Durch den Garten

Anne Tyler fand ich wohltuend. Das Lesen geht auf einmal wieder, ich habe also ein Heilmittel gefunden. Und mache jetzt, was ich in solchen Fällen meistens tue, ich fräse mich einfach durch mehr Werke von ihr. Im Moment liegt hier “Der leuchtend blaue Faden”, Deutsch von Ursula-Maria Mössner, das ist angenehm dick, das hält eine Weile.

Beim Lesen sitzt oder liegt man still, noch stiller als beim Schreiben, das soll ja ganz gut sein, wenn man krank ist. Ich sitze in der Laube und lese, ich stehe zwischendurch auf und ernte zehn Radieschen, das fühlt sich an wie eine Stunde schwere Arbeit. Weiterlesen.

Ich stehe doch wieder auf, die Unruhe. Ich gehe durch den Garten, in dem ist in diesem Jahr etwas anders. Und zwar auf eine bemerkenswerte und ganz seltsame Art, zu der mir keine Erklärung einfällt. Es ist nämlich mehr los. Viel mehr. Es gibt auf einmal mehr Insekten, mehr Spinnen, mehr Schmetterlinge und Käfer, es gibt auch mehr Schnecken und Blattläuse, es gibt mehr von allem. Es gibt mehr Vögel mehrerer Arten, auch solche, die wir vorher noch nie gesehen haben. Der Eichelhäher sitzt auf einem der unteren Äste des Weißdornbaumes, sieht sich lange um und denkt vielleicht so etwas wie: “Ach guck. Auch interessant.” Und dann fliegt er nicht weiter, nein, dann hüpft er nur kurz rüber auf den benachbarten Apfelbaum und setzt sich dort so hin, als wollte er es sich gemütlich machen. Er hat eine etwas arrogante Kopfhaltung, vermutlich weil er so gut angezogen ist, aber er guckt nicht unfreundlich. Es gibt auch mehr Säugetiere, wir haben endlich einen Igel, garden is healing oder was, und guck mal, da ist auch noch eine Kröte. 

Der Unterschied zum Vorjahr ist tatsächlich krass, 2019 war nämlich so ein Jahr, da verleitete der Garten manchmal etwas zu Weltuntergangsstimmung. Da lebte nichts, also außer dem, was wir da gezogen haben, aber so sah das auch aus – als hätten wir daran gezogen. Nichts war üppig. Auf dem Boden krabbelte nichts, durch die Luft schwirrte nichts und es gab nur eine Handvoll Vögel, nie mehr. In diesem Jahr kommt alles von selbst, blüht, wächst, gedeiht, sprießt. Auch die Pflanzen, die wir im letzten Jahr für eingegangen gehalten haben, bei denen wir im Vorbeigehen schon manchmal leise “Exitus” gemurmelt haben, sie erwachen zu neuem Leben, manchmal kommen sie wieder. Es zwitschert und brummt, es singt und sirrt überall, die Vögel umflattern uns. Elster und Krähe hüpfen immer noch auf dem Rasen umeinander herum und drohen sich Schläge an, seit Wochen machen sie das so, da guckt schon niemand mehr hin, nicht einmal die vielbeschäftigten Meiseneltern, wer kümmert sich schon um herumfliegende Jugendliche. In keinem Jahr vorher war bei uns im Garten eine Elster, in keinem eine Krähe. 

Ein paar Stockenten landet und sie prüfen in aller Ruhe, ob es schon wieder frische Rasensamen für sie gibt, da hauen die beiden Raufbolde Elster und Krähe laut fluchend ab, das wird ihnen hier zu seriös, das ist ja ein Ambiente wie im Kurpark. Herr und Frau Ente gehen Seite an Seite leise plaudernd über den Rasen. Sie sind etwas spießig, die beiden, das stimmt schon. Aber sie sind sehr nett. Ich habe ihnen schon oft zugehört, ihr Gequake ist stets beiläufig, ohne Schwere und ohne jede Aggression.

Es ist ein Idyll.

Ich habe keinen Schimmer, warum das alles hier auf einmal so ist, ich freue mich einfach nur. Das ist im Grunde also wie bei den meisten guten Sachen im Leben.

Egal. Weiterlesen.

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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5 Kommentare

  1. Was für eine wohltuende Atmosphäre, die ich hier beschrieben finde. Und ja, auch im Wald vibrierte es gestern mehr als andere Jahre. Es kommt mir gerade alles viel lebendiger denn je vor. Wir genießen es und freuen uns.

    (Gute Besserung!)

  2. Kann Anne Tyler nur empfehlen. Der blaue Faden ist eine gute Wahl für den Start! Bzw fürs Weiterlesen

  3. Die Delfine kehren in die Gewässer vor Venedig zurück, wenn der Mensch die Natur endlich mal in Ruhe lässt. Vielleicht ist es mit den Schrebergärten ähnlich. Insekten und Vögel übernehmen, wenn die Menschen im Hausarrest weilen. ODER wir Menschen sind aus unserer ewigen Hektik soweit runtergefahren, dass wir endlich wieder sehen, was die Natur ohne uns macht. Auch ich sehe viel mehr und intensiver, wenn ich morgens mit dem Hund durch den Wald gehe.

  4. Euer Garten scheint ökologisch sinnvoll angelegt zu sein, da fühlen sich anscheinend viele Tiere wohl, das ist Euer Verdienst! Man kann Euch nur wünschen, dass die Schnecken nicht überhand nehmen, aber vielleicht kommen dann ja Entenvögel vorbei, die sogar Schnecken mögen?

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