Wir gehen auf das Helgoländer Oberland, welches von dem Unterland, in dem es in den knappen Stunden der Tagestouristen immer etwas trubelig zugeht, nur ein paar Höhenmeter entfernt ist, auf dem man aber doch schlagartig in einer anderen Welt ist, weit draußen, abgelegen, entrückt. Es ist eben unweigerlich beeindruckend, auf einer hohen Klippe am Rand der Welt zu stehen und zu fühlen, wie da der gewaltige Wind vom Meer her ankommt, mit einer Intensität, Frische und Schärfe, die man auf dem Festland gar nicht kennenlernen kann. Ein Gefühl wie auf hoher See, und da ist man ja auch.
Wenige Menschen gehen dort oben herum, und die, welche man doch trifft, sind oft hochkonzentriert und beachten einen nicht oder kaum, weil sie mit enormen Geräten Vögel fotografieren oder beobachten und dafür auf der Lauer liegen, stundenlang wohl. Oder weil sie zu zweit oder mit niemandem sonst allein sind, versonnen herumgehen und auf ganz andere Gedanken als sonst kommen, das kann man an solchen Orten auch erwarten. Es kommen einem manchmal, und ich kann mit großer Sicherheit sagen, dass das sonst selten passiert, still lächelnde Menschen entgegen. Sie haben vielleicht gerade lange am Klippenrand dem Segelflug der Basstölpel zugesehen, so etwas tut gut. Oft wird sogar gegrüßt, was einigermaßen amüsant ist, da das im Unterland niemandem einfallen würde, und es ist doch nur ein paar Treppenstufen entfernt. Hier oben ist es anders, hier ist alles anders.
Wir gehen auf die höchste Erhebung, zu dem Gipfelkreuz mit dem Gästebuch, das, so sehen wir, erstaunlich fleißig vollgeschrieben wird. Wir fragen uns, was wohl mit den vollgeschriebenen Büchern gemacht wird, ob es ein Archiv dafür gibt, es müsste schon recht groß sein, einige Regalmeter. Oder ob die nach Gebrauch einfach entsorgt werden? Das aktuelle Buch ist wenige Wochen alt und so gut wie voll. Jemand wird ab und zu nachsehen, ob schon wieder eines nachgelegt werden muss, was ist das für eine faszinierende Aufgabe. Irgendwer hat das in der Stellenbeschreibung, ein netter Gedanke.
Eine Frau steht auch gerade da, als wir im Buch blättern, sie sagt leise: „Und jetzt waren wir auch hier.“ Sie sagt es ohne diesen Triumph, den man sonst oft bei diesem Satz von Touristen hört, dieses „Wir haben es geschafft, gemacht, geleistet, erreicht, abgereist“, es ist nur eine schlichte Feststellung, und sie sagt sie mehr zu sich selbst als zu uns und sieht dann lange zum Horizont. Einige Schiffe liegen oder fahren weit draußen, man kann sie gerade noch erkennen.
Die Vögel kreisen rufend über uns. Diese großen Seevögel, die man sonst nie sieht, und es ist wunderbar, ihnen zuzusehen. Jedenfalls wenn man nicht zu genau hinsieht, denn dann sieht man in den Felsen, an denen sie brüten, die Reste der Fischernetze aus Plastik, die sie unweigerlich zum Nestbau verwenden, und in denen sie sich dann oft heillos verheddern und sterben. Über Kopf hängende Trottellummen, halb verwest, wie ein Mahnmal im Fels. Man muss schon bemüht darüber hinwegsehen und noch einmal in den Himmel, aus dem immer wieder Basstölpel herabkommen, mit ihren tiefen Landeanflusgsrufen.
Am Klippenrand sehen wir die Hinweisschilder, Vogelgrippe, Vogelpest. Unbeschwert kommt man auch hier nicht mehr längs, natürlich nicht, unbeschwert gibt es nicht mehr.
Und doch tut es gut, wieder dort zu sein. Schon während ich schreibe, könnte ich gleich noch einmal los, ich bin ohnehin viel zu selten da.
Der letzte Besuch lag vor der Pandemie, und wie lange ist das denn her.
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Im Abendblatt gelesen: „Ist ein Buch vollgeschrieben, wird es ersetzt. Die Gemeinde verwahrt die Gipfelbücher auf.“
Überhaupt eine nette Geschichte, wie es zum Gipfelkreuz kam:
https://www.abendblatt.de/region/pinneberg/article239366981/Helgoland-Wie-das-Gipfelkreuz-zum-Pinne-Berg-der-Insel-kam.html
(Ich war noch nie auf Helgoland. Sehr schade eigentlich.)
War neulich am selben Vogelfelsen – und vom Gestank überwältigt. Gute Güte bzw. holy Guano, war das intensiv und abstoßend. Bei allen anderen Beobachtungen auf dieser Insel bin ich bei Ihnen, das hatte ich auch so wahrgenommen – ich wundere mich nur, dass Ihnen der Gestank nicht aufgefallen ist.
Nase voll?
Es hat mich nicht gestört. Vermutlich aber auch eine Frage der Windrichtung.
Ich war vor einigen Jahren über den 1. November dort.Ab diesem Tag dürfen die Helgoländer mit Rad und Roller fahren für die Wintersaison. Vor allem die Kinder sausten happy rauf und runter und hin und her. War sehr lustig anzusehen diese ausgelassene Stimmung. Gruß aus dem Münsterland Anke
Ich dachte wegen „Und jetzt waren wir auch hier“ an eine Geschichte, die Jan Müller, der Bassist von Tocotronic, neulich in seinem Musikpodcast erzählte. Die Band war mal für einen Videodreh auf dem Felsen von Gibraltar und überhörte das Gespräch zwischen einem deutschen Paar, in dessen Verlauf der Mann den schönen Satz sagte „Aber hier leben? Nein danke!“ Der Rest ist kleine Popgeschichte: Dhttps://www.youtube.com/watch?v=8vVjT8xAoD8