Ja, mach nur keinen Plan

Als ich noch in Travemünde wohnte, gingen wir oft nach Norden aus dem Ort raus. Da kam die Steilküste, da kam ein kleines Wäldchen, dann noch eines, dann noch eines, das waren für uns so Wegmarken, man plante Spaziergänge bis zum ersten, zweiten oder dritten Wäldchen. Danach kam die Hermannshöhe, ein damals gutbürgerlich genanntes Restaurant, in dem man also so etwas wie einen Senatorenteller bekam, mit viel Fleisch. Das war bis dahin ein Sommerurlaubsstandardspaziergang, der wurde und wird routinemäßig in jedem Reiseführer erwähnt, den machten alle, die ihn nur irgendwie schaffen konnten. Den machten auch ganz alte Menschen, es standen und stehen viele Bänke am Weg, man kann sich jederzeit ausruhen und über das Meer gucken, bis die Kräfte wieder enatofür ein paar Meter reichen. Der Blick ist sehr gut von da oben, wirklich bemerkenswert gut. In meinem Buch über die Strandjugend kommt der Weg mehrfach vor.

Nach dem Essen in der Hermannshöhe kehrten die meisten Spaziergänger um. Wenn man aber doch einmal nach Norden weiter ging, kam man bald nach Niendorf, das ist der nächste größere Ort, immerhin mit Hafen und kleinem Schwimmbad. Danach das noch größere Timmendorf, da ging man aber wegen einer Traditionsfeindschaft zu Travemünde nicht gerne hin, das war für uns Kinder oder Jugendliche eher eine No-go-area. Timmendorf war schnöselig, vermutlich ist es das bis heute, ich kann es nicht objektiv beurteilen, denn ein paar liebevoll gepflegte Vorurteile möchte man sich auch bewahren, wenn das Leben einem schon im Laufe der Jahrzehnte die meisten raubt. Hinter Timmendorf, das leider auch noch elend lang ist, schien erst einmal nicht mehr viel zu kommen, das sah da alles gleich aus, eine Bausünde neben der anderen und ein immer gleicher Strand, eher schmal als breit. Ganz normalen Strand hatten wir aber auch in Travemünde, und der war sogar breiter. Wir kehrten also meistens kurz vor Timmendorf wieder um, kletterten auf dem Rückweg ausgiebig an der Steilküste herum und landeten bald wieder in Travemünde, wo wir dann wie immer im Imbiss Pommes aßen, denn der Senatorenteller in der Hermannshöhe war doch eher etwas für Erwachsene.

Aber schon seit dieser Zeit dachte ich, es müsste doch auch spannend sein, einmal noch weiter zu gehen, also noch viel weiter. Die ganze Küste rauf, an diesem Timmendorf und an den ganzen Bausünden vorbei, bis nach Dänemark, auch wenn man dabei durch Kiel muss, was für Lübecker wieder nicht ganz einfach ist. Einfach mal gucken, was da noch so kommt, durch Gegenden, die nie zuvor ein Mensch … na ja, fast Und kurz vor Dänemark dann links abbiegen und fix rüber zur Nordsee gehen, an der entlang unter Auslassung aller Inseln nach Süden zurück, bis ganz zur Elbe, da einbiegen, das geht zu Fuß eh nicht anders. Dann schließlich hinter Hamburg dem Elbe-Lübeck-Kanal folgen und schon ist man einmal im Kreis um die Heimat herum. Dachte ich. So eine einfache Tour, also von der Orientierung her! Immer nur am Meer entlang, erst liegt die Ostsee rechts, dann liegt die Nordsee rechts, zum Schluß noch ein wenig am Fluss, der liegt auch immer rechts, das ist genauso simpel. Man braucht nicht einmal eine Karte! Man ist immer wie von selbst orientiert, so stellte ich mir das jedenfalls vor. Das geht mir übrigens bis heute so, ich fühle mich nur am Meer perfekt orientiert, im Binnenland ist mir tendenziell unklar, wo ich bin. Sobald ich aber das Meer sehe, weiß ich, wo auf dem Globus ich bin und alle Himmelsrichtungen fühlen sich logisch, richtig und wohlsortiert an.

Zu dieser Tour kam es dann aber nie. Nicht zu Fuß, nicht mit dem Fahrrad, nicht einmal mit dem Auto. Das ging nie, das passte nie, dazu kam ich genauso wenig wie zu sonst irgendwas. Ich wartete immer auf genug Zeit, auf mehr Geld, auf besser passende Gelegenheiten. Wie man eben so wartet, während die Jahre vergehen. Man kann gerade nicht, aber als Dauerzustand und ehernes Gesetz. Man kann nicht wegen des Jobs, wegen der Gebrechen, wegen des Wetters und wegen der Jahrszeiten, wegen des Nachwuchses und auch wegen anderer Urlaubsplanungen, man will auch noch hierhin und dorthin. Natürlich ist es im Nachhinein Unsinn, überhaupt auf etwas zu warten, denn es sagt ja keiner, dass man alles am Stück laufen muss, man kann sich das nett in handliche Tagesausflüge zerlegen, in Zweitagestouren, in was auch immer. Dann hat man irgendwann verdammt viele An- und Abfahrten, aber hey, Schleswig-Holstein-Ticket.

Weswegen Sohn II, der dem Freundeskreis Einfach-Machen ganz entschieden angehört, und ich jetzt einfach losgegangen sind, von Travemünde bis nach Sierksdorf. Das ist für den Anfang gar nicht so schlecht,das waren rund 20 Kilometer an einem Tag unter ziemlich schweren Bedingungen, dazu später mehr. Wir hatten eine Übernachtung auf einem Campingplatz, damit haben wir das also auch mal geübt und für gut machbar befunden.

In Sierksdorf gibt es einen Bahnhof, wir sind von da aus zurück nach Hamburg gefahren. Demnächst fahre ich da mit oder ohne Sohn wieder hin und gehe von da aus nach Norden weiter bis nach Neustadt in Holstein, da gibt es dann wieder einen Bahnhof. Dann fahre ich irgendwann bis Neustadt, gehe nach Großenbrode viertel vor Fehmarn, na, und immer so weiter. Da ist irgendwann auch ein längeres Stück ohne Bahnhof dabei, da brauche ich dann mal drei Tage oder so, aber das wird sich alles finden. Es hat Zeit, es hat sogar viel Zeit, aber es ist jetzt in Bewegung geraten.

Das ist doch mal ein Plan, der vor allem gut ist, weil es eben kein Plan ist. Da muss man nämlich gar nichts planen, oder fast nichts. Einfach machen, wie es gerade auf den Schienbeinen des Herrn in der Berliner S-Bahn stand, ich berichtete. Einfach gehen, und gehen kann ich. Ich kann wirklich nicht viel, aber geradeaus weitergehen, das kann ich seit der Strandjugend definitiv, an der Küste war eben alles enorm langgezogen. Weit und schnell gehen, kein Problem. Stoisch immer weiter, das kann ich auch, eselhaft blöd und beladen einfach immer einen Schritt vor den anderen. Genau mein Ding, wenn nicht sogar mein Leben.

Andere können Schmerzen und Probleme veratmen, ich kann die vergehen. Ja, da staunt die Grammatik, das liest sich ungewohnt, das soll aber so. Zum Bericht über die Tage 1, 2 und 3, Etappe Travemünde bis Sierksdorf mit Niendorf, Timmendorf, Scharbeutz und Haffkrug dann in Kürze mehr. Also im Sinne von viel mehr, das Notizbuch war natürlich dabei und der Sohn und ich haben einiges beobachtet. Wir waren nur einen Tag wirklich unterwegs, es waren aber doch drei Tage Berichtszeit, das erkläre ich dann auch noch.

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5 Kommentare

  1. Meine Frau (ca. 15 Jahre Gastronomietätigkeit in der Hermannshöhe) meint, dass es dort ihrer Erinnerung nach nie einen „Senatorenteller“ gab, und auch sonst war die Qualität des Essens recht hoch.

    Egal, ich finde, Vorurteile müssen gepflegt werden… 😉

    Obwohl…die hausgemachte Eierlikör-Sahnetorte, die sie früher von dort gelegentlich mal mitgebracht hat und von einem begnadeten Konditor stammte: Zum Niederknien!

    P.S.: Wenn Du und die Söhne mal bei Euren zukünftigen Exkursionen an Bad Schwartau vorbeikommt, meldet Euch und schaut mal rein, wenn es sich beidseitig einrichten lässt.

  2. War das vielleicht ein “Senioren“teller? Senior und Senator, früher unterschied sich das (optisch) nicht so doll. Und so staunt die Grammatik und die Worte beugen sich demütig.
    Und ja, leider, keine guten neuen Nachrichten hinsichtlich Innenminister

  3. @ Trulla: Nein, der Seniorentellernist ja meistens ein Kinderteller ohne Ketchup. Man isst und schläft im Alter nicht mehr so viel (mein Gott, habe ich Angst davor!)
    @Max. Buddenbohm: Ich kann mir das alles unter genau diesem Titel zwischen Pappe gepresst sehr gut in meinem Bücherregal vorstellen.

  4. @ Matthias Schumacher: ach bitte, Sie sollten sich nicht mit Angst vor dem Alter belasten. Das darf ich vielleicht sagen mit der Erfahrung als Ü-70, denn das Altwerden per se ist nicht schlimm, hat sogar viele gute Seiten, und es kommt wohl wie so oft auf die Sichtweise an: weniger Schlafbedürfnis ist Gewinn an Tageszeit, und was schadet es weniger zu essen? Schmecken soll es!

    Ich will nichts klein reden, wenn Krankheit, Einsamkeit und Armut zum Alter dazu kommen, andererseits verteilen sich diese Übel doch ziemlich wahllos über alle Altersgruppen.

    So wie Jugend sich individuell unterscheidet tut es eben auch das Altwerden.

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