Eine Dankespostkarte

Rückseite

Ich habe zu danken für die freundliche Zusendung eines Portemonnaies mit Mangaaufdruck, begierig in Besitz genommen von Sohn II, er lässt grüßen und findet LeserInnen super. Ferner gab es ein Buch für die Herzdame, nämlich die Mittagsstunde von Dörte Hansen. Den Roman kenne ich bereits, ich fand ihn großartig. Vielen Dank!

Vorderseite

Es ist nun leider so, es gibt eindeutigen Motivmangel. Ich sehe nichts mehr, die Aufmerksamkeit lässt nach, es sieht alles gleich aus, es hebt sich nichts mehr ab. Ich müsste viel weitere Kreise ziehen, um wieder etwas wahrzunehmen, aber ich komme hier ja nicht raus. Ich gehe unzufrieden durch die immer gleichen Straßen zum Einkaufen in die immer gleichen Läden, es sieht alles aus wie gestern und vorgestern, wie letzte Woche und wie im Monat davor. Die Schaufenster werden nicht mehr umdekoriert, wozu auch. Mir kommen jeden Tag die gleichen Leute wieder entgegen. Vielleicht sind es auch andere, vermutlich sogar sind es andere, aber ich merke nichts mehr. Ich sehe mich um, ich sehe nichts oder zu wenig. Ich muss mich konzentrieren, ich bleibe stehen und gucke gründlich.

Am Straßenrand eine Obdachlose, vor ihr der obligatorische Becher mit wenigen Münzen darin. Ein junger Mann bleibt neben ihr stehen und das Folgende kann ich Ihnen als unspektakuläre Postkarte nur anbieten, wenn Sie sich das Bild bitte mal eben comicartig vorstellen möchten. Es enthält zwei Sprechblasen, denn ohne Dialog klappt das nicht, es geht überhaupt nur um den Dialog. Eine Obdachlose also am Straßenrand, haben Sie die? Dazu noch ein junger Mann, vor ihr stehend, mehr Bild brauchen Sie gar nicht, Ihre Vorstellungskraft wird hier nicht großartig herausgefordert, möchte ich meinen. Der junge Mann sagt, jetzt bitte die erste Sprechblase: „Möchten Sie vielleicht etwas essen oder trinken, darf ich Ihnen etwas bringen?“ Genau so sagt er das, denken Sie sich ruhig ein Blümchen in die Sprechblase und eine ausgesprochen freundlich wirkende Schrifttype. Es ist ausgesucht höflich, wie er da formuliert, mit diesem herrlich oberkellnerhaften Dürfen im Satz, das hört man nicht mehr so oft. Darf ich ihnen etwas bringen? Das haben wir alle lange nicht mehr gehört, diese obdachlose Frau aber vermutlich noch viel länger nicht. Und sie guckt überrascht, lächelt dann erfreut und sagt in perfekt passender Tonart, jetzt bitte Sprechblase Nummer zwei: „Gerne, ein heißes Getränk wäre jetzt angenehm.“ Mehr nicht. Aber das war schon schön, das nehmen wir so.

Wobei ich hier noch einen kleinen Exkurs dranhängen möchte, am Beispiel des Comics, den Sie jetzt vielleicht tatsächlich im Kopf hatten. Da hatten Sie also diese Obdachlose und den jungen Mann, etwas Straße vielleicht, irgendwie Großstadt eben. Autos, eine Ampel, etwas in der Art, und diese zwei Sprechblasen. Den Becher, die wenigen Münzen, kurze Großaufnahme. Spannend könnte man jetzt finden, wie die beiden sprechenden Personen aussahen, denn das schreibe ich so gut wie nie. In diesem Fall kam nur „jung“ als nähere Beschreibung des Mannes vor. Wie sieht der Mann also aus? Es ist nämlich so, ich lebe hier in der Mitte der Großstadt. Der Mann sah vielleicht nicht so aus, wie Sie ihn sich gedacht haben. Er war vielleicht erheblich dunkelhäutiger, um nur eine Möglichkeit zu benennen, es gibt noch viele, viele andere. Ändert das etwas am Bild? Ich denke schon lange darauf herum, ich habe noch keine verbindliche Antwort für mich gefunden, was beim Erzählen richtig ist. Also nicht im Sinne von „korrekt“, obwohl das auch interessant ist, sondern im Sinne des nach meinem Gefühl richtig erzählten Bildes und der Assoziationen, die dann daran hängen. Es ist wirklich enorm kompliziert. Ich nehme an – aber das ist wirklich nur ein Gedanke – wenn Sie aus einer Gegend kommen, in der es kaum Menschen aus anderen Teilen der Welt gibt, wie es etwa im Heimatdorf der Herzdame der Fall ist, dann stellen Sie sich die Leute in meinen Szenen vielleicht nicht ganz passend vor. Könnte sein. Aber macht das denn etwas aus? Das ist nicht leicht zu beantworten. Da mal drüber nachdenken, wie der olle Kempowski gesagt hätte. Wenn ich all diese Menschen nämlich andererseits näher beschreiben würde, Sie würden sich manches vielleicht erst recht falsch vorstellen, in welcher Richtung auch immer. Das könnte auch sein, es ist nicht einmal unwahrscheinlich. Assoziationen sind ein wahres Teufelszeug, wenn es um Menschen geht.

Na, aber das nur am Rande. Ich verbleibe einigermaßen unentschlossen und beschreibe Ihnen weiter quasi Ausmalmenschen. Es kann sein, dass ich das richtig finde. Vermutlich ist es so.

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Bedauerndes Verneinen

Es steht eine Dankespostkarte aus, ich weiß. Dafür brauche ich aber ein paar Minuten mehr, die habe ich gerade nicht. Ich habe heute nur so wenige Minuten, die reichen gerade eben für den Mann an der Ecke, und der ist keine Postkarte, der ist einfach nur. War einfach nur. Egal. Danach noch etwas Homeschool. Aber nur ganz am Rande.

Ein Mann an einer Straßenecke also, gerade aus einem Kiosk kommend. Er trägt eine zerknitterte OP-Maske unterm Kinn, er hat eine gerade angezündete Zigarette im Mund und außerdem eine Brille auf. Das sind also drei Zubehörteile am Kopf, und ich weiß aus eigener leidlicher Erfahrung, dass man ab drei Teilen leicht überfordert sein kann. Bei mir sind das dann allerdings Maske, Kopfhörer und Brille, aber was auch immer es ist, ab drei jedenfalls – tendenzieller Overload. Da noch bewegungssicher etwas entfernen oder auch nur richten – schwierig, schwierig, das erfordert enorme Konzentration. Der Mann will die Maske ganz abnehmen, wobei die Brille erheblich und ruckartig verrutscht und ein Bügel auf die Zigarette schlägt, die er nur knapp auffängt, wobei die Kippe aber das Bändchen der Maske durchbrennt. Der Mann steht da, die Hände unbeholfen vor dem Gesicht, beschädigtes Zubehör in den Fingern, eine schiefe Brille im Gesicht, Rauchwolken über ihm: „Hört dieser gottverdammte Scheiß jetzt bald mal auf“, höre ich ihn im Vorbeigehen sagen.

Die Frage ist natürlich berechtigt. Wir können sie aber bedauernd verneinen, nehme ich an. Es ist, wie es ist.

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Ich habe mit den Söhnen endlich angefangen, die Serie „Der Doktor und das liebe Vieh“ zu sehen, das ganz alte und aus heutiger Sicht eher betuliche Zeug also, das fanden sie aber dennoch unterhaltsam. Wir kamen gar nicht weit, denn da wird in der ersten Folge das Gehalt des jungen Tierarztes verkündet, 4 Pfund in der Woche bekommt er, bei freier Kost und Wohnung. Aus einer anderen Szene ergab sich dann noch, dass eine Kuh damals 50 Pfund wert war. Und da gab es Fragen. Was war das denn so, ein Einkommen von 4 Pfund in der Woche? War man damit gut dran, wie wäre das heute und wie hoch war der Wert der Kuh? Wir haben das dann nachgeschlagen, man kann alles nachschlagen. Das war zwar etwas homeschoolmäßig und geradezu streberhaft, aber irgendwie war es das auch nicht. Ich überlegte beim Nachschlagen nebenbei, was da jetzt eigentlich anders war und dann fiel es mir auf, es ist ja ganz einfach, was da der Unterschied ist, und warum das nicht auf die blöde Art homeschoolmäßig war. Das lag nämlich nur daran, dass die Kinder etwas gefragt hatten. Während ja in der Schule immer die Kinder etwas gefragt werden. Im Grunde ist das grundsätzlich falsch herum, nicht wahr, was die Schule da macht. Aber okay, solche Gedanken führen erheblich zu weit, ich sehe es ein.

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Verzweiflungsgebäck und die Umkehr des Blues

Ich habe am Morgen auf dem fiktiven Arbeitsweg, auf der also vollkommen sinnlosen Runde um den Block, über Kopfhörer Blues gehört. Und zwar so einen schrammeligen Echtblues, wissen Sie, so einen alten Blues dieser Art, bei dem ein rhythmisches Stampfen der Füße als Percussion reicht. Dazu dann noch zwei, drei eher wüst gespielte Akkorde, wenn überhaupt, und dann nur noch das wahnhafte Wehklagen einer wunden Seele, because my baby left me, warum auch sonst. Es rumpelt, es scheppert, es schmerzt, es ist schön. Ich mag Blues nicht oft, aber manchmal eben doch, man muss den richtigen Moment erwischen. Auf der menschenleeren Straße hat einer einen Mülleimer geplündert und alles verstreut. Der Unrat weht mir genau im Moment des Refrains im bitterkalten Ostwind entgegen und um die Füße, all das Einwickelzeug des To-Go-Essens, die Kippen und Schachteln und Plastikbecher und sogar eine klackernde Bierdose, das gibt es ja heute kaum noch. Im Ohr den Blues, im Blick den Müll der Metropole, das war fast schön, das hat immerhin gepasst. Ich bin, versteht sich, stets willig, so etwas anzuerkennen und soweit also zum Positiven bereit, ja doch.

Dann noch die Frage, ob es nach längerem Lockdown wohl so etwas wie den reverse blues geben mag, gesungen von den Menschen, denen der Partner oder die Partnerin nach endlos langweiligen gemeinsamen Wochen so unsäglich und dermaßen auf den Geist geht, my baby‘s still here, oh my god, she’s still here. Und er sitzt da mit der Gitarre und seinen zwei Akkorden, noch so ein Tag, noch so eine Nacht, dieser Akkord, jener Akkord, immer wieder, unerbittlich. I’ve still got the blues with you. Gary Moore sitzt deprimiert auf dem Sofa, rollt die Augen und sie geht so vorbei, macht Home-Office und dreht sich nicht nach ihm um. Er sieht aus dem Fenster, geschlossene Bars und Geschäfte. Gitarrensolo im Sitzen. Na, was man so denkt, in solchen Momenten.

Ich gehe wieder nach Hause, die Herzdame ist noch da. Das allerdings ist natürlich kein Grund für Blues, mehr so im Gegenteil. Schwein gehabt! Aus dem Blues etwas Erfreuliches folgern, das sind dann so die Tricks unter uns fortgeschrittenen Stehaufmännchen.

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Auf dem Küchentisch liegt ein angeschnittener Stollen, Puderzuckerstaub um ihn herum. Niemand in dieser Familie mag Stollen, dennoch finden sich in jedem Winter ein bis zwei an. Die dann lange herumliegen, bis weit nach Weihnachten, bis längst sogar schon die Nüsse weg sind und auch diese wirklich merkwürdigen Kekse, von denen niemand mehr weiß, wer sie überhaupt gebacken hat. Der Stollen bleibt, der Stollen ist das wahre Verzweiflungsgebäck. Der wird erst angeschnitten, wenn in der ganzen Wohnung kein Krümel Zucker mehr zu finden ist und irgendwer im Zustand fortgeschrittener Unterzuckerung endlich zu allem bereit ist. Man kann an der Länge des verbleibenden Stollens erahnen, wie die Stimmungslage der letzten Tage war, wie die Wochen liefen und laufen, wie die Not oder der Stress mal bei diesem und mal bei jenem Familienmitglied plötzlich aufbrandet.

Was soll ich sagen, es ist nicht mehr viel da.

Aber apropos Stollen, in der Innenstadt hängt die verdammte Weihnachtsbeleuchtung immer noch, vermutlich weil sich jetzt jemand endgültig gedacht hat, ach, lass mal, Weihnachten kommt ja eh immer wieder. Und in diesem Jahr ist doch irgendwie alles egal und es sieht ja auch keiner, wir lassen das jetzt einfach so, Haken dran und gut ist. Ich aber gehe abends durch die leere Innenstadt, gucke in die Lichter und schreie herum: „Ich sehe das! Ich sehe das!“

Das nützt auch nichts, ich weiß. Aber was nützt schon was?

Egal. Jetzt Stollen.

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Links am Morgen

Ich habe für das Goethe-Institut etwas über mittelgroße Vorkommnisse geschrieben.

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Über Schulöffnungen.

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Und nun gute Musik. Abends zu hören. Übrigens habe ich ja, ich berichtete, neulich diese Playlist angefangen, die mit dem Groove. Das artete dann etwas aus, weil ich bei so etwas, wenn ich erst einmal angebissen habe, eine gewisse Neigung entwickele, ganz Spotify neu zu sortieren. Das muss irgendwann wieder ausgebremst werden, ich verliere mich sonst wochenlang darin und habe am Ende befremdliche Spezialkenntnisse, die zu nichts zu gebrauchen sind. Schlimm. Jedenfalls fiel mir irgendwann auf, diese Playlist müsste eigentlich die perfekte Reiseplaylist sein. Die mal hören, während man unterwegs ist und es gerade dunkel wird, wenn es so herandämmert! Auf einer Autobahn durchs Nichts vielleicht, also durch irgendwelche Flächenbundesländer etwa. Oder im ICE nach Berlin. Oder auf einem nächtlichen Fährschiff über die Ostsee, so etwas in der Art, das müsste verdammt gut sein. Ich war seit Jahrzehnten nicht auf Ostseefähren, wieso fallen mir jetzt ausgerechnet Ostseefähren ein, das ist doch wieder so ein Pandemieding, das Unterbewusstsein dreht allmählich durch, und nicht nur das. Wenn die Lichter einer Mole in der Ferne auftauchen, wenn die ganz langsam näherkommen und auf einmal eine gewisse und eher verfrühte Unruhe die Passagiere ergreift, wenn auf einmal alle herumlaufen und kramen und sortieren und räumen – dabei dann den richtigen Sound auf den Ohren haben und aus den Augenwinkeln nur heimlich einen Menschen ansehen, der vielleicht nach einer Geschichte aussieht, was weiß ich, eine Frau mit Baskenmütze oder jemanden in der Art. Frauen mit Baskenmützen, das weiß man aus Filmen, sind immer für Geschichten gut. Für schwierige Geschichten, versteht sich, aber Hauptsache, es passiert etwas. Vor den Fenstern der Bar auf dem Oberdeck die Finsternis der nächtlichen Ostsee, in erheblicher Entfernung ein anderes Schiff. Weit hinten die Lichter von Schweden oder Dänemark, auf die fährt man zu. Unverständliche Lautsprecherdurchsagen mischen sich mit dem Beat aus den Kopfhörern, letzte Bierbestellungen werden aufgegeben. Menschen mit Koffern gehen vorbei und wieder zurück und die ganze Zeit spürt man ein wenig trägen Wellengang und unten, noch deutlich unter den Bässen der Songs, das Brummen des Schiffsmotors, das hört man mit den Füßen. Wo war ich? 

Jetzt habe ich also sieben Stunden beste Unterwegsmusik zusammengestellt und sitze damit zuhause auf dem Sofa herum oder gehe bestenfalls im Wohnzimmer im Kreis, wobei Gehen doch gar nicht die richtige Fortbewegungsart für diese Musik ist. Vielleicht einfach mal mit dem Auto im Kreis durch die Stadt fahren? Aber die Umwelt. Oder einfach stundenlang in der U3 cruisen, Tageskarte, was soll der Geiz? Aber Corona. Man hat aber auch Probleme! Hafenfähre immer hin und her? Zu kalt im Moment. Ich muss nachdenken. 

Egal. Erst einmal das hier. 


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Der Groove

Ich klicke routiniert, allzu routiniert und eher nebenbei bei den Impfterminen vorbei, um meiner Mutter einen solchen zu sichern. Nach einer Trillion sinnlosen Versuchen in den letzten Wochen sind auf einmal tatsächlich welche verfügbar, fast hätte ich sie wieder weggeklickt, weil ich schon nicht mehr mit ihnen gerechnet habe. Ich fülle die Kontaktdaten aus, ich will sichern, da ist der Termin weg, nicht mehr frei. Sie verschwinden, während man nach ihnen greift, das nennt man dann wohl bewegliche Ziele, Termine wie Seifenblasen. Oder man nennt es Digitalisierungsrückstand, denn wie schlecht ist das denn? Ich game mich auf diese Art hektisch durch zehn oder mehr verpuffende Terminmöglichkeiten, es klappt dann irgendwann noch, doch ich bin ziemlich sicher – meine Mutter hätte das nicht hinbekommen. Das ist schon alles ziemlich schlecht gemacht, da gibt es nichts. Siehe hierzu auch Lernplattformen, aber darüber schreibe ich nichts mehr, ich soll mich nicht aufregen.

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Mir ist das Lesen wieder komplett abhandengekommen, ich finde alles uninteressant. Ich nehme nicht an, dass es an den Büchern liegt, das Problem bin ich selbst. Ich lege das Buch weg, Hundert Jahre Einsamkeit, ich weiß nicht, was mir das sagen soll, was geht mich das an, warum ist das eigentlich so bekannt, keine Ahnung, alle verrückt. Das ist kein gültiges Urteil, ich weiß das.

Ich suche lieber Musik, ich klicke mich den ganzen Tag und den ganzen Abend wie ein Irrer durch Playlists. Ich spiele an, ich verschiebe in andere Playlists, ich überspringe, ich suche. Ich habe keine Ahnung, was ich genau suche, ich suche einen Groove. Irgendwas zwischen Funk und Groove und Jazzrap und Instrumental Hiphop, ich weiß im Grunde doch, was ich suche, ich weiß aber nicht, ob es das gibt. Treibend, aber dabei ruhig, nicht dumpf, aber doch dunkel, mit wenigen Lyrics, die mich bitte nicht interessieren müssen, raffiniert, aber nicht intellektuell, auf jeden Fall urban, aber nicht zu coffeehousemäßig, es ist wirklich kompliziert. Wenn ich diesen Sound jedenfalls finden würde, dann! Dann wäre ich auch kein Stück weiter, aber egal. Ich klickte beim Streaming so vor mich hin, und nichts zu finden, das war mein Sinn.

Aber wie überzeugend ich mir stundenlang vorgaukele, dass diese Suche wichtig sei, das ist schon faszinierend.

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Ich durchschaue mich in bescheidener Weisheit selbst, ich erkenne immerhin, dass das nur eine Übersprungshandlung ist. Es ist die Vermeidung der großen Leere. Ich beschließe, die Leere auszuhalten. Weg mit all den Suchtmitteln, die Bücher weg, die Musik weg, die Schokolade weg, die Nüsschen weg.

Ich setze mich entschlossen aufs Sofa, ich bin einfach nur, so geht das auch. Ich sitze und atme tief, ich schlafe sofort ein. Das ist nämlich die Wahrheit, denke ich mir danach, also nach dem extended Nickerchen, im Grunde ist diese unfassbare Müdigkeit die einzige Wahrheit im Moment und den Groove suche ich nur noch, um mich nach seinem Rhythmus durch den Tag zu treiben wie einen lahmen Gaul, der schon lange nicht mehr will.

Egal. Ich nenne die neue Playlist Jazzraphopgroove, ich weiß es doch auch nicht.

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Trinkgeldbericht Januar

Einerseits ist es etwas schwierig, unter diesem Titel einen sinnigen Text zu verfassen. Weil ja, ich schrieb und schreibe es weiterhin des Öfteren, einfach nichts passiert. Da kann ich also nach wie vor nicht beschreiben, welche Ausflüge wir gemacht haben, wo wir im Restaurant waren und was wir dabei erlebt haben, was wir Tolles in Läden erworben haben und wie wir die Trinkgeldbeträge auf wundersame Weise in Content verwandelt haben. Da war nichts. Ich kann nicht einmal über fertige Zimmer berichten, weil der Umbau unserer Wohnung nach wie vor komplett stockt und klemmt wie nahezu alles. Möbel sind weiterhin nicht lieferbar, eine größere handwerkliche Aktion lässt auch noch auf sich warten bis mindestens März, eine weitere hängt aber von dieser ab, es läuft auch bei diesem Thema wieder unerbittlich darauf hinaus, dass nichts passiert, aber das hatten wir ja schon. Es gab zusammenfassend fast keine speziellen Ausgaben, es gab aber, allerdings berichtete ich bereits, einen Stapel Mangas für die Söhne, seitdem sind sie weitgehend nicht mehr ansprechbar. Auch recht! Sehr recht sogar!

Andererseits ist es aber ganz einfach, unter diesem Titel einen Text zu schreiben. Denn man braucht ja Trost in dieser Zeit, und den bastele ich mir einfach weiterhin aus den täglichen Einkäufen zusammen und denke mir dann etwa, während ich das Toastbrot in den Einkaufswagen werfe, siehste, denke ich, das haste dir eigenhändig erbloggt. Ich rede manchmal etwas umgangssprachlich und ankumpelnd mit mir, pardon, das ist vermutlich der ebenso stete wie sinnlose Versuch, mir selbst näher zu kommen. Das haste dir also erbloggt und ertextet, so in etwa denke ich, und dann ist das ja gleich kein normales Toastbrot mehr, dann ist das ein tröstliches Toastbrot. Weil es nun einmal sehr schön ist, sich ein Brot erbloggen zu können, denn das hat doch was von „Ich mache Kleinkunst und lebe davon“, also von dieser Richtung, in der ich mich recht wohl fühle. Ich lege das Toastbrot in den Wagen und gucke bohèmehaft, da sind so die Momente, da zehre ich dann von.

Ich werde übrigens den Verdacht nicht los, dass der Februartext diesem ähnlich werden könnte, womöglich auch der vom März und was kommt dann noch einmal. Aber jetzt, wo ich das geschrieben habe, same old magic … Na, wir werden sehen.

Wie immer, ganz herzlichen Dank für jeden eingeworfenen Euro und jeden Cent, ich freue mich über jeden einzelnen Betrag! Und ich führe nach wie vor genau Buch über jede Betreffzeile, die einen Verwendungswunsch darstellt. Heute etwa kam eine Summe mit der Zeile „Für etwas Feines“, da denke ich dann erst einmal eine Weile drüber nach. Vielleicht denke ich auch sehr lange und ungewöhnlich gründlich darüber nach, ich habe nämlich ziemlich viel Spaß an diesem Nachdenken. Und Spaß, Sie wissen es vermutlich auch, den braucht man gerade dringend. Was ist denn bloß etwas „Feines“ für mich? Da könnte man doch ganze Essays dazu schreiben, wenn man erst einmal anfängt, das zu durchdenken. Faszinierend. Ich grübele weiter.

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Wir warten

(Dieser Text erschien in minimal anderer Form als Kolumne in den Lübecker Nachrichten)

Man kann es drehen und wenden, wie man will, wir werden noch warten müssen. Auf fast alles. Auf geöffnete Geschäfte und Restaurants, auf Reisen, auf normalen Schulbetrieb. Auf Umarmungen und Theater, auf Kinos und Konzerte und Küsse. Auf den Frühling, das auch noch. Auf Ostern. Und wir können das nicht so gut. Wie auch, es hat sich in den letzten Jahren ja alles um die sofortige Wunscherfüllung gedreht, darum ging es doch. Das Glücksversprechen besagte, dass alles gleich möglich sei, unverzüglich, sofort. Reingehen, kaufen, mitnehmen. Jetzt ist alles irgendwann, später, in zwei, drei, vier Monaten. Im Sommer, im Herbst. Geduld ist keine glänzende Tugend, Geduld macht nichts her. Geduld macht am Ende alles gut, das will niemand hören. Ich bin einer der ungeduldigsten Menschen, die ich kenne, ich bin nicht stolz darauf. Ich bin durch die Umstände weit außerhalb meiner Komfortzone, wie man so schön sagt. Das wird in Ratgebern und Coachings oft empfohlen, sich aus seiner Komfortzone heraus zu begeben. Es heißt immer, man könne da etwas lernen. Ich bin jetzt seit dem März des letzten Jahres außerhalb meiner Komfortzone und wissen Sie was, ich glaube, das nützt mir überhaupt nichts. Ich habe hier draußen nichts gelernt, ich fand es nicht spannend, ich fand es nicht schön. Ich möchte gerne in meine Komfortzone zurück, ich fand es nett da.

Egal, erst kommt einmal, versteht sich, die Nummer mit der Geduld. Denn vermutlich ist mein Unmut nur reine Egozentrik. Ich nehme es der Situation übel, dass ich nichts von ihr habe. Aber, schon klar, so geht Weltgeschichte nicht. So geht auch ethisch korrektes Verhalten nicht. Mein Unmut ist in dieser Zeit gar nicht interessant, und ich glaube – ganz im Ernst – das ist das Interessante daran.

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Links am Morgen

Christian ist sauer.

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Andere schreiben über Bäume.

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Auf Twitter wurden Tipps für Apps ausgetauscht, die manchen Tinnitusbetroffenen helfen, ein Hinweis (hier kam er her) bezog sich auf eine Seite im Browser, diese hier. Wenn Sie keinen Tinnitus haben, Sie dürfen das dennoch beruhigend finden. 

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Es taut unter Jakutien. Ein Reportagefilm (32 Min). Die Bilder vom Thermokarstkrater! Den hatte ich bisher nur auf Fotos gesehen, nicht in einem Film, der ist sehr beeindruckend und unheimlich.

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Apropos Tauwetter: You can never hold back spring.

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Eine Dankespostkarte

Rückseite

Ich habe zu danken, und zwar mehrfach und besonders, denn es kamen gleich mehrere Geschenke vom Wunschzettel, nein, etliche sogar. Darunter auch mehrere Mangas für die Söhne, die herzlich grüßen lassen: „Leserinnen sind super.“ Vielleicht war es aber auch ein Leser, es lag einer Sendung kein Zettel dabei, aber Leser sind wie immer mitgemeint. Um dem Trinkgeldbericht etwas vorzugreifen, es kam auch Geld ausdrücklich für Mangas und wir haben hier eine weiterhin geöffnete Buchhandlung mit großer Mangaabteilung im Hauptbahnhof, es kam in der Folge also auch noch zu einem größeren Einkaufserlebnis der besonders freudigen Art, das gibt es ja heute kaum noch. Danke auch dafür noch einmal, danke auch für die anderen Geschenke, wir waren erstaunt und hingerissen. Oder wie die Söhne sagten: „Los, Papa, schreib schnell noch was.“

Ich bin etwas spät mit diesem Dank, das tut mir leid. Es ist nach wie vor etwas schwierig mit dem ganzen Home-Everything, es hält etwas auf. To say the least.

Vorderseite

Ich möchte heute der Bob Ross unter den Bloggern sein, ich möchte mit Ihnen ein Bild malen. Eine Kunstpostkarte! Das hatten wir noch gar nicht. Es wird, das liegt im Moment nahe, ein Schneebild. Schnee kommt hier kaum vor, ich berichtete. Aber jetzt gerade, jetzt haben wir Schnee. Für unsere ärmlichen Verhältnisse sogar viel davon, mehrere Zentimeter, und sie liegen da so herum, wie es bei Schnee üblich ist, aber üblich ist das eben längst nicht mehr in dieser Gegend.

Unser Motiv liegt vor meinem Küchenfenster, an das ich frühmorgens trete, sobald man draußen etwas erkennen kann, sobald es etwas hell wird, dann sehe ich nämlich nach, was mit der Welt ist. Ich sehe vom Küchenfenster runter auf den Kirchhof, aber das ist für unser Bild egal. Ein Kirchhof wäre ja auch viel zu kompliziert, wir wollen es einfach halten, ich sehe also nur auf eine weiße Fläche. Alles weiß da, das kann jede, Schnee ist simpel. Die Spielgeräte, den Zaun und das Mäuerchen, das denken wir uns alles weg, auch den Basketballkorb und den riesigen Findling, sogar die Kirche und die Straße daneben denken wir uns komplett weg, da ist nur eine große Fläche, ein Hof eben. Und wir gucken so auf unsere weiße Fläche und dann wieder nach draußen und denken uns: So stimmt das aber gar nicht. Denn es ist früh am Morgen und das Weiß da ist keines, das haben wir nur vom Schnee abgeleitet, weil man den immer als weiß benennt. Das ist aber in Wahrheit irgendwie – ja, wie? Dezentblau, schwachgrau, atmosphärischlila? Das schwingt da alles mit und Sie rühren da jetzt bitte was zusammen und verteilen das zügig über den ganzen Hintergrund. Das kann ruhig strukturlos sein, denn eine Struktur ist beim besten Willen nicht zu erkennen, auch nicht auf den zweiten oder dritten Blick. Eine geschlossene Schneedecke ist das. Blauschimmernd, einigen wir uns darauf.

Und dann! Die große Eiche in der Mitte des Bildes, nichts mit goldenem Schnitt heute. Ein mutig hingepinselter schwarzer Stamm, der kann ruhig etwas Kawumm haben, der dominiert das Bild etwas mackerkhaft, der wird dick aufgetragen. Dann die Äste, die mächtigen Äste vor allem. Haben Sie eine Eiche im Winter vor Augen? Die unterscheidet sich von anderen Bäumen nicht unerheblich. Wenn Sie sich vorstellen, die Eiche wäre beweglich und das Bild, das Sie da gerade sehen, wäre ein erstarrter Moment aus einem Schwung heraus – haben Sie mal diese Zeitraffer gesehen, die es von wachsenden Pflanzen gibt? Von Bohnen etwa? Das hat etwas von Ballett, wie die sich grazil und elegant irgendwo herumranken, es ist ausgesprochen bewegungsschön. Die Eiche dagegen! Nix von Ballett, eher expressionistischer Ausdruckstanz. Die Gliedmaßen in einigermaßen erstaunlichen Positionen, das sieht dramatisch aus. Würden sich Eichen schnell bewegen, sie würden herumfuchteln und Äste ringen und Muskeln zeigen. Also bitte, die Äste mit etwas Zack und Verve, sonst ist es keine Eiche.

Bis dahin ist es immer noch einfach, die helle Fläche, der schwarze Baum. Aber wenn wir jetzt noch einmal hinsehen, dann sind die Äste alle schneebedeckt und eigentlich sind sie nur halb zu sehen. Wie aber sehen wir das eigentlich? Wo der Schnee doch so aussieht, wie die Fläche dahinter. Wir sehen einen halben Ast und nehmen einen ganzen wahr, wie genau geht das. Hat der Schnee auf den Ästen eine andere Farbe als der Schnee dahinter? Errechnet unser Hirn die Wahrscheinlichkeit einer Astform, auch wenn er nur halb da ist? Das ist schwierig, sehr schwierig. Man kann noch so oft hin- und hersehen, Schnee auf Ästen ist kein Anfängerniveau. Schnee auf Ästen ist in Wahrheit scheißschwer.

Sehen Sie, ich trickse da aber jetzt, ich punkte den Schnee so auf die Äste, dann wird es wieder leicht. Schneegesprenkel, das kann wieder jeder. Puderzucker, an der einen Seite des Stammes mehr als an der anderen, versteht sich, und da ist dann Osten, von da kam die ganze Pracht. Auf dem wüstesten und dicksten Ast der Eiche aber sitzt eine Elster. An der können Sie jetzt verrückt werden, denn malen Sie mal eine schwarzweiße Elster in einen schwarzweißen Baum vor einem weißen Hintergrund, also wirklich, das führt hier etwas zu weit, ich sehe es ein.

Ich sage Ihnen aber eben noch, wie es weitergegangen wäre: Die Elster flog auf, als ich das Fenster öffnete, und der Schnee von dem Ast, auf dem sie saß, zerstob zart unter ihr und rieselte am schwarzen Stamm entlang langsam zu Boden, wo er im liegenden Schnee verschwand und für uns, für die Betrachter, augenblicklich nicht mehr war. Schnee auf Schnee, Weiß auf Weiß.

Das ist alles. Nur eine Elster, die am frühen Morgen von einem schneebedeckten Baum abhebt. Es erinnert etwas an japanische Kunst, nicht wahr: Ein im Grunde schlichtes Motiv, aber doch unfassbar schwer in der Ausführung. Und wenn man zehn Jahre lang die Elster übt, dann stimmen vielleicht endlich ihre Schwanzfedern nach nur einem Pinselstrich.

Bis zum Stamm kamen Sie aber noch mit, ja? Na, immerhin.

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Links am Morgen

Tante Friedel – ein Feature von Lorenz Rollhäuser (Audio, 53 Minuten). Zwischendurch sehr traurig, Obacht. 

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Warum der Staat kein Rettungspaket für Arme schnürt.

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Lang, schulspezifisch und tiefer schürfend: Dimensionen der Bildung. Vom Flächenland der Buchkultur ins Raumland der Digitalität. Gefunden via Heike Flemming auf Twitter

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