Ein Text von Maret Buddenbohm, auch bekannt als die Herzdame, die Gott sei Dank den ganzen Tag unterwegs war.
Für alle, die das Experiment noch einmal von Anfang an lesen möchten bitte hier entlang.
Es ist Montag, 6:30 Uhr und ich empfehle den Kindern aufzustehen. Sohn 1 springt sofort aus dem Bett, rennt zum iPad und muss dringend „anfordern“. Ich verstehe bis heute nicht so richtig, was das eigentlich ist. Es gibt eine ganze Reihe Spiele, bei denen man Belohnungen bekommt, nur weil man einmal kurz online war. Und von den Belohnungen scheint dann das ganze Leben abzuhängen, so klingt es jedenfalls immer, wenn wir die Kinder bitten, das iPad wegzulegen. Aber heute Morgen spielen diese Bitten keine Rolle.
Um 7 Uhr weise ich Sohn 2 noch mal darauf hin, dass es jetzt 7 Uhr ist. Lust aufzustehen hat er keine und Lust auf Schule noch viel weniger. Irgendwann kommt er doch aus dem Bett und gesellt sich direkt zu seinem Bruder.
Ich spiele in regelmäßigen Abständen Zeitansage, sage aber sonst nix. Innerlich bin ich mittlerweile echt genervt, weil ich pünktlich zur Arbeit muss. Gerade rechtzeitig bekommt Sohn 1 die Kurve, um noch pünktlich seinen Kumpel zur Schule abzuholen. Mit geputzten Zähnen, aber ungekämmten Haaren.
Eigentlich finde ich auch, er könnte mal wieder duschen und Haare waschen, vielleicht sogar heute Abend. Diese Empfehlung gebe ich noch schnell mit auf den Weg.
Sohn 2 hat während dessen auf der Suche nach seinen Handschuhen seinen halben Kleiderschrank rausgerissen und auf seinem Nachtlager auf dem Fußboden verteilt, in dem er seit Wochen schläft, weil er sein Hochbett nicht mag. Unter dem ganzen Wust sehe ich auch Möhrenreste und eine halbe Gurke durchschimmern. Ich bin unsicher, was ich machen soll, bleibe dann aber ruhig und spreche eine freundliche Empfehlung aus. Jetzt bloß nicht ausrasten! Ich freue mich aufs Büro.
Montags habe ich immer einen langen Arbeitstag und bin erst um kurz vor 19 Uhr zu Hause. Ich möchte mir von ihrem Tag berichten lassen, aber die Söhne kleben schon wieder oder immer noch am iPad. Ich bin so froh, dass ich das heute nicht die ganze Zeit miterleben musste.
Sohn 1 hatte spontan Besuch zum Zocken bekommen. Es scheint sich rumgesprochen zu haben, dass es bei Buddenbohms kein Limit mehr gibt. Was Sohn 2 gemacht hat, erfahre ich nicht. Der Gatte weiß es auch nicht, der war froh, dass er ungestört arbeiten konnte. Er hat den Kindern aber zwischendurch den Spaß verdorben, und festgestellt, dass unbegrenzte Medienzeit nicht für Besuchskinder gilt. Denn er kann ja nicht wissen, was deren Eltern davon halten und ob er da irgendwie die Preise verdirbt.
Die Kinder wollen noch was von mir und räumen freiwillig die Spülmaschine aus. Ich muss irgendwie an die Pawlowschen Hunde denken, die jetzt ihre Belohnung erwarten.
Sohn 1 fällt dann noch ein, dass er lernen wollte. Und Sohn 2 möchte in seinem „Lesepass“ von der Schule weiterkommen und mir vorlesen. Eigentlich ist es dafür schon zu spät, aber wenn sie selbst dran denken, kann man doch nicht nein sagen. Oder?
Am Ende ist es schon ganz schön spät, als die Kinder im Bett liegen. Ich nehme an, sie haben Zähne geputzt, aber geduscht hat keiner mehr.
Da sich der Schrank leider nicht wieder von alleine eingeräumt hat und es auf dem Kleiderhaufen so unbequem ist, schläft Sohn 2 jetzt wieder oben in seinem Hochbett.
Ich stelle fest, dass ich heute gar nicht gemeckert habe, auch wenn ich manchmal kurz davor war. Trotz allem war es aber vergleichsweise entspannt, nur der Medienkonsum nervt mich.
Wobei ich mich schon frage, warum eigentlich? Ist doch so schön friedlich. Und was ich alles schaffen könnte, in der Zeit, in der die Kinder mit dem iPad ruhiggestellt sind! Auch wenn es ganz ohne Limit offensichtlich nicht funktioniert, warum nicht mal Fünfe gerade sein lassen? Warum nicht einfach mal die erlaubte Medienzeit von 30 Minuten pro Tag ausdehnen und die Ruhe genießen? Und vieles regelt sich dann bald durch den Frühling sowieso von selbst.
Hier noch mal alle Berichte des Experiments:
Einleitung | Tag 1 | Tag 2 | Tag 3 | Tag 4 | Tag 5 | Tag 6 | Tag 7 | Tag 8 | Fazit
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Da die Söhne Hauptfiguren dieser Blogartikelreihe sind, mittlerweile aber schon ziemlich gut mitlesen können und eine genaue Vorstellung davon haben, was sie von sich im Netz lesen wollen und was nicht, werden diese Artikel vor Veröffentlichung mit ihnen besprochen und lektoriert. Auch wenn ich es richtig blöd finde, wenn ein guter Witz von ihnen gestrichen wird und rausfliegt.
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Um der Verdummung durch zu viel digitale Medien entgegen zu wirken – der Sponsor dieser Reihe ist die SZ Familie.
Das die Söhne lektorieren finde ich grundsätzlich richtig. Zählt das auch für diese Woche? Beeinflusst das nicht das Experiment?
Das zählt vor allem in dieser Woche und klar beeinflusst das. Lässt sich nicht ändern.
Hätte ja sein können dass ihr es zeitversetzt postet dann wäre es nicht so viel Beeinflussung. Bin sehr gespannt wie es weitergeht!
Stichwort „anfordern“ ist für mich sehr hilfreich. Ich biete zur rp eine Session „Endgegner Computerspiel“ an. (Eine meiner Thesen: kostenlose Spiele haben besonders hohen Nervwert. Wenn man ein paar € ausgibt, fällt sowas weg)
Habt ihr euch schon etwas zu den Essensresten überlegt?
Ich lese interessiert mit und habe den hiesigen Kindern im ähnlichen Alter von eurem Experiment erzählt. Mann und ich freuen uns auch schon auf ruhige exklusive Mahlzeiten, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich gut und meckerfrei leben kann, wenn die Kinder selbständig für ihr Essen zuständig sind. Weniger in Bezug auf die Nährstoffzusammensetzung als auf nicht weggestellte Milchtüten, Chipskrümel auf dem Sofa, Essensreste quer durchs Haus, nicht beseitigte Spuren der Zubereitung. Die Wäsche kann man ja bequem im Keller hängenlassen, aber oben in den Gemeinschaftsräumen? Ich denke noch ein bisschen und ihr berichtet vielleicht am Ende des Experimentes drüber. Merci fürs stellvertretend Durchziehen und Teilhaben lassen. Gute Nerven und aufschlussreiche Erkenntnisse 🙂
@ RowBa: Ich denke schon, dass es (um eine Woche?) zeitverzögert ist, sonst könnte nicht am Montagmorgen schon vom Ende des Montags berichtet werden.
Aber ich habe noch eine ganz andere Frage — auf dem Bild sieht es so aus, als ob die Kapuze von Sohn 2 einen Reißverschluss hat. Kann man die ganz zuziehen???
@Susanne: Man kann 🙂
@Maximilian Buddenbohm: Das eröffnet ganz neue Perspektiven. Wobei eröffnen vielleicht nicht das richtige Wort ist.
Mein Hirn verschimmlbesserte, dass die Möhrenreste „durchschimmeln“. Erst schimmern, dann schlimm schimmeln.
Same here.
Reglement bei uns, seinerzeit und überhaupt. Kacken auf der Toilette, Essen am dafür vorgesehenen Platz, d. h. im Esszimmer, selten am Wohnzimmertisch.
Kein Essen (und schon gar keine Essensreste) in den Kinderzimmern. Konsequenz aus der Erfahrung, dass sich dort schon mal neue Lebensformen entwickelt hatten. Medien jeglicher Art gab es erst nach der Schule … durchaus vor den Hausaufgaben, die haben unsere Kids dann gemacht wenn es ihnen genehm war, meistens vor dem Abendessen, manchmal auch schon direkt nach der Schule, da gab es kein festes Muster.
Hallo zusammen
ich verfolge auch sehr gespannt dieses Experiment und habe schon am Tisch mit meinen Söhnen darüber diskutiert. Sie sind 14, 17 und 19.
Der grosse Sohn sagte sofort, der Fehler Ihres Experiments sei, dass Sie es angekündigt hätten. So wissen die Kinder, während einer Woche können wir machen, was wir wollen, danach ist wieder „Ordnung“ und sie nutzen es nun gnadenlos aus.
Hätten Sie einfach stillschweigend die Medienzeit auf „unbegrenzt“ geschaltet und die Jungs einfach machen lassen, wäre das Ergebnis möglicherweise gar nicht so krass ausgefallen. Hätten sie sich gewundert, warum sie abends niemand ins Bett schickt, hätten sie vielleicht mal nachgefragt und dann hätten Sie sagen können: „stimmt, jetzt ist es wirklich Zeit, ins Bett zu gehen“ und dann wären sie gegangen.
Ich denke, vielleicht hat mein Sohn gar nicht so unrecht.
Meine Jungs haben schon länger unbegrenzte Medienzeit, solange die Schulnoten stimmen. (bei den beiden grossen sage ich gar nichts mehr.) Besonders Begrenzungen auf 60min. spielen o.ä. halte ich für falsch, denn man ist tatsächlich gerade in einer Runde oder spielt online mit anderen und da kann man nicht einfach abstellen. Auch aus Fairness den anderen gegenüber.
Ich bin sehr gespannt auf Ihr Fazit. 🙂
Liebe Grüsse
asty
Habt Ihr Ratschläge für absolute Unwilligkeit bzgl. Hausaufgaben?
Ich wette, die Jungs halten länger durch 🙂
Dieses Experiment würde hier leider ähnlich verlaufen.
Hier auch ?
Immerhin scheint das mit der Zahnpflege doch realtiv gut zu klappen. Duschen gehen -glaube ich – die meisten Jungs in dem Alter nicht sooo gerne, oder?
Doch. Meiner. Allerdings ist das mit der Zahnpflege ein anderes Thema …
Das wäre schön, wenn ich da Experte wäre.
Wir hatten hier auch mal eine App auf dem Handy, die die Nutzungsdauer einschränkte. Aber irgendwann habe ich es sein lassen. Ich schreite zwar schon immer wieder einmal ein, aber
solange alles andere passt, bin ich relativ gechillt! Im Sommer ist der Kleine zumindest den ganzen Nachmittag wieder in seinem geliebten Skatepark, dann regelt sich das von ganz allein.
Viele Grüße von
Margit
@Margit: Der Sommer regelt wahrscheinlich in fast allen Familien einiges ganz natürlich. Das wird hier auch wieder so erwartet.
Geduld. Das klingt doch sehr gut. Irgendwann werden sie selbst genervt sein und sich Grenzen wünschen?
Die dann auszuhandeln sind.
In Sachen Zahnpflege hat der damals neue Zahnarzt der Kinder sie mal in die Spur gebracht. Als jeweils eine kleine Reparatur wegen Karies anstand, kam von ihm die klare Ansage…. er sei jederzeit bereit all sein Wissen/Können und seine Zeit für sie aufzuwenden, w e n n er sieht, dass sie in Sachen Zahnpflege ihren Teil dazu tun.
Wenn sie jedoch dazu nicht bereit seien, bräuchten sie in seine Praxis nicht mehr zu kommen, das sehe er nicht ein dafür seine Energie aufzuwenden.
Ok, nun hatten sie da schon mal gespürt was Zahnschmerzen sind, der Doc kann Spritzen setzen, da merkst du gar nix, den wollten sie nicht so einfach wieder quittieren, denn sie hatten leider zuvor schon andere Erfahrungen in Sachen Zahnarzt und Umgang mit Kindern machen müssen (da tät man sich als Mama am liebsten in den Bobbes beissen wenn der eigens empfohlene und dafür ausgewiesene Kinderzahnarzt sich dann vor Ort als -freundlich gesagt – ungeeignet für die eigene Brut herausstellt.)
*Zackdiebohne* … mir blieb für einen Moment fast die Spucke weg, die Kids haben, quasi im Behandlungsstuhl liegend, jeweils stramm gestanden und gesagt sie hätten verstanden. Ich habe nie wieder Zähneputzen angemahnt und ihre Kontrolltermine trugen sie selbst ein im Kalender und auch jetzt wo sie „groß“ sind und teilweise schon ausgezogen, traben sie nach wie vor regelmässig zu ihrem Zahndoc zur Kontrolle.
Ich finde das wirklich unglaublich, wie viel hier los ist und wie viele interessante und bereichernde Kommentare es hier gibt. Leider ist uns schon wieder ein krankes Kind dazwischen gekommen und das Pendeln zwischen Büro, Homeoffice und Krankenlager hat mir keine Chance gegeben, auf die ganzen Kommentare einzugehen. Ich habe sie aber mit großem Interesse gelesen und wir haben sie hier zu Hause zwischen Tür und Angel noch schnell diskutiert.
Also liebe Kommentatoren, vielen Dank für den ein oder anderen Denkansatz!
Ich möchte hier noch einmal kurz astys Söhne grüßen: auf die Idee bin ich gar nicht gekommen, das Experiment heimlich zu machen. Gute Idee eigentlich. Vielleicht beim nächsten Mal, wenn es das denn gibt.
Die Medienzeit strikt zu begrenzen finde ich auch ganz und gar nicht gut, aus eben diesen Gründen. Allerdings haben wir hier ständig das Problem, dass es einfach nicht klappt und die Jungs es über alle Maßen ausreizen. Ich hoffe, wir bekommen es besser hin, wenn sie etwas älter sind.
Ein sehr schönes Experiment!
Ich hab den Verdacht, dass der Versuchszeitraum um einiges länger sein müsste, aber vielleicht ist das nicht durchzuhalten. Das geht ja alles sehr in Richtung „unerzogen“.
Mit unserer Dreijährigen machen wir gelegentlich ähnliche Experimente – in Bezug auf Süßigkeiten und ja, auch Medienkonsum. Ganz so unbegrenzt darf und kann sie beides nicht nutzen, aber mit viel mehr Freiheiten. Für gewöhnlich dauert es etwa drei Wochen bis sie sich quasi selbst reguliert. Natürlich können wir bei ihr besser eingreifen, weil sie eben noch kaum Einfluss darauf hat, ob wir zum Beispiel den ganzen Nachmittag unterwegs sind. In solchen Fällen denkt sie dann auch nicht ans Tablet.
Nun ja, ich wünsche euch jedenfalls noch eine… entspannte, lehrreiche Zeit.