Drogen und Vorräte

Ich habe gelesen, dass man die Knollen der Dahlie essen kann, dass man das wohl früher auch öfter getan hat, ja, es gab sogar Überlegungen, sie kartoffelähnlich deutschlandweit anzubauen. Überraschend, nicht wahr? Geschmacklich sollen sie zwischen Spargel und Schwarzwurzel liegen. Wobei die Knollen der Dahlie tatsächlich irgendwie essbar und gemüseartig aussehen, da gibt es nichts, ich habe gerade noch einmal nachgesehen, meine Dahlie steht hier gleich neben mir. Aber immer interessant, was man alles nicht weiß. Im letzten Jahr hat es mich ähnlich überrascht, dass Menschen Hortensienblüten aus Gärten stehlen, um sie zu rauchen, denn das ist angeblich besser als gar kein Rausch (don’t try this at home, es ist wohl nicht ganz ungefährlich).

Man geht an Gärten vorbei und denkt sich: wie nett, so hübsche Blümchen in den Beeten – aber nach etwas Lektüre und Weiterbildung sieht man überall nur noch Drogen und Vorräte. Schlimm.

Gelesen habe ich das mit den Dahlien übrigens in diesem Buch, das auch sonst interessant ist und dazu noch ein paar Rezepte für die Gemüseküche mitliefert, die ich mir sofort notiert habe. Kann ich also empfehlen:

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Ich war gestern beim Stadtteilbeirat, das ist eine lokalpolitischen Spezialität in Hamburg. Da wurde nämlich ein Bauvorhaben vorgestellt, das hier ein paar Meter neben uns geplant ist, damit werden wir noch einiges zu tun haben, erst Abriss mehrerer Häuser, dann Neubau in beträchtlicher Höhe, der auch uns Licht kosten wird. Da standen also der Architekt, der Bauherr, der Bauvorhabende oder wie immer seltsam sie sich neuerdings bezeichnen, der Investor. Bzw. ein Vertreter des Investors, des Architekten, des Bauherren, eh klar. Im Publikum waren Interessierte aus dem Stadtteil, darunter Vertreter einiger Parteien, Nachbarn, Leute vom Mieterverein usw. Da werden sehr heruntergekommene Häuser abgerissen, in denen billige Wohnungen waren, es werden Wohnungen neu gebaut, die selbstverständlich keineswegs billig sein werden, wie das heute so ist, alles nur kleine 2- bis 3-Zimmer-Wohnungen, Familien sind als Kunden sowieso uninteressant. Fragen zur künftigen Miethöhe wurden tatsächlich mit Grinsen und Schweigen beantwortet. Jemand fragte nach sozialem Wohnungsbau und die Gesichter der drei Herren hätte man filmen müssen, großes Kino. Erstaunte Blicke, dann Befremden, das in eher verkniffene Heiterkeit überging, denn richtig lachen durften sie ja erst hinterher draußen, beim Bier nach dem Sozialpolitklimbim, so viel Benehmen musste schon sein. Keiner im Saal hatte eine andere Reaktion erwartet, das war auch klar, aber eigentlich kann man darüber noch einmal kurz nachdenken, dass die bloße Frage nach sozialem Wohnungsbau, nach günstigen Wohnungen, hier nur noch als Scherz durchgeht, als Politkabarett von links, als Mahnung der Sozialromantiker, dass es so etwas einmal ganz selbstverständlich gab.

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Scared is scared of all the things you like. Nicht irgendein Filmprojekt.

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Von einem Sohn gehört, dass sie in der Grundschulklasse ein Ritual haben, das sie “warme Dusche” nennen. Da wird ein Kind ausgelost und alle anderen sagen, was sie gut an ihm finden, eine Prozedur, die sie in der Klasse alle sehr mögen. Auf diese Art erfährt also jemand, dass er nett ist, lustig ist, ein toller bester Freund ist, sehr gut malen kann, gut im Tor ist, hilfsbereit ist und dergleichen mehr, da freuen sich die Ausgelosten dann hinterher noch tagelang wie Bolle über all die guten Botschaften. Natürlich gibt es auch bei den Kindern welche, die sich gegenseitig schwer unsympathisch finden, aber da werden dann Lösungen gefunden. Sie haben eine Weile drüber gegrübelt und sich etwas ausgedacht, was man in solchen Fällen sagen kann, mit einem wirklich faszinierenden Ergebnis. Das endet dann nämlich in Sätzen wie “Du hast einen schönen Ranzen.” Guck an, was Kinder heute so lernen. Stark.

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Im Wetterbericht steht – also wenn man weit genug nach unten scrollt jedenfalls – wieder etwas von steigenden Temperaturen und Regen. Guter alter Regen! Da wird einem als Hamburger sofort ganz warm ums Herz. Regen ist hier ein wichtiges Stück Heimat, für uns müsste es folgerichtig ein Regenministerium geben, da würde niemand spöttisch und herablassend nach dem Sinn fragen. Oder zumindest viel seltener und leiser als bei einem “Heimatministerium”. Ja, manchmal müssen so in die Luft gemalte Gänsefüßchen schon sein.

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Sven mit naheliegenden Gedanken zu den Fahrverboten in Hamburg, die mich zugegebenermaßen auch etwas verwirren. Kiki denkt da ebenfalls drüber nach, hat aber zusätzlich ein Chili-Rezept anzubieten, das man nachkochen kann. Immer auf den Mehrwert achten!

Und dann noch das Neusprech-Blog zum schönen Wort “Fähigkeitslücke”.

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In Kürze übrigens wird es abends wieder lieblichen Amselgesang geben, akustischer Schmelz über Dächern im warmen Abendrot, auch wenn man es sich gerade noch überhaupt nicht vorstellen kann. In ein paar Wochen nur! Und welches Lied fällt uns bei Amselgesang ein? Genau.

 

16 Kommentare

  1. Hier gibts die Warme Dusche tatsächlich auch. 🙂 „Mir fällt es gerade schwer, etwas nettes zu sagen, weil du momentan echt viel ärgerst.“ ist wohl aber auch mal ok.

  2. Tja, das ist wohl überall so… bezahlbarer Wohnraum ist nicht mehr chic. Ich frage mich, wo das noch hinführen wird. Alles nur noch auf Gewinnmaximierung ausgelegt. Meine erste Wohnung war ohne großen Luxus, aber bezahlbar und mir hat das gereicht!
    Dann fragt man sich, warum immer mehr Menschen auf der Straße leben.
    Viele Grüße von
    Margit

  3. Hier in der nachbarschaftlichen kleinen Stadt an der Elbe hat sich die Amsel vor 2 Wochen schon mal zaghaft zu Wort gemeldet. Der Specht ruft schon seit Anfang Februrar durch sein Tackern nach weiblicher Begleitung und die Blaumeise verteidigt schon seit 3 Wochen vehement den Nistkasten an unserer Terrasse. Da kam doch dieser kräftige Wintereinbruch für mich total überraschend weil ich dachte, wir wären über den Berg.

  4. Das Hamburger Regenministerium hat einen Schirmherrn, und das Bilderbuch dazu schreibt sich ja fast von selbst …

  5. Ich hab mir gedacht, man nimmt die Strassen mit den Messstellen um feststellen zu können, ob das Fahrverbot einen messbaren Einfluss auf die Luftqualität im Vergleich zu vorher hat… Dann hat man eine Entscheidungsgrundlage für das weitere Vorgehen.

    Vielleicht bin ich etwas gutgläubig.

  6. @Nicole: Eine Evaluation von politischen Entscheidungen! Das wäre mal was. Ich frage mich öfter, warum das eigentlich nicht Standard ist.

  7. Maximilian, ich kenne mich mit Lokalpolitik nicht die Bohne aus. Welche Funktion haben Stadtteilbeiräte? Sind die ein Pseudo-Partizipations-Feigenblatt, mit dem die Betroffenen pro forma über längst Beschlossenes informiert werden? Oder haben die Betroffenen noch die Chance, sich gegen kollektiv nicht Gewolltes zu wehren?

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