Angedeutete Fluchtwege

Am Wochenende habe ich weiter ein wenig an der Entmilliardärisierung meines Online-Daseins gewerkelt. Ich habe mich also an einen Plan gehalten, hier müssen Sie sich bitte den obligatorischen Triumphmarsch als Soundtrack kurz dazudenken.

Nur äußerst mühsam ernährt sich zwar das Bloghörnchen im Widerstand für Anfänger, aber immerhin einige Schritte habe ich geschafft. Der Browser ist jetzt LibreWolf, das Schreibprogramm und das für die Tabellen sind jetzt von LibreOffice. Was praktischerweise auch Geld spart, und nicht so wenig.

Geht doch, murmelte er nach der Installation, geht doch. Wobei es sich bei so etwas allerdings spät rächt, wenn man irgendwann Familienaccounts eingerichtet hat, so dass an den eigenen Entscheidungen unweigerlich weitere Personen und deren Computer-Schicksale hängen – und man alles mit allen abstimmen muss. Die Sache wird dadurch nicht einfacher.

Eine Weiterleitungs-Mailadresse bei DuckDuckGo habe ich noch eingerichtet, wo ich schon dabei war, das kann man hier machen. Und warum sollte man es nicht machen, in diesen Zeiten.

Wobei DuckDuckGo nicht nur die Suchmaschine und einen Browser betreibt (den ich bisher nicht getestet habe), eine AI-Seite gibt es auch. Mit einem „anonymen Zugriff auf beliebte Modelle“, für den man keine Konten anlegen muss, das findet man hier. Und das geht ebenfalls gut, soweit bin ich schon.

Aber es zieht alles Kleinigkeiten und Rudel von Viertelstundenfresserchen nach sich. Hier passt eine Einstellung nicht, dort ist irgendwas seltsam anders als bei den Großen, als bei Google oder Microsoft. Man muss es alles erst zureiten und sich kunstvoll zurechtbiegen. Man muss nachdenken, vielleicht auch nachlesen und sich hier und da dann entscheiden. Außerdem muss man etwas herumprobieren, sich dann die Ergebnisse ansehen, dann wieder etwas anderes einige Minuten lang versuchen. Einige Minuten lang, die auf einmal zu halben oder ganzen Stunden werden.

Und so verging meine Zeit, die auf Erden mir gegeben war.

***

Am Montagmorgen wurde hier ansonsten alles zurückgedreht und das Frühlingswetter erst einmal gründlich abgeräumt und der Stadt verwiesen. Minus ein Grad nur noch, kalt und grau zog der vertraute Nebel erneut durch die frühen Stunden und die Straßen. Die Menschen im Hauptbahnhof und in der S-Bahn sahen nach dem seltsam südlichen, lässigen Sonntag nun wieder verstimmt aus wie immer.

Heimat, süße Heimat, dachte ich da voller Sympathie und hörte auf der kurzen Fahrt ins Büro, während draußen die Verwaltungsgebäude von Hammerbrook im trüben Dunst vorbeizogen, Bill Callahan. Der schien mir zu passen an einem Tag mit gedämpfteren Erwartungen und dem Gefühl des allgemeinen Unverstandenseins schon nach Lektüre der ersten Mail in der Inbox.

Riding for the feeling:

„I asked the room if I said enough

No one really answered.”

Dann bin ich stundenlang auf diesem Trip hängengeblieben. Nicht nur Bill Callahan habe ich gehört, auch Smog, später noch Howe Gelb, Giant Sand, und schließlich Turner Cody, und zwar viel von ihm.

Obwohl doch alles, was im weitesten Sinne Alternative Country ist, viel besser wirkt, wenn man dabei unterwegs ist. Wenn schon nicht auf einem Highway, dann wenigstens in einer S-Bahn oder zu Fuß durch irgendeine Großstadtgegend. Hört man diese Musik auf einem Bürostuhl sitzend, fehlt doch eindeutig etwas. Aber gut, irgendwas ist eben immer.

Vor den Bürofenstern sah ich währenddessen ab und zu oben die weißen Möwen im Flug zum Hafen, unten die roten S-Bahnen auf der Fahrt in Richtung Elbbrücken.

Hamburger Markierungen in der Aussicht, angedeutete Fluchtwege.

Blick entlang der Hammerbrookstraße an einem grauen Morgen, aufgenommen auf der Fußgängerbrücke von der S-Bahnstation aus.

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Es wird etwas gefühlt

Auf dem Heiligengeistfeld werden gerade erneut die Attraktionen des Hamburger Doms zusammengeschraubt, sehe ich beim obligatorischen Sonntagsspaziergang. Also ist, einem alten Scherz zufolge, wieder irgendeine Jahreszeit. Es könnte allerdings diese oder jene sein, dem Bild nach zu urteilen, denn die Passanten tragen Winter- oder Sommerkleidung. Die Temperaturempfindungen scheinen gerade von Mensch zu Mensch noch stärker als sonst abzuweichen. Es geht alles etwas durcheinander an diesem Wochenende.

Im Park Planten un Blomen drüben ist die Eisbahn währenddessen noch geöffnet, es werden auch noch Schlittschuhe darauf eingesetzt. Aber die Amüsierwilligen, die da heute fahren und kreisen, sie tragen buntes, kurzes Sportzeug wie zum Beachvolleyball. Eine gleitet elfenhaft im luftigen Ballerina-Outfit über die Fläche, und eine ältere Frau neben mir, die hier auch eine Weile zusieht, sagt prompt und kopfschüttelnd: „Die holt sich doch was weg.“

Auf den Rasenflächen ringsum blüht tausendfach leuchtend lilafarbener Krokus. Hier und da einige Narzissen büschelweise dazwischen. Sie sind für gelbe Akzente zuständig, in dieser Rolle stets bemüht und auch nicht ohne Erfolge.

Es sitzen etliche Pärchen auf den Parkbänken, die heute endlich einmal weder nass noch kalt sind. Es wird geschnäbelt und gekuschelt und geherzt auf diesen Bänken, es ist hier und da ganz ungemein Frühling. Man sieht es schon im Vorbeigehen deutlich, dass man es fühlen kann. Die Menschen gehen auch auffällig langsamer als sonst durch die Sonne dieses Sonntagnachmittags. Sie bleiben manchmal stehen und halten an manchen Stellen minutenlang ihre Gesichter in die Strahlen. Stehen dann mit geschlossenen Augen dort herum wie Statuen von Balkenhol im öffentlichen Raum.

Sie genießen wohl den Moment, wie man so sagt, sie benehmen sich wie Leute mit Tagesfreizeit.

Ein Mann in sommerlicher Kleidung sitzt vor blühenden Krokussen in Planten un Blomen. Sonnenschein, es sieht nach einem warmen Frühlingstag aus.

Seltsam entspannt wirken sie alle, das ist ungewohnt. Die ganze Stadt wirkt entspannt an diesem Tag, wenn man sich so umsieht. Sogar die riesigen Möwen, die einen Mülleimer am Spielplatz plündern und eine halbleere Dönerbox fachgerecht zerlegen, Fleischfetzen und Pommes dabei um sich werfend, sie machen das irgendwie lässiger und geschmeidiger als sonst.

Man isst außerdem allgemein Eis. Vielleicht ist es das erste Eis des Jahres, dann ist es also ein Eis von gewisser Wichtigkeit und man sagt es sich gegenseitig auch auf, dass dies das erste Eis ist. Nach der Eisbestellung hakt man sich wieder unter und geht gemächlich weiter durch diesen Tag.

Man plaudert und schlendert und probiert auch einmal das Eis des jeweils anderen Menschen. Man leckt kichernd kreuzweise, aber es hat diesmal nichts mit Beschimpfungen oder nicht jugendfreien Themen zu tun.

Es kommen mir ab und zu Leute auf den Parkwegen entgegen, die eindeutig gut gelaunt aussehen. Manche davon gehen ohne jede Gesellschaft und ziehen ganz allein durch die große Anlage. Die sind einfach so in anderer Stimmung als sonst, nicht einmal sozial animiert. Aus sich heraus sind sie so, wie sie heute sind, muss man da wohl annehmen. Als sei es bei uns legitim, normal und gewohnt, beim Gehen einfach zu lächeln.

Und einen habe ich dann noch gesehen, der hat beim Gehen leise gepfiffen. Etwas passiert mit dieser Stadt.

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Wenn Sie aber gerade ebenfalls zu gut gelaunt sein sollten, lesen Sie einfach die Temperaturrekordwerte vom Wochenende nach, das reduziert die Frühlingsfreude sicher wieder etwas. Das markiert dann die notwendige Rückkehr zur allfälligen Betroffenheit und Sorge, was auch schön zum Montag passen wird.

Sollten Sie andererseits intellektuell gerade nicht ausgelastet sein, lesen Sie die Krassen Links von Michael Seemann nach, die helfen dabei verlässlich weiter.

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Nur einige Links

Gerne und mit Gewinn gesehen: „Jeder schreibt für sich allein“, die angenehm lange und also geduldig erzählte Doku zum Buch von Anatol Regnier. Hier die Verlagsseite dazu, ich habe es gerne gelesen.

Man weiß gar nicht, über wen oder was man da beim Zuschauen länger nachdenken soll oder möchte, über die Herren Benn, Kästner, Klepper, Fallada, vielleicht über Frau Seidel oder über andere. Über ihre Abgründe oder ihre Motive, über das Verständliche oder das Unverständliche. Aber wie auch immer. Es lehrt im besten Fall vielleicht so etwas moralische Bescheidenheit, und das wird angebracht sein.

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Im neulich hie erwähnten Reisebericht von Hans Christian Andersen übrigens beschwerte er sich, dass die Zeiten, also seine Zeiten, so unangenehm schnelllebig geworden seien. Das, was früher, aus der Sicht des Jahres 1831 betrachtet, in zehn Jahren passiert sei, das würde nun gedrängt in nur einem Jahr passieren, und das sei doch ungeheuerlich. So seine Klage.

Wenn der wüsste, denkt man sich da unwillkürlich beim Lesen oder Hören, wenn der wüsste. Wo sind wir mittlerweile angekommen, passieren die Ereignisse aus zehn Jahren in zehn Stunden, vielleicht neuerdings schon in zehn Minuten?

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Das milde Wetter gab mir außerdem Gelegenheit, eine weitere Lange Nacht auf einem ausgedehnten Abendspaziergang zu hören, und zwar die über William Faulkner: Mosaik des Erzählens. Ein Autor, bei dem ich noch Etliches nachzuholen habe. Fast alle seine Romane habe ich noch vor mir, und das ist auch wieder recht so. Immer auch ein paar Fernziele im Auge behalten, nicht wahr, das gilt in fast jeder Lebensphase. Nein, kurz überlegt: Es gilt je nach philosophischer Betrachtung in allen Lebenslagen.

Außerdem liest sich der Herr Faulkner sicher noch interessanter, wenn die rassistischen Parteien erst überall ab der Macht sind. Pardon. Moment, ich muss kurz etwas Zynismus wieder hinunterwürgen.

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Nils Minkmar denkt gerade positiver, oder er versucht es zumindest:

In fünf Jahren, wenn ich wieder die Waldrunde gehe, kann ich dann über das Jahrzehnt nachdenken, in dem erst die Pandemie, dann Putin besiegt wurde und ein politisches Europa entstand. Stay tuned.

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Ansonsten ist Sonntag, früher oder für einige auch heute noch ein Tag der Kirche. Beim NDR gibt es eine Radiosendung, die das mit aktuellen Interessen verbindet: Der Mensch im Mittelpunkt – Kirche und Künstliche Intelligenz. Da geht es etwa um KI in der Pflege und in der Verwaltung, und ich nehme gerne auch solche Beispiele zur Kenntnis. Im Grunde sind sie interessanter als viele Beiträge aus dem ewig gleichen Business-Kontext.

Und wenn man schon bei kirchlichen Themen ist, kann man schließlich auch noch etwas Ethik dranhängen, es passt schon: Beim MDR geht es um die Frage, wie moralisch KI sein kann.

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Hafencity, Blick über Wasser auf die Rückseite des Maritimen Museums, im Vordergrund ein Aufkleber an einem Metallgestänge: "Liebe für alle"

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Baustellen und Pausen

Das schnelle Ansteigen der Temperaturen draußen, die fortschreitende Abmilderung der Winterhärten, ich hätte sie fast am Schreibtisch verpasst. Nur zwischendurch sah ich einmal ohne besondere Neugier aus dem Fenster. Und es überraschte mich dann, dass die Kleinen auf dem Spielplatz unten schon in sommerlicher Kleidung Tischtennis spielten, schaukelten und rutschten. Dass auch ihre Eltern da mit offenen Jacken oder nur in Pullovern, in T-Shirts sogar, und außerdem in geradezu aufdringlich entspannter Körperhaltung in der Sonne, im Sand und auf den Bänken saßen. Dass sie auf einmal in aller Ruhe ihren Kaffee aus den großen Pappbechern tranken. An denen sie nun nicht mehr ihre Hände wärmen mussten.

Und dass der Himmel über ihnen blau war, eindeutig blau und auch nur blau, das überraschte mich ebenfalls.

Ein großer Schritt hin zur nächsten Jahreszeit war es, aus diesem Bild heraus gedeutet. Ich machte das Fenster weit auf, ich hörte allerliebsten Vogelsang. Nur knapp war der allerdings zu hören, er kam gerade eben noch durch das dumpfe Grollen der Abrissarbeiten neben unserem Haus. Von der Baustelle wehten gelblichgraue Staubwolken von stürzenden Gerölllawinen heran, muffig nach uraltem Keller riechend, feuchtmodrig und dumpf. All das Ungelüftete der Vergangenheit waberte die Straße entlang.

Von der anderen Seite aber weichere Luft mit einem gewissen Etwas darin. Über den sich nun öffnenden Knospen der Spielplatzrandbegrünung, mit einer Ahnung von April oder schon Mai im Abgang, lind und lau.

Das Brotberufsnotebook habe ich nach dem Prüfen der Temperatur, sechzehn Grad, siebzehn Grad waren es da gerade in Hamburg-Mitte, sagten die Apps, spontan zugeklappt. Noch mitten im To-Do, Unfertiges und etliche lose Prozessenden dabei abrupt hinterlassend. Meine digitalen Pendants zu Großbaustellen, Abrissarbeiten und bisher nur geplanten Neubauten. Wir tragen alle Helm, wir gucken alle auf Excel.

Dann machte ich das, was wirklich dringend an diesem Tag und daher prioritär zu behandeln war. In einem Sinne dringend war es, bei dem Aufgaben aller Art aus der beruflichen Sphäre gar nicht mithalten können, und zwar kategorisch nicht. Denn ich machte, was zwingend gemacht werden muss, nach Brauch, Tradition und wann immer es die Natur uns gerade vorgibt, ob nun durch den Klimawandel etwas verfrüht oder nicht. Man kann auch nicht alles bei allem bedenken und sich dadurch zielstrebig selbst versauen, man muss ab und zu Dinge ohne weitere Reflexion geschehen lassen. Siehe auch Liebe, Sex und andere spannende Themen, aber ich schweife ab.

Ich machte also den ersten Mittagsschlaf des Jahres bei geöffneter Balkontür, und es war sehr gut so.

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Am Abend dann noch ein langer Stadtspaziergang ohne die schwere, belastende, herunterziehende Winterjacke. Nur im leichten Sakko, ich fühlte mich wie ein Model auf einem Laufsteg, die Frühjahrsmode. So geht es hier also zügig voran und so wird es den meisten auch recht sein. Wie immer im März, denn man ist doch etwas bedürftig nach derartigen Draußendingen, zum Ende des ersten Quartals.

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Die Söhne aber behaupten währenddessen, sie hätten schon wieder Ferien. Womöglich stimmt ihre Annahme sogar, aber wer würde das noch kommentieren wollen. Ich jedenfalls nicht, denn ich habe zu tun und keinen Sinn für derartig exzessive Wellnesseinschübe zur Unzeit.

Ich frage diese beiden sinnlos herumhängenden Jugendlichen also auch nicht nach ihren Plänen für diese Ferien, oh nein. Sie würden ohnehin nur wieder lässig etwas von „Chillen“ murmeln, nehme ich stark an. In dieser vernuschelten, altersgerechten Aussprache würden sie es murmeln, bei der man nie weiß, ob sie wirklich ganz wach sind, geistig anwesend und zurechnungsfähig.

Sie würden da also wieder ein Programm benennen, das mir aus Gründen, die man in Romanlänge erklären müsste, also besser gar nicht, schon seit längerer Zeit nicht mehr zur Verfügung zu stehen scheint.

Aber gut. Vierzehn Tage lang werde ich wieder konsequent an den Söhnen vorbeidenken. Denn besser für alle und für den wichtigen Familienfrieden wird es so sein, und sie ziehen doch eh bald aus. Mit etwas Fantasie und Großzügigkeit gerechnet jedenfalls. Da kann ich die notwendige seelische Distanz bereits einüben und mich, während sie irgendwo in dieser Wohnung gut gechillt herumliegen, nur Meter von meinem Schreibtisch entfernt, weiter auf andere interessante Dinge konzentrieren.

Also etwa auf Arbeit und dergleichen mehr. Was man so macht.

Ein Stein am Wegesrand, er ist beschrieben mit dem Satz: "Auf dem Boden der Tatsachen liegt eiundeutig zu wenig Glitzer." Daneben Zigarettenkippen.

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Bezüge zur Wirklichkeit

Einen bemerkenswert schönen Begriff sah ich in der Überschrift eines Textes von Constanze Kurz bei Netzpolitik: Halluzinationsverhinderungswerkzeugkasten. So etwas kann man auch in den Kursen „Deutsch für Ausländerinnen“ als belebenden Scherz einbauen.

Aber auch der Text ist interessant, und der Inhalt ist außerdem etwas irre. Wie fast immer bei dem Markt, um den es da geht.

Wie bereits erwähnt, beschäftige ich mich im Moment auch aus brotberuflichen Gründen wieder etwas mehr mit KI oder AI. Ich lerne dazu, ich versuche, halbwegs up to date zu bleiben. Das ist ein dreiteiliges Lernen, fällt mir auf. Denn ich bemühe mich da einerseits, überhaupt mitzubekommen, was gerade geht und was alles entwickelt wird. Damit allein hat man schon recht viel Programm, denn es ist eine wilde Jagd.

Andererseits versuche ich auch hier und da, ein Tool oder eine Möglichkeit besser zu verstehen, zu testen usw. Und drittens geht es dann noch um die Bezüge zur eigenen Wirklichkeit in den verschiedenen Ausprägungen. Um die tatsächlichen Einsatzmöglichkeiten also, brotberuflich, freiberuflich, nebenberuflich, privat, als Schrebergartenpächter, Familienkoch, Hamburger etc.

Also um die echten, jetzt greifbaren, womöglich auch sinnvollen Möglichkeiten.

Von denen es aber nach wie vor verblüffend wenig gibt. Etwa 95%, vielleicht auch noch mehr der überall vorgeführten Anwendungen sind eher nicht interessant für mich. Darüber denke ich schon länger nach, denn es ist auf den ersten Blick etwas erstaunlich. Bin ich noch deutlicher anders als andere, als ich ohnehin schon dachte? Oder ist der Markt nennenswert weltfremder, fiktiver als man zunächst meinen sollte.

Bin ich nur zufällig oder am Ende auch wieder altersbedingt überall knapp neben den nach meiner Deutung angepeilten Zielgruppen? Es ist wohl nicht ganz einfach, sich das korrekt zu beantworten. Es kostet auch wieder etwas Zeit, und als ob man die hätte.

Währenddessen leide ich außerdem ein wenig unter oft eher seltsamen Anwendungsbeispielen. Die mich womöglich mehr aufregen, als sie sollten. In einem Artikel neulich, in der New York Times war es wohl, ging es etwa um die KI-gesteuerte App-Entwicklung, also um No-Coding-Varianten. Geschildert wurde dies am Beispiel einer App, in die man ein Foto seines Kühlschrankinhalts hochladen konnte und die dann Vorschläge für Sandwiches ausspuckte.

Ich habe durchaus verstanden, dass es nur ein Beispiel war. Es war wie bei einer Textaufgabe in den Mathebüchern der Söhne, bei denen man die geschilderten Szenarios auch nicht unbedingt erst nehmen muss, von wegen Vater hat achtzig Schrauben und dergleichen. Aber ich habe beim Lesen des Artikels dennoch die ganze Zeit gedacht: Hoffentlich erschießt mich jemand, wenn ich eine App benutze, um mir ein Brot zu schmieren.

Es mag ein Haltungsproblem sein. Am Ende fehlt mir das Spielerische, das geistig Herumtänzelnde. Hanseatisch ernst und gefasst entwickelt man vielleicht keine Zukunftstechnik. Oder zumindest nicht so eine.

Aber was soll ich machen. Ich wirke eben nur in Texten gelegentlich, als hätte ich so etwas wie Humor.

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Ansonsten wird, denken wir uns Fanfaren und Trommeln dazu, gerade und endlich die Renaissance der Blogs vermeldet, etwa hier (gefunden im angenehm kurzen, täglichen Newsletter von Thomas Gigold zu Social-Media-Zeugs).

Das ist jedenfalls eine gute Nachricht für mich, denn ich kann mich jetzt dadurch definieren, dass ich schon vor der Renaissance gebloggt habe – wie VSOP klingt das denn.

Und weil immer Fragen zu dieser offensichtlich mittlerweile ominös gewordenen Abkürzung kommen: die VSOP-Erklärung.

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Blick aus einem Innenhof zwischen Neubauten nach oben, Abendlicht, oben eine Mondsichel

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Unter uns kulturell beflissenen Widerständlern

Eine Empfehlung möchte ich noch einmal erneuern, nämlich die für Adelheid Duvanels Erzählungen in gedruckter Form, die mir freundlicherweise im letzten Jahr als Geschenk zugeschickt wurden. Hier die Perlentaucherseite zu dem Band „Fern von hier“, hier die Verlagsseite und hier außerdem eine Blogbesprechung.

Kurze oder sehr kurze Texte sind in dem Buch. Teils sind sie seltsam surreal abdrehend, teils lesen sie sich wie etwas ausufernde, ungebremste, hintenrum und wie unabsichtlich zu Prosa gewordene Lyrik. Dabei sind sie alle präzise und geradezu beneidenswert gut beobachtet.

Ich bin als schreibender Mensch gerne neidisch auf die Leistungen anderer, ich denke gerne „Das hätte mir aber auch einmal einfallen können!“ Ich finde Texte gerne gut und erfreue mich daran. Da kann man dann abends denken, dass man immerhin etwas Gutes gelesen hat. Und das ist dann etwas zum Festhalten, wenn der Tag sich sonst wieder drittklassig angefühlt hat.

Dieses Buch jedenfalls liest sich, um es etwas verdreht auszudrücken, wie ein ausgesprochen nüchtern beobachteter und dann sorgsam notierter Trip. „Sanfte Verweigerer und Widerständler des Daseins“ werden laut der einen Rezension in den Texten der Duvanel beschrieben. Wer möchte da nicht sofort heftig sympathisieren.

Sie möchten meist lieber nicht, die Figuren der Duvanel, und ich zumindest kann da mühelos anschließen. Es ist mit Sicherheit kein Werk des Mainstreams-Geschmacks, dazu ist es zu exzentrisch. Aber es ist doch für eine besondere Situation hervorragend geeignet.

Nämlich wenn man abends viel zu erschöpft und auch zu tagwerkdumm zum Lesen ist, aber unbedingt gegen alle Widerstände doch noch zwei, drei Seiten konsumieren möchte, die es auf irgendeine Art in sich haben. Weil man eben durch und durch ein Buch- und Kulturmensch ist, also zumindest im so mühsam bewahrten Selbstbild, welches es weiterhin durch alle Widrigkeiten stoisch zu unterstützen gilt. „Bleiben und stille bewahren, das sich umgrenzende Ich“, oder wie der olle Benn das damals genannt hat. Sie wissen schon.

Weil man sich das also noch für mindestens zehn Minuten beweisen muss, bevor man kulturell wenigstens minimal angereichert doch wieder allzu schnell wegdämmert.

Dafür jedenfalls ist ein bestens geeignetes Buch, das wollte ich nur eben sagen.

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Letzte Woche sah ich ansonsten zwei am Rande bemerkenswerte Schlagzeilen bei der Tagesschau online, fällt mir noch ein. Bei der Tagesschau, die auch längst und leider auch viel zu deutlich in eher seltsame Welten abdriftet. Nämlich zum einen die fette Zeile über einem freundlich lebenshelfenden Text, in dem erläutert wurde, wie man von Dividenden leben könne. Und zum anderen eine Ausführung, wie sich die Eisbären gerade an den Klimawandel anpassen. Hat da am Ende auch jemand etwas von „FDP stärken“ auf ein Zettelchen geschrieben und irgendwo reingereicht? Zu spät, aber doch? Man weiß es nicht. Man rät nur so herum, weil man eben dauernd Erklärungen sucht, in diesen wirren Zeiten.

Aber wie auch immer. Meine Dividenden reichen dummerweise nicht für alles aus, rücksichtsvoll ausgedrückt, stelle ich beim morgendlichen Nachzählen fest. Ich benötige also weiterhin einen Brotberuf für die finanzielle Grundversorgung der Familie. Noch so ein unbewältigtes Problem.

Ich habe also, das stand dann schon zu unchristlicher Uhrzeit fest, gewiss alles falsch gemacht im Leben, und ich startete dann von dieser Erkenntnis peinlich berührt in den Tag. Das war ein suboptimaler Beginn eines Werktages und zeigte mir wieder grell die Gefahren des regelmäßigen Medienkonsums auf.

Aber was soll man machen. Was soll man nur machen, als notorischer Widerständler des Daseins.

Boote der weißen Flotte am Anleger Jungfernstieg unter für Hamburger Verhältnisse recht blauem Himmel

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Leuchtturmverschiebungen

Ein Bürgerinitiativenbericht aus jenem Land mit dem gruseligen Präsidenten, etwas oberhalb von Mexiko

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Und bei Joan Westenberg einige weitere Hinweise zur Entmilliardärisierung der diversen Tools auf dem Computer und auf dem Smartphone. Oder siehe dazu auch hier. Ich lese so etwas mit Interesse, und neige dazu, die Notwendigkeit der Umstiege auch zu verstehen und einzusehen. Aber ich hänge in der Umsetzung doch hinterher, denn es kostet alles Zeit. Man müsste dafür Urlaub nehmen, geschichtlich bedingten Sonderurlaub vorzugsweise, denke ich manchmal. Um es alles konsequent und umfassend anzugehen, um sich an die neuen Lösungen und Tools zu gewöhnen, um sie für sich zu zähmen.

Dauernd denke ich, ach komm, das machste entspannt am Wochenende. Dann kommt das Wochenende und wirkt aber ungeeignet für ein so detailreiches, mehrstündiges Vorhaben. Und so wirkt auch das Wochenende danach, ebenso wie übernächste. Meine aktuelle Versuchsreihe kann als Beweis genommen werden, und da ist Selbstkritik angebracht. Das muss besser werden.

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Am Montagnachmittag gab es noch einen Besuch bei der Zahnärztin, wobei mir auffällt, da heute Mittwoch ist, dass es zwischendurch einen Dienstag gegeben haben muss. Der ist mir gar nicht weiter aufgefallen, aber egal.

Bei der Zahnärztin immerhin passierte nichts Schlimmes. Aber ich konnte mich ohnehin kaum auf ihre Behandlung konzentrieren, weil meine Bandscheiben mit ihrem Stuhl in derart besorgniserregendem Ausmaß nicht klarkamen, dass ich bald die Vorstellung hatte, von dieser Praxis direkt in eine orthopädische wechseln zu müssen, krumm wie ein Angelhaken und schneckenlangsam.

So jedenfalls kann man sich auch erfolgreich von der alten Angst vor Zahnproblemen kurieren. Man muss nur warten, bis Rückendramen alles andere deutlich überwiegen. That was easy!

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Eine weitere alte Reisebeschreibung habe ich gehört, diesmal war sie von Hans Christian Andersen. Sie ist wiederum in der ARD-Audiothek verfügbar: „Reiseschatten – Von einem Ausfluge nach dem Harz, der Sächsischen Schweiz im Sommer 1831.“ Im Gegensatz zum grummeligen Grillparzer ist Andersen hochgradig begeisterungsfähig. Er findet vieles schön, Gegenden, Landschaften, Städte und Dörfchen. Sogar Menschen mag er, verehrt einige gar, spricht von Herzensdingen und driftet erwartungsgemäß zwischendurch auch ausdrücklich ins Märchenhafte ab.

Er sieht Wesen aus anderen Welten, die anderen Reisenden eher nicht zuverlässig begegnen – und er kommt auf seiner Reise auch durch Travemünde, Lübeck und etwa Wandsbek. Da war ich überall auch schon einmal, was immer nett ist. Da kann man etwas wiedererkennen und Bestätigungen oder Widersprüche suchen.

Der Leuchtturm in Travemünde etwa, der kam dem Herrn Andersen noch eindrucksvoll hoch vor, so alt ist dieser Bericht. Denn dieser Leuchtturm hat, ohne sich zu verändern, doch sehr an Höhe eingebüßt. Nur durch die Veränderungen um ihn herum.

Das kennen wir selbstverständlich alle in ähnlicher Weise, die wir auf einmal linksaußen sind, ohne uns groß verändert zu haben, und obwohl wir uns doch neulich noch deutlich mittiger gefühlt haben. Die Veränderungen der Verortung in gedanklichen und realen Räumen im Laufe der Jahre – da haben wir dann schon wieder ein Aufsatzthema für den Rest des Tages. Zur Abarbeitung in Gedanken oder im Raum für Notizen.

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Flirt and fiddle

Am Montagmorgen wird auf der anderen Straßenseite ein Haus abgerissen, es wird weggebaggert. Es ist ein altes, baufälliges, morsches Haus, es gibt schnell nach. Dieser Abriss sieht nicht nach einem schweren Einsatz für die Firma aus, die Woche des Arbeitstrupps beginnt entspannt. Und was ich sehe, wenn ich vom Schreibtisch aufstehe und mich etwas aus dem Fenster beuge, reicht mir schon für das Immerhin des Tages. Das ich jetzt besonders leicht erbeuten kann. Denn andere, so denke ich den ganzen Vormittag über, während drüben die Wände und das Dach fallen, andere sind noch wesentlich destruktiver drauf als ich.

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Aber auch einmal etwas Positives posten. Ich bin ein Fan von altmodisch langen Radioformaten, von Features, Reportagen und dergleichen. Ich finde sie oft besonders lehrreich und inspirierend. Hören Sie etwa einmal diese Sendung hier über das alternde Japan – Szenen aus einem Land im Umbruch bei WDR5. Das sind 53 informative Minuten.

Die schon deswegen empfehlenswert sind, weil es darin einen Abschnitt gibt über eine kleine Stadt, in der man beschlossen hat, ausdrücklich kinderfreundlich zu werden, was in Japan keine Selbstverständlichkeit ist. Die getroffenen Maßnahmen und ihre Erfolge werden dort aufgezählt, und das führt uns gedanklich vielleicht wieder zu einer Erkenntnis, die schon etwas verschüttet wurde – nämlich wie vieles politisch gestaltbar ist. Was alles versucht, getan und erreicht werden kann.

Zweifellos neigen wir kollektiv in diesen Monaten eher dem Freeze-Modus zu, angesichts der politischen Desaster um uns herum. Da ist diese Erinnerung schon etwas wert, möchte ich meinen. Aber auch davon abgesehen habe ich oft den Eindruck, es würde nicht nur meinem, sondern vermutlich dem Denken vieler Menschen weiterhelfen, wenn man auf diese Art die Bedingungen, Möglichkeiten und Handlungen anderswo ab und zu genauer und interessiert zur Kenntnis nehmen würde. Wobei das „anderswo“, so ist es eben bei guten Reportagen, auch schon eine Treppe tiefer sein kann, oder einen Block, ein Bundesland weiter.

Aber apropos Freeze: Ich erinnerte mich an die Stress-, Flucht- oder Panik-Modi Fight, Flight, Freeze und Fawn, wobei ich Fawn erst in den letzten Jahren als Ergänzung gelernt habe, etwa so wie hier dargestellt. In der Wikipedia fand ich aber gerade noch die wunderbaren Ergänzungen  Faint, Fright, Flirt and Fiddle. Wobei sich die letzten beiden dort nur auf Hunde beziehen, was ich aber kraft meiner Menschenkenntnis sofort und auch energisch bestreiten würde.

Wir haben gesamt also, Moment, es wird unübersichtlich: Fight, Flight, Freeze, Fright, Fawn, Faint, Flirt and Fiddle. Das sind die acht Möglichkeiten der Stressreaktion. Allerdings kommen mir Freeze und Fright doch verdächtig ähnlich vor, da kann vielleicht eines raus. Dann sind es nur sieben, das ist auch die viel bessere Merkzahl, siehe Zwerge, Geißlein, Sinne, Weltwunder, Weltmeere, Todsünden etc.

Diese sieben Begriffe kann man spaßeshalber ruhig einmal auswendig lernen und dann damit so ziemlich alles erklären. Auch das seltsame Verhalten der Kolleginnen und Kollegen in Meetings, auch das Benehmen der Kundschaft in der Warteschlange beim Discounter. Oder aber die Reaktionen der Söhne, wenn ich sie morgens wecke.

Man hat ja sonst keinen Spaß.

“Fight, flight, freeze, fawn, faint, flirt and fiddle

Their behaviour is not a riddle.”

Ich schule jetzt einfach auf Songwriting um und werde doch noch reich.

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Blick Richtung Speicherstadt bei Sonnenuntergang

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So sei’s gemacht

Da ich zum Lesen keine innere Ruhe finde oder mit einiger Sicherheit prompt einschlafe, falls ich wider Erwarten doch einmal entspannt sein sollte, höre ich noch etwas mehr. Und zwar gehend, denn beim Gehen schlafe ich nicht ein, das ist praktisch. Ich suche dabei im Moment eher Themen ohne aktuellen Bezug, nicht noch mehr Erläuterungen des Ernstes der Lage. Die dosiere ich nun deutlich geringer.

Wie ich überhaupt nach eingehendem Studium der Bösartigkeit unserer Wirklichkeit auf einem Informationsniveau angekommen zu sein scheine, auf dem mir weitere Erklärungen nicht mehr recht weiterhelfen. Mit welcher Kompetenz und inhaltlicher Richtigkeit auch immer sie vorgetragen werden. Ich reichere dann vielleicht noch weiter Wissen an, aber es kommt mir mittlerweile kaum noch sinnvoll vor. Das Bild wird nicht klarer, die Sättigung nimmt nur immer weiter zu, bis die Farben wehtun. Bekannt aus jeder Foto-App.

Mir ist schon klar, dass die Lage da draußen ernst ist. Ich brauche das nicht mehr in hundert weiteren Beispielen, Aufgliederungen und detaillierten Vertiefungen gereicht zu bekommen. Es verbessert meine Position in dieser Lage nicht nennenswert. Das Niveau an Informiertheit ungefähr zu halten, das fühlt sich korrekt, pflichtgemäß und auch weiterhin sinnvoll an. Aber es noch zu steigern, das fühlt sich psychisch mittlerweile verdächtig an.

So etwas wie ein Stockholm-Syndrom gegenüber der Weltgeschichte vielleicht. Aber das Stockholm-Syndrom, so las oder sah ich neulich erst irgendwo, gibt es im wissenschaftlichen Sinne gar nicht, es ist nicht nachweisbar. Es wurde da vorgeschlagen, und da wird es dann fast schon wieder lustig, leider auf die gewohnt zynische Art unserer Epoche, den Begriff Stockholm-Syndrom durch „Appeasement“ zu ersetzen.

(Da ich beruflich gerade am Rande mit Künstlicher Intelligenz zu tun habe und in vielen Richtungen etwas herumteste, habe ich diese Frage nach dem Syndrom eben mit der wissenschaftlichen Such-App Consensus überprüft, hier ein Artikel der Technischen Hochschule Augsburg über das Tool. Das führte immerhin zu brauchbaren und wohl korrekten Ergebnissen ohne Halluzinationen, auch mal schön.)

Ich bin also, das wollte ich nur eben sagen, erstaunlich bereit für Ablenkungen. Oder aber für neue, womöglich sogar positive Wendungen. Sie kennen das vermutlich, man hat auch gewisse Erwartungen an das Storytelling beim Ganzen, wenn man ehrlich ist. Wie unsinnig und vergeblich diese Erwartungen auch sein mögen.

Etwas, bei dem ich nicht wahnsinnig konzentriert zuhören muss und ab und zu doch auf angenehm andere Gedanken komme, sind alte Reisebeschreibungen. Nicht immer sind sie besonders interessant, aber oft mit ansprechender Wortwahl und in schönem Satzbau vorgetragen, und immer werden sie mit etwas nebenbei anfallendem Geschichtswissen geliefert. So etwas geht gerade gut bei mir.

In der ARD-Audiothek finde ich etwa die Aufzeichnungen von Franz Grillparzer zu seiner Griechenlandreise 1843. Sie haben einen gelungenen Titel, ein Zitat, das in unserer Zeit längst der Kernsatz aller Online-Rezensionen geworden ist:

Das habe ich mir anders vorgestellt.“

Er ist oft seekrank in seinen Beschreibungen. Er mag vieles nicht, er verträgt vieles nicht, er würdigt kaum etwas. Es ist insgesamt ein Reisebericht mit bestenfalls mäßiger Begeisterung.

Weil ich über den Herrn Grillparzer eher wenig weiß, höre ich noch, ebenfalls in der ARD-Audiothek: „Franz Grillparzer – der österreichische Nationaldichter“, aus der Reihe Radiowissen.

Da ist dann aber schnell Schluss mit der Entspannung und der angenehmen Ablenkung von der finsteren Gegenwart. Spätestens bei seinem berühmten Satz „Von der Humanität durch Nationalität zur Bestialität.“

Man hat es alles gewusst, nicht wahr. Und wie lange schon, wie unangenehm lange schon.

Ein Aufkleber an einem Ampelmast: Nie wieder Faschismus

Auch die Zeile „Unsere Taten sind nur Würfe in des Zufalls blinde Nacht“ bleibt bei mir hängen und gefällt besonders. Sie ist aus diesem Gedicht, das ganz hervorragend anfängt mit: „Wo ist der, der sagen dürfe: „So will ich’s, so sei‘s gemacht?“

Das auch mal im Bürokontext exakt so unterbringen! Es klingt so viel besser als die langweilige Frage, ob die Stakeholder des Prozesses bereits identifiziert und gebrieft worden seien.

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Technische Hilfsdienste

Es passte hervorragend in eine mit Arbeit eher drastisch überfüllte Woche, dass der Fernseher meiner Mutter den Geist aufgab und sie in großer Not bei mir anrief. Also ging ich nach den endlosen Meetings etwas atemlos vom Tag dort vorbei und besah mir die Lage. Denn selbst regeln kann und will sie so etwas nun nicht mehr, was auch vollkommen verständlich ist.

Von Fernsehern verstehe ich in etwa so viel wie von Automotoren oder von Raketenwissenschaft, also nichts. Ich sehe ja nicht einmal fern und stelle daher beim ratlosen Tippen durch die nicht eben selbsterklärenden, seltsam kryptischen Menüs auf dem Gerät fest, dass mir sämtliche Abkürzungen und Begriffe fremd sind. Ich habe das alles nie gehört.

Der Fernseher findet jedenfalls keine Kanäle mehr, so viel scheint mir festzustehen. Allerdings ich bin in dieser speziellen Lage so hilfreich wie ein herumspielendes Äffchen, welches die Fernbedienung entwendet hat und nun darauf herumnagt. Kein Tag ohne Demütigung, denke ich mir noch, und sage dann, was klar zu sein scheint, nämlich dass das Gerät wohl kaputt sei.

Das habe sie auch schon festgestellt, sagt meine Mutter, und sieht mich mit einem Blick an, in dem die alte Frage mitschwingt, was sie da für ein seltsames Phänomen damals zur Welt gebracht hat und warum bloß.

Von solchen Geräten verstehe ich wirklich entschieden zu wenig. Aber ich kann im Internet nachsehen und nach Lösungen oder Erklärungen suchen, das dann doch. Ich finde dabei schnell heraus, denn ich kann recht gut nachsehen, dass Geräte dieser Marke gerne und häufig mit solchen Problemen verrecken. Auch unanständig früh nach dem Kauf, in diesem Fall nach sechs Monaten. Zeiten, Sitten, dies, das. Es gibt Kundenberichte in großer Zahl, die Lage wird klarer.

Ich bestelle noch vor Ort ein neues Gerät einer anderen Marke, es ist Eile geboten. Meine Mutter ohne Fernseher ist in etwa so wie ich ohne Internet, das möchte man nicht.

Dann suche ich nach dem Karton, um den schadhaften Fernseher zurückzuschicken. Den Karton gibt es nicht mehr, der stand doch nur herum. Da wird man also einen passenden Karton besorgen müssen oder aber den des bald kommenden neuen Gerätes nehmen, so dass dann später wieder dieser fehlen wird. Es klingt ein wenig nach einer geeigneten Vorlage für Kishon, aber der lebte vor dem Retourenzeitalter. Was ein wenig schade ist, er hätte dermaßen viel daraus machen können.

Abends erzähle ich der Herzdame von meinen Abenteuern und frage mich dabei, wieso es nicht längst ein etablierter Beruf ist, Hilfsleistungen für so etwas anzubieten. Es haben doch nicht alle alten Menschen Kinder oder Enkel stets parat, um die Ecke und mit viel Zeit. Ist das kein Markt, wenn auch kein besonders lukrativ wirkender, um es betriebswirtschaftlich eiskalt auszudrücken, so dass man sich die gefühlte soziale Wärme mühsam dazudenken muss?

Die Herzdame sagt, dass ein junger, ein sogar sehr junger Mensch aus unserem weiteren Bekanntenkreis gerade damit angefangen habe. Erste Inserate habe der geschaltet, und es liefe wie sonst etwas. Ein Auftrag nach dem anderen. Updates, und Technikklimbim, so etwas mache der. Da gäbe es nämlich Anforderungen ohne Ende.

Wer weiß, wann auch meine Altersgruppe Bedarf daran entdeckt, denke ich und vermeide bemüht jede Arroganz. Man wird vermutlich in solchen Situationen enden, verzweifelt vor irgendeinem kleinteiligen Technikhorror und als treuer Kunde solcher Dienste, da habe ich wenig Zweifel. Wenn man so etwas später überhaupt bezahlen kann, versteht sich.

Aber früher, sage ich noch, denn es steht mir qua Geburtsjahr zu, dass zu sagen, und es ist vielleicht sogar eine Art Beitragspflicht, früher kam der Mann von dem einen Elektrogeschäft im Ort und hat das alles für einen gemacht und gerichtet. Und das war auch gut so, im Nachhinein betrachtet, und wie herrlich einfach war es.

Im Heimatdorf der Herzdame kann man sogar noch die letzten Ausläufer dieser Zeit erleben, es ist überaus faszinierend. Ein Gerät geht nicht mehr, dann ruft man im Fachgeschäft an, in dem man es gekauft hat. Man erklärt das Problem, vielleicht sogar auf Platt, und kurz darauf kommt der Chef vorbei, regelt das entspannt und trinkt ein Bierchen. Wie vorabendserienmäßig klingt das denn, „Das Fachgeschäft auf dem Land.“

Immerhin kommt der neue Fernseher für meine Mutter dann in Rekordzeit an. Immerhin gelingt mir auch die Einrichtung, immerhin geht jetzt alles wieder. Und es wird am Ende auf diese Art mehr, deutlich Greifbareres und mit viel höherer Kundenzufriedenheit erreicht als bei den endlosen Meetings im Büro.

Das gilt es immerhin auch zu beachten, um die Motivation und den letzten Rest Schwung noch hinüberzuretten. In eine weitere Woche dieser Art.

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Im Bild Tauben in Hammerbrook. Warum auch nicht.

Tauben in einem Busch am Ufer des Mittelkanals im Hammerbrook, man sieht nur die Silhouetten.

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