Der Wind hat gedreht

Der Wind hat gedreht, eine Fee ist dabei nicht erschienen. Aber ich höre am frühen Montagmorgen immerhin mehrfaches, nach elbnebeligem Wetter klingendes Tuten aus dem Hafen, das ist ein besonders hamburgischer Moment, dabei mag ich die Stadt wieder etwas mehr. Südwest also, es wird in Kürze wieder etwas milder werden. Es sieht draußen allerdings nicht so aus, wie es dumpf wabernd klingt, keine Spur von Nebel ist zu sehen, klar ist die Nacht, der Morgen. Vielleicht hängt er nur unten, am und über dem Wasser, der Dunst. Der Mond ist eine schmale Sichel neben dem Kirchturm, wie präzise ausgeschnitten und in das Schwarz des Himmels geklebt. Daneben ein Funkelstern, der Arktur, so sagt jedenfalls die App, das ist der Hauptstern im Bärenhüter, wie schön klingt das denn. Einige schwächere Sterne ringsum, recht viele sogar für einen Großstadthimmel. Glanzpapierschnipsel auf schwarzem Grund. Saisonale Basteleien, in den Timelines wurden am Wochenende auch schon erste Kekse gebacken, es gab bunte Beweisbilder davon.

Wir haben Weihnachten aus dem Keller geholt, weil wir gerade Zeit dafür hatten und sowieso da unten waren, aber es kam uns noch etwas früh und nicht recht stimmig vor. Wir haben Weihnachten noch nicht ausgepackt. Weihnachten steht jetzt erst einmal in der Abstellkammer.

Der Nachbar übt am Wochenende mit Ausdauer Gesang. Was ich erkennen kann, klingt nach weihnachtlicher Chormusik, aber ganz sicher bin ich mir nicht, mangels entsprechender Kenntnisse. Lange übt er jedenfalls, mehrere Stunden, mit viel Hingabe, stelle ich mir vor. Dann sitzt er wieder am Klavier, auch das lange. Beim Brötchenholen am Sonntagmorgen höre ich im Vorbeigehen, wie sich jemand in der Kirche warmorgelt. Ich gebe jeden Widerstand auf und mache zuhause beim Tippen am Vormittag versuchsweise die Buddenbohm-Weihnachtsplaylist auf Spotify an, auch das zu früh. Der Christmas Waltz von Peggy Lee ist dennoch schön und verhilft mir zu einer spontanen Kolumnenidee, da will ich nicht meckern.

Ich gehe zur Bücherei, die noch neue Sonntagsöffnung muss unbedingt regelmäßig unterstützt werden, denke ich. An der Tür klebt ein Zettel: Am Totensonntag öffnet die Bibliothek nicht. Guck an, denke ich, so fröhlich-vergnügt und ausgelassen kamen mir meine Büchereibesuche am Sonntag nun auch wieder nicht vor, dass man sie am trüben Totensonntag hätte streng untersagen müssen, um dem Ernst der Sache gerecht zu werden. Mehrere Menschen kommen neben mir zu dieser Tür, lesen den Zettel, drehen sich kommentarlos um und gehen wieder. Volle Bücherrucksäcke auf den Rücken, die müssen sie wieder heimtragen. Die meisten wirken erstaunlich gleichmütig dabei. Ich nehme an, dass nahezu alle meinen ersten Gedanken teilen: „Na, egal. War ich wenigstens mal draußen.

Das ist, Sie werden es kennen, an Sonntagen im Winter ein Gedanke von besonderer Wichtigkeit und Vernunft. Und Vernunft, nicht wahr, da stehen wir ja drauf.

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4 Kommentare

  1. Und wir freuen uns auf eine Episode die eventuell wie folgt überschrieben wird: ‚ als Weihnachten aus der Abstellkammer geholt wurde‘ .
    Eine schöne Voradventswoche für alle Buddenbohms 🙂

  2. Auch unsere Stadtbibliothek hat am Sonntag geöffnet. Und sie hat sich in unserem sozial eher schwachen Stadtteil zu einem wichtigen Sonntagstreffpunkt gemausert. Auch weil es Leseecken in verschiedenen Landessprachen (Türkisch, Griechisch…) gibt. Da sind Eltern mit Kinder beim Schlechtwetterausflug, lernende Abiturienten, schmökernde Senioren… finde ich toll und hoffe, dass die Finanzierung in den kommenden Jahren weiter steht.

  3. Moin. Ich bin ja geneigt zu hoffen, dass die Episode „Weihnachten aus der Abstellkammer holen“ auf den Zwölften fällt. So mit 12 aus 12 Fotos. Könnte mir nämlich gut vorstellen, dass diese Kiste voller schlichter Eleganz steckt. 😉

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