Gründlich weg

Mittwoch, der 13.9., nachmittags. Wir fahren rüber zur Düne vor Helgoland, wir gehen die große Runde über das kleine Inselchen, und das klingt nur wie ein Widerspruch. Auch kleine Inseln reichen manchmal für große Runden, man muss nur langsam genug gehen.

Das ist etwas, das Tagestouristen entgeht, dieser Dünenausflug. Er ist bei einem Kurzaufenthalt nicht zu schaffen, ist aber doch die wichtige Steigerung zu Helgolands Abgeschiedenheit, denn man ist hier, wenn man mit der kleinen Fähre kaum zehn Minuten hinübergefahren ist, noch weiter draußen als ohnehin schon, noch nennenswert entrückter. Und man kommt auch, das ist für das Gefühl wichtig, nicht mehr so leicht zurück. Man müsste immerhin erst mit zwei Fähren fahren, um das Festland wieder zu erreichen, jedenfalls wenn man nicht gerade in dieses winzige Flugzeug steigen möchte, das regelmäßig von der Düne abhebt, von diesem Miniaturflughafen dort. Aber ich fliege ja ohnehin nicht, weil Umwelt.

Nein, man ist weg, gründlich weg.

Ein angespülter Fender am Strand der Düne vor Helgoland

Und auch auf der Düne gibt es dann auch noch einmal eine abgewandte Seite, weg von allem, wo kaum noch Leute sind, kaum Spaziergänger, weil die Attraktionen nicht dort sind, das Restaurant nicht, der Spielplatz nicht, dabei ist eben das doch die Attraktion. Da also stehen und aufs Meer sehen, das ist es. Das fühlt sich jedes Mal seltsam romanhaft an, und wenn ich in diesem Leben noch einmal wirklich große Beschlüsse fassen müsste, ich würde es gerne dort tun wollen, genau dort. Ich könnte die Stelle im Sand markieren, die ich meine.

Allerdings lieber nicht neben dem Mann, der da vorne gerade in der Brandung steht, der überhaupt nichts anhat und die Beine weit spreizt, die Arme auch, der die Hände dann zum Himmel hebt, als würde er geneigte Göttinnen oder in den Wellen aufschäumende Meergeister anrufen, und der dann lange so stehen bleibt, mitten in den Wellen, im Wind, den Kopf nach hinten geworfen, den Blick in den Himmel gerichtet. Also der kann da selbstverständlich machen, was er will, der Naturanbeter, es ist ein freies Inselchen, aber ich finde es doch etwas ablenkend. Ich muss immer diesen Mann ansehen, dabei geht es hier doch um die Nordsee, um das Grau, das Blau, die Wolken, den Himmel, den Horizont und auch um die Robbe, die sich vor uns an Land wälzt. Es ist eine Robbe, kein Seehund, das immerhin gibt mehrjährige Helgolanderfahrung als Learning her. Ich kann das mittlerweile sehen.

Wir gehen am Friedhof der Namenlosen vorbei und läuten dort die große Glocke („bitte nur einmal läuten“, für jedes Hinweisschild gibt es einen Grund). Der Friedhof für die aus dem Meer, welche, so steht es auf einem anderen Schild, hier wenigstens Ruhe finden und kein weiteres Leid.

Das Holzschild mit dem Hinweis zum "Friedhof der Namenlosen" auf der Düne vor Helgoland

Ich kann mit Sicherheit sagen, dass ich bei unserem ersten Besuch der Insel, 2009 war das, dort noch nicht vor den Erinnerungstafeln auch an Menschen im Mittelmeer gedacht habe, an die Angetriebenen anderswo. Heute kann man kaum anders. Wie könnte man sie nicht mitdenken, wenn man dort steht, wie könnte man die Nachrichten und Bilder nicht im Sinn haben.

Man sieht hier aber noch, ganz deutlich sieht man es, wie wir den Tod im Meer vor nicht allzu langer Zeit wahrgenommen haben, also mit Respekt, Furcht und Erschauern. Das hat sich so gehört, in jener Zeit.

***

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3 Kommentare

  1. Ich stolpere – und vielleicht sollte ich vorher anmerken, dass das Folgende bitte nicht als selbstverliebtes Syntaxsplaining verstanden werden sollte, sondern als gleichermaßen echtes Interesse an der Formulierung wie als Verwirrung über deren Form – wo war ich noch gleich, ach ja: Ich stolpere über die Formulierung „noch nennenswert entrückter“ und erlaube mir nachzufragen:
    – nennenswert noch entrückter?
    – noch nennenswerter entrückt?
    – aber mal ganz was Anderes?
    Die erhabene Schönheit der restlichen Dünen-Miniatur – eh klar und von meinem Genöle hoffentlich unberührt.

    Ergebenster Gruß aus Köln
    Marquee

  2. Tsihi und der Naturanbeter hatte sich gerade genussvoll in die Brandung gestellt und dann kam da dieser Typ und ging nicht weg und er musste jetzt stehenbleiben und konnte sich nicht umdrehen. 🙂

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