Nach der Ankunft in Minden am Sonnabend wollen wir noch eben Blumen zum Muttertag kaufen, auf der Weiterfahrt mit dem Auto ins Heimatdorf, wobei wir aber vorher nicht recht bedacht hatten, dass die Öffnungszeiten der Blumenläden in einer Gegend, die von Hamburg aus betrachtet sicher als Provinz zu bezeichnen ist, natürlich ohne es abwertend zu meinen, nicht zwingend mit denen im Hamburger Hauptbahnhof korrelieren. Wir sind nach all den Jahren in der Mitte der Großstadt dezent verwöhnt und die Läden hier, sie sind alle schon geschlossen.
An einer Ausfallstraße sehe ich schließlich doch noch Pflanzen, Preisschilder und blühende Blumen in Kübeln am Straßenrand, ich rufe „Links!“ und die Herzdame hält einigermaßen abrupt und biegt dort ein. Was ich nur deswegen erwähne, weil ich danach eine ganze Weile und mit zunehmender Erheiterung beobachten kann, wie es anderen auch so wie uns geht, bis hin zum Bremsen mit quietschenden Reifen vor dem Geschäft – man hält hier noch in letzter Minute und rettet sich und damit vermutlich auch den nächsten Tag. Erleichterung auf den Gesichtern der Einkaufenden. In meiner Familie hat der Muttertag keine Tradition, meine Mutter wäre eher pikiert, wenn ich mich ausgerechnet an diesem Tag bei ihr melden würde („Was soll das denn jetzt!“), aber andere Familien sind in dieser Beziehung anders, ich verstehe das. Und die Ironie aller bewussten Vermeidungen gilt auch hier, ich habe an diesem Tag also ebenfalls etwas sorgsam zu beachten, genau wie alle anderen. Tatsächlich fühlen sich aber Tag und dazugehörige Riten für mich eher fremd an und ich bin nicht eben gut darin, die Söhne an den Muttertag zu erinnern. Bei dem Wort passiert in mir einfach zu wenig, eine weitgehend assoziationsfreie Zone. Diese vielen Geschichten vom Vergessen, von Undank und Enttäuschung oder umgekehrt von großer Freude und Familienglück habe ich nie erlebt. Aber wir regeln alles noch, trotz besonderer Umstände und spezieller Stimmung, trotz Reisetag.
Dann nach dem Pflanzenkauf eine kurze Debatte im Auto, ob es nun „Einäugige Susanne“ oder „Schwarzäugige Susanne“ heißt. Die Herzdame hat die etwas piratenhaft anmutende Bezeichnung für die Pflanze im Sinn, ich dagegen die gärtnerisch korrekte Version. Und ich habe so selten Recht, es ist mir geradezu ein Anliegen, es dann auch zu erwähnen, wenn es doch einmal eintritt. Die Herzdame wird aber, ich kenne das schon, ihre falsche Bezeichnung so konsequent einfach weiterhin benutzen, dass sie im Rahmen der Familiengespräche schon bald vollkommen richtig, wie lange gewohnt klingen wird, und meine Wortwahl daher als seltsam abgehobene, sprachspießige und humorlose Besserwisserei daherkommen wird. Man muss erkennen, wo man nichts gewinnen kann.
Dann Abendessen im Garten. Das erste Mal sitzen wir bei einer Mahlzeit draußen, wie spät das in diesem Jahr stattfindet, vermutlich ein Negativrekord. Die Amsel tritt währenddessen auf der Schornsteinbühne auf und begleitet uns musikalisch, mit großer Ambition und grandiosem Auftritt. Nach dem Essen rücken die Herzdame und ich uns noch zwei Gartenstühle in die Sonne am Feldrand. Man kann gerade eben noch entspannt im letzten Licht sitzen, etwa ein Grad lang noch, länger sicher nicht mehr. Wir lassen uns, wie es bei Keyserling heißt, dort „wohlig von der Abendsonne vergolden.“
Wir schaffen immerhin zwanzig Minuten auf diese Art und haben also auch das erreicht; wir haben da nur so gesessen und es war schön. Mitte Mai.
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Die Herzdame hat natürlich Recht. Es gibt nur die eine einzig wahre Antwort. Piratinnenhaft. Ganz klar.
Schon bei Ihrem letzten Eintrag (und zuvor auch schon immer mal wieder) hat mich der Auftritt der Herzdame bzw das, was sie in Ihnen auslöst tief bewegt. So auch heute Ihrer beider Verbindung zueinander.
Diese Liebe, die Sie teilen, ist etwas so Wundervolles und Besonderes, dass es mich jedes Mal freut, sogar beruhigt, ganz still werden lässt, wenn Sie uns an einem dieser Augenblicke teilhaben lassen. Danke.