Mit dem Zug zurück nach Hamburg. Die Söhne und ich, die Herzdame bleibt noch im Heimatdorf und unterstützt weiter ihre Mutter. Wir fahren Nahverkehr, das Deutschlandticket, das sich somit seit heute für uns lohnt in diesem Monat. That escalated quicky.
Start in Minden. Bevor wir einsteigen, steigen Sportfans rudelweise aus und hinterlassen eine Müllhalde von Zug. Sie haben sich gründlich danebenbenommen, im Namen des Wettkampfes, sicher war es wieder irgendwas mit einem Ball.
Der junge Mann neben uns im Abteil trägt ein überdimensioniertes Lebkuchenherz, darauf steht: „Das größte Herz der Welt, damit unsere Liebe ewig hält.“ Er sieht sehr schlecht gelaunt aus.
Bückeburg. Ich habe den Kopf so dermaßen randvoll mit Terminen, Vorhaben, To-Dos und Dingen, die zu beachten sind, ich habe bei jedem Ruckeln des Zuges Angst, dass mir irgendetwas aus dem Hirn fällt. Ich versuche, alles schneller zu notieren, als ich es vergessen kann, es ist ein spannendes Rennen gegen mich selbst.
Kirchhorsten. Noch nie davon gehört.
Stadthagen. Da habe ich mich schon mal verfahren, das weiß ich noch. Ich glaube, ich mag Reisen in solchen Nichtschnellzügen, die in allen Kleinstädten und manchen Dörfern halten, von denen man nie oder nur selten und irgendwann einmal etwas gehört hat, von deren Existenz man bis gerade eben nur eine vage Ahnung hatte. Und wenn man dort kurz gehalten hat, weiß man bei der Abfahrt schon kaum noch, wie das da gerade hieß. Kirch- was? Stadt-Dings. Egal.
Lindenhorst. Am Horizont Hügelketten, das wird noch das Weserbergland sein, oder aber ich bin desorientiert. Was mich auch nicht erstaunen würde. Dann Rapsblüten, knallgelbe Effekte in der Landschaftsgestaltung.
Nächster Halt Haste. Aber Haste nicht gesehen.
Ein Kleinkind zeigt aus dem Zugfenster: „Wimmühlen!“ Immer wieder, denn es gibt viele davon, „Wimmühlen!“
Wunstorf. Dahinter grüne Wälder. Der Mai war also lieb, kam und hat gemacht.
Die Bahnhöfe sehen überall furchtbar ungepflegt aus, verwahrlost, verlottert, verkrautet, man sieht, dass das Geld fehlt. Wie ein reiches Land wirkt das hier nicht mehr, was man durch ein Zugfenster sieht. „Wimmühlen!“ Die Windmühle immerhin, sie sehen teils neu und gepflegt aus, wie frisch ausgepackt.
„Gegen Bullen und Nazis“ steht groß auf einem metallenen Zaun.
Dedensen-Gümmer. Das klingt wie aus einem Roman von Sven Regener.
Seelze. Unser Proviant wird knapp. So ist das, wenn man mit Teenagern reist.
Nächster Halt Letter. I gave a letter to the postman … gleich Elvis im Ohr bei diesem Ortsnamen, Return to sender. Das kann mit Lebkuchenherzen vermutlich auch passieren, denke ich mir. Vielleicht ist es auch schon geschehen, der junge Mann mit dem Herzen sieht immer noch sehr, sehr schlecht gelaunt aus. We had a quarrel, a lover’s spat, I write I’m sorry, but my letter keeps coming back.
“Nazis boxen” steht auf einem anderen Zaun.
Hannover Leinhausen. Dann ein Klärwerk an der Strecke, oben drüber ein großes Schild: „Wir klären das.“ Ich nicke im Geiste der Texterin oder dem Texter freundlich zu.
Wohnblöcke in kränklichen Grün- und Gelbtönen: Hannover Nordstadt. Obwohl wir doch von Süden kommen. Diese Unordnung in der Welt, immer diese furchtbare Unordnung. Wie sieht es hier denn aus!
Hannover, wir steigen um. Die Zeit reicht nicht, um Proviant nachzukaufen. Schlimm.
Dann ein viel zu voller Zug nach Hamburg. Zu viele Menschen, zu viel Lärm, zu viel Lachen, Reden und auch zu viel Wurstbrot um uns herum, es reicht unangenehm, es riecht nach Problemen in der Küche, was isst man denn hier in der Gegend bloß für eine Wurst. Zu viele Telefonate vor, hinter und neben uns, was sind die hier alle mitteilsam. Es wird durchgesagt, dass im Metronom Alkohol verboten sei. Noch während diese Anweisung automatisch abläuft, kollern mehrere leere Schnapsflaschen den Gang entlang. Munteres Klirren, als sie zusammenstoßen.
Langenhagen-Mitte. Man sieht nichts davon, es liegt alles hinter Lärmschutzwänden. Vielleicht ist das gut so, aber man müsste aussteigen, um es zu überprüfen. Wer hat so viel Zeit.
Dann leuchtet der Raps wieder auf, jäh und groß, weite Flächen, fast blendend.
Isernhagen. Dahinter verliert sich der Netzempfang, die niedersächsische Offlinesteppe, wer kennt sie nicht. Der Metronom hat immerhin WLAN, es funktioniert sogar.
Celle. Ich gehöre noch zu der Generation, ich denke bei Celle immer an Loch. Viel mehr weiß ich nicht über Celle.
Eschede. Da war auch was, und auch das weiß man noch.
Unterlüß. Auf dem Bahnsteig steht einer, der muss auf seinen Kopfhörern richtig gute Musik haben, er tanzt expressiv. Breakdance-Elemente und Moves, die nach Kampfsport aussehen, dann wildes Gehüpfe, der geht richtig ab. Seine Freundin steht daneben und tut unbeteiligt. So also in Unterlüß. Wer hätte das gedacht.
Suderburg. Der Wald auf der Fototapete im Metronom-Klo ist grüner und leuchtender als der vor den Fenstern.
Uelzen. Auf einem Zaun am Bahnhof steht: „Der Wind dreht.“ Der Hundertwasserbahnhof, den meines Wissens niemand mehr schön oder auch nur interessant findet. Buntes Deko-Tüdelüt an der Fassade.
Noch mehr Raps. Rapsrechtecke, Rapsquadrate. Bad Bevensen, vom Bahnhof aus sieht man etwas Fachwerk. Auf einem Schild steht: „Schön, dass sie da sind.“ Ich winke dem Schild.
Raps, Raps, Raps.
Bienenbüttel, das klingt doch schön. Lüneburg, da war ich schon mal. Kirchtürme in der Nähe, man sieht sie aus der Stadt aufragen. Auf dem Bahnsteig Werbung für ein Möbelhaus, ein roter Hinweis dabei: „Nur 60 Minuten von hier.“ Ich bin durch unsere Wohnlage dermaßen verwöhnt, für mich klingen 60 Minuten irre weit weg, quasi Weltreise. Hier ist es natürlich anders.
Harburg, das klingt schon fast wie Heimat, sieht aber noch nicht so aus.
Hamburg Hbf, das ist fast schon unser Wohnzimmer. Die Söhne zählen die Imbisse im Bahnhof auf und gehen Optionen durch. Gut, wenn man sich auskennt.
Ich reise ausgesprochen gerne mit dem Zug, sagte ich das? Dem ist so. Und sicher bald wieder. Ich habe da so ein Ticket.
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