Winds in the east

Ich befinde mich nach wie vor wohlig zufrieden in meiner künstlich zurechtgefilterten Dark-Arcademia-Autumn-Halloween-Pumpkinspice-Chopin-Area auf Instagram und Tiktok, es ist ausgesprochen nett und freundlich dort. Und ein wenig dunkel, das ist es natürlich auch, aber eben auf die heimelige Art. Man kann dort auch sehr schön langsam entgleisende Muster beobachten, das ist eine reizvolle und auch tiefsinnige Freizeitbeschäftigung. Ich will das einmal exemplarisch schildern.

Es beginnt mit irgendeinem Beispielfilm, den können Sie sich bitte kurz vorstellen, das reicht vollkommen aus. Ein Filmchen, in dem sich etwas im Wind bewegt, sagen wir Zweige vor einem Wohnzimmerfenster, am besten in der Abenddämmerung, am besten auf dem Lande, in schönster Zwielichtstimmung. Dazu halber Singsang in seltsam vertrauter Melodie: „Winds in the east …“ Ostwind also, damit wird es eine bestimmte Bewandtnis haben, Ostwind ist etwas Besonderes. Okay.

Schnitt.

Dann irgendwas mit Nebel, es könnte etwa ein abendlicher Hauch über ein Bächlein wehen, nur so ein angedeutetes Huschen, ganz kurz, man kennt das aus Gespensterfilmen, dazu wieder die Stimme, die jetzt nicht mehr singt, sondern eher sachlich feststellt: „Mist coming in.“ Und das versteht sich von selbst, dass aufziehender Nebel in irgendeinem erzählerischen Kontext stets etwas verheißt, was auch immer. Der Sprecher oder Sänger (Dick van Dyke) greift dann auch vor, er kündigt Kommendes an: „Like somethin‘ is brewin‘ and ‘bout to begin.” Es wird viel passieren, siehe auch Marienhof. Es ist aber noch nicht klar, was passieren wird: „Can’t put me finger on what lies in store”, da kommt dann die Melodie wieder, aber es wird einerseits etwas sein, das man vielleicht fürchten muss, jedenfalls den Lyrics nach: „But I feel what’s to happen all happened before”, und andererseits – wenn man sich die Original-Szene ansieht, aus der das Zitat kommt, sieht man doch das freudige Grinsen im Gesicht des Straßenkünstlers, Improdichters und Schornsteinfegers und man weiß eh, es geht um Mary Poppins, die als finstere Gruselhexe nicht recht in Betracht kommt. Was soll schon kommen, eine weitere liebreizende Szene wird es sein, und so ist es im Film dann auch, Chim-Chiminey.

Ein netter Soundschnipsel, eine nette Erinnerung auch, und irgendwie, wenn auch nicht zu Ende gedacht, ist das also grob passend in Richtung Herbst, Halloween etc., die sich auch jedes Jahr wiederholen, all happened before.

Nun machen das viele, viele Menschen nach, dieses Filmchen in solcher Machart, wer auch immer damit angefangen hat. Mit eigenen Mitteln und eigenen Szenen, mit eigener Kulisse wird nachgedreht. Sie halten also das Handy aus dem Wohnzimmerfenster, filmen Bäume, Hecken, Gras und was nicht alles, wenn es sich nur im Wind bewegt, wenigstens minimal. Der erste Take ist noch leicht, das findet man. Manchmal sieht es schon arg bemüht aus, das dürre Gras am Straßenrand, die Landschaft, der man den Wind nicht recht ansieht, weil nur die Wolken allzu langsam ziehen, aber es will noch angehen.

Dann wird es aber deutlich schwieriger: Mist coming in. Das ist nun ein Problem, denn die Wetterlage ist in vielen Gegenden dagegen. Trockener, goldener Oktober, keine Spur von Novembernebel, von mystischer Herbststimmung, von wabernden Ahnungen – nichts davon. Strahlender Sonnenschein, es ist deutlich zu warm. Und da filmen die Menschen nun Ersatz, etwa Wolken, die ihnen grob verwandt vorkommen, die sind doch auch irgendwie Dunst. Es gibt also Filmchen, da sieht man zweimal irgendwas, einmal etwas fast ohne Wind, einmal etwas ohne Nebel oder Dunst, aber dazu auf jeden Fall dieser Sound, denn man wollte ja mitmachen.

Einige sind rührend bemüht, etwas Stimmungsvolles zu suchen, einige halten einfach ihr Handy in die Gegend, anders ist es nicht mehr zu erklären, oder filmen sich selbst mit neckischem Hexenhut auf und gucken verspielt böse. Ein Meme weicht auf und zerbröselt und „Winds in the east“ ist am Ende einfach nur noch irgendein Herbstsatz, den man etwa ab Oktober reflexmäßig aufsagt. Und warum auch nicht, wir singen zu Weihnachten ja auch etwas von Schneeflöckchen, obwohl es längst nicht mehr schneit. Die Sinnfrage stellt sich nicht, die nach Traditionen schon.

Und nun ist es natürlich so, dass es egal ist, ob der Sinngehalt der Ursprungsszene aufweicht, und es auch komplett egal ist, was man da filmt – es stimmt doch immer. Selbstverständlich können Sie jederzeit eine Ahnung haben, kurz innehalten und an Kommendes denken – und dann kommt auch was. Pandemien und Kriege brechen aus, die Polkappen schmelzen ab und die Milch wird schlecht. Sie verlieben sich in die Nachbarin oder umgekehrt, Sie rutschen auf Laub aus und … und immer so weiter. Vielleicht zieht auch tatsächlich einmal Nebel auf und auf eine gewisse Art ist selbstverständlich alles Wiederholung, es ist nur eine Frage der rechten Betrachtung.

Ich hätte diese Sätze zum Beispiel summen oder denken können, als ich gestern ganz normal auf den Fahrstuhl in unserem Haus wartete, denn als die beiden Metalltüren zur Seite glitten, sah ich in der Kabine Drogenkonsum in flagranti, ausgeführt von einer älteren und fortgeschritten heruntergekommenen Frau, die Märchenfilmhexen nicht unähnlich sah, so geht es hier nämlich zu. Something is brewing about to begin, und zwar jederzeit und überall.

Mein Hirn neigt nun dazu, gewisse Catch-Phrases auf Endlos-Repeat zu stellen, ich werde daher vermutlich noch wochenlang vom Ostwind reden, vom Nebel und davon, dass etwas passieren wird.

Und Recht werde ich haben, so viel steht fest. Obwohl hier eher ein Südwestwind weht, und was für einer – unangemessen warm ist der, fast unheimlich warm, bedrohlich geradezu und was steht im Wetterbericht: „bei gering bewölkten Phasen leichte Nebelneigung´“ Also bitte. Mist coming in.

***

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Ein Kommentar

  1. Sie kennen noch Marienhof!

    ES WIRD VIEL PASSIEREN! UUUOOOHHOOO UUOOOHOO! NICHTS BLEIBT MEHR GLEICH! NICHTS BLEIBT BEIM AAALTEN WIIIIEEE GEHAAAHAAABT! ES WIRD VIEL PASSIEREN!

    Ohrwurm für die nächsten Tage. Sponsored by Buddenbohm und Söhne.
    Danke.

    PS.: Die Weltflucht sei Ihnen mehr als gegönnt. Schließlich lieben auch ?viele von uns Ihre neue Wellness-Rubrik auf Twitter.

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