Donnerstag, der 12. Oktober. In der Innenstadt hängt alles voll mit Naziparteiplakaten, ich sehe es beim abendlichen Spaziergang am Mittwoch und ich würde lieber daran vorbeisehen; aber es sind wirklich viele. Irgendwo dazwischen ein einsames SPD-Plakat, schon in sich zusammengesunken, wie die ganze Partei. Dann ein durchgeknallter Messias-Verschnitt, geifernd, brüllend und mit den Händen und der Bibel fuchtelnd steht er da und wettert auf Passanten ein. Etwas weiter wieder wie immer der auf der Kiste und mit dem Plakat, das in wirren Worten zur Umkehr mahnt, wohin auch immer. Jeden Tag steht der da, das ganze Jahr, bei jedem Wetter, und immer guckt er enttäuscht, sicher weil niemand umkehrt. Ein Straßenmusiker flötet im Sitzen am Wegesrand ohne erkennbare Melodie auf einem Plastikinstrument, er macht eher ein nervtötendes Dauergeräusch als Musik. Ein anderer geigt gekonnt und wirbt auf Flyern für seinen Instagram-Auftritt. Teenie-Mädchen stehen kichern vor ihm, er redet nach einem Stück auf Englisch mit ihnen. Junkies wanken hier und da durch die Menge und betteln mit erhobenen Bechern, ein Mann mit verbogenen Gliedmaßen schiebt sich auf einem Skateboard sitzend vorwärts, die verkrüppelten Füße schleifen über das Pflaster. In einem Deko-Laden hängt schon ein leuchtender, funkelnder Schriftzug: „It’s Christmas time“ und in den Hauptbahnhof eilen gerade Bundespolizisten im Laufschritt, es kommen immer noch mehr nach. Da gehe ich dann heute lieber einmal außen herum.
Spaziergänge durch diese Stadt sind auch nicht immer erholsam, das wollte ich nur eben sagen. Aber an der Binnenalster der Ausblick.
Ich melde mich am Morgen krank, ich lege mich wieder hin, nachdem alle aus dem Haus sind und der Morgen geregelt. Wieder in den Schlaf fallen wie ein Lot in unsicheres Gewässer, es war wohl nötig. Von draußen erst Baustellenlärm, the jackhammer’s digging up the sidewalks again, man müsste Tom Waits dabei hören. Dann die selbstverständlich benzinbetriebenen Laubbläser auf dem Spielplatz. Es liegt kaum Laub dort, es fällt ja nichts, aber Termin ist Termin, muss man sich wohl vorstellen, und sie gehen also weisungsgemäß im Kreis und blasen Staub. Dann der haltende Lieferwagen mit den Getränkekisten vor der Tür, hinter dem alle hupen, man hat es hier nicht so mit der Ruhe. Dazu noch die Türklingel, Pakete für die Nachbarn, Werbung, sonstige Postdienste und auch die verrückte Nachbarin. Ich stelle dann die Klingel aus.
Ein Tag im Dämmerzustand, Batterien neu laden. Es gelingt so leidlich.
Die Herzdame ist währenddessen wieder auf Dienstreise, diesmal in Soltau, neulich war sie in Ulm, davor in Dortmund, alles so Städte, über die man in einem Quiz irgendwas wissen müsste, aber sich doch nicht ganz sicher ist. Ich lese über Soltau in der Wikipedia nach:
„In Soltau kam es kurz vor der Befreiung der Stadt durch alliierte Truppen im April 1945 zu einem Verbrechen an entflohenen KZ-Häftlingen. Diese hatten sich aus einem zerbombten Güterzug in Soltau befreien können. In den folgenden Tagen wurden über 100 von ihnen durch Angehörige der Wehrmacht, SS, der örtlichen Hitlerjugend sowie von einigen Soltauer Bürgern gejagt, eingefangen und anschließend an Ort und Stelle oder an Sammelplätzen im Stadtgebiet erschlagen bzw. erschossen. Unter Lebensgefahr unterstützten einige wenige Bürger Geflohene mit Nahrungsmitteln und Kleidung. Gerichtsverfahren gegen Beteiligte in der Nachkriegszeit endeten mit Freisprüchen aus Mangel an Beweisen. Zur Erinnerung an diese in Soltau ermordeten Menschen wurde 2007 nahe der Tötungsstelle ein Mahnmal aus acht Musterstelen des Berliner Holocaust-Mahnmals errichtet.“
Musterstelen an der Tötungsstelle, wie intensivdeutsch klingt das denn.
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Ist an dieser Stelle nicht mein Job, würde aber trotzdem am liebsten eine spontane Umarmung tätigen.
Soltau ist mir ausschließlich bekannt durch das Brettspiel „Deutschlandreise“, dalas noch in der Warschauer-Pakt-Edition.