Das Lachen des Jokers und Momente der Fremdheit

Ich habe weiter in “Die Welt im Selfie” von Marco d’Eramo gelesen, wo ich eine Stelle gefunden habe, die mich jetzt vor einer falschen Darstellung bewahrt, das fand ich gut und lehrreich.

Um das zu erklären, muss ich etwas unvermittelt mal eben zurück zur nach wie vor nicht fertig erzählten Wanderung mit Sohn II an der Ostsee, zum mittlerweile dritten Tag. Wir sind, da war ich vor ein paar Wochen stehen geblieben, von Sierksdorf nach Hamburg zurückgefahren und ich habe etwas vergessen, das kommt davon, wenn man nicht schnell genug erzählt. Aber der Arm, Sie wissen schon.

Als wir jedenfalls abends in Hamburg ankamen, stand vor einem der U-Bahneingänge am Hauptbahnhof ein größeres Aufgebot der Feuerwehr. Große und kleine Wagen, Sanitäter, Menschen mit Funkgeräten. Und auf der anderen Straßenseite, vor dem anderen U-Bahnausgang, da stand ein größeres Aufgebot der Polizei. Passanten blieben stehen und guckten, ich zog den Sohn mühsam weiter, denn so ist das mit dem Erziehungsauftrag, man muss dann auch seine eigene Neugier in den Griff bekommen. Mehr war auch gar nicht zu sehen, hier die Feuerwehr, dort die Polizei, und die standen da alle so herum, mehr gab das Bild nicht her – es war nur noch etwas zu hören. Aus dem U-Bahnschacht hörte man ein lautes Lachen, aber nicht in der gesunden, fröhlichen Art, eher in der Art des Jokers bei Batman, das Lachen des bösartigen Wahnsinns. Der Sohn und ich, wir sahen uns an und uns war gerade gar nicht nach Großstadt zumute, wir hätten viel lieber wieder an der dunklen, ruhigen Ostsee gestanden wie am Abend davor.

Am nächsten Morgen fuhren wir, wie bereits erwähnt, gleich wieder los. Sogar das Frühstück gab es im Zug, weil der Sohn mit dem Meer noch nicht fertig war und es eilig hatte. Wir sind in Travemünde ausgestiegen und gleich wieder zum Strand gegangen, im Falle des Sohnes eher gerannt. Es war immer noch heiß, es war unfassbar heiß, es waren die heißesten Tage eines heißen Sommers. so heiß war es. Der Sohn ging sofort baden, mit Anlauf auf den Steg und in weitem Sprung rein, er hatte schon auf dem Weg alle Klamotten von sich geworfen, die ich hinter ihm aufsammelte. Er blieb auch erst einmal eine ganze Weile in der Ostsee, und das Bild des vollkommen glücklich schwimmenden und tauchenden Sohnes, das werde ich mir vom Sommer 2018 hoffentlich bewahren. 

Dann gingen wir langsam nach Norden zum Steilufer, denn da wollte er unbedingt noch einmal hin, die Steilküste hatte ihn beim ersten Besuch beeindruckt. In Travemünde gibt es ein dreifach gestaffeltes Stranderlebnis, wenn man nach Norden geht. Erst kommt der breite Sandstrand vor dem Maritim-Hotel, das ist der, den alle meinen, wenn sie vom Strand reden. Das ist also der mit den Strandkörben und den Burgen, das ist auch traditionell der mit den Familien. Der wird immer schmaler und schmaler, dann ist er auf einmal weg, es ist kein Sand mehr da und direkt am Meer entlang verläuft nun eine steinerne Promenade, unzählige Findlinge liegen als Wellenbrecher davor. Auf der anderen Seite der Promenade die Liegewiese. Darauf sind keine Strandkörbe, darauf liegen die Menschen einfach auf mitgebrachten und sehr bunten Handtüchern und außerdem auf etwas, das am Anfang dieses Sommers mutmaßlich einmal grünes Gras gewesen ist. Nach dem langen Stück mit der Liegewiese kommt das Steilufer, kommt Wildwest, kommt FKK und Hundestrand und Lagerfeuer und Hippies, kommt das ungeregelte Leben und irgendwann dann Niendorf, aber das dauert etwas. Auf dem Sandstrand zahlt man Kurkarte und Strandkorb, auf der Liegewiese nur die Kurkarte – oder wie immer sie heute gerade heißt – , am Steilufer zahlt kein Mensch mehr irgendwas.

Das war damals so, als ich noch da lebte, das ist heute auch noch so. Und doch ist es anders. Ich nehme einmal an, ich habe keine absurde Ausnahmesituation gesehen, aber genau weiß ich es nicht. Nach diesem einen Tag zu urteilen ist jetzt so, dass der Liegewiesenabschnitt nahezu ausschließlich Gäste hat, die sich nach ihrer Herkunft gruppieren, Menschen mit türkischen, arabischen, indischen Familien liegen hier, und hinten auf dem Sand bei den Strandkörben, da liegen die Deutschen und die deutsch aussehenden Touristen. Ich fand den Anblick vollkommen absurd, die strikte Trennung sah aus wie inszeniert, was sie ja auch war, eine soziale Inszenierung. Das habe ich nicht gewusst, dass sich das da alles so streng in zwei Gruppen teilt, als sei das offiziell geregelt und angewiesen, was es natürlich nicht ist. Die Menschen scheinen für solche Trennungen gar keine  Regelungen zu brauchen, die machen das einfach so. Zumindest zwei, drei Generationen lang. 

Ich habe eine Spaziergängerin gesehen, der Hilde gar nicht unähnlich, die in meinem Buch über das Travemünde von damals vorkommt, eine Rentnerin, die da langsam entlang ging. Die stand da an der Liegewiese und guckte und vermutlich fiel ihr gerade auf, dass da nur Menschen lagen, die ihr fremd vorkamen. Ich konnte es auf ihrem Gesicht sehen, das Erstaunen, das genauer Hinsehen und Umsehen, dann ein leichtes Kopfschütteln, nach oben gezogene Augenbrauen. Mehr ist nicht passiert, da lagen einfach nur ganz normale Badegäste herum, da ging einfach nur jemand ganz normal spazieren und guckte, aber in einem Theaterstück oder Film zum Thema Fremdheit wäre das ein geeigneter und sinniger Moment als Symbolszene, im Gesicht einer guten Schauspielerin würde da einiges passieren.

Eine indische Dame fortgeschrittenen Alters, so eine Dame die auch deutlich nach Dame aussah, in betont würdevoller Haltung, löste sich von ihrer Familie, ging über die Promenade, auf einen Steg und ins Meer. Sie war traditionell bekleidet, also soweit ich das beurteilen kann, und sie ging langsam und in voller Montur geradeaus ins Wasser. Es gab kein Zögern und überhaupt keine sichtbare Regung auf ihrem Gesicht, während die jüngeren Verwandten umso aufgeregter um sie herum liefen und auf sie einredeten. als würde sie etwas höchst Ungehöriges tun. Sie war die Ruhe selbst, sie wirkte sehr bei sich und es war ein beeindruckender Anblick, wie sie da so langsam in ihren Kleidern in die Ostsee stieg, es sah feierlich und wunderschön aus.

Und hätte mich die oben erwähnte Stelle in “Die Welt im Selfie” nicht daran erinnert, dass es für viele Menschen in Indien keine Bademodenkultur gibt, sondern dass die Frauen, wenn überhaupt, im Sari ins Wasser gehen, ich hätte gedacht, die Dame dort, die sei ganz besonders cool für ihr Alter gewesen. Da einfach so im Kleid … ein starkes Stück.

Aber gut. Sie ging einfach nur baden. Wie andere auch. Denn das ist es, was sie alle in Travemünde machen. Was auch sonst.

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Fortsetzung hier

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminiter zurücktreten sollte.

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4 Kommentare

  1. Wir sind möglichst nie nach Travemünde gefahren, weil uns das immer zu etabliert, verstaubt und veraltet vorkam. Wenigstens nach Niendorf zum Hafen und lieber noch nach Haffkrug, da waren dann die „normalen“ Familien, so wie wir. Einen Strandkorb mieten bei „Onkel“ Hinz, baden und im Strandkorb liegen und im Bistro am Strand Chicken Picks essen, das war jahrelang unsere liebste Wochenendbeschäftigung im Sommer. Schön!

    Da ist das jetzt auch überall so schick geworden und sieht aus wie die Verlängerung von Timmendorfer Strand. Gar nicht zu reden von den hässlichen „Möchtegern-Residenzen“ an der Hauptstraße.

  2. Haffkrug = SchniPiPo im „Backbord“ und Räucheraalbrötchen von „Brockmann“ auf der Ecke …

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