Kleine Wesen kommen hastig gelaufen

Es zieht am frühen Morgen im Flur, in dem ich auf dem Sofa sitze und schreibe, aber es zieht warm, es fühlt sich an wie Wüstenwind aus dem Süden, der hier durch die Wohnung streicht und unter den Türen sogar ein wenig pfeift, in aller Dezenz. Wetterbericht: „Das war eine außergewöhnlich warme Nacht für September.“ Ab dem Nachmittag oder ab morgen soll es endlich Regen geben, richtigen Regen, ich glaube es erst, wenn ich nass bin, wenn alles nass ist. Der Garten aber, er ist nun hin für dieses Jahr, zu spät, du rettest die Beete nicht mehr. Die Herzdame hat gestern noch einmal gegossen, es fällt wohl schon unter Grabpflege.

Es ist weiter warmwindig da draußen, das führt heute zu einem interessanten Geräusch. Die Böen heben die trockenen Blätter vom Spielplatz, sie wirbeln sie hoch und weit, tänzelnd steigen sie vor den Häusern auf und manche landen in der Dachrinne unter dem Fenster neben meinem Schreibtisch. Dort wehen sie auf der schnurgeraden Metallpiste das ganze Haus entlang, es klingt, als kämen kleine Wesen hastig gelaufen, ein hell aufgeregtes Wispern und schnelles Schlurfen, trippelnde Schrittchen, es ist ein eilendes, jagendes Rennen von vielen, vielen zielstrebigen Boten des frühen Dürreherbstes, Hunderte davon, eine ganze Armee läuft da im Laufe des Vormittags unter dem Fenster entlang, springt am Ende wieder in die Tiefe und fliegt in verschnörkelten Schwüngen Richtung Alster, ins Offene, ins Weite. Es ist ein Andersen-Geräusch, dieses Trippeln, und man könnte etwas vorgreifend märchenhaft anmutende Herbstgeschichten dabei schreiben, wenn man nur nicht dauernd so hart arbeiten müsste, hier in der Mitte der Gesellschaft.

Am Nachmittag hält eine Frau auf einem Fahrrad an einer Ampel vor mir. Sie trägt ein lilafarbenes Sommerkleid, das der Wind aufbauscht, sie hält es mit einer Hand zusammen. Der Himmel wird in diesem Moment grau, es fallen sogar ein, zwei Tropfen, und es fühlt sich an, als würde es genau jetzt, in dieser Sekunde, um zwei, drei Grad abkühlen und während ich das noch denke, sehe ich diese Frau frösteln, sie streicht sich schnell über die nackten Arme und wenn sie morgen wieder da entlangfährt, sie wird vermutlich sicherheitshalber schon Herbstmode tragen. Kipppunkte.

Im Supermarkt steht einer vor dem Leergutautomaten, schiebt seine Flaschen hinein und weint dabei. Leise weint er, ganz unaufgeregte Trauer. Ab und zu wischt er die Tränen aus dem Gesicht, sieht sich nach den Umstehenden um und winkt ab, kein Trost bitte, keine Fragen. Ich frage also nichts, ich sage nichts, ich setze nur meine Kopfhörer auf und höre Bach.

Wenn man im späten Sommer rechtzeitig Bach hört, passt am Ende im Herbst alles besser zusammen. Bilde ich mir zumindest ein.

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