Mit Schwung, Geheul und Geprassel

In den Medien wurde der erste norddeutsche Herbststurm groß angekündigt, als sei es das Event des Monats und zwingend beachtenswert. Im Ergebnis wehte es bisher in Hamburg ein wenig. An einigen Stellen, etwa an den üblichen Hochhausecken. Also nur hier und da. Und das auch nur manchmal.

Dabei wäre ich doch mittlerweile für einen veritablen Herbststurm durchaus zu haben. Es müsste auch niemand zu Schaden kommen dabei, keine Sorge. Meinetwegen müsste uns kein Meer über die Deiche weit entgegenkommen, die Hafencity dürfte erreichbar bleiben, keine Schiffe müssten dabei versenkt werden und alle Schafe dürften sämtliche Locken behalten. Es geht mir mehr um die Stimmung und die Atmosphäre, um gewisse Sommer-End-Vibes, nach denen mir nun definitiv der Sinn steht.

Da würde es mir schon helfen, wenn ordentlich kübelnder Regenmit Schwung, Geheul und Geprassel wenigstens eine Stunde lang an die Scheiben unserer Fenster schlagen würde. Am besten, versteht sich, zur richtigen Stunde, während ich gerade mit einem Buch auf dem Sofa … Aber nichts ist.

Stattdessen steigt die Temperatur hier in Kürze wieder über 25 Grad, sagt der Wetterbericht. Das ist alles nicht meine Richtung, das ist abzulehnen. Am Ende aber, wir wissen es, am Ende gewinnen wir vom Freundeskreis Herbst doch das Spiel. So sicher und souverän, wie gewisse Fußballvereine gewisse Pokale abräumen.

Und eine Wetter-App vermeldet genau in diesem Moment: „Bevorstehend Wind Moderat“. Was ist das für 1 Deutsch? Bevorstehend App Gelöscht, antworte ich der App indigniert. Aber wenn man schon mit Apps spricht, denke ich gleich darauf. Es ist kompliziert.

Nur im Home-Office am Montagmorgen, da stürmte es dann wahrhaft unsinnig. Da zogen auch tiefgraue Stimmungswolken auf, da drohten sogar Gewitter und Wellengang, und so schnell konnte ich die Schotten gar nicht dichtmachen, wie von allen Seiten vieles auf mich eindrang.

Als Endverbraucher von Kalenderwochen sitzt man vor einem derart aufziehenden Tief und murmelt schon wieder einigermaßen wehrlos vor sich hin: „So habe ich mir das nicht vorgestellt.“ Aber wie oft haben wir uns das schon gesagt.

Im Discounter rüstete man währenddessen die Regale um, sah ich nach der Arbeit. Es gibt nun das volle Weihnachtsprogramm und die Menschen kauften das Zeug auch prompt, zu übrigens wiederum gestiegenen Preisen. Ich aber kaufte das selbstverständlich nicht, denn mir war bisher nicht einen Tag lang kalt, nicht einmal eine Stunde lang. Längst habe ich vergessen, wie Frieren überhaupt geht. Kein einziges Wintergefühl ist mir mehr erinnerlich, und dann geht es ja nicht.

Dann kann man einfach nichts essen, was nach Dezember, Kamin und Fest schmeckt.

Ein auf das Pflaster gesprühtes Herz, daneben erstes Herbstlaub

***

Im Prinzip, im Großen und Ganzen und zumindest ungefähr sehe ich das ansonsten alles wie Mek. Nur ohne den Trost, den er da im letzten Satz noch findet, und mit leisem Bedauern, es nicht doch etwas anders sehen zu können. Aber die Zeiten, sie sind so.

Ich komme aber zu keinem rechten Schluss, wie man sich wann und auf was genau eigentlich vorzubereiten hat. Dabei fühlt es sich immer deutlicher so an, das kann ich kaum noch ignorieren, als müsse in diesem Sinne dringend etwas getan werden.

Vielleicht sogar, als würde ich schon etwas unterlassen. Da mal weiter drüber nachdenken, Hamlet nichts dagegen.

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Noch drei unliebsame Bilder

Die positive Variante des Adjektivs aus der Überschrift kommt kaum vor, fällt mir beim Schreiben auf, sie wird auch bei den Fundstellen im Internet eher stiefmütterlich behandelt. Was oder wer ist schon liebsam. Aber es ist doch ein schönes Wort, nicht wahr. Liebsam, liebsam, man sollte es vielleicht öfter verwenden.

Allerdings wird es heute kaum zum von mir angedachten Inhalt passen können, da brauchen wir das alles entwertende un- davor.

Ich hatte nämlich das Bedürfnis, Ihnen noch einige Bilder zu schildern, die Sie so vielleicht nicht kennen, wenn Sie, was wahrscheinlich ist, in abweichender Wohnlage gastieren. Also ohne große Alkoholszene, ohne Drogenszene, ohne Straßenstrich und Gewaltschwerpunkte, ohne Waffenverbotszonen neben Partymeilen und anderen sogenannten Szene-Locations. Ohne riesige Bahnhöfe, Methadonausgabestellen und dergleichen, was sich übrigens am Ende alles zu „guter Wohnlage“ summiert. Es hat einen humorvollen Aspekt, nur dass wir als Mieter nicht die ganze Zeit darüber lachen können.

Es ist jedenfalls, Sie merken es, am Ende doch etwas speziell hier und einiges ahnen Sie daher vielleicht gar nicht. Das fällt mir schon in Gesprächen mit Menschen auf, die aus anderen Hamburger Stadtteilen kommen. Die mit einiger Regelmäßigkeit die Gewalt hier über- und das Elend unterschätzen. Man muss es alles wohl öfter sehen, um es sich auch selbst glauben zu können.

Erfreulicherweise müssen Sie das alles aber nicht lesen, wenn Ihnen gerade nicht nach Elend ist, morgen schreibe ich über etwas anderes. Ich dagegen habe in meiner Wahrnehmung weniger Auswahl. I‘m not a tourist, I live here.

I

Ich öffne morgens die Haustür, um meinen Frühspaziergang anzutreten, den ich zu einer Stunde mache, welche die meisten von Ihnen als Zumutung empfinden würden. Ich weiche biorhythmisch ab und mache dadurch hier und da auch abweichende Erfahrungen.

Die Tür geht etwas zu schnell auf, was daran liegt, dass von außen etwas dagegen drückt, wie ich zu spät bemerke. Ein Mensch, ein halb aufgerichteter, der mir mit der zurückschwingenden Tür entgegensackt und rücklings in den Flur kippt, wobei sein hart auf den Boden treffender Kopf auf den Fliesen ein Geräusch macht, das ich lieber nicht gehört hätte. Eine Art *plock*, aber nicht so harmlos wirkend, wie man es aus Cartoons kennt.

Der Mensch liegt dann da einen Moment reglos vor mir. Ein fortgeschritten ungepflegter Mann ist es, mit Wucherbart und in bepissten Hosen, wie ich nicht nur mit den Augen wahrnehme. Draußen vor der Tür stehen Bierdosen und kleine Schnapsflaschen. Etliche davon, einige liegen auch in Scherben. Daneben Kippen, ebenfalls viele. Der Gefallene rappelt sich dann immerhin unter entschuldigenden, beschwichtigenden Gesten stöhnend hoch. Ich hatte schon nach dem Handy gegriffen, Krankenwagen, Notarzt, Alarmgedanken.

Er macht international verwendbare Handzeichen für Schlafen, dann für Gehen. Eine slawische Sprache spricht er, leise, hastig und seltsam zischend, undeutlich, lallend. Er lächelt nahezu zahnlos und wie unter großer Angst dabei, dann entfernt er sich eilig. Fast rennend und seltsam breitbeinig, sicher wegen der nassen Hose, hastet er um die Straßenecke. Sieht aber noch einmal über die Schulter zurück, ob ich ihm nicht vielleicht hinterherlaufe.

Nein, ich laufe ihm nicht hinterher. Natürlich nicht. Ich bin weder Ordnungsmacht noch Verfolger. Ich möchte hier einfach nur um den Block gehen.

II

Sie werden diese durchsichtigen Tütchen kennen, die aus irgendwelchen Gründen nach wie vor im Supermarkt beim Obst und Gemüse verfügbar sind. Diese Tüten, in die sich manche Menschen beim Einkauf auch heute noch ihre drei Bananen stecken. Als hätte es irgendeinen Sinn, und Umwelt hin oder her.

Diese Tüten wehen manchmal draußen herum, auch das werden Sie kennen. Dann landen sie irgendwann an einem Baum oder Busch, in einem Hauseingang, auf einer Treppe, an einer Mauer. Da hat man ein Bild im Kopf, hoffe ich, wie diese Tüten sich da biegsam anschmiegen oder bei Regen auch nass ankleben, wo immer es sie gerade hinverweht hat.

Was Sie aber vielleicht nicht kennen oder nicht oft sehen, das sind Menschen, obdachlose Menschen mit nicht nur einem Problem, die es auch auf diese Art und an ebensolche Orte weht. Und die dann dort in erschreckend plastiktütenhaften Stellungen schlafen, die man gar nicht für möglich halten möchte. So dermaßen verknüllt, eingerollt, zum Knäuel gebogen oder kleingemacht und obskur verknotet. So in sich verdreht, dass man im Vorbeigehen unwillkürlich denkt, dass man selbst vermutlich nie wieder aufstehen könnte, würde man irgendwo so einschlafen. Man kommt doch kaum aus dem Bett, wenn man nur versehentlich ein wenig zu lange auf der falschen Seite schläft.

Aber was weiß man schon.

Und ja, Menschen passen auch in Telefonzellen und schlafen dort auf dem Boden. Es gibt doch gar keine Telefonzellen mehr, werden sie jetzt denken. Aber der öffentliche Bücherschrank wurde bei uns in einer ausgedienten Telefonzelle eingerichtet. Und wenn Sie ungefähr so alt sind wie ich, werden Sie vermutlich eine gut erinnerbare Vorstellung davon haben, wie viel Platz es darin auf dem Boden gibt.

Es gibt hier Wochen, da schläft in jeder Nacht jemand auf diesen Bodenplatten im kleinen Glaskasten, und es ist nicht immer derselbe Mensch. Der Platz ist beliebt. Sozusagen.

Weitwinkelblick in die Colonnaden

III

Und dann Wes Anderson für Arme, das gibt es auch. Ein Mann, Mitte dreißig wird er etwa sein, was aber bei obdachlosen Menschen immer schwer zu schätzen ist. Am Ende ist er erst 21, aber egal. Er sitzt jedenfalls in einem Bushaltestellenhäuschen vor einem der großen Geschäfte in der Innenstadt, in einer der Einkaufsmeilen. Er sitzt dort allein und genau in der Mitte der Bank. Bei Wes Anderson geht es immer auch um Symmetrie. Links und rechts hinter ihm die ebenfalls symmetrisch und spiegelnd aufragenden Schaufenster des Geschäfts, mit eher wirr angepappten Sonderangebotshinweisen. Die fallen farbig aus dem Bild und leuchten rot, während sonst fast alles im Ausschnitt in Grautönen gehalten ist. Der Fußweg, die Straße, das metallene Bushaltestellenwartekonstrukt, die Bank darin, die Fassade des Geschäfts und auch der Hamburger Himmel, der sich in den Schaufenstern spiegelt. Alles in Schattierungen von Grau.

Der Mann hat seine Hose, eine graue Hose, wie sich jetzt fast von selbst versteht, heruntergelassen, sie schlabbert unten um seine Knöchel. Er sitzt da also in seiner Unterhose, die einen unbestimmbaren Farbton hat, aber sagen wir ruhig, dass auch sie eher grau ist. Er sieht auf seine entblößten Beine. Wobei sein Mund weit aufgerissen ist und er einen Gesichtsausdruck hat, der Entsetzen so überdeutlich darstellt, als ginge es darum, dieses Gefühl im Schauspielunterricht nachdrücklich allen anderen im Raum vorzumachen.

Die Beine sind von irgendetwas entstellt, bei dem man sein Entsetzen sofort versteht. Es sind rote, blutende Ekzeme, Abszesse oder was auch immer es sein mag, große, flächige Stellen. Und jedenfalls bedecken sie die Beine in einem Ausmaß, bei dem wir alle zumindest kurz auch so gucken würden, wären es unsere eigenen Beine.

Der Mann hat beide Arme dabei hoch erhoben. Als würde er die Hände möglichst weit von diesen so übel erkrankten Beinen wegnehmen müssen. Und er bleibt dann in dieser Pose. Minutenlang bleibt er so. Es sieht aus wie ein Standbild, und den Menschen, die an dieser eingefrorenen Darstellung vorbeigehen, wird vermutlich reihenweise schlecht.

Das Rot der Ekzeme aber, es wiederholt, wir sind immer noch bei Wes Anderson und da ist alles durchdacht, den Farbton der Sonderpreisaufkleber in den Schaufenstern.

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Für eine Handvoll Links

Christian fand dieses gerade herumgereichte Flashmob-Video erfreulicherweise furchtbar, nämlich genau wie ich. Denn cringe wäre da noch nennenswert zu milde ausgedrückt: Krückstockgefuchtel.

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Es gibt Filmdokus auf arte, nach denen man sich fragt, ob also die ganze Geschichte Hollywoods ein wenig eklig ist, wenn man an die Rollen und Erfahrungen der weiblichen Stars denkt. Man weiß dann aber schon die Antwort, und erfreulich ist sie nicht. Es ist allerdings, wenn man es so geballt zur Kenntnis nimmt, vielleicht noch schlimmer, als man ohnehin schon angenommen hat.

Jedenfalls: Kim Novak, Nastassja Kinski, Winona Ryder und Natalie Portman. Mit gewissen Überschneidungen in den schlechten Erfahrungen.

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Außerdem sah ich noch diese arte-Doku über die Beziehung von Marlene Dietrich und Erich Maria Remarque.

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Und dann etwas aus der Reihe: Schwacher Trost ist besser als gar keiner. Es gibt immer Menschen, deren psychische Probleme noch abgefahrener sind als die eigenen. Egal, wie schräg man drauf ist. In diesem Sinne nahm ich mit Interesse zur Kenntnis, was in diesem Deutschlandfunkpodcast über das Phänomen „Epic Dreaming“ berichtet wurde, wovon ich noch nie etwas gehört hatte.

Es kommt aber auch selten vor, was für die Betroffenen wiederum gar kein Trost ist.

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Die Reisesaison ebbt ansonten ab, es stehen auf meinen Einkaufswegen schon deutlich weniger Touristengrüppchen im Weg herum. Nur ein vermutlich letztes Bemerknis trage ich noch eben nach.

Denn es fällt doch auf, wie viele Menschen, und zwar auch solche, die keine von ihnen zu bespaßenden Kinder dabeihaben, die Wartezeiten, die auf Reisen fast unweigerlich zwischendurch anfallen, etwa am Bahnhof, mit dem Kartenspiel Uno füllen. Also wenn sie denn einmal soziale Momente haben und nicht doch wieder auf ihre Geräte sehen. Dann spielt man erstaunlich allgemein etwas, wie man es in der Kindheit gemacht hat, und wenn man etwas spielt, dann ist es heutzutage Uno.

Wozu ich neulich eine Meldung sah, die gut passt, dass nämlich Uno auch in Las Vegas angekommen ist. Uno als verbindender Welttrend also. Es wird dann meist wie bei der Variante mit den großgeschriebenen Buchstaben sein, also wie bei der UNO, nehme ich an: Die Regeln wirken auf die teilnehmenden Personen einladend verhandelbar.

Der weitgehend leere Hamburger Rathausmarkt bei aufziehendem Regen im Weitwinkel

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Patricia schreibt ansprechend bebildert über Limerenz und Kraftsport, mit beidem kann ich etwas anfangen. Den Begriff Limerenz kannte ich nicht, fand aber die Wortherkunft via Wikipedia hier im Spiegel und hätte das Wort als Betroffener früher gebrauchen können:

„Seit die Professorin Dorothy Tennov mit ihrem Buch »Love and Limerence«, einer Studie über die Auswirkungen starken Verliebtseins, in Amerika ganz groß herauskam, geistert das Wort »Limerence« durch die New Yorker Cocktail-Bars. Dabei hat es die Professorin lautmalerisch selbst erfunden. Sie suchte nach einem »respektablen Wort« für ihr Forschungsobjekt: romantische Liebe, »jenes Gefühl, das sich in einer zwanghaften Orientierung auf eine einzige Person ausdrückt«.

Kraftsport habe ich auch einmal gemacht, diese Faszination kann ich nachvollziehen. Mittlerweile verbringe ich aber so viel Zeit mit dem Gehen, weil es mir gerade wie die ideale Bewegungsform für mich und auch für das Blog vorkommt, da würden Gewichte nicht mehr in die Tage passen.

Wenn ich mir aber eines Tages die Knie oder Füße erfolgreich durchgelatscht haben werde, ist so ein Fitnessstudio immer noch eine Option. Es werden davon in Hamburg erstaunlich viele eröffnet, es fiel mir in der Hafencity wieder auf. Besonders im höheren und im sehr hohen Preisbereich scheint da etwas zu gehen. Das wird dann eher nichts für mich sein, aber egal. Es gibt auch andere.

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Es wurde hier (Dank an Karo) in den Kommentaren genannt, aber ich hebe es noch einmal hervor, weil es doch sehr erfreulich ist, dass das Tagebuch von Samuel Pepys online verfolgbar ist.

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Einige Anmerkungen zum Niveau der Bilder da draußen

Was ich schon länger kritisch anmerken wollte, ist der bedauerliche Umstand, wie außerordentlich schlecht die bildlichen und szenischen Darstellungen, die uns im Alltag von der Welt geboten werden, manchmal sind. Wie ich gleich mit zwei Ansichten illustrieren möchte.

Mit zwei Szenen oder Bildern also, die, Sie werden es umgehend merken, so nicht gehören. Das macht man so nicht. Das geht einem gegen den Strich und einfach gegen alles, was man von Erzählungen, Berichten etc. erwartet. Denn es gibt nun einmal Grenzen der Plattheit, die man nicht gerne überschritten wissen möchte. Aber sie werden überschritten, dauernd werden sie das.

Im Hauptbahnhof etwa kommt es gelegentlich vor, wenn auch nicht eben häufig, dass sich Menschen, es sind fast immer Frauen und fast immer sind es Durchreisende, die unseren Bahnhof und seine Tierwelt nicht kennen, überdurchschnittlich für Tauben interessieren. Insbesondere für kranke, irgendwie in Not geratene und offensichtlich gerade sterbende Exemplare. Ein überdurchschnittlich wirkendes Interesse ist bei diesem Thema allerdings nicht schwer zu erreichen, da der gewöhnliche Mensch aus Hamburg die Tauben im Bahnhof nicht zur Kenntnis nimmt. In welchem Zustand auch immer sie ihm begegnen. Man achtet hier nicht auf Tauben. Man sieht sie nicht an, man registriert sie nicht und, wie scherzhaft gesagt wird, man ignoriert sie nicht einmal.

Exkurs: Dazu gibt es zwei Ausnahmen. Zum einen sind es oft sogenannte randständige Personen aller Art, die doch und manchmal intensiv in Kontakt mit Tauben treten, die sie füttern und mit ihnen reden. Die Annahme ist nicht abwegig, dass sie oft keine menschlichen Gesprächspartner haben. Zum anderen reagieren sämtliche Menschen in gewissen Momenten sehr wohl auf Tauben, und da komme ich kurz zu einem irritierenden Aspekt, bei dem ich eben eine Beobachtung schildern muss, die außer mir niemand zu machen scheint. Zumindest habe ich sie weder je gehört noch gelesen.

Es ist aber so, und ich bin da ganz sicher, dass etwa seit Pandemiebeginn, was aber kein kausaler Zusammenhang sein soll, die Tauben im Bahnhof immer niedriger fliegen. Dass sie also immer deutlicher und häufiger auf Kollisionskurs mit den Passanten gehen. Es ist einer dieser verrückten Aspekte, Sie kennen das vielleicht, den man als einziger Mensch wahrnimmt und dennoch felsenfest überzeugt ist, dabei Recht zu haben.

Sie fliegen also tiefer, und es wirkt ein wenig so, als würden ihnen die Konfrontationen geradezu Spaß machen. Wie die Menschen da fast sportlich in die Hocke gehen oder zur Seite weghechten, wenn die Tauben auf die Leute zuschießen und diese die Vögel dann wohl oder übel doch zur Kenntnis nehmen müssen. Wenn auch nur fluchend und pöbelnd. Ein äußerst merkwürdiges Phänomen.

Na, aber das nur am Rande.

Von diesen beiden Ausnahmen abgesehen hat man sich hier seit langer Zeit darauf geeinigt, dass es Tauben zwar bedauerlicherweise gibt, dass dies aber noch lange kein Grund ist, sich mit ihnen zu befassen. Ob sie nun auf dem Boden der Wandelhalle oder der Gleise herumlaufen und irgendetwas aufpicken, von dem man lieber nicht wissen möchte, was es ist und aus wem es kam, oder ob sie oben irgendwo gurrend unterm Dach sitzen und vermutlich brüten, oder ob sie gerade hinter der weit geöffneten Glastür einer Bäckerei oder unter einer großen Werbetafel versterben – egal. Tauben eben. Who cares.

Also abgesehen von den bereits erwähnten, durchreisenden Frauen mit übergroßer Kümmerkapazität.

Die bleiben vielleicht doch außerplanmäßig neben so einem sterbenden Vogel stehen. Sie stellen Koffer, Rucksäcke und Provianttaschen neben sich ab und sehen sich das mal genauer an, dieses leidende Wesen da am Boden. Und manchmal fassen sie es sogar an, wobei vorbeieilende Hamburger dann zu grünlichen Gesichtsverfärbungen neigen, wenn sie es sehen. Außerdem werden diese Frauen dann penetrant, also aus Sicht der Einheimischen, da sie unbedingt etwas tun möchten. Da sie das so nicht hinnehmen wollen, was sich da auf dem Boden vollzieht.

Dann sprechen sie vielleicht die Sicherheitsdienste an. Denen man die Begeisterung darüber allzu deutlich ansieht. Dann erkundigen sie sich bei der Bahninfo, wo man sich das gottergeben und augenrollend anhört, nach den Telefonnummern von Tierrettung, Tierheim und was auch immer jemandem da noch alles einfallen mag. Es muss doch jemand zuständig sein? Während der betreffende Vogel vielleicht, und die Angesprochenen sind ihm dann vergleichsweise dankbar, unter diesen Bemühungen wegstirbt, noch während dieses so gut gemeinte Engagement abläuft.

Warum ist das jetzt ein schlechtes Bild? Nun, weil zwanzig Meter weiter ein notleidender Mensch aus einer der speziellen Szenen, die von Bahnhöfen stets angezogen werden, auf dem Boden liegt. Und um den sich, und es passiert eben gleichzeitig und knapp noch im gleichen Bildausschnitt, niemand kümmert. Da sieht man doch sofort ein, dass so etwas viel zu platt ist. Dass diese Botschaft äußerst ungeschickt und geradezu stümperhaft mit dem Vorschlaghammer ins Publikum eingearbeitet wird. Dass man das so einfach nicht macht.

Es sei denn, man ist die Realität, dann macht man das so. Ignorant wie nur was.

Ein trostloser, leerer Gang im U-Bahn-Bereich des Hauptbahnhofs

Ein weiteres Beispiel, neulich habe ich es gerade erst gesehen, wäre etwa einer von den vielen Obdachlosen. Einer, der in der Innenstadt auf dem Pflaster liegt. In einer etwas ruhigeren Nebenstraße, an der trostlosen, heruntergekommenen Wand eines Gebäudes, das nicht zum Ruhm der Touristenattraktion Hamburg beiträgt.

Der Mann liegt dort in einem zerschlissenen Schlafsack. Er hat sich halb aufgerichtet, er liest ein dickes Buch. Wie ohnehin einmal anzumerken ist, dass in diesen Kreisen recht viel gelesen wird. Und zwar auf die altmodische Art in gedruckten Büchern. Ein dickes Buch liest er also, und es scheint ihn etwas darin zu erheitern, denn er lächelt. Nicht gerade enthusiastisch, das gibt seine Lebenssituation vermutlich auch nicht her. Aber er lächelt doch immerhin so, wie man vielleicht noch zu helleren Momenten befähigt ist, wenn man schon seit längerer Zeit auf der Straße lebt.

Über ihm aber prangt ein riesiges Theaterplakat. Mit einem bekannten Zitat von Lessing darauf, sehr groß wurde der Satz geschrieben und weithin ist er sichtbar: „Es ist so traurig, sich allein zu freuen.“

Aus der „Minna von Barnhelm“ stammt dieser Satz, falls das jemand aus Bildungsgründen noch nebenbei abspeichern möchte, um es künftig parat zu haben.

Und auch dabei gilt wieder: Das geht doch so nicht. Man kann es nur kopfschüttelnd und indigniert zur Kenntnis nehmen. Man möchte der Wirklichkeit spätestens bei so etwas glatt einige Sterne in der Bewertung abziehen. Die Wirklichkeit war stets bemüht, möchte man ihr in die Rezension schreiben, sie erreichte aber oft nicht das notwendige Niveau und blieb deutlich hinter unseren Erwartungen zurück. Ungefähr so möchte man es vermerken. Aber wo.

Dann fällt einem vielleicht wieder ein, dass man ja ein Blog hat. Und also tatsächlich alles und auch jederzeit vermerken kann. Wie toll und entlastend ist das denn?

Womit ich auch an diesem Tag wenigstens auf den letzten Silben noch bemerkenswert positiv ende.

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Come on Friday, it’s been too long

Da hier gestern gerade das Barock vorkam, es gab in jener Zeit, wie ich neulich erst in einem Podcast gehört habe, eine Überschneidung von Pest, Dreißigjährigem Krieg und Kleiner Eiszeit. Es wird vielleicht nützlich sein, so etwas zu wissen, wenn man wieder einmal etwas heutiges Elend relativieren will oder muss. Man kann dann immer noch abwiegelnd murmeln, dass wir wenigstens keine Kälte, keinen Krieg oder keine solche Krankheit haben. Was auch immer da gerade als Leerstelle zutreffen mag, es wird wohl verschieden ausfallen können in der Mittelfrist.

Denn dann geht es bekanntlich schon wieder, wenn man so einen eleganten Relativierungsbezug parat hat, das weiß man.

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Apropos Kaltzeit, im phänologischen Kalender meiner urbanen Umgebung gab es gestern die erste Frau mit dicker Winterjacke, der ich im Hauptbahnhof begegnete. Aber okay, es waren da auch gerade nur 20 Grad in der Stadtmitte, es kommt wohl einigen schon frisch vor. Erstaunlich.

Blick auf das Rathaus durch die Schauenburger Straße

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In einem Podcast über KI und die Auswirkungen auf den Arbeitsalltag, genauer ging es in diesem Fall um den Einsatz von Robotern in der Heilerziehung, hörte ich wieder eine Formulierung, die ich mir für berufliche Zwecke notierte. Wenn es so weitergeht, kann ich bald Kalender mit sinnigen Bürosätzen herausgeben, was selbstverständlich auch eine interessante Perspektive ist.

Jemand sagte dort jedenfalls: „Wir müssen ein wenig voranscheitern.“ Das gefiel mir gut, denn es ist am Ende auch ein Mantra, mit dem man Tage in stoischem Leistungswillen beginnen kann, ohne dabei auf die Umwelt unangemessen euphorisch oder streberhaft zu wirken. Und dann einfach dennoch etwas erreichen.

In diesem Sinne beginne ich auch diesen Freitag, sagen wir … spielfreudig voranscheiternd. Und außerdem wohl wissend, dass da draußen auf meinem Weg zum Bäcker wenigstens keine schwedischen Landsknechte auf mich warten. Das ist nicht nichts, und da könnte man glatt vor lauter Begeisterung über die kleinen Stimmungsdinge noch etwas Musik unterlegen, die nicht als depressiv durchgeht.

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Epochale Anmerkungen

Als hätte es überhaupt noch eines weiteren Beweises bedurft, dass ich schwerlich als Intellektueller durchgehen kann, obwohl auch das doch einmal ein Berufswunsch von mir war, bis ich, wenn auch verdächtig spät, bemerkt habe, dass ich dafür im Hirn zu schwach und leider auch nur unzuverlässig flackernd ausgeleuchtet bin, habe ich gerade bemerkt, dass ich das Wort „metamodern“, das irgendwo stand, als sei es ein normaler Begriff unter anderen, gar nicht kannte.

Kaum hat man sich mühsam gemerkt, was die Postmoderne ausmacht, geht es schon wieder weiter da draußen. Einigermaßen hektisch geht es zu in der Geschichte. Ich habe das dann selbstverständlich nachgelesen, dieses attraktiv wirkende Fremdwort, an diversen Stellen, etwa hier in der Wikipedia. Dann habe ich es mir auch zusammenfassen lassen, wie man es heute so macht.

Eigentlich aber hatte ich gar keine Zeit dafür. Daher habe ich das alles nur quergelesen und im Überflug zur Kenntnis genommen, aber es kam mir doch ein Gedanke dabei, den ich eben festhalten wollte. Denn wenn ich es richtig verstehe, was dummerweise aber keine lediglich rhetorische Einschränkung ist, dann sind etliche deutschsprachige, eher allgemein herumdenkende und anmerkende Blogs, auch dieses hier, recht klar als metamodern zu verorten. Das passt doch fast alles, was ich da auf Anhieb finde: „Es ist in Ordnung, nach Werten und Sinn zu suchen, auch wenn wir weiterhin skeptisch sind.“

Ja, guck an! Da kann oder muss man also schon wieder die Visitenkarten ändern lassen. Aber es klingt auch gut, finde ich: „Maximilian Buddenbohm, metamoderne Texte“. Einen gefälligen Klang hat das, eine angenehme Silbenfolge, okay, das nehme ich. Es sei denn, aus den Reihen des intellektuell befähigten Publikums hier weist jemand nach, warum das krass falsch sein könnte. Was mich, versteht sich, auch nicht überraschen würde.

Es ist doch gut, wenn man weiß, wo man hingehört. Hatten etwa die geschätzten Barockdichterinnen und -dichter wohl parat, dass sie zur Barockdichtung gehörten?  Nein, das hatten sie nicht. Zwei Jahrhunderte später hat man erst festgestellt, was sie eigentlich waren. Bis dahin nannte man sie allgemein nur „Die Dichterinnen und Dichter aus der Epoche, für die uns noch kein Name eingefallen ist“. Aber das war eine ausgesprochen unhandliche Bezeichnung und man war besonders im Bibliothekswesen irgendwann nachvollziehbar erleichtert, endlich zum Barock wechseln zu können.

Kreideschrift auf dem Pflaster: Alles ist eitel

Wir haben uns zügig weiterentwickelt und sind nun viel schneller in der Einsortierung. Wir können uns heute noch zu Lebzeiten erfreulich einfach epochal verorten und in einem Kapitel einrichten. Wobei wir die Möglichkeit künftiger kulturgeschichtlicher Revisionen erst einmal ausblenden, alles hat Grenzen.

Schlag nach bei Gryphius, denn bei uns in der Metamoderne verbinden wir gerne das Alte mit dem Neuen und oszillieren zwischen den Welten und Polen:

„Du siehst, wohin du siehst, nur Eitelkeit auf Erden.
Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein …“

Für Menschen mit Sinn für Ordnung und Systeme aber ist die Entwicklung unterm Strich doch ein Fortschritt, möchte ich meinen.

***

Die Kaltmamsell schreitet währenddessen herbstlich voran und meldet aus München ersten Nebel. Ich schließe mich für Hamburg an, mit welcher Klammer wir dann so ungefähr das ganze Land vernebelt haben. Vorausgesetzt, das Dazwischen verhält sich nicht seltsam abweichend.

Ich kann noch den besonderen Glücksumstand ergänzen, dass ich den ersten Nebel aus dem Küchenfenster sah, als mir Robert Louis Stevenson gerade per Vorleser Londoner Nebel beschrieb.

Und synchronisierte Effekte zwischen Hörbuch und Welt, meine Damen und Herren, da kribbelt es bei mir dann bei mir manchmal im Rückenmark. Und das ist sehr gut so.

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Hüte, Bücher und Bandagen

Ich bin so reif, ich werde schon holzig.“ Bei Vanessa, hoffentlich bald bloggende Bürgermeisterin, ist wie immer alles lesenswert und dieses Zitat daher völlig unangemessen kurz. Aber hoffentlich ist es verlockend, einmal nachzusehen, in welchen Kontext es gehört.

***

In Sachen feiner und feinster Literatur bin ich gerade bestens versorgt. Denn ich höre zum wiederholten Male die „Madame Bovary“ von Flaubert in der Audiothek. Es werden zu Beginn der Aufnahme allerdings weder die Übersetzerin oder der Übersetzer noch der Vorleser benannt, was ich für ein Unding halte.

Verfügbar ist das Hörbuch dort jedenfalls bis zum 22.5.2099. So steht es auf der Seite. Das sollte wohl für die meisten von uns reichen, nehme ich an. Ich werde vermutlich nicht dazu kommen, kurz vor Ablauf zu warnen, Sie müssen  das selbst vormerken. Den Genuss kann man sich bis dahin sicher gut einteilen. Es ist ein Buch, so habe ich es neulich erst in einem Podcast gehört, welches man mit ein paar Jahren Abstand wieder vollkommen anders liest. Das stimmt, ich kann es bestätigen. In meinem Fall vermutlich jedes Mal mit etwas mehr Bedauern, wenn es um den elenden Gatten geht, um die mediokre Gestalt des Charles Bovary.

Beim Wort „medioker“, ich sehe es nebenbei, gibt es drüben beim oft interessanten deutschen Wortschatz eine lange Reihe von bedeutungsverwandten Ausdrücken. Die könnte man sich ausdrucken, liebevoll ausschneiden und rund um den Spiegel im Bad kleben. Dann gehen die Tage gleich so los, dass man gut eingenordet ist, es könnte vor Selbstüberhöhung zuverlässig schützen. So wie Marc Aurel, das habe ich auch gerade irgendwo gehört, angeblich einen Diener hatte, der ihm, wenn es irgendwo Huldigungen gab, sofort „Du bist nur ein Mensch“ zuflüstern musste. Eine zweifellos sinnige Einrichtung, man sollte so etwas bei manchen Typen in Führungspositionen heute wieder in Betracht ziehen.

Sollte man aber eh schon schlecht drauf sein, wenn man vor den Spiegel tritt, kann man sich ja auf das rettende „Passabel“ konzentrieren oder auf das norddeutsch enthusiastisch lobende „Da kann man nicht meckern“.

Ich lese abends außerdem in Edith Wharton, „Zeit der Unschuld“ (Wikipedia dazu), Deutsch von Andrea Ott. Das ist eine andere Art von Literatur als der Flaubert, und es ist auch eine andere Art von Genuss. Aber entscheidend bleibt doch, dass es ein Genuss ist.

Es ist außerdem, wenn man die beiden Werke nebeneinander erlebt, ein guter Anlass, sich noch einmal bewusst zu machen, welch rettendes Element die Ironie bei tendenziell tödlich ernsten Themen sein kann. Man sollte sie regelmäßig und in üppigen Dosen zu sich nehmen.

***

Der Hutladen um die Ecke bei uns hat ansonsten aufgegeben, sah ich neulich. Es hingen einige Tage lang noch die äußerst zeitgemäßen Beschwerdezettel der nun ehemaligen Inhaberin im leeren Schaufenster.

Zettel in einem leeren Schaufenster: "Online frisst Einzelhandel" sowie "Danke liebe Kunden für jahrelange Treue"

Außerdem ist der Buchhändler um die Ecke gerade verstorben. Den man vor Jahren schon durch drastische Mieterhöhungen aus seinem angestammten Geschäft in einen viel kleineren Laden verdrängt hat, der aber immerhin noch im Stadtteil war. Man weiß hier wohl noch nicht, wie es mit diesem kleinen Laden nun weitergehen wird. Oder zumindest habe ich es bisher nicht wahrgenommen.

Beim Haareschneiden höre ich, und es überrascht dann nicht mehr, dass der Salon, in den ich immer gehe, ebenfalls schließt. Der Salon, den ich gewiss nicht zu wechseln gedachte, denn ich hatte nach den Besuchen dort einen so verlässlich hohen Wiedererkennungswert im Spiegel.

Das Sanitätshaus ein paar Häuser weiter steht darüber hinaus schon seit Wochen leer, und abgesehen von dem Hutladen ist es ein Muster: Es verschwinden die Läden, die man irgendwie brauchbar und nützlich finden konnte.

Getauscht werden sie mit einiger Wahrscheinlichkeit jedes Mal gegen Läden, die im Tourismuskontext passend und gewinnträchtig wirken. Denn so geht es zu in den Szenevierteln, die in den Reiseführern und auf den Empfehlungsseiten im Internet stehen. Geschäftlich ist das alles verständlich und logisch, in den Einzelfällen sicher auch gut nachvollziehbar. Für die Anwohnerinnen ist es dennoch ein Problem. Wir unterscheiden uns da nicht von anderen touristischen Brennpunkten. auch wenn der Blick aus etlichen Fenstern hier nicht ganz so attraktiv ist wie in Venedig oder Dubrovnik.

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Bei der Kaltmamsell notierte ich mir den letzten Satz dieses Postings zur späteren beruflichen Verwendung. Manchmal brauche ich solche Sätze, vielen Dank.

Neulich habe ich aber auch aus den sozialen Medien einen Satz gerne mitgenommen, genauer aus einem Posting der Fledermaus auf Bluesky: „Aus strukturellen Defiziten sollten keine individuellen Optimierungsaufträge werden.

Es gibt ab und zu Zitate, da kann man es wirklich kaum abwarten, sie im Büro anbringen zu können.

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Auf Informationskanälen in verschiedene Richtungen rudern

Ruhig auch einmal misslungene Bilder eiskalt in die Überschrift einbauen, warum auch nicht. Ich habe anlässlich des Geburtstages von Sohn I in der letzten Woche erwähnt, dass die Smartphones so alt sind wie er. Dass ich da also ein Event aus der Technikhistorie habe, welches ich mir besonders gut merken kann. Zum kurz darauffolgenden Geburtstag von Sohn II gibt es auch eine markante, digitale Änderung. Die auf den ersten Blick weniger spektakulär wirkt als die Sache mit der portablen Hardware, die in der Auswirkung aber ebenfalls drastisch ist. Seit 2009 nämlich sehen Sie und ich nicht mehr die gleichen Google-Ergebnisse, wenn wir nach etwas suchen. Wir sehen seitdem und in der Auswirkung davon jeweils nur noch, nun ja, auf uns optimierte Versionen von praktisch allem.

Was auch immer das im Detail genau heißt. Es ist ein außerordentlich abgründiges Thema und unbedingt auch in Verbindung zu sehen mit dem Absterben der Lokalzeitungen, dem Rückgang der Fernsehquoten etc. Sicher auch mit dem Nachlassen des Lesevermögens in vielen Ländern, es gab dazu gerade neue, eher frustrierende Statistiken. Wir haben da jedenfalls unterm Strich einen Verlust an Informationsverbindlichkeit, und so unwichtig ist das nicht.

Ich beschäftige mich, wie mehrfach erwähnt, auch beruflich mit KI. Ich teste herum und versuche, aktuelle und auch künftige Möglichkeiten einzuschätzen und zu sondieren. Nicht in einer besonders wichtigen oder tragenden Rolle, das nicht. Ich bin nicht vorne dabei oder treffe große Entscheidungen. Nein, ich gehöre lediglich zu denen, die aus solchen Innovationen am Ende irgendwann Prozesse und meistens auch Regeln machen, so banal ist das. Prozesse, die im besten Fall verlässlich funktionieren, Regeln, die man im besten Fall gut verstehen kann.

Weswegen ich mir also vieles in diesem Bereich ansehe und damit herumspiele. Weil bei einer solchen Art der Beteiligung eine simple Verweigerung keine Option ist. Außerdem bin ich darüber hinaus ein durch Neugier motorisierter Mensch, auch deswegen möchte ich das gerne einschätzen können.

So testete ich etwa gerade Recherchemöglichkeiten, von denen einige noch recht neu sind. Ich meine diese Varianten, bei denen die großen Modelle auf das Internet direkt zugreifen und nicht nur mit ihrem Trainingsdatenbestand arbeiten. Ich suchte nach einem speziellen Buch zu einem Nischenthema, es war so eine Buchsuche, bei der auch in einer Buchhandlung die meisten Menschen vermutlich erst einmal nachdenklich zur Decke gucken würden.

Im deutschen und im englischsprachigen Markt, noch lieferbar, bis Höchstpreis, für eine bestimmte Zielgruppe, reich bebildert. Da suchen die Modelle dann lange, teils sehr lange herum. Manche zeigen ihre Arbeit dabei an. Man sieht, was sie gerade machen, manche zeigen es aber auch nicht an. Im Falle von Mistral, das habe ich mir gemerkt, sieht man da ein dermaßen emsiges Abarbeiten von Detailaufgaben, was dann so ausführlich berichtet und immer noch einmal hektisch korrigiert wird, dass einem die Software irgendwann fast leidtut. Wie ein Praktikant, der eine Aufgabe etwas falsch versteht und sich daraufhin vollkommen unsinnig und geradezu tragisch verausgabt und verrennt, wobei er fortwährend „Kommt gleich! Kommt gleich!“ ruft, mit im Laufe der Stunden allmählich schwächer werdender Stimme.

Was ich jedenfalls nicht erwartet habe: Alle Modelle liefern mir vollkommen korrekte, brauchbare Ergebnisse. Aber sie liefern sie interessanterweise ohne Schnittmenge. Es sind x verschiedene, gut begründete Empfehlungen, die aussehen, als kämen sie aus verschiedenen Märkten. Sie kommen aber aus den gleichen. Dann googele ich das auch noch, wie son Boomer vom Dienst, und finde dabei, man ahnt es bereits, eine weitere Empfehlung, die mir ebenfalls sinnvoll und korrekt vorkommt – und die sich wiederum von allen anderen Ergebnissen unterscheidet.

Ich weiß noch nicht recht, was mir das alles sagt. Aber selbst, wenn man sie aus irgendwelchen Gründen gut finden möchte, diese Vielfalt der Ergebnisse, beinhaltet sie doch auch ein Problem, ein großes, nicht wahr?

Denn erstens würden wir, wenn Sie so etwas auch machen, vermutlich nicht einmal ansatzweise zusammenfinden und immer weiter auf strikt getrennten Informationskanälen in verschiedenen Richtungen herumrudern. Von denen wir nicht genau wissen können, wessen Interessen sich darin wie algorithmisch auswirken. Aber gut, das konnte man in der Vergangenheit auch manchen Methoden und Tools anlasten, schon klar.

Was aber wäre zweitens eigentlich die Antwort, zu der eine kundige Buchhändlerin, Bibliothekarin, Fachautorin nach entsprechender Recherche und Studium neigen würde? Bei der es dann vielleicht sehr wohl eine immerhin vorstellbare Eindeutigkeit und Verbindlichkeit geben könnte? Oder wenigstens hätte geben können? Was wäre das früher sogenannte Standardwerk gewesen?

Es ist nur ein beliebiges Beispielthema. Man kann das übertragen auf den ganzen Rest. Lösen kann man es sicher nicht, im Sinn behalten sollte man es aber auf jeden Fall. Denn auch diese Effekte tragen zur Erosion sozialer Verbindungen bei, denke ich.

Schild in der Außengastro: "Herzhaftes Gemüse super echter Geschmack"

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Podcast-Geschichten, Links und ein Event

Im öffentlichen Bücherschrank liegt am Sonntag eine abgegriffene und angemoderte Gesamtausgabe von Goethes Werken. Die Bände stehen am frühen Morgen sogar noch in der richtigen Reihenfolge, wurden wohl am Abend gebracht und nicht schon von hundert Händen zerwühlt. Daneben lehnt ein Titel aus jüngerer Vergangenheit, mit deutlich bunterem Einband: „Twitter – in 140 Zeichen ins Web 2.0“.

Tempi passati, das alles. Man kann es bei vielen Büchern in diesem Schrank murmeln, es passt schon. Wobei der Goethe auch weiterhin mehr Gültigkeit und Lesbarkeit bewahren wird. Denn das ist seiner Werke Kern.

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Eine empfehlenswerte Radiosendung aus der Reihe „Essay und Diskurs“ habe ich gehört. Was übrigens ein Titel ist (siehe auch „Sein und Streit“), der nach öffentlich-rechtlicher Herrlichkeit mit einem längst historisch gewordenen Sinn und Anspruch klingt. Man möchte fast wieder rauchen, am besten Pfeife, wenn man solche Formattitel sieht. Und zumindest kurz möchte man die Welt vielleicht doch noch einmal in Schwarzweiß sehen.

Fortschrittsversprechen – Notizen aus der verkrempelten Welt“. Gabriel Yoran spricht über komplizierter werdende Dinge, bündig und auf den Punkt gebracht. Ich halte das aber ohnehin für ein verdammt gutes, weitführendes Thema.

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Nils Minkmar schreibt in seinem Newsletter eine Geschichtspodcastgeschichte, nämlich die über den Erfolg, Abbruch und (hoffentlich erfolgreichen, die besten Wünsche dazu) Neustart seines Projektes „Was bisher geschah“ mit Joachim Telgenbüscher. Das hier auch schon mehrfach vorkam und verlinkt wurde.

Und bei Nils Minkmar kommt, noch so ein wilder Zufall, schon wieder der eben erst erwähnte Gabriel Yoran vor.

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Ich hörte außerdem im KI-Podcast in der ARD-Audiothek die Folge über Entscheidungsfindung beim Menschen und bei Software. Was dummerweise auch interessant ist und einen also erneut auf Abwege führt. Jedenfalls einen wie mich. Da fällt etwa der magisch anziehende Begriff „Decision Fatigue“, und dazu lese ich dann etwas nach, hier zunächst nur in der Wikipedia, aber ich sehe dabei schon, dass man noch viel mehr dazu lesen könnte … Manchmal ist es wirklich schlimm, wie wenig Zeit so ein Sonntag bietet.

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Mit Sendungen, die man hören kann, bin ich heute und in den nächsten Wochen blogmäßig auch sonst verbandelt, denn ich weise per Banner, siehe unten, auf eine Hamburger Veranstaltung zum Thema hin. Die erstens von mir bekannten Menschen organisiert wird, die zweitens auch noch vor meiner Haustür stattfindet, im ohnehin sehenswerten Hansa-Varieté-Theater (wo gerade Tim Fischer auftritt, sehe ich nebenbei, und da müsste man auch hin, aber wann), und die drittens von mir gehörte Podcasts im Programm hat: Die erste Hamburger Podcastnacht. Veranstaltet von der Hamburg Open Online University, die hier auch schon einmal im Blog vorkam und empfohlen wurde.

Die Veranstaltung findet am 13. Oktober statt, 18:30. Es gibt auch eine Seite dazu, mit weiteren Infos zu den fünf teilnehmenden Podcasts aus der Stadt und zum Ticketkauf.

Ich werde mir, wenn mir nicht vorher der Himmel auf den Kopf fällt, das ansehen und dann berichten. Für das Banner unten allerdings fließt etwas Geld, weswegen gleich auch korrekterweise Werbung darüberstehen wird.

In der Bebilderung, und jetzt komme ich zum mit großem Abstand absurdesten Zufall des Tages, fand ich das Thema allerdings zunächst etwas herausfordernd. Ich hatte kein Foto parat, das zu Podcasts zu passen schien. Ich ging daraufhin mit der vagen Absicht spazieren, etwas irgendwie Geeignetes zu finden – und boom. Also manchmal …

Schriftzug auf einem Bretterzaun: Podcast 100%

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Undinen und Sirenen

Etwas Ruhe wäre nett gewesen bei und nach dem Eintritt des gestern beschriebenen Desasterdreiklangs der letzten Tage. Aber die Inszenierung des Sommers wurde im Gegenteil in der letzten Woche noch einmal hochgejazzt zur hoffentlich finalen Kakophonie der Saison.

Die Häuser gegenüber wurden abgerissen, nun geht es dort in die Tiefe. Die aber ist noch aus den vergangenen Jahrzehnten betoniert, asphaltiert und vermauert, wogegen mit schwerem Gerät vorgegangen wird. Nach ein paar Stunden fühlt es sich an, als würde der Presslufthammer auf der eigenen Schädeldecke aufgesetzt.

Dazu Hubschrauber über unserem Dach. Immer wieder Hubschrauber, sie fliegen gar nicht mehr weg. Sie sind auch ungewöhnlich dicht und stehen bemerkenswert lange an einem Punkt. Wie an den Himmel gepinnt, was machen die da eigentlich.

Ich sehe in den lokalen Medien nach und sehe: In den Flüssen sterben die Leute. Mit einer etwas unfassbaren Regelmäßigkeit tun sie das in dieser Stadt, als würden wie in der Romantik nach wie vor Undinen in die Gewässer locken und winken. Was auch deswegen passt, da über den ganzen Sommer gesehen stets besonders viele Jünglinge betroffen sind. Aber nicht nur.

In querschießender Assoziation fällt mir ein, dass junge Frauen in dieser Stadt gerade, einer Laune der Mode folgend, wieder vermehrt Seidentücher um die Hälse tragen. Weswegen ich, in zugegeben absurd anmutender Verbindung der Ereignisse, einen Schubert-Ohrwurm habe, nämlich des Baches Wiegenlied. In welchem der Bach den Jüngling empfängt („Will betten dich kühl auf weichem Pfühl“) und durchaus behalten möchte, wobei dann aber die Schönheiten am Ufer zu stören drohen. Weswegen gesungen wird:

„Hinweg, hinweg von dem Mühlensteg!

Hinweg, hinweg, böses Mägdelein,
dass ihn dein Schatten, dein Schatten nicht weckt.

Wirf mir herein dein Tüchlein fein,
dass ich die Augen ihm halte bedeckt.“

Haben Sie übrigens gewusst, dass der geschätzte Hannes Wader Stücke von Schubert/Müller einmal eingesungen hat? Wofür er sogar noch einmal in fortgeschrittenem Alter Gesangsstunden genommen hat, da er von der Ausbildung her nun einmal nicht Kammer-, sondern eindeutig Straßensänger ist?

Ich mag das, was dabei herausgekommen ist. Es ist auf eine ansprechende Art gekonnt, aber nahbar unperfekt.

Hier als YouTube-Link und nachfolgend auch eingebettet.

Vermutlich habe ich jedenfalls wegen der lockenden Flüsse, die durch diese Stadt eilen, die ganze Kindheit der Söhne über ungewöhnlich viel Mahnendes über das Baden in fließenden Gewässern aufgesagt. Während in jedem Sommer wieder alle zwei, drei Tage entsprechende Meldungen zu lesen waren. Und mehrfach in den letzten Jahren Rekorde gebrochen wurden, was die Anzahl der Opfer betraf.

Aber wie auch immer. Es hat Großeinsätze zur Folge, wenn so etwas passiert, und gleich zwei davon gab es gerade in direkter Nähe. Einen nahezu in Sichtweite, vielleicht zweihundert Meter weiter.

Darüber hinaus aber noch mehr Sirenen von Polizei und Feuerwehr als ohnehin schon, es muss etwas in der Luft sein. Vielleicht ist es besonders schwül oder auf eine andere Art meteorologisch seltsam. Jedenfalls fahren die Leute hier noch irrer als ohnehin schon, sie hupen auch mehr und sie drohen sich noch öfter Schläge an. Sie beschimpfen sich mehr, kommen sich in die Quere und bekommen sich auf alle denkbaren Arten in die Haare.

Wie in einer Science-Fiction-Handlung, bei der nichts anderes passiert, als dass die menschliche Aggression aus unerfindlichen Gründen weltweit allmählich steigt und steigt und immer weniger Menschen sich noch im Griff behalten können. In der die Schranken der Zivilisation also langsam hochgehen und darunter etwas hervorbricht, von dem man sich keinen Begriff machen möchte. Und worüber sich die Menschen dann kaum noch austauschen können, ohne sich zwischendurch eine zu langen.

Schon wieder Geschrei vor dem Haus, noch während ich dies schreibe. Ich hänge mich aus dem Dachfenster und sehe mir die Tobenden da unten an. Ein Lieferwagen hat für eine Minute die Straße blockiert, man eskaliert wild um ihn herum. Ich brülle von oben die Streitenden an der Straßenecke an, ob sie sich gefälligst woanders die Schädel einschlagen könnten. Ich werfe Bücher, Besteckteile und Vasen nach ihnen.

Nein, das tue ich natürlich nicht. Aber es wäre mir gerade danach.

Ein Aufkleber "Send Love" auf einem Briefkasten vor der S-Bahn-Station Hammerbrook

Tausende Menschen aus Indien ziehen dann auf meiner Spaziergangsstrecke an mir vorbei. Sie tanzen und singen und feiern irgendwas, das ich allerdings später erst nachsehen muss: Ganesha wird zelebriert (Wikipedia-Link). Ganesha ist unter anderem auch der Gott der Hindernisse, ich lese es nicht ohne eine gewisse Bitternis.

Die Innenstadt ist davon abgesehen voll wie zu Weihnachten. Ich kann es mir gar nicht recht erklären, wie kommt das jetzt wieder? Und was habe ich alles verpasst.

Vielleicht bleibe ich einfach bei dem sich gerade so oft anbietenden Satz hängen. Vielleicht werde ich doch noch in Frieden vollkommen verrückt und murmele in den mir noch verbleibenden Jahren unaufhörlich brabbelnd den Standard vor mich hin: „Was ist hier eigentlich los, was ist hier eigentlich los.

Oder aber, das ist zumindest theoretisch ebenfalls denkbar, es wird irgendwann auch wieder ruhiger da draußen. Wenn es etwa endlich regnet. Das wird es bald tun, sagt der Wetterbericht immerhin. Wenn es außerdem kühler wird. Wenn die Nächte frischer werden, wenn der Nebel steigt, wenn die Blätter fallen und die Vögel ziehen. Und all das.

Vielleicht dann.

***

Ich sah ansonsten zur Beruhigung eine arte-Doku über Michael Caine. Wie erleichternd ich es immer finde, wenn sich bei solchen Sendungen die Hauptfigur nicht als Unsympath erster Klasse herausstellt und man in den Kommentaren nicht lavierend um ihre Untaten herum spricht.

Die Sendung hier als arte-Link.

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