Wegsinkende Kapuzinerkresse

Dienstag, der 19. September. Das Datum klingt allmählich wie Ende September, also wie gleich ist schon Oktober, und heute nach dem Aufwachen hört es sich da draußen auch so an, denn der Wind heult ums Haus und flötet munter auf der Lüftung im Bad. Es wird hier ein wenig Herbststurm gespielt, wenn auch nur mezzo piano, und von dem im Wetterbericht mehrfach erwähnten Regen wird wieder so gut wie nichts mitgeliefert. Auf dem Spielplatz unten kreist währenddessen am frühen Morgen ein hysterisch schreiender Crack-Junkie durch den Sand und wirft alle paar Schritte die Hände zum Himmel, wie eine Gestalt in einer griechischen Tragödie. Das bloße Heulen des Windes wäre deutlich romantischer gewesen.

Home-Office, es wird nebenbei ein Rasenmähbeschluss gefasst. Es ist ein guter Tag dafür, immerhin ist es windig, dann gibt es endlich auch in der großen Stadt halbwegs frische Luft, der Spätsommer wird einmal durchgepustet. Ich fahre in den Garten. Die riesigen Pappeln hinter der Laube biegen sich mit erstaunlicher Grazie im Wind und die letzten Blüten tanzen in den Beeten, verblassende Rosen schwanken, wankende Gladiolen und wegsinkende Kapuzinerkresse, die keine Kraft mehr hat, sich an den Zäunen noch zu halten, morbides Ballgeschehen verblühender Schönheiten.

Die Kornelkirschen sind jetzt reif, ein sattes, dunkles Rot, verlockend sieht das aus. Ein letzter Hokkaido reift am Kompost, zwei Birnen hängen auch noch. Steckrüben könnte ich heute ernten und eine Handvoll Herbsthimbeeren gibt es weiter zuverlässig bei jedem Besuch auf der Parzelle. Den letzten Tomaten aber fehlt nun deutlich die Süße, aus denen wird nichts mehr. Die Tomaten sind durch und mit ihnen also der intensive Glühsommer. Die Kreuzspinne hinten am Schuppen hat eine gemeingefährliche Größe erreicht, ich stehe davor und staune. Es gibt die üblichen Kreuzspinnen – und es gibt diese hier.

Ich sehe ansonsten heute kein einziges Tier, keinen Vogel, kein Insekt, kein Eichhörnchen, keinen Igel, keine Maus. Lebendig wirkt nur der Wind, der an allem herumspielt, als würde er versuchen, ob ihm das wieder Spaß macht, auch in dieser Saison, er fasst alles schon einmal versuchsweise an. Und ich fuhrwerke also mit dem Rasenmäher durch die Stille der werktäglich verlassenen Gartenanlage, der Mensch erscheint wieder als lärmender Lästling für all die kleinen Wesen im Verborgenen.

Fallobst auf einem Holztisch im Garten, im Vordergrund eine Laterne mit einer Kerze darin an einem Baum

Es liegen nach wie vor kaum Blätter auf dem Rasen, es sind auch kaum gelbe Fleckchen in den Bäumen zu ahnen, man trägt noch mattes Grün. Ich sammele die späten, schon teilvermoderten Äpfel auf, und auch die ersten Zweige, die der Wind bereits gerissen hat.

Ich setze mich nach dem Mähen in die Laube, in der ist es immer noch augustwarm.

Vor dem Fenster der Wind in der Weide.

***

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7 Kommentare

  1. Leider hatte meine Kapuzinerkresse keine Gelegenheit zu sinken. Sie ist Opfer einer Raupeninvasion geworden, die den kompletten Busch hernieder gemacht hat. Als weiteres Opfer ist die Fuchsie zu beklagen. Die anderen Blumen sind aber verschont geblieben.
    Sonst wird die Kresse immer nur Opfer von schwarzen Blattläusen…

  2. Nun gut, da Sie selbstreflektierend schon das Wort „Lästling“ verwenden, hier noch der passende Soundtrack fürs nächste Mal:
    https://youtu.be/QiGJXIaZtzU?feature=shared
    Und immer unbedingt an die Regel von der auf youtube kommentierenden Person johnnythemachine denken: Nie, aber wirklich nie gleichzeitig miz anderen mähen! Sonst gerät die Matrix aus den Fugen.

  3. Wie stimmungsvoll!
    Aber grüne Tomaten reifen auch noch auf dem Fensterbrett (oder an jedem anderen Ort) langsam nach und werden rot – gut, es ist nicht mehr der sonnendurchglühte Tomatengeschmack, aber es sind immer noch Gartentomaten!
    Das wissen Sie aber schon, oder?

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