Reduce to the max

Das letzte Update zur Plastikfreiexperimentphase kam von der Herzdame, da haben Sie vielleicht etwas bemerkt, einen kleinen Unterschied zwischen ihr und mir – sie redet in Geschäften nämlich sowohl freiwillig als auch lang und breit mit Verkäuferinnen und Verkäufern, ich tue das nicht. Das liegt zum einen an meinem Hanseaten-Hintergrund, denn ich bin tatsächlich recht norddeutsch und rede nicht mit fremden Leuten, wenn es nicht unbedingt sein muss, wir sind hier ja nicht am Rhein. Das liegt zum anderen auch daran, dass ich vor vielen Jahren mal soziophobe Phasen hatte, von denen mir bis heute ein heftiger Unwille geblieben ist, nämlich der Unwille in Geschäften zu reden, und das geht weit über das Norddeutsche hinaus. Das ist etwas seltsam, weil es keine Angst im engeren Sinne ist und auch recht leicht überwunden werden kann, wenn es denn sein muss – aber ich will und muss meistens nicht. Ich frage also in Läden nicht nach plastikfreien Waren, das muss alles schon so klappen. Im Grunde wurde das Online-Shopping speziell für Leute wie mich erfunden, aber wie bereits beschrieben, Online-Shopping ist aus anderen Gründen doof.

Soziophobie ist übrigens ein spannendes und allgemein recht unbekanntes Thema, wenn ich mal wieder zum Schreiben von Geschichten kommen sollte – es wird dort behandelt werden. Ich habe da so einen angefangenen Roman herumliegen, die männliche Hauptfigur darin hat ein gewisses psychisches Problem, obwohl natürlich jede Ähnlichkeit rein zufällig usw., nicht wahr, das kennt man. Den müsste ich mal weiterschreiben, den Roman. Wenn die Kinder ausgezogen sind oder so. Aber dies auch nur als kleines Outing nebenbei, denn man muss heute mit psychischen Defekten viel offensiver umgehen. Siehe Bayern, Sie wissen schon.

Am Dienstag habe ich jedenfalls bei Lidl alles gekauft, was nicht verpackt und gut für mal eben so zwischendurch war, das waren Bananen, Salatgurken (nicht bio, die waren in Plastik), Kohlrabi und Paprika. Aus. Irgendwer hatte hier kommentiert, dass es bei Lidl relativ viel Obst und Gemüse unverpackt gibt, das ist definitiv nicht so oder ist zumindest in diesem speziellen Markt nicht so oder war einfach an diesem Tag nicht so.

Ich kam danach an einem afghanischen Bäcker vorbei und kaufte Fladenbrote, der hat sowieso die besten Fladenbrote überhaupt, die hole ich da oft. Und die gab es auch ganz ohne Plastik und sogar ohne Verständigung, einfach die Hand aufgehalten und es wurde ein Brot rübergereicht, so muss das. Das Stück für einen Euro, Traumware, Traumpreise. Zwei Finger hochgehalten, zwei Stück, so gehe ich gerne etwas kaufen.

Zum Fladenbrot brauchten wir noch einen Dip, einen Käse, irgendwas. Dafür habe ich den Bioladen besucht, in der Annahme, dort irgendwas im Glas zu finden. Im Kühlregal war aber rein gar nichts auszumachen, also habe ich mich wieder an die ganz großen Aufgaben im Leben eines Mannes erinnert, denn der soll bekanntlich ein Haus bauen, einen Baum pflanzen, einen Sohn zeugen, ein Buch schreiben und, das ist die denkbar schwerste Aufgabe, irgendwann einen schmackhaften vegetarischen Brotauftstrich finden. Das mit dem Buch, dem Baum und dem Sohn, das habe ich alles längst erledigt und sogar übererfüllt, ein Haus wird gerade gebaut. Okay, ich lasse bauen und es ist auch nur eine Laube, aber immerhin.

Vegetarische Brotaufstriche schmecken entweder nach pürierten Brekkies oder nach der Trägersubstanz, die die Produkte zusammenhält. Also z.B. nach Sonnenblumenkernen. Nichts gegen Sonnenblumenkerne, aber als Geschmacksträger ist die unweigerliche Vogelfutternote doch abzulehnen. Es gibt auch vegetarische Brotaufstriche, die hauptsächlich nach Aromen schmecken, grob zu unterteilen in Leberwurstartige, Italienischseinsollende, Indischseinsollende und Irgendwiemeerrettichverschärfte. Noch nie habe ich einen gefunden, der wirklich gut schmeckte, obwohl sie alle sicher gut gemeint waren und etliche auch erträglich schmeckten. Aber eben nicht richtig gut, also gut im Sinne von: “Oh toll, haben wir davon noch mehr?”. Viele Menschen mögen diese Aufstriche, weil sie sie wirklich dringend mögen wollen, denn wenn ein Mensch einen Entschluss fasst, ist er bekanntlich zu nahezu allem fähig. Beide Söhne hatten längere vegetarische Phasen, beide haben in der Zeit wild entschlossen etliche Produkte dieser Reihen probiert, keines wurde jemals wieder gekauft.

Aber am Dienstag geschah das Wunder, wir kauften “Rote Linsen Chili” der Firma Allos (nein, keine Werbekooperation) im Glas – und Sohn I und ich fanden es gut. Richtig gut. Nach all den Jahren! Gleich ein Glas leergefuttert.

Na gut, vielleicht waren wir auch einfach nur sehr, sehr hungrig und hätten in absehbarer Zeit auch Kistenholz oder Baumrinden benagt, so nach etlichen Stunden Garten ohne irgendwelche Nahrung, das kann schon sein. Ich kaufe das also demnächst lieber noch einmal, Versuchsreihen immer doppelt absichern, ganz wichtig.

Ich habe jedenfalls, das ist das eigentlich Interessante, wegen dieser Plastikfreigeschichte fast gar nichts gekauft. Und die paar Sachen, die wir dann hatten, die wurden regelrecht verschlungen. That was easy. Das hat sich am Mittwoch ähnlich wiederholt, es gab wirklich wenig. Jetzt müssen wir wohl oder übel darüber nachdenken, ob wir vielleicht in letzter Zeit generell zu viel eingekauft haben, denn das ist ja immerhin eine Möglichkeit. War unsere Wegwerfquote nicht vielleicht längst zu hoch? Das ist leider nicht auszuschließen, ganz und gar nicht. Man will auf alle Eventualitäten des Familienalltags vorbereitet sein, man kauft dies und das und jenes, schon ist alles rappelvoll in der Küche und wird dann doch nicht oder nicht rechtzeitig gebraucht. “Wann wollten wir denn was mit Huhn essen? Und ist das noch okay, wenn es so aussieht?”

Ich kaufe also mal eine Weile überhaupt nichts mehr auf Vorrat oder Verdacht, ich koche hier jetzt erst einmal alle Schränke und Gefrierfächer weitgehend leer und warte auf den wirklich dringenden Bedarf, bevor ich etwas kaufe. Und dringlich wird es, wenn die Kinder freiwillig Einkaufszettel schreiben.

Das ist zwar etwas abseits des ursprünglichen Projektgedankens, zugegeben, aber es vermeidet selbstverständlich auch Plastik, wenn man nichts oder deutlich weniger kauft, aus ökologischer Sicht ist weniger sicher fast immer besser.

Reduce to the max, das war früher ein bekannter Werbespruch mit beachtlichem Tiefgang, ich fand den super. Nicht wegen des beworbenen Produktes (das war der erste Smart, wenn ich mich recht erinnere, der hat mich nicht interessiert), sondern wegen der Erwähnung von Max, denn ein solcher bin ich ja auch, selbst wenn mich fast alle Menschen in meinem Bekanntenkreis mit dem vollen Maximilian anreden. Sobald ich Kontakt mit dem Ausland oder Bayern habe, bin ich aber wieder Max, denn Englischsprachige und Bayern verkürzen den Namen reflexmäßig.

Und reduce to the Max, das wollte ich jahrelang immer wieder in meinem Liebeswerben sinnvoll unterbringen, als Botschaft mit beachtlichem Tiefgang für beachtlich schöne Frauen, zumal ich ja – und das passte doch sensationell! – auch smart und eher klein … nun ja. Die Idee war ganz gut. Finde ich immer noch. Fand aber sonst niemand.

Aber heute könnte ich den Satz doch wieder sinnvoll unterbringen, beim Einkaufen! Und ich habe dazu auch schon eine Idee.

 

30 Kommentare

  1. Vegetarischer Brotaufstrich: ich habe auch einige ausprobiert und finde diese Reihe generell am wenigsten schlecht: http://shop.allos.de/hofgemuese – davon mag ich immerhin zwei Sorten: »Peters Paprikatrio« und »Susis scharfe Tomate«. Über die Benennung müssen wir keine weiteren Worte verlieren, aber die Pasten sind würzig und gut. (Ob allerdings die Dichtungen der Twist-off-Gläser gegen das löbliche Bestreben der Plastikfreiheit verstoßen, weiß ich nicht.)

  2. Pürierte Brekkies! Das ist der Vergleich, den ich so lange gesucht habe. Glaube ich zumindest, ich muss zugeben, dass ich nur vom Geruch der Brekkies auf deren Geschmack schließe, aber das ist bei Ihnen sicher nicht anders.

  3. Ich bin ja ausgesprochener Carnivor, aber habe einen Faible für vegetarische Brotaufstriche und Dipps. Das Geheimnis ist einfach: Selbermachen!
    Kichererbsen, rote Linsen oder Champignons sind eine hervorragende Grundlage. Den Rest machen der Pürierstab und Deine Phantasie beim Würzen.

  4. „wir sind hier ja nicht am Rhein“ – ein wunderbarer Satz, mit dem ich ab sofort jeglichen Verzicht auf Überschwänglichkeit begründen werde.

  5. Unbeabsichtigt und eher zufällig bei einer Verkostung im Bioladen zwei Aufstriche für lecker befunden und auf die „kauf-ich-wieder“ Liste gesetzt.
    Fa. Zwergenwiese, die Sorten ‚Currika‘ und ‚Meditom‘.
    Herzhafte Crêpes (wobei meine Leute auch kein Problem damit haben die süßen Crêpes zu nehmen die Lidl hier neu im Angebot hat) damit als Grundbelag bestreichen und nach Belieben belegen und z’ammrollen/falten.

  6. Was ich von den vegetarischen Brotaufstrichen richtig gern mag, ist Rote Bete/Meerrettich (am allerliebsten als Grundlage unter Käse, statt Butter).
    Übrigens: an Käsetheken gibt es meist Käsepapier mit einer nur hauchdünnen Plastikschicht.

  7. Noch eine Idee: Schon mal an Chutneys gedacht? Große Auswahl z.B. in Asia-Läden, meist im Glas.
    (Kommentarfunktion im Blog meckert, ich wäre „zu schnell“, deshalb auf diesem Weg.)

  8. Wir haben uns auch eine Weile durch die Veggie-Aufstriche probiert. Denn, was ist man als Plötzlich-Veganer denn so statt Käse? ? Wir mögen Arrabitom sehr gerne von Zwergenwiese. Ansonsten Erdnussbutter. Die geht immer. ? (1/2)

  9. Von allos gibts von dem Hofgemüse auch was von Steffi, auch sehr gut, nicht nur der Namensgebung wegen. Wird auch von Christians weginhaliert, ist dopppelt erprobt.

  10. Vegetarische Brotaufstriche, da fällt doch auch Butter, Nougatcreme und Marmelade drunter 😉
    Ansonsten mag ich dann so etwas wie Erdbussbutter, Hummus, Tahini, Bohnenpüree, Tomatenpürre aus getrockneten Tomaten (die in Öl eingelegten), alle Sorten von Quark/Joghurt/Frischkäsemixen, wenn sie selber gemacht sind. Fertige sind ja meist auch in Plastik.
    Selber machen funktioniert bei mir aber vermutlich einfacher weil Wochenmarkt vor der Haustür und kochen ist Entspannung für mich.
    Und erstaunlicherweise rede ich mit unseren Marktbeschickern ganz gerne im Gegensatz zu Menschen in Supermärkten. Teilzeitsoziophobiker vielleicht

  11. Ich freue mich wirklich immer über deine unterschwellige, gute Laune – die schwabbt auch wirklich immer rüber zu mir :-)… sonnige Grüße

  12. Veganer Zwiebelschmelz!!!! Gibts auch im Bioladen und im Glas und steht dem guten tierischen Griebenschmalz in nix nach 🙂 Schmeckt halt hauptsächlich nach Röstzwiebeln und ist kalorientechnisch bedenklich, aber ich liebe es!

  13. Hummus kann man wirklich im Rekordtempo selber machen, ich nehme direkt Kichererbsen aus dem Glas, übergieße die nochmal gründlich mit kochendem Wasser (sonst kriege ich Bauchweh) und püriere mit Tahin, Kreuzkümmel und Zitronensaft. (Wenn ich selbst dazu zu faul bin kaufe ich fertigen, der von Lidl ist erstaunlicherweise echt lecker, aber halt in einer Kunststoffverpackung).

    Vielleicht kann man auch sein eigenes Glas mit zu einem Feinkoststand bringen und da abfüllen lassen? Die haben ja auch oft leckere vegetarische Aufstriche.

  14. Nicht mit den Verkäufern reden wollen ist ein eigentlich typisch männliches Shoppingverhalten. Frauen dagegen lassen sich sehr gerne beraten.

  15. Das Problem mit den vegetarischen Aufstrichen kenne ich, und es geht mir ähnlich; von den siebenunddrölfzig Variationen, die die nächstgelegenen beiden Biosupermärkte im Angebot haben, schmecken mir maximal zweieinhalb. ABER. Von „Peters Paprika Trio“ der Firma Allos, Marke „Hofgemüse“, könnte ich Nutellaglasmengen auf einmal verdrücken. Sensationell gut finde ich das, und zwar trotz des etwas bemüht volksnahen Namens. Und die Sorte Tomate-Bärlauch aus der gleichen Serie geht auch in Ordnung.
    Ende der Werbepause. (Nein, KEINE bezahlte Kooperation! Ich hab doch noch nicht mal ein Blog, Herrgott.)

  16. Gerade fiel mir auf – ganz oft, wenn ich noch etwas Feines im Netz lesen möchte, denke ich, ach, lieste noch den Buddenbohm. Und zack, gelesen, ein Lächeln auf den Lippen.

    Dafür: Danke. Das musste jetzt mal raus.

  17. Gegen Plastilmüll:
    https://www.taz.de/Leichte-Sprache/!5504919/

    Und wie im obrigen Blogbeitrag mal eben nur so nebenbei, in einem Nebensatz : ob und wie weit psychisch erkrankte mit seiner eigenen Erkrankung offensiv (nach aussen, in seinem Umfeld) umgehen MUSS ist noch nicht raus.

    Und auch eine Naturellfrage jedes Einzelnen.

    Allgemeinplätze helfen dem Einzelnen nix.

    Und das Gesetzentwürfe wie der aus Bayern nicht gerade ein Klima des Sich-angstfrei-seinem-Umfeld-öffnen-können schafft liegt auf der Hand.

    Und wie es einem auch ganz ohne Gesetze gehen kann hat Gustl Mollath erleben, oder besser, erleiden müssen, und zwar ebenfalls in Bayern !

  18. Reduce to the max – war das nicht Pepsi Max???

    Deutlich weniger sexy als der Smart natürlich…

  19. @Uwe: Das Müssen bezog sich mehr auf mich als halbwegs öffentlichen Menschen, der etwas für die Bekanntheit dieser Probleme tun kann. Die Entwicklung in Bayern führt wieder zum Verschweigen, dagegen habe ich etwas. Es ist selbstverständlich ein privates MUSS.

  20. Wie kann man über hanseatische Schweigsamkeit, vegetarischen Brotaufstrich und plastikfreie Einkäufe denn bitte humorvoll schreiben?

  21. Ich lese ja bisher nur begeistert mit, ohne mich einzumischen, aber diesmal muss was raus: Der vegetarische, nicht-Plastik-verpackte Brotbelag, von dem wir nicht genug bekommen können, sind Tomatenscheiben mit Schnittlauchröllchen und Salz…

  22. Pingback: dreher

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