Speziell normal

Speziell normal

Sowohl die Herzdame als auch ich haben auf Helgoland viel gefilmt, also für unsere Verhältnisse. Sie können das in den Instagram-Accounts bei ihr und mir sehen. Wobei sie übrigens auf Instagram nennenswert mehr Erfolg hat als ich, wenn man das nach bloßen Klickzahlen beurteilen möchte. Sie hat hier im Blog, wenn sie einmal etwas schreibt, auch zuverlässig mehr Leserinnen als ich, also genau genommen VIEL mehr. Ich halte ihr eigentlich nur dauerhaft das Blog warm, bis sie wieder einmal kurz auftritt und abräumt.

Ab und zu überkommt es mich jedenfalls doch einmal, und ich denke plötzlich, dass Reels, Storys oder ähnliche Formate genau richtig und auch dringlich sind, zumindest jetzt gerade, am besten sofort, und ich kann dann intensiv viel Zeit damit verbringen und stundenlang Motive suchen, die ich auch prompt überall sehe, ich kann hundert Songs für den Soundtrack probehören und an den tausend spaßigen Einstellungen in den Apps dort bis zum Umfallen herumspielen, ganz so, als sei es eine hochwichtige wissenschaftliche Arbeit oder ein seröses To-Do für die Bewältigung eines fordernden Jobs.

Und ich verstehe in diesen Situationen nicht recht, wieso ich das sonst nicht mache. Ich weiß aber auch, dass diese Lust am Clip oder überhaupt am Bild in wenigen Tagen schlagartig wieder vorbei sein wird, dass es dann Wochen oder Monate ohne jedes Bewegtbild von mir geben wird. Ich werde dann nicht einmal mehr Motive für so etwas sehen, nirgendwo.

Und ich ahne auch, dass ich bei weiterer und näherer Beschäftigung mit dem Thema schnell vollkommen lost wäre, aus dem Loch gäbe es für mich bei dauerhafter Beschäftigung, über Anfälle hinaus, vermutlich so leicht kein Entrinnen mehr. Es ist sicher gut, dass die Phasen eher kurz sind.

Aber wenn ich jetzt etwas Schönes sehen würde – ich könnte schon wieder.

Blick von der Landungsbrücke aus auf die Hummerbuden

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Es gibt auf Helgoland eine Sparkasse, es gibt eine kleine Klinik, es gibt Ärzte und gleich mehrere Edeka-Märkte und dann sogar noch einen für Drogerie-Artikel. Es gibt eine Schule, eine Bücherei, eine Apotheke, es gibt noch diverse andere Läden und auch reichlich Gastronomie und natürlich überhaupt alles, was Touristen so erwarten. Wenn man längere Zeit dort ist, kommt man also eine Weile gut klar, wenn man nicht gerade sehr spezielle Dinge oder Dienstleistungen benötigt, die es nur auf dem Festland gibt. Es ist auf der Insel alles fußläufig erreichbar, es ist alles nur eben um die Ecke oder vielleicht eine Treppe weiter.

Im Heimatdorf der Herzdame in Nordostwestfalen dagegen, der Vergleich bietet sich wegen der Einwohnerzahl an, hat gerade der Bäcker geschlossen, und auch die Apotheke ist bald endgültig zu, las ich neulich. Gastronomie irgendeiner Art gibt es schon eine ganze Weile nicht mehr, auch sonst keine Läden des täglichen Bedarfs und mit der medizinischen Versorgung sieht es denkbar schlecht aus, wenn man nicht gerade ein Pferd oder eine Katze ist. Es ist ein fast komplett totes Dorf, was die Infrastruktur der Versorgung für den Alltag betrifft, abgesehen von zwei Kaugummiautomaten mit historischer Anmutung. Es gibt eine lebendige Dorfgemeinschaft, aber das hat nicht geholfen. Um auf dem Land dauerhaft autofrei klarzukommen, um einen lebendigen Ort darzustellen, müssten Dörfer wie Helgoland ausgerüstet sein, also wie sie es früher auch waren, fast überall. Ein Laden, ein Bäcker, eine Ärztin, eine Apotheke, eine Schule, man kann das in jedem Roman aus dem letzten Jahrhundert nachlesen.

So ist diese Insel einerseits ein auffälliger Spezialfall in nahezu jeder Hinsicht, sie ist andererseits aber auch eine Erinnerung, wie Siedlungen früher funktioniert haben, und zwar im Normalfall.

Man geht raus und kauft ein. Der Laden ist klein, die Auswahl ist überschaubar, aber man kommt zurecht und man trifft nebenbei die halbe Nachbarschaft, was gesellschaftlich auch nicht unwichtig ist, und dass man das alles autofrei erledigt, es wirkt auf Helgoland seltsam selbstverständlich, denn es geht eben nicht anders. Und wenn es nicht anders geht, dann findet man Möglichkeiten, damit umzugehen. Darüber liest man vermutlich so weg, aber es ist doch ein wichtiger Umstand, glaube ich.

Im Heimatdorf der Herzdame hat man sich mit viel Einsatz große Mühe gegeben, dieses Absterben der Infrastruktur aufzuhalten, aber es ist nicht gelungen. Es scheint sehr speziell zu sein, abseits von kleinen Inseln ein normales Dorf sein zu wollen, und mir ist nicht klar, ob wir das überhaupt wieder herstellen können oder auch nur ernsthaft wollen. Also abseits der Inseln.

Die Landungsbruecke auf Helgoland im Abendlicht

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Ein Kommentar

  1. „Deutsche Eiche made in China“ wird Ihnen ein Begriff sein, nehme ich an. Falls nicht, Leseempfehlung, wird nur aktueller.

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