuser, die mit nonchalanter Lässigkeit vor die Hunde gehen. Apartes Flickwerk an Gemäuern aus früheren Jahrhunderten. Uralte Torbalken, figürlich ausgestaltete Türklopfer, unbeachtet an Eingängen, die seit langer Zeit nicht mehr benutzt wurden. Längst blinde Fester im Gemäuer daneben und dergleichen.

Fassaden in Kaltern

Einleitungsdekoration für Geschichten aus alter Zeit ist so etwas, das kann man sich gut vorstellen. Daneben toprenovierte Denkmalschutzperlen, eine erfreuliche Mischung für die touristische Betrachtung. Jedes nebenbei geschossene Foto ein weiteres Postkartenmotiv.

Und wäre es nicht so unfassbar heiß und schwül, ich würde öfter und länger in dieser Altstadt herumgehen und Bilder machen. Ich bin ein Fan urbaner Schönheit und als Hamburger eher bedürftig. Denn, schönste Stadt der Welt, wie einige bei uns immer eher waghalsig behaupten, hin oder her, Hamburg ist nur an wenigen Stellen schön.

Ein eisernes, kunstvoll geschmiedetes Ladenschild, es stellt die Kirche in Kaltern dar

Aber es ist mir mittlerweile entschieden zu heiß für alles. 35 Grad und mehr sind es, über die Berge ziehen Gewitter heran oder auch nicht. Man spürt sie jedenfalls, diese oben kreisenden Gewitter, sie nehmen einem die Luft. Aber das heißt nicht, dass man sie erlebt. Blitze in weiter Ferne, ein anderes Tal. Die Kleidung klebt, man zerfließt schon beim bloßen Existieren. Ein Zustand bedenklicher Auflösung, wenn man sich nicht gerade im Pool treiben lässt oder darin flotte 700 Bahnen zieht. So wie Sohn II, der hier auf einmal beachtlichen Ehrgeiz entwickelt.

Nach dem gerade noch rettenden Schwimmen sehe ich aufs Handy und finde sofort eine Meldung, die mich freundlich bestätigt. Ich fühle mich abgeholt: Schwimmen fördert die Hirnleistung. Ich merke es auch schon, es schreibt sich gleich viel leichter, that escalated quickly.

Allerdings steht da auch etwas von regelmäßig. Ich werde also jeden Tag in diesen Pool müssen. Man macht etwas mit.

Eine menschenleere Gasse in Kaltern

In der Stadt aber, wir gehen noch einmal Eis essen, sind die Schattenstreifen an den Häusern manchmal nur schmal, viel zu schmal. Noch weitere zehn Meter mit absurder Steigung und es gibt mich womöglich nicht mehr. Was von mir bleiben wird, das ist nur eine Pfütze, diese Lache der letzte Lacher.

Irgendwo im Städtchen arbeiten Dachdecker. Sie klettern über neugelegte Ziegel auf einen uralten Dachstuhl. Wir sehen sie oben in der flimmernden Luft und wissen nicht, wie das möglich ist, wie hält man das aus. Vielleicht wissen sie es auch nicht. Vielleicht fragen sie es sich jetzt gerade selbst und schon seit Tagen und Wochen ihren Chef oder ihre Chefin.

In einem Text bei der taz kommen auch Dachdecker bei Hitze vor, sehe ich. Im Sommer haben sie in diesem Beruf mittlerweile mehr Ausfälle als im Winter. Wir haben einen angehenden Dachdecker in der Familie, wir müssten einmal bei ihm nachfragen.

Eine leere Schlangenhaut liegt am Wegesrand. Elegant gewunden, ein wenig restglitzernd, so etwas sehen wir bei uns nicht. Daneben über die Straße huschende Eidechsen. Wenn man hinsieht, sind sie schon weg, über die Wege und an Hauswänden entlang. Bewegungen im Augenwinkel. Libellen patrouillieren durch den omnipräsenten Oleander und immer wieder hört man an den stilleren Ecken der Gassen die zurückhaltende Percussion von Palmwedeln auf Balkonen und in versteckten Gärtchen. Das Grün bewegt sich rhythmisch in einer Brise, die nicht einmal ansatzweise kühlt.

Schwalben jagen tief über den Pool an der Ferienwohnung und dann zwischen den Apfelbaumreihen hindurch. Sie fliegen irrwitzig rasante Figuren im warmen Wind, der über die bepflanzten Hänge streicht und nebenbei die Weintrauben und Äpfel lässig schaukelt.

Nur ab und zu die große Gnade einer Wolke. Die Stadt und die Menschen unten am Seeufer atmen kurz auf.

Aus Deutschland lese ich in den Timelines die ersten Mauerseglerabreisemeldungen aus verschiedenen Landesteilen. Ich werde in Hamburg nach unserer Rückkehr wohl keine mehr hören, nehme ich an.

Der Sommer, er hat damit seinen ersten phänologischen Knick, auch wenn er aus Hamburger Sicht nicht eben groß war. Die Mirabellen sind in Italien reif, in Deutschland ebenfalls, das war das erwartete Zeichen der nächsten Stufe. Es gibt auch schon die ersten Pflaumenkuchenerwähnungen, dazu die Rezepte in den Foodblogs. Es werden wie immer viele werden.

Wir sind im Spätsommer, wie wir neulich erst gelernt haben, und auch im August angekommen.

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Klimawandel-Update: Die Adria wird tropisch, wie das Meer vor den Malediven. Es kommen in diesem Artikel auch wieder die Algen, die Mikroalgen vor, ich hatte neulich erst diese Sendung dazu verlinkt.

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Ein Essay über das Spätwerk von Leonard Cohen, über Lateness. Aufgrund meines aktuellen Spezialinteresses möchte ich ergänzen, dass der späte Leonard Cohen auch beim Outfit einen mir besonders sympathischen Stil in der letzten Phase gefunden hat. Dieser Hut zum Anzug … also es hatte etwas.

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Nicht ohne Optionen

Die Kaltmamsell verschenkt einen Krautreporter-Artikel von Gabriel Yoran.

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Gehört: Ein Zeitzeichen zu Colette. Die auch mal wieder lesen. Irgendwann.

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Zwischendurch verwerfe ich ein Buch, obwohl es vermutlich ein guter Roman ist, ein vielfach gut besprochener auch. Mit Preisen und allem: „Alle, außer mir“ von Francesca Melandri, Deutsch von Esther Hansen. Der Schreibstil gefällt mir, die Schilderungen Roms auch, die Figuren werden gut eingeführt. Aber die politische Gegenwart kommt hier mit einer Intensität vor, dass die Seiten für mich schon Anklänge von Sachbuch haben. Und das mag ich nicht. Kein Qualitätsurteil, es ist nur eine nicht weiter begründbare Geschmacksentscheidung.

Stattdessen dann den Zeno Cosini von Italo Svevo angefangen. Der beginnt mit einem vorangestellten Schopenhauer-Zitat an, das ich vor Jahren schon einmal gelesen und genossen, dann aber lange vergessen hatte. Es gefällt mir außerordentlich gut, ich würde es am liebsten auch diesem Blog voranstellen:

Das Leben jedes Einzelnen ist, wenn man es im Ganzen und Allgemeinen übersieht und nur die bedeutsamsten Züge heraushebt, eigentlich immer ein Trauerspiel; aber im Einzelnen durchgegangen, hat es den Charakter des Lustspiels. Denn das Treiben und die Plage des Tages, die rastlose Neckerei des Augenblicks, das Wünschen und Fürchten der Woche, die Unfälle jeder Stunde, mittelst des stets aus Schabernack bedachten Zufalls, sind lauter Komödienscenen. Aber die nie erfüllten Wünsche, das vereitelte Streben, die vom Schicksal unbarmherzig zertretenen Hoffnungen, die unsäligen Irrthümer des ganzen Lebens, mit dem steigenden Leiden und Tode am Schlusse, geben immer ein Trauerspiel. So muß, als ob das Schicksal zum Jammer unseres Daseyns noch den Spott fügen gewollt, unser Leben alle Wehen des Trauerspiels enthalten, und wir dabei doch nicht einmal die Würde tragischer Personen behaupten können, sondern, im breiten Detail des Lebens, unumgänglich läppische Lustspielcharaktere seyn.“

(Zitiert in dieser Schreibweise nach Projekt Gutenberg)

Wer könnte dem widersprechen, so unter uns läppischen Lustspielcharakteren.

Und ich habe am Abend schließlich auch wieder zwei Folgen der alten Maigret-Serie weitergesehen, und zwar mit erheblichem Genuss.

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Weiter im Südtiroler Reisebericht. Ich muss mich ranhalten, sonst geht das Blog wieder wochenlang nach. Schlimm.

Ich rufe am nächsten Morgen, am ersten Tag unseres Aufenthalts in Kaltern, meine Mutter an, die Geburtstag hat. Ich stehe dabei zwischen Reihen von Apfelbäumen an einem Hang in Südtirol, ziemlich weit weg von der Ferienwohnung. Ein paar Meter weiter Weinreben ohne Ende, kilometerlange Pflanzungen, über eine halbe Stunde kann man an denen entlang gehen und sie nehmen kein Ende.

Ein Holzschild zwischen Weinbergen, darauf steht: "Die Natur dem Wanderer, das Obst dem Bauer"

Weit unten im Blick der gerade annähernd türkisfarbene Kalterer See, dessen Farbe im Laufe des Tages vielfach unentschieden variiert. In meinem Rücken die hinter der kleinen Stadt aufragenden Berge, ansprechend umwölkt, in bester Fernsicht. Oben der Mendelpass. Eine dekorativ rote Seilbahn führt hinauf, ich sehe sie in der Ferne auf dem langsamen Weg nach oben. Über mir die sengende Hochsommersonne der südlichen Art, die wird in ein, zwei Stunden enorm anstrengend werden. Aber noch geht es.

Die Herzdame steht mit dem Rücken zum Fotografen vor einem Geländer an einem Hang, in der Weite, unten, der Kalterer See

Und ich rufe also einfach so in Hamburg an, auf dem Handy. Meine Mutter klingt, als stünde sie neben mir. Und wie in fast jedem Jahr – unsere Reiseplanung kollidiert dauernd mit ihrem Geburtstag, was allerdings keine finstere Absicht ist – staune ich immer noch ein wenig, dass das möglich ist.

Die Nachteile dieser ständigen Erreichbarkeit und permanenten Kommunikationsfähigkeit habe ich neulich bereits erwähnt, einige Vorteile findet man aber auch.

Apropos Kommunikation. In der neugebauten Ferienwohnung gibt es, es fällt einem nur noch nebenbei auf, kein Festnetztelefon. Bei der Übernachtung in München gab es auch schon keines. Die Zeiten, in denen ein Telefon selbstverständlicher und unverzichtbarer Bestandteil der Ausrüstung von Hotelzimmern etc. war, sie sind vorbei. Passend dazu: Das fortwährende Klingeln in Frankreichs letzter Telefonzelle.

Ein schmaler Altbau in Kaltern, nicht in bestem Zustand aber dekorativ, an die Hauswand gelehnt eine hohe Palme

Das WLAN in der Ferienwohnung allerdings schwächelt diesmal erheblich und auch unser Netzempfang in der Gegend ist schlechter als sonst. Warum auch immer. Es erinnert uns fast ein wenig an Eiderstedt und das ewige, unauflösbare Netzdesaster Nordfrieslands dort.

Eine App, die ich auf dem Handy aufrufen möchte, meldet sich kapitulierend gleich mit einem Fehlerspruch, er lautet: „Sie sind offline, aber nicht ohne Optionen.

Das ist eine attraktive Fehlermeldung, finde ich. Die sollte man sich merken und in diversen Situationen wieder aufsagen. Beim Spaziergang im tiefsten Wald, am Strand in Schleswig-Holstein, im steckengebliebenen Fahrstuhl und natürlich jederzeit im ICE oder überhaupt in deutschen Zügen.

Eine menschenleere Altstadtstraße in Kaltern

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Über die Grenzen

Ein Update zum Thema Lachgas, das hier auch mehrfach vorkam

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Der größte Hit des Zweiten Weltkriegs – Ein Zeitzeichen zu Lili Marleen und dann noch ein Kalenderblatt zu James Baldwin, zu dem es auch eine Lange Nacht gibt. Dieser Autor ist bei mir bisher eine weitere Bildungslücke.

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Am nächsten Morgen ziehen wir zur Autovermietung. In der Schlange am Schalter stehen vor uns Olaf Scholz und Mark Zuckerberg. Natürlich sind sie es nicht wirklich, sie sind nur den Originalen verblüffend ähnlich, auch bei längerer Betrachtung. Mark Zuckerberg spricht allerdings fließend Holländisch, was nicht passt. Olaf Scholz wirkt so überzeugend schmallippig und unbelebt, er steht derart statuenhaft herum und antwortet auf Fragen des Personals der Vermietung so einsilbig ausweichend, mit einem seltsam dauerbeleidigten Gesichtsausdruck … also wir gucken schon genau hin.

Das reservierte Auto ist diesmal tatsächlich vorhanden, heißt es dann. Und es steht, wie wir kurz darauf sehen, auch auf seinem Platz im Parkhaus. Wir haben damit die nächste große Hürde genommen, denn die Schwierigkeiten mit Mietautos sind über die Jahre gesehen fast so erwartbar wie die mit den unpünktlichen oder ausfallenden Zügen. Immer fair bleiben in den Beurteilungen! Nicht nur die Bahn ist im Service herausgefordert. Man vergisst das manchmal.

Wir fahren raus aus München und in Richtung Brenner. Wie fast immer waren all die Warnungen des ADAC so überaus wirksam, dass wir bestens durchkommen. Kein Stau, nirgends. Was allerdings ein eher schwer zu kalkulierender Umstand ist, es ging auch schon gewaltig schief. Das also lieber nicht nachmachen.

Wir kaufen unterwegs an einer Raststätte die Pflichtplakette für Österreich und merken beim Aufkleben auf die Windschutzscheibe, dass dort bereits eine gültige Plakette für den richtigen Zeitraum klebt. Kein Tag ohne Demütigung, ich sage es ja.

Aber sonst – alles bestens, eine eher angenehme Fahrt im coolsten Auto, das wir je hatten, so die Meinung der Söhne. Ich müsste jetzt allerdings aufstehen und rausgehen, um nachzusehen, was es genau ist, ich habe keinen Sinn für so etwas. Ein Auto eben. Ein schwarzes Auto. Aber diese Farbe haben fast alle Fahrzeuge mittlerweile, sie kommt mir daher eher uncool vor.

Die Verwüstungen durch die Unwetter, die uns im letzten Jahr auf der Reise so knapp verfehlt haben, sie sind an den bewaldeten Hängen am Brenner noch deutlich zu sehen, als seien die Bäume dort gerade eben erst gestürzt. Die Anzahl der Tage im Jahr, an denen man entweder durch Apps oder durch eigene Anschauung und/oder Berichte aus dem Umfeld der Bekannten auf Unwetter aufmerksam gemacht wird – ob es schon ein Drittel ist? Oder noch mehr? Ich hätte auch das längst zählen müssen. Ich zähle es ab jetzt und berichte dann.

Wir fahren durch Österreich nach Italien, und wir fahren, ohne von den Grenzen etwas zu bemerken. Nur die Beschilderung am Straßenrand ändert sich minimal. Das muss man als aufrechter Europäer immer wieder ausdrücklich würdigen. Es ist alles nicht selbstverständlich und mit wenigen Wahlen leicht zu verspielen.

Und ebenso pflichtgemäß wie überzeugt erwähne ich auch und wie in jedem Jahr, wie viel angenehmer und entspannter es sich mit Tempolimit fährt.

Wir spielen unsere Lieblingsplaylists zur Unterhaltung während der Fahrt ab. Wir vergleichen die Musikauswahl der vier Familienmitglieder. Unsere Schnittmenge ist eher klein und nicht einfach zu finden, das ist auch nicht anders erwartbar bei unseren Altersunterschieden. Der Haupttreffer in der Mitte liegt schließlich bei Cigarettes after Sex.

Die Wikipedia zitiert Greg Gonzalez zum Namen der Band “A lot of our songs are autobiographical, and the name isn’t an exception. I had this friends-with-privileges thing with this girl and she would always smoke after we were together. I never really tried it until she showed it to me. We were just together one night smoking and the name flashed in my mind. It was literally just what we were doing at that moment.


Die Musik und die Titel passen an diesem Sommertag weder zur Postkartenszenerie vor den Autofenstern noch zu unserer Urlaubsanfangsstimmung. Es ist alles deutlich sonniger und gelöster, als es in diesem Song klingt. Wir mögen es dennoch.

Und wir finden, die nächste markante Hürde wird damit genommen, auch die Ferienwohnung in Kaltern an der Weinstraße Anhieb. Ohne längere Irrfahrt durch Straßen, die sich unvorhergesehen in Bergpfade an absurd steilen Hängen verwandeln. Das war auch schon einmal anders, denn nicht alle Navis kommen mit Südtirol im kleingedruckten Bereich der Karten klar. Diesmal läuft es bei uns.

Es ist warm, sehr warm, fast heiß, der Tag wird glühend gewesen sein. Der einladende Pool am Haus ist leer. Aber nicht mehr lange.

Blick durch Apfelpflanzungen in Kaltern, ein kleiner Trecker mit im Bild, im Hintergrund Berge und Wolke n

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Das richtige Verhalten in der Gesellschaft

Physiotherapie für Obdachlose als Zynismus des Tages – die Lage am Hamburger Hauptbahnhof wird schlimmer, die Situation im kleinen Bahnhofsviertel dadurch auch. Eine Ergänzung zu den vielen Beobachtungen hier im Blog.

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Es ist mancherorts so heiß, sogar im Odenwald wird gehupt.

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Weiter gelesen in Vicki Baums Erinnerungen. Immer noch zufrieden mit dieser Lektürewahl. Allerdings hörte ich zwischendurch auch die Lange Nacht über Kästner und dann merkt man doch, dass man auch bei der entspannend sein sollenden Urlaubsunterhaltung permanent an den politischen rechten Rand stößt. Wie es bei den Lebensläufen dieser beiden gar nicht anders sein kann. Ich werde das Thema also nicht los.

Und schlimmer noch, wir werden es nicht los.

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Die Kaltmamsell träumt von Zeitreisen und verlinkt einen Artikel zum Klimawandel und zur „Hitzehölle“ in Städten. Ich sah irgendwo, dass Hamburg dabei noch ganz gut wegkommt. Aber Verbesserungsbedarf und -möglichkeiten gibt es immer und reichlich.

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Im Hotel in München haben fast alle außer uns die Taylor-Swift-Armbänder am Handgelenk. Wenn die Buchstaben darin Textzeilen der Songs bilden, wie ich gelesen habe, könnte man aus sämtlichen Armbändern in dieser Stadt heute sicher ihr Gesamtwerk zusammenlegen. Auch eine charmante Vorstellung.

Vor dem Hotel trägt man entweder Tracht oder Freizeitkleidung mit Armband. Wir kommen uns nach einer Weile etwas seltsam vor, ohne Schmuck am Handgelenk oder Volkstümliches. In der Straßenbahn, auf den Wegen, in den Parks – überall diese Armbänder, viel häufiger noch als die lokalen Modeaccessoires. Immer wieder guckt uns jemand auf die Handgelenke, ob wir nicht auch … Aber nein, wir nicht.

Ausgesprochen freundlich Menschen sind es jedenfalls, diese Swifties. Sie gehen betont rücksichtsvoll miteinander um, es ist nicht zu übersehen. Sie ruhestören nicht im Hotel, sie schmutzen nicht. Pardon, ich will nicht spotten, ich mochte das. In der Ausstrahlung liegen sie in der Gesamtheit irgendwo zwischen internationalem Pfadfindertreff, stark überdimensionierter Klassenfahrt und verstrahlten Sannyasins, die Älteren erinnern sich vielleicht. So nett und irgendwie auch niedlich enthusiasmiert, wie sie alle auf den Auftritt ihrer Leitfigur warten und sich dabei umeinander kümmern.

Apropos Sannyasins, mir fällt nebenbei ein, wie sehr man zu meiner Schulzeit davon ausging, dass Sekten aller Art eines der größten Risiken für die Zukunft von uns damaligen Jugendlichen waren. Wie man sie für ein drohendes, wild eskalierendes Weltproblem hielt. All die Vorträge und mahnenden Worte, die zahlreichen düsteren Leitartikel und Reportagen, die vehement bemühte Aufklärung.

Lange nicht mehr gehört, den Begriff Sekte. In der Jugend unserer Söhne scheinen sie keine Rolle zu spielen, nicht einmal am Rande.

Auch über die so freundlichen Swifties hinaus sehe ich an nur einem Abend in München gleich mehrere auffällige random acts of kindness in der Stadt. Jemand rennt auf die Straße, mitten in den stockenden Verkehr, und schließt bei einem Auto den Kofferraum, der sicher versehentlich offenstand. Einer hilft einem gestürzten alten Mann an einer Ampel liebevoll wieder auf die Beine, eine sammelt einer Frau Äpfel auf, die aus ihrer Einkaufstasche gefallen waren. Jemand organisiert energisch einem Blinden einen Platz in der Bahn und dergleichen mehr. An jeder Ecke eine solche Szene, wie in einem Lehrfilmchen über das richtige Verhalten in der Gesellschaft.

Entweder man ist in München so, was mir allerdings neu wäre, aber was auch nicht ausgeschlossen ist. Oder es ist nur erneut der Stichprobeneffekt, der dann diesmal besonders eindrücklich ausfällt. Vielleicht aber sieht man auch mehr von so etwas, wenn man nur irgendwo anfängt, es wahrzunehmen. Aber das klingt fast ein wenig zu gut, um stimmen zu können.

Wir ziehen durch die Stadt, die uns so angenehm fremd vorkommt. Es ist dort schon Urlaub für uns, auch wenn es nur eine pragmatisch gewählte Zwischenstation ist. Es ist bereits ein anderes Land, also zumindest gefühlt. Andere Leute, andere Fassaden, andere Geschäfte, anderes Licht, andere Luft. Eine andere Sprache auch. Und so muss das auf Reisen sein.

Wir wandern wie gute Touristen pflichtschuldig durch den Englischen Garten entlang der Reiseführerhighlights und erinnern uns an frühere Besuche dort. Hier und da kommt es mal der Herzdame und mir, mal einem von den Söhnen bekannt vor. Da waren die beiden mal im Wasser, dort vor dem Monopteros hat Sohn II das Radschlagen gelernt. Da vor dem Chinesischen Turm hat ihnen ein Straßenkünstler einmal exklusiv Kunststücke vorgeführt, da hinten hat Sohn I einen großen Spielplatz entdeckt, ganz damals.

Die Reisen und Erlebnisse verschwimmen in der Erinnerung. Unmöglich zu sagen, was in welchem Jahr war.

Wir ziehen das Touristische bis zum Ende und stets bemüht wie immer durch und essen furchtbar schlecht am Chinesischen Turm. Dann gehen wir zu Fuß zurück zum Hotel. Das ist dermaßen weit, dass an diesem Tag kein Schrittzähler unter dem Durchschnittswert des Jahres bleibt. Und es ist auch so weit, dass wir im Hotel sofort einschlafen. Obwohl wir zu viert in einem Raum liegen, was niemand von uns besonders angenehm findet.

Egal, es ist nur eine Nacht. Dann fahren wir weiter, südlicher.

Eine Palme vor sehr blauem Himmel

 

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Golden und mit Glitzer

Gehört: Ein Stück beim Deutschlandfunk, US-Superreiche – Nicht von dieser Welt. Zwischen Gesellschaftsutopie und Gottkomplex. Keine allzu beruhigende Sendung, wie man sich denken kann. Man möchte das alles gar nicht wissen, aber nichts davon zu wissen ist auch wieder nicht richtig. Der so unangenehm schmale Grat der korrekten Informationsmenge.

Außerdem gehört: Ein Zeitzeichen zu Antoine de Saint-Exupéry. Aus dem die Diktatfunktion gestern beim Spaziergang einen Antony the Saint-Super machte, das ist auch schön. Vielleicht muss ich an meiner Aussprache französischer Begriffe arbeiten, das mag sein. Es gibt auch eine Lange Nacht über ihn, soweit reicht mein Interesse an Fuchs und Prinz allerdings nicht. Ich melde es hier nur eben als Service-Hinweis.

Und schließlich habe ich weiter die Lange Nacht über Erich Kästner bis zum Ende gehört. Ich fand in der Reihe bisher zwar alle Folgen gut, diese aber besonders. Ich empfehle sie noch einmal und ausdrücklich.

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Ein Lebenszeichen von Frau Novemberregen, wie erfreulich.

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Wo waren wir. Wir waren in München, gerade angekommen. Menschen in Lederhosen und Dirndl ziehen an unserem Hotel vorbei. Sie besuchen ein Event in einem nahen Biergarten, bekommen wir dann mit. Es geht mir etwas gegen den Strich, dies so zu notieren, es ist wieder zu viel Klischeeware. Aber wenn sie da doch tatsächlich in Rudeln so gekleidet herumlaufen, was soll man machen.

Kurz überlege ich zum wiederholten Mal, wie außerordentlich fremd uns das ist, so historisierend volkstümlich ausstaffiert herumzulaufen. Wie undenkbar das für den norddeutschen Landesteil längst geworden ist. Oder immer war, so genau kenne ich mich nicht aus.

Es stellt keine Wertung dar, dieses Überlegen. Ich habe da keine Meinung, auch keine reflexmäßige Aversion. Ich finde es eher amüsant, wie schwer es ist, sich auch nur auszumalen, wir würden in Hamburg oder in Küstennähe gewohnheitsmäßig in Buscherump, dunkelblauem Troyer und mit Elblotsenmütze auf dem Kopf herumlaufen. Wir würden in diesem Outfit routinemäßig auf Reisen gehen und Staatsgäste so gewandet empfangen. Zur Kirche, zur Wahl und zu anderen wichtigen Anlässen so gehen etc., Alltag in Marineblau.

Wobei ich eine Elblotsenmütze sogar besitze, fällt mir ein, sie steht mir aber nicht. Das Helmutschmidthafte ist vielleicht nicht ausgeprägt genug in mir vorhanden, mag sein.

Ich stelle mir einen Moment bemüht vor, wir würden bei uns so herumlaufen, gerne und oft und viele von uns. Die Frauen und Mädchen vielleicht in Kleidern, wie sie bei den Auftritten der Finkwarder Speeldeel getragen werden, und wie man sie sonst nie im Alltag sieht.

Ich stelle mir vor, wir würden uns am Wochenende mit Freunden unter freiem Himmel treffen, gemeinsam Unmengen Kööm trinken und inbrünstig Shantys dabei singen. Familienverbände mit Gitarre und Flöte und allem. Rolling home, Wir lagen vor Madagaskar etc. Ich stelle mir vor, das wäre normal.

Vielleicht würde ich Letzteres sogar nett finden. Ich mag Shantys manchmal, so viel innere und verstetigte Küstennähe muss sein.

Aber davon abgesehen – wir würden uns eben verkleidet fühlen. Anders gibt es meine Fantasie nicht her. Und die Bayern, also viele Bayern, fühlen sich in dieser Kleidung nicht so, unterstelle ich. Sie fühlen sich im Gegenteil besonders echt, wenn sie ihre Trachten tragen, so wird es sein. Sie fühlen sich authentisch. Es ist immer wieder ein faszinierender Umstand für mich.

Die Familie der Herzdame hat in ihrem Heimatdorf vor zwei Generationen eine Volkstanzgruppe gegründet, mit traditioneller Kleidung aus der Region und allem. Wir haben also etwas Bezug zum Thema, und diese Volkstanzgruppe war fraglos auch wichtig für die Dorfgemeinschaft. Aber ob da künftig noch genug mitmachen werden – es ist nicht normal und etabliert genug, bei uns ein derartiges Hobby zu pflegen.

Man kann auf das latent unheimlich Rückwärtsorientierte in der einen und auf das geschichtsvergessene, so bedauerlich Traditionslose in der anderen Ausprägung kommen. Man kann das Thema lange diskutieren, schon klar. Vorteile, Nachteile, kulturgeschichtliche Ableitungen. Historische Erklärungen und auch die soziologischen Besonderheiten der Bundesländer.

Wie auch immer: München ist jedenfalls immer ein Erlebnis für uns.

Ein Erlebnis, bei dem es auch vorkommen kann, wie ich kurz darauf in einer Bahn sehe, dass grell geschminkte Platinblondinen mit höchst unwahrscheinlichen und stark überzeichnet wirkenden Figuren goldene Dirndl mit Glitzer und reichlich Blingbling auf dramatisch hohen Absätzen durch die Stadt balancieren. Wie inszeniert ist das denn wieder.

Da will ich mich jedenfalls nicht beschweren und auch keineswegs lästern. Ich finde es meist unterhaltsam dort. Man sieht einmal andere Menschen, man kann etwas notieren. Und dann bin ich auch schon zufrieden, denn ich bin ein genügsamer Reisender.

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Alles durchziehen

Die Herzdame und ich machen dann den Fehler, im Zug nach München eine Mail an uns zu lesen. Eine Mail, die stark stimmungsverderbend und vom Timing her so ungünstig wie nur denkbar ist.

Es reicht nämlich nicht, die beruflichen Mails zu ignorieren. Man müsste eigentlich alle Mails, Meldungen und Mitteilungen auf sämtlichen Kanälen komplett ausblenden. Etwa so, wie man es früher im Urlaubsfall getan hat, schon weil es gar nicht anders ging. Im letzten Jahrhundert noch, als man auf seiner Liege unter dem Sonnenschirm höchstens durch Telegramme gestört wurde, und dann war so etwas von Weltuntergang. Dergleichen kam aber ohnehin nur in Romanen und Filmen vor.

Auch alle Nachrichten zu privaten Themen müsste man für eine Weile sämtlich unterbinden, besonders die zu den eher unangenehmen Bereichen, wovon es sicher bei allen Menschen welche gibt. Rechts- und Finanzfragen, Konflikte, Klärungen und sonstige dunkelgraue Problemzonen der Familienbewirtschaftung. Die ganzen Gräuel der Administration des eigenen Daseins – ich werde nie aufhören, über ihre Ausmaße zu staunen.

Aber gut, gelesen ist gelesen. Wir sitzen danach glühend vor Zorn und mit unangenehm beschleunigtem Puls zwischen Göttingen und Augsburg. Wie viele Reisekilometer weit so ein Ärgernis reichen kann! Quer durch ein ganzes Land. Zur fachgerechten Beantwortung dieser Mail müssten wir mehrere Stunden oder gleich einen Tag investieren und am besten vorher noch schnell eine Schreitherapie machen.

Das schließen wir erst einmal aus. Wir haben immerhin Urlaub, und so oft hat man den nicht. Sparwillige Menschen wie ich überschlagen in solchen Situationen auch gerne kurz den Wert eines Reisetages, den man auf diese Weise vergeigt. Und stellt fest, dass man sich das gar nicht leisten will. Bin ich Krösus oder was, eine solche Verschwendung.

Ein größeres Problem tatsächlich und gelingend geistig so auszublenden, dass man in zumindest halber Seelenruhe annähernd entspannt Ferien machen kann, es scheint mir eine doch hohe Kunst zu sein. Und Experten sind wir darin nicht, so viel steht auch fest.

Schon die nächste Mail (ich lerne nicht so schnell aus Fehlern, q.e.d.) ist dann allerdings eine Projektanfrage an mich, eine recht erfreuliche, es ist ein Ausgleichstreffer des Schicksals. Sportliche Vergleiche aller Art liegen in der Luft in diesen Wochen, nicht wahr.

Nebenbei sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass Olympia zwar groß und wichtig und global ist, im Norden aber gerade die Meisterschaft im Schlickrutschen entschieden wurde.

Wir kommen jedenfalls auf die Minute pünktlich in München an, die Deutsche Bahn kann es noch hier und da.

In dieser zusammengezimmert wirkenden und nur von Gerüsten aufrechtgehaltenen Bahnhofsattrappe kommen wir an, die wohl erst in Jahren wieder ein funktionales Stück Infrastruktur darstellen wird. Vielleicht zu dem Zeitpunkt, an dem in Hamburg endlich der große, der seit Ewigkeiten diskutierte und stets doch vollkommen ungewiss bleibende, fast sagenhafte Bahnhofsumbau losgehen wird. Ein großer Nordsüdtausch der Riesenbaustellen könnte es werden. Ich notierte es so bereits bei der letzten Reise, schwant mir.

Das Leben als Abfolge von sich ähnelnden Textpassagen und Erzählspiralen.

Bezüglich Hitze und Verelendung können wir uns in München dann auch gleich wie zuhause fühlen. Es ist entschieden zu warm in dieser Stadt und die an der Gesellschaft oder an sich selbst gründlich gescheiterten Menschen sind unübersehbar zahlreich und elend, wie sie es überall an den großen Stationen sind. All die Hände, die sich uns bittend entgegenstrecken.

Wir ziehen Koffer und Kinder zu Fuß zum Hotel.

Nein, in Wahrheit ziehen die Kinder die Koffer. Sie sind nun immerhin Teenager der ausgeprägt großen und starken Sorte, sie können das. Eine halbe Stunde Weg ist es nur, und wir brauchen dringend Bewegung nach der langen Fahrt, denken wir uns. Nach 15 Minuten zweifeln wir allerdings temperaturbedingt und schon wieder hitzederangiert an dieser uns auf einmal seltsam abwegig vorkommenden Idee. Aber nun ist es zu spät.

Alles durchziehen. Die Wege, die Abenteuer, den Urlaub, die Woche und den Sommer.

Exakt beim Betreten des Hotels poppt auf meinem Handy prompt eine Hochwasserwarnung für München auf. Der erste Mensch, der uns im Treppenhaus begegnet, grüßt uns mit einem vertraut knappen „Moin.“ Es bleibt alles noch einen Moment erstaunlich heimatlich und fühlt sich ausgesprochen norddeutsch an.

Bis wir nach einer kurzen Rast wieder vor die Tür gehen. Wo auf einmal alle Tracht tragen und es gründlich München geworden ist.

Die Türme der Theatinerkirche in München

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Das Bastel-Abteil im Freizeit-Express

Update Klimawandel im Alltag: Es gibt immer mehr gefälschtes Olivenöl.

Passend dazu gehört: Algenblüten weltweit – Symptom einer Erd-Krise. Interessanter, als es vielleicht zunächst klingt. Allerdings auch apokalyptischer.

Außerdem noch: Die Nordsee ist so warm wie nie. Auch für den Freundeskreis Inseln und Küste lehrreich.

Im Feuilletonteil des Tages gehört: Ein Kalenderblatt zur Verlorenen Ehre der Katharina Blum von Heinrich Böll.

Schließlich angefangen, die Sendung ist etwas umfangreicher: Eine Lange Nacht zu Erich Kästner.

Gelesen: Es werden die Hundstage erklärt, die Canicule. Getippt bei 34 Grad, es passt schon.

Ich lese ansonsten in den Erinnerungen der Vicki Baum, Es war alles ganz anders, und das ist angenehm geeignete Urlaubslektüre, ich dachte es mir. Sie erzählt gut, wen könnte es überraschen.

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Das Dumme an Urlauben und Reiserei für schreibende Menschen ist natürlich, dass man dabei unwillkürlich noch mehr aufpasst, noch mehr Eindrücke aufnimmt und auf noch mehr Gedanken kommt. Das zu Beschreibende sprengt bald jedes Format, wuchert vor sich hin und dehnt sich absurd aus. Irrwitzige Ausmaße der Randaspektverästelungen gilt es abzubilden oder irgendwo zu kappen. Kill your darlings etc., Sie kennen das.

Mein schönstes Ferienerlebnis, Band 1 von 50, enthaltend lediglich den Weg zum Bahnhof.

Egal, wo war ich. Der Zug war pünktlich, das war die erste angenehme Überraschung auf unserer Reise. Die Reservierungen waren allerdings hinfällig, es war ein Zug anderer Baureihe. Eine dieser fatalen Standarddurchsagen, die man nicht gerne hört. Ein zwar ärgerliches, aber noch hinnehmbares Problem, besonders wenn man erfolgreich einen Platz gefunden und verteidigt hat. Und immer ist diese Situation auch eine interessante Sozialstudie:

„Nichts Heiliges ist mehr, es lösen
Sich alle Bande frommer Scheu,
Der Gute räumt den Platz dem Bösen,
Und alle Laster walten frei.“

Auch Schiller passt noch hier und da in den Alltag.

Im gefundenen Abteil sitzen dann neben uns freundliche Swifties, besinnlich an ihren bunten Armbändern mit den kennzeichnenden Buchstabenelementen bastelnd. Auf dem Weg zum Konzert in München sind sie selbstverständlich, und also mitschuldig daran, dass unser Hotel für eine Nacht dort dezent überteuert ist. Anlässlich des Auftritts von Taylor Swift wird eine Steigerung der Hotelbuchungen um 600 Prozent in der Stadt verzeichnet. Im normalerweise nicht ganz so intensiv bereisten Gelsenkirchen waren es stolze 7000 Prozent.

Sie sitzen da also und basteln, diese Fans, und sie freuen sich unübersehbar auf das Konzert. In den anderen Abteilen, in den Großraumwagen und auch auf den Gängen sieht man Ähnliches und hat bald schon eine Ahnung: Es müssen wirklich verdammt viele sein. Eine Ahnung, die sich später in München deutlich bestätigen wird.

Während ich in Hamburg nur zwei klar als solche erkennbaren Fans bei uns im Stadtteil sah, sind es im Süden Hunderte, wenn nicht Tausende, sie sind überall in der Stadt und sie sind unübersehbar. Sie haben vielleicht die beeindruckenden Bilder der Fanmassen vor dem Stadion auf dem Olympiaberg gesehen. Das hatte alles gewaltige Ausmaße dort.

Aber ich schweife ab, noch sitzen wir im Zug. Die Herzdame holt Panzerfolie aus ihrem Gepäck und verarztet damit das angeschlagene Handy eines Sohnes. Das passt äußerst harmonisch zum Kunsthandwerk der vielen Swifties um uns herum. Ich sitze offensichtlich in einem Bastel-Abteil im Freizeit-Express.

Und damit nicht genug, denn Sohn I, der seit einiger Zeit seine Klamotten selbst umarbeitet, verziert, ändert etc. holt auch noch sein Nähzeug heraus. Jetzt sieht die Szenerie im Abteil endgültig aus wie in einem Sketch. Es ist ein mobiler DIY-Workshop, wie die junge Frau mit den vielen Armbändern neben mir zufrieden lächelnd befindet.

Nur Sohn II und ich wirken noch etwas deplatziert dort, ganz ohne Beschäftigung der Hände. Lediglich auf unsere Handys sehend, wie Menschen ohne interessante Hobbys.

Sohn I hatte sich vorgenommen, im Zug weiter entspannt und womöglich stundenlang an einer Hose zu arbeiten. Er hat alles dafür Notwendige dabei und nach München braucht man immerhin eine Weile, es war ein guter Plan. Und es passieren dann in den nächsten Minuten interessante Dinge in seinem Gesicht, die ein wenig an die mimischen Künste von Stan Laurel erinnern. Er merkt nämlich in sicher hitzebedingt reduzierter Denkgeschwindigkeit, unsere glühende Dachgeschosswohnung macht uns stets etwas dümmer im Sommer, dass er gar nicht an dieser Hose arbeiten kann: Er hat sie an.

Es erheitert mich bis weit hinter Hannover. Und so etwas muss man in diesen Zeiten auch ausreichend wertschätzen.

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Es fängt alles erst an

Der Journalist Jonas Schaible hat einen neuen Newsletter, „als Ort, um nachzudenken, über die Welt, die Krisen, das Leben im Anthropozän.“ So schrieb er auf Threads. Gerne gelesen, auch wegen solcher Sätze:

Menschen sind lernfähig. Gesellschaften sind beweglich. Die Zukunft steht nicht schon fest, auch nicht in der Klimakrise. Menschen sind klüger und interessanter und komplexer, als es scheint, wenn man vor allem liest, was jene schreiben, die Provokation, Unirritierbarkeit und Boshaftigkeit zu ihrem Geschäftsmodell gemacht haben oder zu ihrem politischen Programm.

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Gehört: Im Spektrum-Podcast eine Folge über Extremwetter. Während zuhause in Hamburg der Westteil der Stadt im Starkregen gründlich absoff, ich las im eher zu heißen Italien (34 Grad) davon. Die Folge enthielt für mich nichts auffällig Neues, stellt Bekanntes aber gut dar. Ich habe bei dem Thema also in letzter Zeit halbwegs aufgepasst, das muss man aber auch. Schon um allfälligen Gegenargumenten der Leugner manchmal noch halbwegs souverän begegnen zu können. Wenn man gerade die Kraft dafür hat.

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Es ist sicher ein etwas morbides Nebeninteresse von mir, aber ich mag nun einmal Kompost und verfolge daher regelmäßig die Berichte über die Kompostierung von Menschen, hier etwa in der taz. Eine so attraktive Bestattungsform.

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Weiter in der Urlaubsberichterstattung, es fängt alles erst an (ich musste einen Augenblick überlegen, woher der letzte Halbsatz kommt: Juliane Werding, Stimmen im Wind, 1986. Meine Güte, was hat man im Kopf).

Der erste Gedanke nach dem Aufwachen am ersten Urlaubstag: „Oh, wie großartig, ich habe ja Urlaub im Hauptjob!“ Und gleich der zweite Gedanke nach dem Aufwachen aber: „Oh, da war doch noch eine Deadline im anderen Job!“ Es ist immer so eine Sache mit der beruflichen Vielseitigkeit. Einige deutliche Nachteile gibt es dabei auch, manchmal fallen sie mir deutlicher auf als sonst im geregelten Alltag.

Es hat aber auch wieder nicht genug Nachteile, um alles anders zu machen oder sogar noch einmal neu auszurichten.

Unterm Strich bin ich zufrieden damit, mehrere Seiten von mir beruflich auszuleben. Für 9 to 5 bin ich mittlerweile eh verloren, das ist für mich längst fast unvorstellbar geworden. Acht Stunden oder noch deutlich mehr nur für ein einziges Thema – ein entsetzlich gewordener Gedanke. Weit habe ich mich davon entfernt, und ich mag meine Umschaltmomente im Laufe des Tages. Meistens.

Wir sehen siebenmal nach, ob der Herd aus ist. Wir ziehen die Koffer zum Bahnhof und sind wieder nicht allein damit. Immer in der Herde bleiben, immer machen, was so viele andere auch machen. Es sind Hunderte, die wie wir zum Bahnhof ziehen, eine Bewegung durch das Viertel und auf die große Halle im Zentrum der Stadt zu. Mit einer Drohne könnte man es von oben gut erkennen, dieses vielfache Streben zu einem Mittelpunkt, auf den auch die Bahngleise und Straßen verweisen.

Koffer und Kinder verschiedener Größe hinter den Leuten. Es ist auch in diesem Jahr dieses eine Reisewochenende, vor dem der ADAC immer so ausführlich und drohend, etwas onkelhaft mahnend warnt. Wir planen unsere Reisen oft so, ohne es allerdings zu beabsichtigen. Es fällt einfach an, wie bei all den anderen auch.

Und dabei haben wir noch gut verteilte Ferien in diesem Land. Ich habe, und es war eine lehrreiche, beeindruckende Erfahrung, einmal einen Sommerferienanfang in Frankreich erlebt. Diesen Tag also, an dem die komplette Gesellschaft dort raus aus den Städten und in die Provinzen reist, an die Meere und in die Berge. Das ist ein Großereignis anderer Art. Da reichen unsere Stau- und Reisewarnungen gar nicht ran, an diese unfassbaren Dimensionen des Irrsinns auf den Reisewegen dort. Dagegen läuft bei uns alles schön sortiert ab, fast klischeemäßig deutsch und gut durchgeplant.

Wir ziehen also unsere Koffer zum Bahnhof. Wir ziehen sie und spüren dabei die leider mit jedem Jahr unangenehmer werdenden Spannung, ob und wann unser Zug nach München denn fahren wird. Unseren Pessimismus und die Skepsis haben wir schon Tage vorher sicherheitshalber immer weiter und bis zum Anschlag hochgedreht, um Enttäuschungen möglichst frühzeitig abzumildern.

Gar nicht erst annehmen, dass da ein Zug fahren wird! Gar nicht erst davon ausgehen, reibungslos und ohne unbestellte Abenteuer reisen zu können. Gleich bei allem das Schlimmste annehmen, und fast lustvoll. Sich alles ausmalen, und zwar tiefschwarz.

Dann geht es, so denkt man sich das heute. Dann geht es auch mit der Bahn.

Aber es kommt an diesem Tag dann doch wieder das beliebte Böll-Titelzitat zum Einsatz. Dieses Zitat, das man als heiteres Versatzstück im Text verwenden kann, ohne an den grausigen Inhalt des Buches auch nur eine Minute zu denken: „Der Zug war pünktlich.“

Der ursprüngliche Titel dieser Erzählung war Zwischen Lemberg und Czernowitz, sehe ich in der Wikipedia. Damit hätte ich gar nichts anfangen können, denn wir bewegen uns in den nächsten Stunden zwischen Hamburg und München.

Wie auch Taylor Swift, und darüber wird noch zu reden sein.

Die Figuren Mann und Frau vom Bildhauer Dtephan Balkenhol vor der Zentralbücherei in Hamburg, im Hintergrund Saturn und der Hauotbahnhof

Im Bild „Mann und Frau“ von Stephan Balkenhol. Die Figuren stehen vor der Hambuger Zentralbücherei, im Hintergrund rechts der Hauptbahnhof.

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Warten auf den Abpfiff und Dank

Der Urlaubsanfang dann am Donnerstag. Ich habe das Firmennotebook endlich final zugeklappt, ich habe das erste Halbjahr damit erst richtig beendet. Wir sind jetzt in einer seltsamen Zwischenzeit, danach geht es dann in zwei, drei Wochen mit der Rutsche zum Jahresende weiter. In Finanzabteilungen geht man manchmal voraus und ziemlich oft nach, nur mit der Gegenwart haben wir es meist nicht so. Die betrachten wir mit Skepsis und etwas Abwehr in der Haltung, sie wirkt so unsortiert und flüchtig. Sie wirkt so blurry, wie die Söhne sagen würden, und blurry lässt sich nicht gut in Excel abbilden.

Ich habe das Firmennnotebook also zugeklappt. Nachdem ich noch eine ganze Weile mit einer Art Restneugier und in seltsamer Starre eher sinnlos auf letzte und allerletzte Mails gewartet habe. Warten auf einen Abpfiff, den ich mir aber in diesem Spiel schon selbst pfeifen muss.

Den Firmenkram jetzt eine Weile gründlich ausblenden., so gut es eben geht. Der Anteil der Menschen, die auch im Urlaub und bei Krankheiten regelmäßig Mails lesen, diese sorgsam beantworten und mindestens teilweise also arbeiten, er stieg in letzter Zeit immer weiter und weiter, las ich neulich.

Ich habe das auch längere Zeit gemacht. Besonders damals, als es technisch überhaupt erst möglich und cool wurde, als es noch pionierhaft und aufregend war. Immer und gerne bin ich an der Spitze der Bewegung gewesen, als Arbeitsprozesse modernisiert wurden, eine ganze Weile lang. Alles habe ich also mitversursacht. Die schärfsten Kritiker der Elche waren früher selber welche, ja, ja. Ich habe in jenen Jahren nebenbei auch meinen Stadtteil gentrifiziert und weiß Gott was noch alles mit sozialen Auswirkungen angerichtet. Ab- und Umwege, so folgenschwer wie normal. Es irrt der Mensch, solang er strebt.

(Neulich habe ich wieder einmal in eine Hörbuchversion von Goethes Faust reingehört, das ist nämlich auch etwas, dass ich mit jedem Jahr mehr genießen kann. Eine halbe Stunde bin ich hell begeistert vom Text gewesen, manche Sätze habe ich dabei nachgeplappert, wie so ein Fanboy. Das war schön, das wird sicher bald wiederholt.)

Ich mache es jedenfalls nicht mehr, das mit dem Büro im Urlaub oder bei Grippe, Corona, Bandscheibe und Magendarm. Kategorisch mache ich es nicht mehr. Ich finde es mittlerweile auch gesellschaftlich falsch. Umentschieden habe ich mich da, es ist aus meiner Sicht eine für die Mehrheit eher fatale Entwicklung.

Aber Ausnahmen, Regeln, dies, das. Ich weiß, fühlen Sie sich bitte bloß nicht direkt angesprochen und machen Sie vor allem, was Sie wollen. Das Missionarische lasse ich bei diesem Themenblock aus.

Raus ist heute jedenfalls raus für mich, ich bin doch früh genug wieder drin. Zu früh wird es in jedem Fall sein, das scheint schon festzustehen. Unerholt seit März 2020, das wäre nach wie vor ein passendes T-Shirt für mich, und vielleicht wäre es dann sogar mein Lieblings-T-Shirt. Obwohl ich eigentlich nichts mit ausdrücklicher Message darauf trage. Nein, nicht mehr trage, denn auch das war schon anders.

Blick von einem Steg an der Alster mit Außengastro. Liegestühle, eine Palme in einem Kübel, Abendstimmung

Bevor es hier also unweigerlich etwas Reise-Content geben wird, das wollte ich nur eben sagen, bringe ich den üblichen, notwendigen und auch herzlichen, den immer noch begeisterten Dank unter, dass die angesparten Trinkgelder aus den letzten Monaten ein weiteres Mal einen erheblichen Teil unseres Familienurlaubs nach Südtirol finanziert haben. Das ist unfassbar nett von Ihnen, von Euch, wie es beliebt, dass dies so läuft, und nun sogar seit Jahren.

Wenn hier also in Kürze einige Unterwegs-Meldungen kommen, denken Sie sich bitte zu jedem Text und Bild wieder die unten am Bildschirm durchlaufende Einblendung: „Diese Reise wurde ermöglich durch Leser:innen.“

Ganz herzlichen Dank, so ein überaus freundliches Publikum! Das ist alles nicht selbstverständlich, ich weiß.

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Maschinenwehmut, meine Güte, komm mal klar.

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Zunächst uneinsichtig

Ein kleiner Nachtrag fällt mir noch ein. Da geht es um die Wiederankunft der Herzdame aus Berlin neulich, ich berichtete von dem besonders heißen Tag. Der dann auch noch global Hitzerekorde brach, es passte wieder alles zusammen. In dem Beitrag erwähnte ich auch das Chaos im Bahnverkehr. All diese Verspätungen, Verschiebungen, Gleisänderungen, Ausfälle etc. All die verwirrten und teils verzweifelten Reisenden, das Gedränge und Geschiebe im Bahnhof.

(Christian hat drüben meine hier oft geschilderte Einschätzung der stets rappelvollen Bahnhofssituation gerade freundlich bestätigt, das ist auch einmal nett.)

Die Komplikationen lagen an diesem Tag zu einem erheblichen Teil auch wieder an Personen im Gleisbereich. Also an unbefugten Personen, es wurde immer wieder so durchgesagt. Bei früheren Gelegenheiten hörte ich auch die Formulierung „bahnfremde Personen“, was angenehm altmodisch amtsdeutsch klang. Bahnfremd als zulässige Abwertung.

Das ist jedenfalls ein Umstand, der etwas rätselhaft anmutet. Denn eindeutig gibt es doch eine Steigerung in der Häufigkeit dieser Vorkommnisse in den letzten Jahren. Zumindest leite ich das aus der mir bekannten Stichprobe ab. Die Herzdame und ich hatten solche Vorfälle auf sämtlichen Bahnfahrten in letzter Zeit und dauernd wird davon berichtet. Gestern etwa habe ich es zweimal in den sozialen Medien gesehen.

Ich kann es mir nicht vollkommen plausibel zusammenreinen, warum neuerdings dauernd irgendwelche Menschen auf Schienen herumlatschen und es früher deutlich weniger gemacht haben. Es gab einmal, und so lange ist es gar nicht her, ein paar Jahre nur, vielleicht eine Pandemie, eine allgemeine Übereinkunft, dass so etwas eher keine gute Idee sein kann. Auf den ersten Blick ist es ein Rätsel der Gegenwart.

Vor ein paar Tagen habe ich aber irgendwo noch eine Meldung dazu gesehen. Es war eine norddeutsche Lokalmeldung, glaube ich, dass da jemand telefonierend auf einem Gleis stand. Dass diese Person damit Züge aufhielt und sich, als Sicherheitskräfte versuchten, sie dort zu entfernen, „zunächst uneinsichtig“ zeigte. Womit wir also mit ziemlicher Sicherheit wieder bei Freiheit, Freiheit sind, nicht wahr. Ich kann hier machen, was immer ich will, eine Art Karen Langstrumpf. Vermutlich war das Telefonat einfach noch nicht beendet.

Wobei mir auffiel, dass „zunächst uneinsichtig“ bei genauerer Betrachtung eine treffende Beschreibung unserer Gesellschaft geworden ist. Es wäre auch ein hervorragender Buchtitel für eine umfassende, tiefschürfende, schwartendicke und Hartmut-Rosa-mäßige soziologische Erklärung des postpandemischen kollektiven Zustandes, möchte ich meinen: „Zunächst uneinsichtig – die Entwicklung der Gesellschaft seit 2020“.

Und es ist, jetzt der trostreiche Abschluss, ein Begriff, der, wenn man es besonders dringend so sehen möchte und auch immer noch über die Fähigkeit zum wenigstens zaghaften Optimismus verfügt, immerhin einen Rest Hoffnung in dem Wort „zunächst“ beinhaltet.

Da mal dran klammern.

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