Ich habe neulich über einen gelungenen Nachmittag geschrieben, hier war das. Da gelungene Momente, also richtig gelungene Momente, welche die vielleicht nur theoretisch mögliche Perfektion zumindest streifen, nicht eben häufig im Leben sein können, müssten einem zumindest manche auch nach Jahren noch wieder einfallen, sie müssten sich doch eingeprägt haben. Dachte ich so, und dachte dann etwas länger nach. Der erste Moment, der mir dabei einfiel, ist ziemlich lange her, er war in der Anfangszeit der hier in jahrelanger Chronik geschilderten Beziehung, die Herzdame und ich waren gerade erst zu einem Paar geworden. Er ist so dermaßen lange her, ich habe zu der Zeit noch nicht einmal gebloggt, ich wusste wohl noch nicht einmal, was Blogs sind. Aber das wussten insgesamt nur wenig Menschen in diesem Jahr, glaube ich. Es war unser erster gemeinsamer Urlaub, wir waren auf Madeira. Wir wussten bei der Buchung gar nichts über Madeira, es war so ein Last-Minute-Ding. Madeira klang gut, fanden wir. Und wir hatten Glück, Madeira gefiel uns sofort und sehr, die Insel des ewigen Frühlings, wer kann dazu schon nein sagen. Jeden Tag ein wenig Regen, jeden Tag viel Sonne, jeden Tag ist es dort warm, nie aber heiß – und ein paar Meter die Berge rauf, da wird es dann verlässlich frisch. Die Vegetation ist überall so unfassbar üppig, es wachsen Strelitzien aus Gullideckeln, da guckt niemand hin, das ist quasi Unkraut.
Wir saßen in dieser Urlaubswoche eines Abends in einem Park vor Funchal. Santa Catarina war der Name des Parks, wenn ich es richtig erinnere. Es war dieses Wetter, man erinnert sich an Hitzetagen wie heute besonders gerne, bei dem es gerade eben warm genug ist, um einfach so im Park im Gras zu sitzen. Es war gerade eben schön genug und dadurch war es unfassbar schön, ein Geschenk war es. Wir hatten wenig Geld und natürlich keine Vollpension, wir aßen da draußen Weißbrot und Tomaten und etwas Käse aus dem Supermarkt auf dem Rasen. Wir tranken dazu Vinho Verde, und es war das beste Getränk, das wir je getrunken hatten. In Reiseführern steht als Warnung, dass Vinho Verde nur im Süden schmeckt, nur im besonderen Moment, nur im Urlaub. Wenn man den in Hamburg kauft und trinkt, im November, im Regen, im Alltag, dann schmeckt der nicht, dann ist das nur billiger Jungwein, tendenziell sauer im Abgang.
Und das stimmt. Nie wieder hat Vinho Verde geschmeckt, nicht einmal ansatzweise, wir haben es mehrfach versucht. Wie es vermutlich alle versuchen, wie vermutlich alle scheitern, die diesen Wein mit einer Erinnerung abgleichen. Wir müssten noch einmal dahin. Wir müssten noch einmal in diesen Park, wir müssten noch einmal so mit uns und allem zufrieden sein wie damals, wir müssten noch einmal Weißbrot und Tomaten und Käse im Gras essen und auf Funchal am Abend sehen und es müsste gerade eben warm genug sein und wir müssten uns auf immer noch mehr gemeinsame Jahre freuen, was ich übrigens leicht finden würde – ja, dann vielleicht.
Aber wir müssen eigentlich gar nichts. Wenn ich nur lange genug an diese Szene denke, an unsere Verliebtheit, an die Richtigkeit aller Entscheidungen bis dahin – dann kann ich den Wein von damals immer noch schmecken. Und was für ein Wein das war!
Vielleicht aber war es auch gar nicht so. Vielleicht ist das nur ein banaler Fall von Verklärung. Welche nicht unwichtig ist, denn Verklärung, so heißt es doch, hält uns über Wasser. Oder war es etwas anderes? Egal.
Eigentlich mag ich nämlich gar keinen Wein. Nur den, den mochte ich.
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<3
Unser Vinho Verde hieß – 1960/70er Jahre – Amselfelder. Gemeinsame Reisen durch Jugoslawien, gegessen wurde Prsut und Paski Sir.
Gefühlsmäßig bis heute ähnlich – auch wegen solcher Erinnerungen.