Minden – Hamburg

Mit dem Zug zurück nach Hamburg. Die Söhne und ich, die Herzdame bleibt noch im Heimatdorf und unterstützt weiter ihre Mutter. Wir fahren Nahverkehr, das Deutschlandticket, das sich somit seit heute für uns lohnt in diesem Monat. That escalated quicky.

Start in Minden. Bevor wir einsteigen, steigen Sportfans rudelweise aus und hinterlassen eine Müllhalde von Zug. Sie haben sich gründlich danebenbenommen, im Namen des Wettkampfes, sicher war es wieder irgendwas mit einem Ball.

Der junge Mann neben uns im Abteil trägt ein überdimensioniertes Lebkuchenherz, darauf steht: „Das größte Herz der Welt, damit unsere Liebe ewig hält.“ Er sieht sehr schlecht gelaunt aus.

Bückeburg.  Ich habe den Kopf so dermaßen randvoll mit Terminen, Vorhaben, To-Dos und Dingen, die zu beachten sind, ich habe bei jedem Ruckeln des Zuges Angst, dass mir irgendetwas aus dem Hirn fällt. Ich versuche, alles schneller zu notieren, als ich es vergessen kann, es ist ein spannendes Rennen gegen mich selbst.

Kirchhorsten. Noch nie davon gehört.

Stadthagen. Da habe ich mich schon mal verfahren, das weiß ich noch. Ich glaube, ich mag Reisen in solchen Nichtschnellzügen, die in allen Kleinstädten und manchen Dörfern halten, von denen man nie oder nur selten und irgendwann einmal etwas gehört hat, von deren Existenz man bis gerade eben nur eine vage Ahnung hatte. Und wenn man dort kurz gehalten hat, weiß man bei der Abfahrt schon kaum noch, wie das da gerade hieß. Kirch- was? Stadt-Dings. Egal.

Lindenhorst. Am Horizont Hügelketten, das wird noch das Weserbergland sein, oder aber ich bin desorientiert. Was mich auch nicht erstaunen würde. Dann Rapsblüten, knallgelbe Effekte in der Landschaftsgestaltung.

Nächster Halt Haste. Aber Haste nicht gesehen.

Ein Kleinkind zeigt aus dem Zugfenster: „Wimmühlen!“ Immer wieder, denn es gibt viele davon, „Wimmühlen!“

Wunstorf. Dahinter grüne Wälder. Der Mai war also lieb, kam und hat gemacht.

Die Bahnhöfe sehen überall furchtbar ungepflegt aus, verwahrlost, verlottert, verkrautet, man sieht, dass das Geld fehlt. Wie ein reiches Land wirkt das hier nicht mehr, was man durch ein Zugfenster sieht. „Wimmühlen!“ Die Windmühle immerhin, sie sehen teils neu und gepflegt aus, wie frisch ausgepackt.

„Gegen Bullen und Nazis“ steht groß auf einem metallenen Zaun.

Dedensen-Gümmer. Das klingt wie aus einem Roman von Sven Regener.

Seelze. Unser Proviant wird knapp. So ist das, wenn man mit Teenagern reist.

Nächster Halt Letter. I gave a letter to the postman … gleich Elvis im Ohr bei diesem Ortsnamen, Return to sender. Das kann mit Lebkuchenherzen vermutlich auch passieren, denke ich mir. Vielleicht ist es auch schon geschehen, der junge Mann mit dem Herzen sieht immer noch sehr, sehr schlecht gelaunt aus. We had a quarrel, a lover’s spat, I write I’m sorry, but my letter keeps coming back.

“Nazis boxen” steht auf einem anderen Zaun.

Hannover Leinhausen. Dann ein Klärwerk an der Strecke, oben drüber ein großes Schild: „Wir klären das.“ Ich nicke im Geiste der Texterin oder dem Texter freundlich zu.

Wohnblöcke in kränklichen Grün- und Gelbtönen: Hannover Nordstadt. Obwohl wir doch von Süden kommen. Diese Unordnung in der Welt, immer diese furchtbare Unordnung. Wie sieht es hier denn aus!

Hannover, wir steigen um. Die Zeit reicht nicht, um Proviant nachzukaufen. Schlimm.

Dann ein viel zu voller Zug nach Hamburg. Zu viele Menschen, zu viel Lärm, zu viel Lachen, Reden und auch zu viel Wurstbrot um uns herum, es reicht unangenehm, es riecht nach Problemen in der Küche, was isst man denn hier in der Gegend bloß für eine Wurst. Zu viele Telefonate vor, hinter und neben uns, was sind die hier alle mitteilsam. Es wird durchgesagt, dass im Metronom Alkohol verboten sei. Noch während diese Anweisung automatisch abläuft, kollern mehrere leere Schnapsflaschen den Gang entlang. Munteres Klirren, als sie zusammenstoßen.

Langenhagen-Mitte. Man sieht nichts davon, es liegt alles hinter Lärmschutzwänden. Vielleicht ist das gut so, aber man müsste aussteigen, um es zu überprüfen. Wer hat so viel Zeit.

Dann leuchtet der Raps wieder auf, jäh und groß, weite Flächen, fast blendend.

Isernhagen. Dahinter verliert sich der Netzempfang, die niedersächsische Offlinesteppe, wer kennt sie nicht. Der Metronom hat immerhin WLAN, es funktioniert sogar.

Celle. Ich gehöre noch zu der Generation, ich denke bei Celle immer an Loch. Viel mehr weiß ich nicht über Celle.

Eschede. Da war auch was, und auch das weiß man noch.

Unterlüß. Auf dem Bahnsteig steht einer, der muss auf seinen Kopfhörern richtig gute Musik haben, er tanzt expressiv. Breakdance-Elemente und Moves, die nach Kampfsport aussehen, dann wildes Gehüpfe, der geht richtig ab. Seine Freundin steht daneben und tut unbeteiligt. So also in Unterlüß. Wer hätte das gedacht.

Suderburg. Der Wald auf der Fototapete im Metronom-Klo ist grüner und leuchtender als der vor den Fenstern.

Uelzen. Auf einem Zaun am Bahnhof steht: „Der Wind dreht.“ Der Hundertwasserbahnhof, den meines Wissens niemand mehr schön oder auch nur interessant findet. Buntes Deko-Tüdelüt an der Fassade.

Noch mehr Raps. Rapsrechtecke, Rapsquadrate. Bad Bevensen, vom Bahnhof aus sieht man etwas Fachwerk. Auf einem Schild steht: „Schön, dass sie da sind.“ Ich winke dem Schild.

Raps, Raps, Raps.

Bienenbüttel, das klingt doch schön. Lüneburg, da war ich schon mal. Kirchtürme in der Nähe, man sieht sie aus der Stadt aufragen. Auf dem Bahnsteig Werbung für ein Möbelhaus, ein roter Hinweis dabei: „Nur 60 Minuten von hier.“ Ich bin durch unsere Wohnlage dermaßen verwöhnt, für mich klingen 60 Minuten irre weit weg, quasi Weltreise. Hier ist es natürlich anders.

Harburg, das klingt schon fast wie Heimat, sieht aber noch nicht so aus.

Hamburg Hbf, das ist fast schon unser Wohnzimmer. Die Söhne zählen die Imbisse im Bahnhof auf und gehen Optionen durch. Gut, wenn man sich auskennt.

Ich reise ausgesprochen gerne mit dem Zug, sagte ich das? Dem ist so. Und sicher bald wieder. Ich habe da so ein Ticket.

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Immerhin bei gutem Wetter

Während die Timelines am Sonnabend nahezu vollständig in die Hofberichterstattung absinken, wie ich es als bemüht aufrechter Demokrat kaum anders ausdrücken kann, beschäftigen wir uns im Heimatdorf situationsbedingt weiter mit gänzlich anderen Dingen und Fragen, immerhin bei gutem Wetter. Manches ist bei Sonnenschein doch einfacher, und manches ist auch leichter, wenn man zwischendurch ein wenig über die Landstraßen gehen kann und rings umher alles nach Ölgemälde aussieht.

Auf den Dächern die Solaranlagen, an den Carportwänden die Ladestationen, am Wegrand Werbung für das Turbo-Internet, das jetzt doch noch auch in dieses Dorf kommen soll. Am Horizont die Windräder, längst nicht alles sieht hier nach Ölgemälde aus. Eine Gegenwart findet statt, siehe auch Schottergärten, die hier offensichtlich und leider noch nicht verboten sind. Wobei ich diese auf Eiderstedt noch absurder fand, denn da legt man einen Garten auf einem der fruchtbarsten Böden überhaupt an und pflastert den dann komplett zu – es muss einem doch förmlich das Hirn zerspringen dabei, muss es nicht?

Die Trecker der Landwirte sind mittlerweile so groß, es fällt einem kein passendes Adjektiv mehr ein, man kann nur noch diese hilflosen Anglergesten mit beiden Armen machen, dermaßen groß sind die. Mir kam auf der Landstraße etwas entgegen, ich hätte in den Graben springen mögen. Ein unfassbares Monster, also noch viel größer als die neuesten SUVs in Hamburg, und das will etwas heißen.

Sohn II hackt Holz, wie immer, wenn er hier ist, mit einem sehr vorzeigbaren Ergebnis. Sohn I blättert interessiert durch die Langspielplatten des verstorbenen Opas. Ich stehe daneben und sage ab und zu: Die hatte ich. Die auch. Ach, und die da, ja, ja. Und wenn Sie auch nur in etwa mein Alter haben oder schon etwas älter sind, dann hatten Sie die vermutlich ebenfalls. Und dann wissen Sie auch heute noch, wie die aussahen. Pink Floyd, Alan Parsons Project und so etwas. Mike Oldfield. Supertramp. Die Beatles und die Stones. Alle, haha, tausendmal berührt, lebt Klaus Lage eigentlich noch. Ja, ich habe schnell nachgesehen. Queen. America. Der Sohn überlegt, sich die Cover einiger Platten an die Wand zu hängen. Das würde manche, die sie damals entworfen haben, wohl heute noch freuen. Es hat doch Bestand, und einiges ist auch immer noch cool, schon auf den ersten Blick.

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Ich höre weiter den Rutger Bregman, Utopien für Realisten. Die lange Erzählung, wie ausgerechnet Nixon damals fast ein Grundeinkommen eingeführt hätte. Spannend ist das, und auf die richtige Art detailreich.

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Ein leerer Plastikstuhl an einem Feldrand

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So kommt man vorwärts

Ich frage eine KI-Software, was sie über den Nachnamen Buddenbohm weiß. Die KI sagt: „Ich kenne die Bedeutung des Nachnamens Buddenbohm nicht, aber es gibt einen bekannten Kolumnisten namens Maximilian Buddenbohm.“

Jetzt mit KI versöhnt, super Sache, sympathische Programme. Folgen Sie mir gerne für weitere objektive Einschätzungen technischer Neuerungen.

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Organisationsfragen rund um die Beerdigung, die Trauerfeier etc., welche Musik da gespielt werden soll. Was wählt man aus für jemanden, der nahezu alles gehört hat und sich überall auskannte, für einen Musikenthusiasten. Es ist nicht einfach, aber wir haben eine Idee.

Wie lange die Herzdame und ich schon zusammen sind, das können wir auch an solchen Anlässen abzählen, es wird unsere siebte Beerdigung. Nebenbei ein wenig auch schon vorausdenken, die Schwierigkeiten sortieren, ansatzweise planen, wer wann was. Und wie, und wie denn bloß. Nun, es wird sich finden. Erst einmal die nächste Stunde planen, den nächsten Tag, die nächste Woche. Was essen wir morgen, wer fährt zum Einkaufen, wer ist wann an welchem Ort, wie reisen wir hin und her, was wird von wem wie gemacht. So kommt man langsam vorwärts.

Auch die Sonderurlaube in den Firmen checken, immerhin gibt es welche. Solche Regelungen sind wichtiger, als man vielleicht denkt, man ist irgendwann dankbar dafür.

Zwischendurch verblüfft festgestellt, dass man mit Kaffee und Kuchen im Garten sitzen konnte, dass es warm war, dass die Sonne schien. Ein ungewohntes Gefühl, sommerlich fast. Beim meinem ersten Gedanken an das Wort Spaziergang allerdings fing es an zu regnen und hörte dann nicht mehr auf, ich kann es also noch. Kurz darauf Unwetterwarnungen, Wolkenbrüche, Gewitter.

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Und da man immer dennoch alles einfach weitermacht, haben wir gestern noch angespargelt. Es gibt hier zum Spargel stets die Kartoffeln vom Hof nebenan, und es ist mir in all den Jahren, seit ich dieses Dorf kenne, nie gelungen, in Hamburg auch nur ansatzweise so wohlschmeckende Kartoffeln aufzutreiben. Nicht einmal die eigenen aus dem Garten schmecken so gut, so nach idealer Kartoffel, auch nicht die vom Biomarkt oder die aus der Region. Nordostwestfalen ist für mich das Land der perfekten, der einzig richtigen Kartoffel, zu der man auch mal Spargel als Beilage essen kann.

Ein Teller mit Spargel und Kartoffeln.

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Liegende Riesen

Wie ruhig es morgens immer im Heimatdorf ist. Kein Auto fährt vorbei, jeder piepsende Vogel fällt einzeln auf. Schritte auf Treppenstufen, dann wieder nichts, und wie lange nichts. Es ist hier in den Büschen und Bäumen etwas grüner als bei uns in Hamburg, das Laub ist schon üppiger, in jedem Frühjahr fällt uns das auf. Die zwei Stunden Fahrt in den Süden machen schon etwas aus. Die langen Baumschatten auf den Feldern am Morgen, liegende Riesen. Die Katze am Feldrand hat Schichtende, ich dagegen fange gerade erst an, wir nicken uns zu, man grüßt sich in dieser Gegend.

Ich arbeite von hier aus. Das wirkt selbstverständlich, dass das geht, aber es ist gar nicht so viele Jahre her, da wäre das noch ein höchst seltsamer Gedanke gewesen. Es hat sich doch rasend schnell entwickelt und die alte Gedankenwelt, dass Büroarbeit stationär ist, dass man dort hingehen oder hinfahren muss und in vielen Fällen dabei nicht einmal zu spät kommen darf, sie wird der Generation der Söhne nicht mehr ansatzweise zu vermitteln sein. Überhaupt, dass die Firma ein Gebäude ist, eine fixe Adresse. Ich merke aber auch, dass ich bei aller Aufgeschlossenheit wirkliche Mobilität immer noch nicht recht verinnerlicht habe. Ich könnte doch jederzeit auch auf Helgoland arbeiten, hier im Heimatdorf der Herzdame, in Südtirol, auf Eiderstedt oder Gott weiß wo, es wäre kein Ding, aber der Gedanke daran kommt mir immer noch seltsam vor, eher abwegig. Vielleicht muss man erst einmal so etwas wie Workation gründlich gemacht haben, um in dieser modernen Welt wirklich anzukommen.

Die Herzdame hat im letzten Sommer manchmal in der Laube im Garten gearbeitet, wir haben es uns technisch in den Pandemiejahren ermöglicht, das Netz reicht dort. Das werde ich in diesem Jahr vielleicht auch einmal versuchen, wenn die Hitze in der Wohnung wieder zu schlimm werden sollte. Aber selbst das kommt mir schon abenteuerlich vor. Die anderen, die altmodischen Jahrzehnte haben mich deutlich geprägt.

Aber gut, dass gilt alles ohnehin nicht für alle Berufe und es gibt natürlich mehr auf der Welt als nur Büros und Schreibtische und mobiles Arbeiten. Andere gehen jeden Tag in Läden, Werkstätten, Schulen etc., ich weiß.

Ich finde jedenfalls noch am Abend unserer Ankunft in Nordostwestfalen das WLAN-Passwort, das mein Firmencomputer noch nicht kennt, ich habe ihn hier bisher nie dabeigehabt. Das war so eine der banalen Fragen gestern, ob ich das denn wohl rechtzeitig finden würde, denn er hat das WLAN eingerichtet und er ist nicht mehr da. Aber es geht alles und es ist, wenn ich das noch in all meiner Spießigkeit feststellen darf, weil ich mich gerade erheblich darin bestätigt fühle, ganz hervorragend, wenn Sachen sortiert und ordentlich aufgeräumt vorliegen.

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Am frühen Abend Sohn I vom Bahnhof abgeholt. Der ist so groß, der Sohn, der reist jetzt alleine, und die Herzdame und ich wundern uns nur leise und sind seltsam stolz.

Blick auf ein verregntes Gleis des Bahhnhofs in Minden. Ein unspektakulärer Anblick.

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Ich würde das Deutschlandticket auch hier auf dem Dorf nutzen, aber es fahren nur zwei, drei Busse am Tag. Dann lieber doch nicht. Ich bin heute, denn ich zähle natürlich mit, bei achtzehn Euro, die ich jetzt im Mai zu alten Preisen für meine Fahrten im ÖPNV ausgegeben hätte. Ich bin sicher, mein Ticket wird sich in diesem Monat lohnen. Ich werde es herstellen, dass es sich lohnt.

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Zeichen, die ich nicht mehr verstehe

Am Mittwoch war ich nach der Arbeit am Grindel, weil meine neue Brille bei der besten Optikerin (ganz und gar keine bezahlte Werbung) fertig war. Wir versorgen dort seit Jahrzehnten die Familie und auch etliche Freunde, es hat sich sehr bewährt, hervorragende Beratung. Während ich die neue Brille super finde, sieht niemand sonst irgendeinen Unterschied oder eine Neuerung, abgesehen vom offensichtlich spezialbegabten Sohn II, dem ich dies hoch anrechne, aber auch er sagte recht trocken: „Bleibt im Style.“ Immerhin habe ich also einen, denke ich mir, denn ich habe im Laufe der Jahre gründlich gelernt, viele Sätze positiv zu deuten.

Den allerdings immensen Preis der erneuerten Gleitsichtbrille ohne jede Kassenzuzahlung noch mühsam veratmend, bin ich dann zu Fuß nach Hause getaumelt und habe rund um die Uni kein großartiges Fotomotiv gefunden, weder durch den Nah- noch durch den Fernbereich der optimierten Gläser. Das Haus, in dem ich einmal gewohnt habe, war eingerüstet und taugte auch nicht als Bild. Es musste daher doch wieder die Alster herhalten, an der ich vorbeikam. Sie ist als Motiv brav und verlässlich, da gibt es nichts. Der sommerliche Eindruck täuscht allerdings erheblich, bescheidene 11 Grad waren es.

Blick über die Außenalster auf St. Georg, im Vordergrund Segelboote

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Am Schaufenster eines Bäckers ein Aufkleber, dass sie dort keine Insekten verarbeiten, ein durchgestrichenes Kerbtier in Signalfarben. Ich kann es nicht einschätzen, soll das eine sachliche Information sein, ist es eine Bäckerprotestbewegung gegen neue Lebensmittel, ist es ein Boomerprotest gegen alles, was neu ist, ist es womöglich sogar rechtslastig und gegen die vermeintliche Weltinsektenverschwörung gerichtet – ich habe keinen Schimmer. Zeichen, die ich nicht mehr verstehe, so wird also man abgehängt. Aber es macht vielleicht auch nichts.

Apropos Zeichen – das Internet ist voller Star-Wars-Memes und Bildchen, es liegt am Datum. Und obwohl ich keinen dieser Filme je gesehen habe und mich auch nicht einmal ansatzweise dafür interessiere, kenne ich doch nahezu alle Figuren und kann das meiste grob zuordnen. Ich finde das faszinierend, wie tief so etwas ins Allgemeinwissen geradezu drängen kann. Ähnlich bei Harry Potter, aber da verstehe ich deutlich weniger und kenne längst nicht alle Figuren.

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Am Donnerstagmorgen ohne Winterjacke zur Arbeit, man muss die Feste feiern, wie sie fallen, besonders im Jahr 2023.

Schlechte Nachrichten gibt es, danach komplizierte Nachrichten, an mehreren Fronten gleichzeitig. Auch viel Arbeit nach sich ziehende Nachrichten im weiteren Verlauf und schließlich noch Nachrichten, die erheblich Sorgen machen, sie strukturierten zusammen den Tag und bestimmen sein Ende, das jetzt thematisch einen Bruch darstellt. Aber das Obige stand hier eben schon fertig im Entwurf, so geht es manchmal zu in tagebuchartigen Veröffentlichungen,.

Wir fahren überstürzt ins Heimatdorf der Herzdame. Viele Jahre lang haben wir solche Ausflüge den Söhnen als „Wir fahren zu Oma und Opa“ angekündigt, nun fahren wir nur noch zu Oma. Ich werde über den Opa, über den Vater der Herzdame, der uns heute verlassen hat, sicher noch einen separaten Text schreiben, aber es wird vielleicht etwas dauern.

Ich sitze an seinem Schreibtisch, es fühlt sich mehr als seltsam an. Hinter mir steht seine Musiksammlung im Regal, ich greife einmal wahllos hinein, mitten in die Langspielplatten, ich nehme einen ganzen Packen heraus: Es ist das Gesamtwerk von Procol Harum. Die Sammlung eines Kenners steht da, in Rock- und Popgeschichte war er wesentlich fitter als.

Ich tippe blind auf eine Platte und einen Song, es wird dieser hier, und es wird schon passen:

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Weil das so ist

Am Dienstagabend bin ich noch in die Hafencity gefahren, nur weil ich es konnte. Schon cool, so ein Monatsticket. Und guck an, schon wieder stehen da neue Häuser herum, also neue Würfel oder eher Riesenquader. Kaum sieht man einmal ein paar Monate nicht nach, sind doch tatsächlich wieder welche nachgewachsen.

Unbesuchte Außengastro, leere Fußwege und geschlossene Eiscafés, es war zu kalt.

Die Bratwurst- und Bierbuden für den Hafengeburtstag wurden Richtung Landungsbrücken gerade aufgebaut, man wird die Gegend am Wochenende also unbedingt meiden müssen. Die Besuchermassen sind schon im Anmarsch, zumindest fühlte es sich dort so an.

Es belebt den abendlichen Spaziergang jedenfalls deutlich, wenn man ein öffentliches Verkehrsmittel vorschaltet und dann durch etwas läuft, was nicht das übliche, sattsam bekannte Revier ist. Ich denke, das mache ich jetzt öfter, vielleicht auch durch mir eher unbekannte Stadtteile, wovon es immerhin etliche gibt. Ich lege hier dann nach Möglichkeit Bildbeweise vor.

Neubauten in der Hafencity, im Hintergrund Baukräne

Seitlicher Blick auf den unteren Teil der Elbphilharmonie, im Vordergrund ein Schiff namens "Victoria"

Mit der Herzdame abends lange und einvernehmlich über recht unerfreuliche Themen geredet. Mit der Erkenntnis geendet, dass unerfreuliche Themen eher unerfreulich sind. Es gibt Gespräche, die kann man noch so geistreich und tiefgründig führen, sie enden doch in aller Plattheit und letztlich mit „Weil das so ist“, es ist ein wenig wie bei den Fragen von Dreijährigen. Aber gut, man hat geredet, man hat etwas Gemeinsames, und es gibt eben kein Grundrecht auf erfreuliche Perspektiven für alles im Leben. Andere Paare reden schon lange nicht mehr, denke ich mir, andere kommen nicht einmal mehr auf gemeinsame Sichtweisen, bei egal welchen Themen, schon gar nicht bei schwierigen. Immer überall die Vorteile suchen, es bleibt doch wichtig.

Abends im Bett noch etwas weiter im Keyserling, Abendliche Häuser. Im Roman ist es tiefer Winter, man macht Schlittenfahrten durch verschneite Wälder, ich werde die Kälte wohl generell nicht los in diesem Jahr. Nicht einmal in den Büchern auf dem Nachttisch.

Und mit jedem Tag steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Kälte eines Morgens vollkommen umstandslos in die Sommerhitze kippt, es wird mir dann auch nicht gefallen. Es ist ein merkwürdiges Jahr.

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Am Mittwoch lange und sehr schlecht gelaunt Dinge erledigt. Hat den Dingen nichts ausgemacht. Dinge manchmal doch besser als Menschen.

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Ansonsten Tom Kah Gai nach Frau Fuchs gekocht und unter uns Erwachsenen gut gefunden. Die noch nicht so erwachsenen Haushaltsmitglieder fanden Pizza und Lasagne im Tiefkühlfach. Auch gut.

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Grau, kalt, werktäglich unerfreulich

Am Feiertagabend bin ich dann doch noch eine Station mit der U-Bahn gefahren, nur aus Prinzip, nur weil es ging. Django zahlt heute nicht, die Älteren erinnern sich vielleicht noch an den Witz aus der Kindheit und ja, er war damals schon schlecht, aber es macht jedenfalls Spaß, nicht zu zahlen. Egal, man muss das Deutschlandticket auch abfahren, nicht wahr, so hätte es meine Großmutter vielleicht ausgedrückt, es muss sich verlohnen.

Im Garten war es am Montag etwa fünf Stunden lang richtig schön, warm und frühlingshaft, mehr waren das nicht, dann fielen die Temperaturen schon wieder, aber immerhin. Man erhält wenig in diesem Jahr, man freut sich dafür mehr über Momente. Kurz auf der Hollywoodschaukel gesessen und den Vögeln zugesehen, das ist nicht nichts.

In der langen Schlange am Eiswagen, der irgendwann durch den Nachmittag in der Gartenanlage klingelte, sprachen die Nachbarn schon mutig über das baldige Baden in der Bille, ich dagegen weiß nicht einmal, ob die Giftwarnung nach dem Großbrand um die Ecke neulich schon wieder aufgehoben wurde. Boote fahren nach wie vor nicht auf dem Fluss, soweit ich es gesehen habe. Ein Mann stand da barfuß für ein Eis an, das beschäftigte ein kleines Mädchen sehr. Es gibt also Erwachsene, die ohne Schuhe herumlaufen, man sah, wie es in ihr arbeitete, das musste sie erst verdauen. So klein war sie nämlich noch. Ihre großen Augen und der Mann, der dann lachend für sie mit den Zehen wackelte, was sie noch mehr staunen und denken ließ. Die Merkwürdigkeiten dieser Welt, das große Rätsel der anderen und der Umstände. Zeit heilt alle Wunder, wie Frau Holofernes schrieb.

Vier Kugeln Eis für die Herzdame und mich, wir zahlten mit einem Zehner und bekamen erstaunlich wenig Geld zurück.

Der Dienstag dann grau, kalt, werktäglich unerfreulich. Ich fuhr mit der S-Bahn zur Arbeit, sie war viel voller als sonst. Lag es am neuen Ticket, lag es daran, dass ich zehn Minuten später als sonst war, ich weiß es nicht. Menschen dicht an dicht jedenfalls, alle betont lustlos aussehend, unwillig, müde, verstimmt. Man mochte lieber nicht.

Dinge erledigt. Viele.

Im Laufe des Tages hörte ich mehrere Gespräche über die Vier-Tage-Woche, passend zu einigen Meldungen in den Medien. Daran könnte man sich glatt gewöhnen, an jeweils drei Tage Wochenende, so könnte es immer sein, meinte man, das wäre doch besser, das könnte doch zumindest besser sein? Ob die Söhne das wohl einmal als Normalfall erleben werden, man kann es schwer vorhersagen, aber es ist scheint mir mittlerweile in etlichen Berufen nicht mehr unvorstellbar zu sein.

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In den Bildern heute ein Fortsetzungsgraffiti im Park, das ist einmal etwas Neues, das habe ich so noch nicht gesehen. Es funktioniert nur stadteinwärts, es ist also ein richtungsgebundener, linksgerichteter Graffitischerz in zwei Teilen. Guck an.

Eine Parkbank mit der Aufschrift "This bench kills fascists"

 

Eine Parkbank mit der Aufschrift "In fact every bench kills fascists if thrown correctly"

 

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Im Garten der Gegenwart

Ich kann die Nacht in der Laube selbstverständlich auch zum Anlass nehmen, noch dankbarer für unsere Wohnung zu sein, für das Dach über dem Kopf dort, für die zuverlässige Heizung, für fließend warmes Wasser, für einen Föhn und einen vollen Kühlschrank und einen Herd, auch für den Bäcker um die Ecke, es ist immerhin alles nicht selbstverständlich und direkt vor unserer Tür übernachten schon die Menschen, denen es anders geht, schlechter geht, so viel schlechter. Das mit der Tür ist kein Sprachbild, das ist tatsächlich so, da liegen die Menschen, die das alles nicht haben und jeden Tag bei immer noch gnadenlosen Außentemperaturen aufwachen und sich erst einmal aus einem durchnässten Schlafsack pellen.

Muss man auch sehen, schon klar. Uns geht’s ja noch gold, mit Kempowski durch das Jahr.

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Ich lese Keyserling, Abendliche Häuser, ein Roman, in dem die weibliche Hauptperson den seltsamen Namen Fastrade trägt, altfränkischer Herkunft ist der wohl. Ein seltsamer Klang, Fastrade. Es gab eine historisch bekannte Fastrade, die kann man googeln, sie war verwandt mit einer Theodrade, das mutet fast noch seltsamer an. Wie spricht man solche Namen liebend aus?

Die abendlichen Häuser haben einen Wikipedia-Eintrag, in dem eine Angehörige der älteren Generation zitiert wird: „Wir haben nichts anderes zu tun, als zu sitzen und zu warten, bis eines nach dem anderen abbröckelt.“ Falls Sie Keyserling nie gelesen haben, was einerseits ein Fehler wäre, andererseits aber vollkommen verständlich, denn man kann ja nicht alles lesen, es geht in seinem Werk ausschließlich um dieses Abbröckeln, er stellt es großmeisterlich dar und je älter man selbst wird, desto mehr versteht man, was da eigentlich passiert. Keyserling ist einer von denen, die man, aber das ist nur meine unverbindliche Meinung, wiederholt lesen kann, mit immer mehr Gewinn, denn wir verlieren alle das Land unserer Kindheit, unserer Vorfahren, unserer Kultur, in jeder Generation verlieren wir es, immer wieder.

Das Buch "Abendliche Häuser" von Keyserling. Auf dem Cover das Gemälde einer lesenden Frau in einem Korbstuhl

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Im Garten der Gegenwart blühen das einjährige Silberblatt, die Schlehe, das Vergissmeinnicht (in den Farben der Ukraine), die griechischen Blaukissen, das Immergrün, die purpurroten Taubnesseln, die in diesem Jahr die ganze Insel dominieren möchten, der Löwenzahn, die Gänseblümchen, der Schatten-Steinbrech, den ich gerade erst nachsehen musste, der Beinwell, die Blutjohannisbeere, die Bergenien, der Moos-Phlox, der Flieder, die Akelei, die Äpfel, die Birnen, die Kirschen. Falls Sie das mit Blüten bei sich vergleichen, unser Garten ist kälter als andere, ist eine deutlich runtergeregelte Windeinfallschneise, wir liegen also im Frühjahr und Sommer immer etwas zurück, sogar hinter den besser geschützten Nachbargärten ein paar Meter weiter, es ist faszinierend. Und meist nicht gerade erfreulich, außer bei 40 Grad.

Blühende Vergissmeinnicht in unserem Schrebergarten

Kartoffeln gepflanzt, ich bin spät dran in diesem Jahr.

Es flatterte am Feiertagsmaimorgen der erste Aurorafalter vorbei, und direkt vor dem Laubenfenster saß die Elster auf einem Brett, ganz lange saß sie da, und was für ein außerordentlich schöner Vogel das ist, wie elegant angezogen, wie geschmackvoll proportioniert, man müsste Vögel viel öfter in Ruhe so ansehen können. Das Rotkehlchen dagegen, das nach der Elster diesen Posten übernahm, sah zum Fenster herein zu mir und wirkte, weil es um den Schnabel herum immer so aussieht, als hätte es betont herabgezogene Mundwinkel, Schnabelwinkel, als wenn es die ganze Zeit angewidert gedacht hätte: „Igitt, ein Mensch. Wi-der-lich.“ Und das würde man auch verstehen können, so ist es nicht.

Von den Sträuchern, die wir gepflanzt haben, sind die Blutjohannisbeeren übrigens die, welche am schnellsten und üppigsten zugelegt haben. Wenn Sie also zügig etwas zuwachsen lassen wollen, nehmen Sie die, sie sehen immerhin auch noch gut aus dabei. Für Insekten haben die Blüten nicht das allerreichste Buffet, aber doch deutlich mehr als nichts, also schon einmal mehr als Forsythien, wenn das ein Maßstab ist.

Die tote Maus, dies noch schnell als letztes Update, wurde schon von der Nachtschicht der Gartentiere komplett beseitigt. Genaueres erfährt man nicht, das kleine Volk ist verschwiegen.

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Angestaubt und leicht verbeult

Eine Erwärmung ist, wenn ich den Wetterberichten glaube, vom heutigen Tag abgesehen erst Mitte Mai zu erwarten, jeden Tag rückt die Möglichkeit der zuverlässigen 20-Grad-Zone einen Tag weiter von einem weg, schon morgen wird es sicher wieder so sein. 16 Grad immerhin kommen in der 7-Tage-Vorausschau der einen App einmal vor, da muss man sich dann schon freuen, so warm war es bisher selten in diesem Jahr. An dem Tag schnell mal stoßlüften!

Da aber ein gewisser Sohn, der das Frieren nicht kennt, sehr drängte, habe ich trotz vollkommen unzureichender Wetterbedingungen mit ihm in der Laube übernachtet. Drei Grad am Morgen. Das ist etwas sportlich für meinen Geschmack, die Laube hat keine Heizung, ich sitze also noch klappernd und zitternd am Tisch, umklammere den Kaffeebecher und versuche, mich warmzuschreiben, während er noch selig und nur gerade halb unter einer Decke zufrieden weiterschläft. Es ist ein Privileg der Jugend, weniger zu frieren, und ich glaube, ich war damals auch so.

Draußen im Garten immerhin Morgensonne auf Blüten, draußen ein unglaublich lautes Vogelkonzert, bei dem das in der Stadtmitte einfach nicht mithalten kann. Jetzt schon 5 Grad, es geht voran.

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In einem Tiktok-Beitrag der Nord-Ostseezeitung wird auf die zehn Stauden hingewiesen, die mit Dürre am besten umgehen können und dabei noch insektenfreundlich sind, für die kommenden Sommer ohne Regen. Falls Sie da auch Bedarf haben: Fetthenne, Balkan-Storchschnabel, Steppensalbei, Lavendel, Knollenbrandkraut (kenne ich gar nicht), Katzenminze, Frauenmantel, Bergenien, Taglilien, Manntreu.

Ich habe es sicher schon einmal geschrieben, aber es ist für mich nicht ohne eine gewisse Komik, dass in Gartensendungen, Gartenzeitschriften, Gartenbüchern etc. der Klimawandel und seine Folgen mit großer Selbstverständlichkeit mittlerweile routiniert behandelt werden, obwohl ein guter Teil des Zielpublikums eher stockkonservativ sein wird. In diesem Teilbereich der Wirklichkeit zumindest nehmen sie den Klimawandel ernst und als gegeben hin, reagieren auch darauf.

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Tag 1 des Deutschlandtickets. Ich bin fest entschlossen, es großartig zu finden, und ich könnte heute etwa mit der U-Bahn vom Garten nach Hause fahren, einfach so, weil ich jetzt ja überall einsteigen kann – aber diese Bahn fährt heute nicht, Baustelle. Ich hoffe, es ist keine weitreichende Symbolik.

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Das neulich erwähnte Buch „New York Interiors“ einmal durchgeblättert. Das Buch ist von 2007 und zeigt die Wohnungen der damals Reichen und Schönen. Einige von denen werden es heute vielleicht nicht mehr sein, man müsste einmal nachsehen. Eine Wohnung fällt dabei aus dem Rahmen, weil sie auf den ersten Blick so grotesk geschmacklos eingerichtet ist, in einer solchen wahnhaften Übertreibung des grässlich protzigen Golddekors, dass man es spontan für sinnlos überzogene Satire halten möchte, es kann einfach nicht ernst gemeint sein. Das ist die Wohnung von Trump. Wirklich entsetzlich.

Ich stelle ansonsten beim Blättern fest, dass ich mich am ehesten in dem wohlfühlen könnte, was etwa wie 19. Jahrhundert wirkt, aber nicht in der opulenten, viktorianisch oder gründerzeitlich überladenen Variante der damaligen Oberschicht, eher in der etwas heruntergerockt wirkenden Atelier-Ausprägung der Bohème, was dann nach angestaubten, leicht verbeulten Designstücken vom Sperrmüll aussieht. Doch, darin könnte ich gut leben, glaube ich, vermutlich weil ich selbst angestaubt und leicht verbeult bin. Wie innen, so außen, heißt es in der Esoterik, die dann zumindest in diesem Punkt auch einmal Recht haben darf.

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Es wird schon werden

Im Discounter wurde passend zum langen Wochenende und zum Mai die Kühltheke umorganisiert, es gibt wieder massenhaft mariniertes Grillfleisch. Ich weiß also, wonach es am Wochenende im Garten von überall her riechen wird, und schön ist das nicht. Wobei immerhin die vegetarischen oder veganen Alternativen deutlich zunehmen, das ist auch nicht zu übersehen. Es muss doch eine wachsende Nachfrage nach so etwas da sein.

Wir fahren am Sonnabend in den Garten und häckseln. Wir haben da in eine Maschine investiert, da bei uns große Mengen an Reisig, Bruchholz etc. anfallen, allein die Weide wirft kiloweise davon bei jedem Stürmchen ab. Ab einer gewissen Windstärke sollte man auf keinen Fall unter ihr stehen, sie verliert auch Äste mit erheblichem Verletzungspotenzial.

Wir verbringen also eine Weile vor dem neuen Gerät und stopfen Zweige und Äste und Zeug in den Häcksler. Man kann es nicht beschleunigen, es dauert. Die Weile zieht sich. Ich höre dabei Rutger Bregman: „Utopien für Realisten, die Zeit ist reif für die 15-Stunden-Woche, offene Grenzen und das bedingungslose Grundeinkommen“, Deutsch von Stefan Gebauer. Hier der Verlagslink, hier eine Rezension dazu. Ich hätte es vielleicht viel eher hören sollen, immerhin unterstützt es meine Wahrnehmung, dass unsere Gesellschaft einen eklatanten Mangel an Visionen hat, der womöglich in diesem Ausmaß sogar eine historische Premiere ist. Das denken also auch andere und Klügere, immer gut, so etwas festzustellen. Das Buch ist einige Jahre vor der Pandemie erschienen, und man liest oder hört die Eingangskapitel daher mit deutlicher Bitternis, denn er spricht da z.B. von den Fortschritten in der Medizin und bezieht sich etwa aufs zunehmende Impfen, er erwähnt die steigende Lebenserwartung überall, das weltweite Zurückdrängen der Kriege, und wir wissen, es kam dann kurz darauf anders, ganz anders. Das Dystopische erstarkte in den letzten drei Jahren recht eindeutig, und das Utopische erfuhr keine Neuerung, jedenfalls soweit ich es mitbekommen habe.

Na, da mal weiter drüber nachdenken, was daraus wohl konstruktiv abzuleiten ist. Interessant ist das Buch allemal und es wird noch ein paar Stunden gehen. Wobei am Sonntag und am Feiertag selbstverständlich nicht gehäckselt werden darf, denn die Ruhezeiten, sie sind sehr wichtig.

Jetzt häckselt die Herzdame alleine weiter, ich sitze währenddessen in der Laube und schreibe. Das erste Mal in diesem Jahr schreibe ich an diesem Tisch, auf dem zwei betont altmodische Tischdecken übereinander liegen. Erbstücke aus dem Heimatdorf der Herzdame sind das, Urgroßmuttertischdecken, sehr heimelig sind die. Die Holzhütte ist gut aufgewärmt, ein bisschen Sonne am Nachmittag hat doch gereicht, wir haben eine angenehme Betriebstemperatur im Raum. Immerhin, denke ich, immerhin. Löslicher Kaffee und Discounterschokolade, für manches reicht auch Campingniveau. Draußen zaust der Wind wild die Büsche. Wenn man nur so auf dem Rasen stehen oder sitzen würde, ohne Arbeit und Betätigung, es wäre zu kalt, immer noch wäre es zu kalt.

An den Stachelbeeren aber wachsen die Früchte, ich habe es vorhin gesehen. Die ersten Wegweiser zum Sommer, schon hin zur Erntesaison. Die Radieschen sind bald weit genug für die ersten Bissen, die Karotten jedoch fangen gerade erst filigran und zurückhaltend mit den ersten Blättchen an. Kirschen, Reineclauden, Birnen und Äpfel stehen in voller Blüte, eine weißrote Pracht, die in diesem Jahr mangels Gelegenheit und Wetter nicht genug gewürdigt wird.

Im Staudenbereich bereitet der Beinwell die Blüten vor, die Pfingstrose drängt mit Kraft und rötlichen Trieben nach oben und einiges, was ich noch gar nicht ausreichend erkennen kann, fängt mit grünen Blattkränzen knapp über dem Boden an, schießt dann sicher in Kürze und wird Rittersporn, Stockrose oder was auch immer. Es wird schon werden.

Ich tippe und sehe zwischendurch aus dem Laubenfenster, der böige Wind treibt abgerissene Magnolienblütenblätter vorbei, purpurfarbene Fetzen in furiosem Flug, ein aufleuchtender Farbwirbel.

Hinten der Laube, vor dem Schuppen liegt eine sterbende Maus, die gerade ihre letzten Atemzüge tut, als ich vorbeigehe. Ich bücke mich, das Herzchen des Tieres rast noch, man sieht es unter dem Fell pumpen. Dann schließt die Maus ihre schwarzen Knopfaugen für immer und hält, aber das wird Zufall sein, die Pfoten vor dem Bauch übereinandergelegt wie zum Gebet. Ich bette sie in die Hecke, sie ist, nein, sie war außerordentlich niedlich, ein zauberhaftes Geschöpf mit einem gefälligen Goldstich im bräunlichen Fell. Ameisen, Asseln und andere werden sich nun gut um sie kümmern. Es wird nicht lange dauern, dann bleibt keine Spur mehr von ihr.

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