Marzipan, Steckrüben

Es regnet, es ist dunkel, es ist kalt. Alles ist außerdem etwas anstrengend, die Müdigkeit stapelt sich immer weiter auf. Eine etwas ungünstige Gemengelage, und da hat man die Nachrichten noch gar nicht gelesen, die allein schon reichen würden, um die Stimmung gründlich und für Wochen derart zu ruinieren, dass die Bettdecke überm Kopf auch nicht mehr zuverlässig helfen kann.

Am Nachmittag ein Termin bei der Zahnärztin, und das ist dann das einzig Nette am Donnerstag, denn da muss ich nur liegen und den Mund aufmachen. Es sind überschaubare Anforderungen, und es ist mir recht so, kurz raus aus der Überforderung. So also fällt es jetzt aus.

Dennoch schreitet währenddessen alles weiter voran, immerhin haben wir heute schon Nikolaus erreicht, ein weiterer Milestone in der Schedule unserer Challenges, wie wir im Büro sagen würden. Wobei Nikolaus in einem Haushalt mit Teenagern eine nur noch lapidare und routinierte Abwicklung verlangt.

In meinem Adventskalender gibt es Marzipan zum Frühstück, ich esse es am Freitagmorgen nebenbei, während ich das Nikolauszeug aus dem Schrank hervorkrame und anhand der Schuhvielfalt vor der Tür festzustellen versuche, wie viele Teenager eigentlich in dieser Wohnung sind. Mindestens vier werden es sein, schließe ich dann. Es macht nichts, wir haben für alle Fälle vorgesorgt, die Herzdame und ich, wir sind dermaßen vorausschauend und gut organisiert. Also zumindest manchmal.

An der Zuordnung, welche Schuhe zum wem gehören könnten, scheitere ich dann aber doch. Es sind jedenfalls viele Schuhe größer als meine.

Selbstverständlich ist das Marzipan im Adventskalender aus meiner Heimatstadt, denke ich beim Kauen. Irgendwo bleibt einem immer noch ein Bezug zur Herkunft. Das Saisonale, das Gewohnte, das Süße.

Neulich sah ich im Vorbeigehen wieder große Steckrüben im Gemüseregal des Supermarktes, fällt mir dabei ein. Damit könnte ich auch noch einmal etwas Lokalpatriotisches anstellen, mit Bezug zur Region und auch zur Familiengeschichte. Einen winterlichen Eintopf wie damals könnte ich machen, wie von Oma, wie in Lübeck. Wie damals, wie in den Siebzigern. Die, ob sie dafür nun eine gute Wahl waren oder nicht, meine Essgewohnheiten nachhaltig geprägt haben.

Erst einmal Steckrüben googeln, immer alles nachlesen. Der erste Treffer ist gleich ein Rezept mit dem entscheidenden Hinweis: „Wie von Oma“, denn wir suchen bekanntlich alle Ähnliches. In mancher Beziehung wird es wohl ein Rückweg sein, den wir da suchen, und sei es nur in der Küche. Das gehört auch so, nehme ich an.

Habe ich noch ein Lübeckbild irgendwo? Ja, eines noch. Da um die Ecke habe ich einmal gewohnt.

Ein Säulengang im Marienkirchhof, Lübeck

Den Begriff „Lübecker National“ für diesen Steckrübeneintopf habe ich erst als Erwachsener kennengelernt. Das Gericht war bei uns so werktäglich unspektakulär, es hatte nicht einmal einen Namen. Ich habe auch spät erst verstanden, dass es sich um ein ausdrücklich norddeutsches Essen handelt. Etwa ab Südwestfalen ist es schon eher unüblich, glaube ich, weiter runter ist es dann gar nicht mehr bekannt.

Schon beim Gedanken an den Erwerb der verlockend aussehenden Rübe dann allerdings wieder der antizipierende Unmut, dass der Mensch an der Kasse im Supermarkt mit einer Wahrscheinlichkeit von deutlich über 50% nicht wissen wird, was das denn bloß sein könnte, dieses Teil. Das Ding wird ratlos in der Hand gedreht werden, ich weiß es ja schon, und dann wird die Frage wieder kommen, fast unweigerlich und alle Jahre: „Ist das Knollensellerie, was ist das? Kohlrabi? ?“ Ich kann es schon hören.

Die Frage geht an an mich, zur Sicherheit aber auch an die Kolleginnen, denn ich könnte doch Unsinn erzählen. Dann das Blättern in den zerknitterten Papieren mit den aktuellen Sonderpreisen neben der Kasse, der Zeigefinger wird die Spalten entlangfahren. Wie gibt man das denn jetzt wieder ein? Kopfschütteln, Suchen, dann endlich: „Ach so!“

Je-des-mal ist das so. Man ist längst ein Exot, wenn man so etwas kauft, das Gemüse von damals. Was recht bedacht eine eher abgefahrene Ironie der Geschichte ist. Unsere Oma, unsere kollektive norddeutsche Oma sozusagen, sie würde eine Weile brauchen, lebte sie denn noch, um sich diese Entwicklung in der Alltagskultur vorstellen zu können.

Nie habe ich diesen Eintopf in meiner Küche perfekt hinbekommen, bei allen Versuchen nicht. Nie war er voll befriedigend oder auch nur ausreichend erinnerungsgerecht. Immer blieb etwas fremd, immer fehlte irgendetwas. Vermutlich fehlt aber am Ende entscheidend und dauerhaft vor allem die Nichtzuständigkeit für das Gelingen des Essens.

Egal. Ich bekomme es so hin, dass es völlig okay ist. Das gilt längst nicht für alles im Leben und schon gar nicht in diesem Jahr, daher werde ich es mir beim Kochen und Probieren auch aufsagen müssen, dass es völlig okay ist.

Es hilft manchmal kurz, sich so etwas mitzuteilen.

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Der blaue Himmel

Vorweg vielen Dank für die ungewöhnlich vielen positiven Reaktionen zu meinem gestrigen Text. Das war belebend, und auch die kleinen Freuden helfen durch den Alltag.

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Gehört: Eine Folge Radiowissen über Björk.

Außerdem gehört: Ein Zeitzeichen über Robert Louis Stevenson.

Und dann bin ich unvermutet doch einmal wieder an einem Hörbuch hängengeblieben. Nach mehreren fehlgeschlagenen Versuchen in den letzten Wochen, denn diverse Texte hielten mich nicht fest. Dauernd geriet ich beim Hören viel zu schnell auf geistige Abwege, und dann hat es alles keinen Sinn. Jetzt aber habe ich etwas gefunden, das mich wieder durchgehend fasziniert, es ist ein Hörbuch, das aus den Üblichen deutlich herausragt.

Es wird komplett frei erzählt, der ganze Text. Ich weiß nicht, ob ich so eine Variante der Hörbücher überhaupt schon einmal hatte, vermutlich nicht, wie viele mag es davon schon geben Es ist von Herta Müller, sie spricht über ihre Kindheit im Banat: Die Nacht ist aus Tinte gemacht.

Und wie gerne ich ihr zuhöre. Das sind äußerst ansprechende Schilderungen, ich mag auch ihren Tonfall, ihre Stimme. Wie ruhig und bedacht sie das vorträgt, wie langsam sie das ausführt und wie sorgsam sie die Bilder auffüllt. Das ist für mich etwas zwischen die To-Dos geschobene Wintergemütlichkeit, ihren Erinnerungsberichten zuzuhören. Es ist immerhin ein klein wenig von dieser legendären Wintergemütlichkeit, zu der ich ansonsten recht kategorisch keinen Zutritt zu haben scheine. Obwohl die Inhalte des Buches, das ist bei ihr kaum anders zu erwarten, nicht unbedingt durchgehend als gemütlich zu bezeichnen sind.

Es ist kein langes Buch, 116 Minuten sind es nur. Es passt in ein, zwei lange Winterabende und zu einigen Zimtsternen, zu etwas Christmas Tea oder dergleichen. Wir wollen hier nicht über die Namen von Heißgetränken diskutieren, nein, das wollen wir wirklich nicht.

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Im Bild die Außenalster am Sonntagnachmittag. Es gab an diesem Tag zwischendurch etwas Sonnenschein, ein merkwürdiger, ungewohnter Anblick war es. Man sah es allgemein mit Staunen, und ein fordernder Gedanke ging durch die Hirne der Einwohnerinnen dieser Stadt: „Man wird rausgehen müssen, bei diesem Wetter!

Die Außenalster im Winternachmittagssonnenlicht, im Vordergrund ein Bootsanleger, an dem nur noch ein Segelboot liegt, unter einer Plane

Ich habe das Bild dann so aufgenommen, dass ich die Menge im Rücken hatte. Und was für eine Menge das wieder war, es gab quasi Fußgängerinnenstaus an den Aussichtspunkten. Und über uns – der blaue Himmel.

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Unser buntes, beleuchtetes Gewimmel

Was ich im Moment in der Stadt sehe, ist eine interessante Doppelerfahrung, eine Art seelisches Vexierbild.

Denn zum einen ist die Innenstadt nun einmal meine Spaziergangsstrecke. Ich bin Anwohner, ich will da einfach durch. Ich brauche viel Auslauf. Und diese zahllosen Weihnachtsmärkte mit ihren diversen Massenabfütterungsstationen und Kunsthandwerktrödelbuden, sie stehen mir überall im Weg herum. Die Hütten blockieren meine Wege, die glühweinseligen Horden, die Freundeskreise an Schmalzgebäck erst recht. Dazu noch die minderjährigen Blockflötenbanden, die für ein wenig Kleingeld saisonale Lieder schänden. Außerdem Hunderttausende von Shopping-Verrückten mit Geschenkdruck, dann noch die Städtereisenden, die staunend herumstehen und alles erst einmal auf sich einwirken lassen, und wie lange sie dann da so stehen.

Außerdem die lauthals Missionierenden diverser christlicher Randgruppen etc., schließlich die wegelagernden Spendensammlerinnen für irgendwas mit Kindern, irgendwas mit Tieren oder mit sonst einem Elend. Gefühlt stehen mir am späten Nachmittag in den Einkaufsstraßen etwa eine Million Menschen vor den Füßen herum. Und je näher Weihnachten rückt, desto weniger ist das nur ein Gefühl.

Zum anderen sehe ich da aber auch Menschen, denen ich zugestehen muss, dass sie sich tatsächlich über das freuen, was sie um sich herum sehen. Also die sich echt freuen, sich recht von Herzen freuen, wie es in den einem Weihnachtslied heißt, in welchem war es noch. Egal, ich bin eh nicht in der Stimmung dafür.

Die da also nicht nur mit dieser allseits bekannten Selfie-Fake-Freude im Gesicht stehen, sondern mit einem anderen Gesichtsausdruck, den man eher sympathisch finden kann. Die stehen da etwa vor den Weihnachtsmärkten und machen begeistert Fotos und Filmchen von den angestrahlten Bretterbuden im Dunkeln. Von den so traulich beleuchteten Glühweinständen in Märchenwaldoptik und auch von der ganzen Weihnachtsdeko über und in den Fußgängerzonen. Von dieser Deko also, die ich schon Stunden nach dem Aufhängen nicht mehr sehen mag, alle Jahre wieder.

Sie freuen sich, als würden sie das alles zum ersten Mal sehen. Was vielleicht auch, ich muss es mir bewusst machen, und auch das alle Jahre wieder, tatsächlich stimmt.

Diese Menschen sind teils sehr jung, das erklärt schon einiges. Sie waren neulich vielleicht noch Kinder, sind es womöglich anteilig noch. Sie kommen, das ist in dieser Zeit nicht unwahrscheinlich, aus der tiefen Provinz in unser leuchtendes, buntes Gewimmel. Oder sie sind zum ersten Mal zu zweit, fest liiert und daher komplett selig mit einem anderen Menschen an der Hand in der Wintergroßstadt.

Oder sie haben zum ersten Mal ein eigenes Kind dabei, tragen das Kleine vor dem Bauch oder schieben es vor sich her, zeigen jauchzend und frohlockend auf alles, was leuchtet, finden alles großartig. Und das Kind guckt groß, versteht nichts und lächelt.

Oder sie sind eben erst zugezogen. Es ist ihr erster Dezember als Studentin in der Stadt vielleicht, es geht alles gerade erst los und abends in den Club, so etwas. Lauter plausible Möglichkeiten, erfreut zu sein, es gibt doch welche.

Und ich gehe da also einigermaßen seelisch runtergerockt, jahresendverbraucht und dezent angebittert durch und würde sie am liebsten alle aus dem Weg schubsen, diese Glühweingrinsekatzen.

Ich denke mir, es ist am Ende auch eine Art Deal. Und Deals, nicht wahr, liegen voll im Trend. Wenn wir etwa kurz an die USA denken, was wir aber nur äußerst ungern tun, ich weiß. Der Deal ist jedenfalls: Ich ziehe Euch ein wenig runter, wenn ich da schlecht gelaunt, höchst genervt, eilig und in alltagsradikalisierter Stimmung, vorgezogen nörgelrentnermäßig grummelnd mitten durch die Seligen durchmarschiere, mit Waldorf und Statler als Wappenfiguren auf dem nur gedachten Banner – und sie bauen mich im Gegenzug ein wenig auf, mit ihrer so echt wirkenden Freude, mit ihrer manchmal wohl tiefempfundenen Heiterkeit.

Und wir stehen uns also im Weg und kappen uns ein wenig die Extreme. Man muss sich nur eben ansehen, es reicht schon eine Sekunde der Wahrnehmung.

Also ich könnte das so denken. Wenn ich mir manchmal noch ein wenig mehr Mühe gäbe vielleicht. Aber wir wollen nicht übertreiben.

Ein geschlossener Stand für gebrannte Mandeln in den Tunneln des Hauptbahnhofs

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Zweckmäßig vertändelt

Frau Herzbruch mit weiteren Ausführungen zur FDP.

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Gehört: Eine Sendung über die Grenzregionen in Estland und die Stimmungen dort. Es geht u.a. auch um die Minderheit der Seto (Wikipedia-Link), die war mir nicht geläufig. Auf Youtube etc. findet man ihre besondere Gesangstechnik, die ist auch interessant.

Außerdem gehört: Eine Sendung über die Reichsbürger und die Frage, welches Reich da eigentlich gemeint sein kann.

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Aber immer auch Erfreuliches melden. So habe ich etwa den letzten Sonntag zu großen Teilen vertan und vertrödelt. Es war nicht geplant, aber es war doch eine angemessene Art, das Wochenende zu begehen, möchte ich meinen.

Ich blieb gleich am frühen Morgen bei einem Jacques-Brel-Cover von Michael Heltau hängen. Bei seiner Jojo-Version, auf die ich irgendwie beim Recherchieren für irgendwas kam.

Ich hörte dann noch ein weiteres Lied von ihm und dann noch eines, und dann, ich weiß nicht recht, wie es zuging, war es auf einmal Mittag. Die Zeit kam mir mit seinen Liedern recht sinnvoll, wenn auch ungeplant verbracht vor, sozusagen zweckmäßig vertändelt.

Es gibt wunderbare Aufnahme von ihm, und es ist einigermaßen naheliegend, vor allem seine Brel-Übertragungen zu rühmen. Aber weil das Jahr bereits spürbar zu Ende geht, und weil es schon die Zeit der Bilanzen und der Jahresschlüsse ist, in meinem Brotberuf und auch sonst, erinnere ich kurz an eine andere Aufnahme. Das Lied ist von Ernst Arnold, man kennt es in -zig Versionen, besonders in der von Hans Moser.

Vermutlich wirkt es tiefsinniger, wenn man den religiösen Aspekt des Textes tatsächlich teilen mag, aber man kann aus dem Stand auch zu einem grundsätzlicheren Fatalismus ableiten. „Eine Weltwahrheit aus Wien“ kommentierte jemand auf Youtube

„Wie schnell kann es anders oft sein über Nacht,
Das Ende wird immer von oben gemacht.“

Alte Lieder leise pfeifend durch den Dezember. Und warum auch nicht. Ich grüße meine Kolleginnen und Kollegen in der Stadt, in der dieses Lied gehört.

Hier gibt es noch eben zum Vergleich die Original-Aufnahme, von Ernst Arnold selbst gesungen.

Im Bild die Mönckebergstraße am Sonnntagmorgen.

Die menschenleere Mönckeberstraße am frühen Sonntagmorgen, darüber die Weihnachtsdeko

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Autos und Ausgleichssport

Während ich mich über das im wahrsten Sinne des Wortes unselige Timing des anschwellenden Wahlkampfes ereifern kann, der im Dezember für mich nichts zu suchen hat, weil der mit Weihnachten ohnehin übervoll und ausgebucht ist, drucken die Parteien die schlimme Verbindung schon auf die Plakate. Als sei es die gute Nachricht selbst: „Punsch & Politik“, steht da etwa.

Rechtsauslegende Parteien wollen daraus vielleicht demnächst „Grenzen und Glühwein“ oder etwas in der Art machen, man ahnt es schon. „Hot Aperol und Heizungswende“, es textet sich wie von selbst weiter, wenn man erst einmal anfängt. Sie können im Geiste sicher anlegen. Oder, viel schlimmer, Sie können rausgehen und es dort ablesen.

Ein Deko-Element im Hamburger Hauptbahnhof, eine große Kugel unter der Decke, auf der ringsum "Frohes Fest" steht, wovon aber nur "Rohes Fest" zu lesen ist

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Ein Trend, den ich hier nicht erwähnt habe, weil er mir zu lange nicht bewusstgeworden ist, weil er sich so eingeschlichen hat und dann auf einmal da war, das sind die neuen Autohäuser mitten in der City. Es gibt schon drei, vier oder mehr, in bester Lage, in den touristisch belebten Einkaufsgegenden, in den Fußgängerzonen. Auch chinesische Hersteller betreiben so etwas längst. Zeichen der Zeit oder, wenn wir es nach den Industrie-Traditionen in diesem Land betrachten, wieder Zeichen des Niedergangs.

Eher kleine Showrooms sind das, in denen nur zwei Autos stehen, drei, vier vielleicht, mehr passen dort nicht hinein. Die Flächen dieser Showrooms sind direkt neben den üblichen und altbekannten Textilgeschäften, neben den Parfümerien und den Modeschmuckausrüstern. Ganz so, als sei das Auto ein vergleichbares Produkt für den fixen Konsum. Und nicht etwa eine Sonderware, die in ein entlegenes Industriegebiet oder an die freudlosen Zufahrtsstraßen der großen Städte gehört, wie man es doch kennt. Von damals kennt.

Man sieht von draußen auch Menschen in diesen Läden. Es scheint ein Konzept zu sein, das gerne angenommen wird. Es gibt Zulauf, es gibt interessierte, potenzielle Kundinnen und Kunden. Sie bekommen gerade Infobroschüren überreicht, während man von draußen irritiert in den neuen Laden sieht, oder sie werfen zunächst beiläufig wirkende Blicke in die ausgestellten Modelle.

Sie öffnen und schließen Türen, sie setzen sich einmal rein. Mit diesem etwas blöden Gesichtsausdruck, denn vermutlich alle Menschen haben, wenn sie beim Probesitzen für einen Moment bewusst hinfühlen, ins Gesäß und in andere Regionen, wenn sie einfach nur sitzen, aber das hochkonzentriert. Man kennt diesen Gesichtsausdruck auch aus Möbelhäusern, diese spezielle Mimik des abwägenden Testsitzens.

Wie auch immer. Es ist alles in allem so, als sei der Erwerb eines Autos neuerdings etwas für die, haha, Laufkundschaft in der großen Stadt.

Kopfschüttelnd durch die Fußgängerzonen gehen, aber zunehmend als Ausgleichssport.

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Dann war es das

Restbetrachtungen: Noch elf Werktage im Brotberuf zu absolvieren, zehn vor und einer nach Weihnachten. Noch zwei Sonntagskolumnen für die Lokalzeitung der Heimatstadt zu schreiben, eine für dieses, eine schon für das kommende Jahr. Noch etwa zehn, zwanzig Stunden in ein weiteres Projekt der erfreulichen und freiberuflichen Art zu stecken, vielleicht einige mehr oder weniger – und dann war es das.

Komisch, nicht wahr, das zähle ich in jedem Jahr irgendwann runter, und nicht nur ich mache das.

Ganz so, als sei dahinter etwas anderes als die Wiederholung der Übung zu erwarten. Der Kalender wirkt sich doch massiv auf die Wahrnehmung aus, und am Ende hat man das Jahr vermeintlich geschafft wie eine Fortbildung, auch wenn das inhaltlich noch so sehr Unsinn ist. Man hat nur einen Alltag gehabt, und man hat ihn vermutlich auch weiterhin. Nach jetzigem Kenntnisstand.

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Der Hamburger Freundeskreis Lyrik wird sich vielleicht für diese Veranstaltung zum Großmeister Rühmkorf interessieren. Man sieht sich.

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Auf meiner Suche nach vernünftiger Information in wilden, schlechten und immer unvernünftigeren Zeiten habe ich, keine bezahlte Werbung, nein, ein Probeabo der Blätter für deutsche und internationale Politik abgeschlossen. Und, was ich hervorragend finde, dieses Probeabo endet nach zwei Monaten einfach so. Man muss nichts weiter machen. Das ist mir sympathisch, das können andere Medien gerne nachmachen, warum gibt es das so selten?

Das erste Heft habe ich altmodisch in der Printversion auf dem Sofa gelesen, und ich bin zufrieden damit gewesen. Ich habe aus einigen Artikeln etwas gelernt, meine ich. Ich habe etwas mitgedacht und mir etwas vordenken lassen, das könnte etwas Bleibendes werden. Allerdings ist es, wie man sich vorstellen kann, keine Lektüre, welche die Stimmung hebt.

Das Heft passt jedenfalls zu meinem etwa diffusen, aber doch ausgeprägten Weiterbildungswillen, der mich ein wenig umtreibt und sich auch, ich berichtete, auf die klassische Musik bezieht. Von der habe ich aus den vorigen Jahrzehnten eine so geringe Kenntnis, dass ich mich, und das ist eine billig zu erreichende Freude, immer begeistern kann, wenn ich etwas ohne Hilfe erkenne, zuordnen kann, halbwegs einzuschätzen vermag.

Oder wenn ich Verbindungslinien zwischen musikalischen Bearbeitungen bemerke. und zwar allein, ohne sie vorgesagt zu bekommen.

Weswegen es mich gerade etwas streberhaft erfreut hat, dass ich die Linie zwischen Rachmaninoff (es gibt dummerweise mindestens drei Schreibweisen) und Eric Carmen bei einem Spaziergang gehört habe. Stehengeblieben, gegoogelt, und zack, Treffer. Ha! Sie wussten das vermutlich längst, vielleicht wussten es wieder alle längst, aber ich steige bei dem Thema gerade erst zu, mich muntert so etwas noch auf.

Also dieses gleich folgende und allseits bekannte Lied von Eric Carmen (er ist übrigens, wie die Söhne sagen würden, selbstverständlich auch schon tot, wenn auch erst seit kurzer Zeit) beruht auf einer Melodie-Inspiration aus dem darunter eingebetteten Klavierkonzert.

Zweifelsfrei mein Topcheckermoment der Woche. Und so viele habe ich davon gerade nicht, ich muss sie also ausgiebig feiern, pardon.

Und nun zum Vergleich die Quelle …

Zu und zu schön, nicht wahr.

Und apropos schön. Zum Beginn des Dezembers noch ein etwas entspannteres Lied zur Jahreszeit als gestern, und es kommt schon wieder der Herr Brahms vor, wie neulich. Mit dem habe ich es gerade.

Brahms Lullaby in der Christmas-Version von Nat King Cole. Kann man auch ruhig mal hören.

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Schäden am Mauerwerk, an Körpern, an Stimmungen

Zwischendurch habe ich zwei Tage der Migräne, der Schwäche, der Überlastung oder einem Infekt geopfert, was weiß ich. Jetzt wird es wieder eine Weile gehen müssen. Immerhin war ich nicht allein, die Familie fiel mit diversen Symptomen komplett aus, quasi Lazarettsituation. Und immerhin haben noch andere ähnliche Zustände. Die Kirche etwa, in der ich mit der Herzdame das Weihnachtsoratorium hören wollte, sie wird bis Februar geschlossen wegen akuter Schwäche im Mauerwerk. Ich lese die Meldungen dazu in den lokalen Medien mit tief empfundener Sympathie. Ich möchte bitte auch bis mindestens Februar komplett schließen und bis dahin von irgendwem sorgsam und fachkundig saniert werden.

Erst mit etwas Verzögerung kommt nach der Kenntnisnahme der Probleme bei mir die Frage auf, wie ich jetzt wohl das Geld für die Karten zurückbekomme, denn billig waren die nicht gerade. Eher im Gegenteil, derartige Hochkultur hat auch hohe Preise. Das ist nicht als Kritik gemeint, es wird schon alles berechtigt und auch klug berechnet sein, ich stelle nur fest.

Aber gut, das wird sich alles noch finden, das mit den Karten und dem Geld. Glaube ich jedenfalls. Und Glauben und Kirche, das passt dann ja wieder.

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Einen Begriff habe ich gestern zum ersten Mal gelesen, er klingt aber so, als könnte er in der nahen Zukunft öfter vorkommen: Bezahlter Klima-Urlaub.

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Frau Herzbruch aus professioneller Sicht über die so unsympathische Partei und ihren aktuellen Skandal.

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Gesehen: Wie schreibe ich einen Roman auf arte. Unterhaltsam ist das, auch wenn man keinen der Schreibenden kennt, die da auftreten. Und amüsant ist für mich immer wieder der Unterschied zwischen denen, die vor dem Schreiben sorgsam die Handlung plotten und es falsch finden, das nicht zu tun, und denen, die das nicht tun und oft eher abwegig finden. Zwei Welten in der Romanliteratur. Immerhin wird das Vorgehen in dieser Sendung nicht bewertet, weder in der einen noch der anderen Ausprägung. Es gibt daran auch nichts zu bewerten, nach meinem Verständnis.

Besonders schön fand ich eine Bemerkung von Caroline Wahl, die Schwierigkeiten damit hat, Stellen nach dem Schreiben wieder zu kürzen: „Es ist doch dann schon passiert!“

Dies ist, wenn der Hinweis gestattet ist, vermutlich etwas tiefgründiger, als man vielleicht zunächst denkt. Man könnte essaylange Ausführungen über das Verhältnis zwischen dem Schreiben und der Wirklichkeit an diesen Satz von ihr dranhängen, ich fand ihn gut und bemerkenswert.

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Gehört: Ein Zeitzeichen über Alice im Wunderland: Verträumter Nonsens statt Moralerziehung.

Außerdem gehört: Eine Folge Radiowissen über Winston Churchill und seinen Nobelpreis für Literatur.

Und schließlich gesehen, noch einmal Literatur: Diese Doku auf arte über Edgar Allen Poe. Bei 4:08 sieht man ein Bild von ihm, bei dem ich es doch etwas schade finde, dass Charles Aznavour ihn nicht in einem Film gespielt hat. Es hätte schon gut gepasst, verdammt gut gepasst.

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Wir haben ansonsten Weihnachten aus dem Keller geholt. Meine Begeisterung hält sich in engen Grenzen, ich hätte das alles auch gut zum Sperrmüll tragen können.

Vielleicht alles etwas schneller abwickeln, auch die Musik, dann haben wir es hinter uns.

Aber keine Sorge, ich finde vermutlich noch den Weg zu etwas gnädigerer Stimmung wieder zurück, doch, doch.

Im Bild der Hamburger Hafen und ein stabil aussehender Mülleimer.

Ein Mülleimer im Hamburger Hafen, auf dem Deckel steht "AfD hier rein!", im Hintergrund die Rickmer Rickmers.

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Weißt du noch

Der Guardian berichtet über die Kulturkürzungen in Berlin. Juli Zeh wird dort zitiert, mit einer Formulierung, die mich stört. Sie nennt die Kürzungen „politcally incredibly dumb.“ Ich halte sie eher für durchdacht und auf zerstörerische Wirkung ausgelegt. Die Absichten dahinter werden finster sein und ihre Folgen sind längst überall dort zu beobachten, wo Parteien mit Drall nach rechts Aufschwung haben, also nahezu weltweit. Sie richten sich immer gegen Kultur, Demokratieförderung etc. aus, es ist auch nur logisch.

Ich halte es jedenfalls nicht mehr für zielführend, dieses Vorgehen nur als „dumb“ zu bezeichnen. Es ist eine unzulässige Verniedlichung, es entspricht nicht dem Kenntnisstand.

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Neulich stand ich eine Weile vor einer dieser Werbe- und Infosäulen im Hauptbahnhof, auf denen bunte Anzeigenfilmchen und Tickermeldungen in endloser Wiederholung durchlaufen. Ich hatte einen Nachrichtensatz im Vorbeigehen nur halb gelesen und fragte mich, ob ich wohl, wenn ich kurz warten würde, auch die andere Hälfte noch lesen könnte, denn der Inhalt interessierte mich.

Ich weiß jetzt, dass es ziemlich lange dauert, bis ein Loop mit allen Inhalten voll durchgelaufen ist. So lange sogar, dass ich es nicht bis zum Ende abgewartet habe. Man fühlt sich doch etwas deppert, wenn man vor solchen Anzeigetafeln steht, also noch depperter als sonst.

Es scheint jedenfalls keinen dramatischen Mangel an Werbekunden zu geben.

Ich weiß nun auch, dass ich diese Werbung, die ich sonst nie bewusst zur Kenntnis nehme, nicht mehr in jedem Fall verstehe. Das wird zum Teil daran liegen, dass ich kein Fernsehen mitbekomme und also in mancher Beziehung nicht up to date bin, etwa keine oder kaum noch Promis erkenne, die anderen aus Serien, Shows etc. bestens bekannt sind. Auch einige Gesichter im Politikbetrieb sagen mir nichts, merke ich bei den Nachrichten. Sicher aber wird es auch daran liegen, dass ich aus den Zielgruppen rausgewachsen bin, dass ich als Kenntnisinhaber und Konsument nicht mehr vorgesehen bin.

Jedenfalls gab es mehrere bunte Bild-Text-Kombinationen mit Abkürzungen und Schlagwörtern, die sich mir nicht spontan erschlossen haben. Vielleicht ging es um einen neuen Sport-Streamingdienst, vielleicht um irgendwas mit Games, um neue Telefonprovider womöglich, um Mobilfunktarife oder um mir rätselhaft bleibende digitale Dienste oder dergleichen, keine Ahnung.

Markennamen und Kürzel, die mir fremd waren, also komplett fremd, irgendwelche Buchstaben eben. Diese Werbung war an mich sinnlos verschwendet. So geht es zu, wenn man die Zielgruppen hinter sich lässt. Ein wenig ist es wie beim Kontakt mit Fremdsprachen, bei denen man nur ungenügende Vokabelkenntnisse hat. So geht man in Japan durch eine Fußgängerzone, in der man nur ab und zu etwas versteht.

Vor einiger Zeit hatte ich schon einmal erwähnt, dass es mir auch mit Geschäften in der Innenstadt manchmal so geht. Es machen Läden auf, deren Namen und Logo ich nicht kenne, obwohl sie zu einer Kette gehören müssen, worauf schon die Größe des Ladens schließen lässt. Und es machen auch Läden auf, bei denen ich nach dem Blick ins Schaufenster nicht sofort verstehe, was sie verkaufen. Oder bei denen ich mich, wenn ich es denn verstanden habe, doch frage, ob das ernstgemeint sein kann.

Es ist ein wenig lustig, es ist ein wenig merkwürdig. Und wenn man nicht dauernd aufpasst, wird man schon wieder nostalgisch und denkt mit etwas Wehmut und aufsteigenden Erinnerungsbildern, dass da doch früher dieses andere Geschäft war, wo man damals den dicken Pullover …. Den gibt es längst nicht mehr, diesen Pullover, aber auf dem einen Foto trage ich ihn. Und er war gut, er war so gemütlich.

Weißt du noch.

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Im Bild ein Detail vom Aufbau des Winterdoms. Hanseatengarten, ja klar. So sieht das dann aus.

Ein Detail aus der etwas trostlos wirkenen Szenerie des Dom-Aufbaus, an einem Zaun ein buntes Plakat mit der Aufschrift "Hanseatengarten", darüber sieht man ein Segelboot, das irgendwo zu dekorativen Zwecken verarbeitet werden wird, daneben Parkplatzleere

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In den Untermenüs

Eine Anmerkung noch zum gestern verlinkten Filmchen mit dem Weihnachtsoratorium aus der Leipziger WG. Die Aufnahmen waren mehr als zehn Jahre alt, und wenn Sie einmal darauf achten, was die Musizierenden da für Kleidung tragen – das wirkt nicht deutlich gealtert. Die könnten uns durch die Bank heute noch so begegnen. Sie würden nicht weiter auffallen, man würde nicht irritiert und mehrfach hinsehen, was ist das jetzt, aus welcher Zeit kommt dieser Mensch denn.

Ich weiß nicht recht, was das aussagt, ob es überhaupt etwas aussagt. Aber ich weiß, dass ich mehrere Zeitpunkte aus der Vergangenheit, aus meiner erlebten Zeit benennen könnte, zu denen Menschen im Look von vor zehn Jahren verlässlicher aufgefallen wären. Die modische Distanz etwa von 1980 zu 1970 war markanter als die, auf die wir jetzt sehen, in der Rückschau auf die letzte Dekade. Auch die von 1970 zu 1960. Wobei ich in diesem Jahrzehnt nicht vollständig dabei war, aber doch genug Bilder und Filme aus der Zeit zu kennen meine.

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Ich höre immer noch die Lange Nacht über Puccini, ich brauche länger als sonst für so eine Sendung. Das liegt am überbordenden Alltag, an der Arbeit, an den Terminen. Zum Ausgleich und aus Trotz habe ich tatsächlich Karten für eine Hamburger Aufführung des Weihnachtsoratoriums besorgt. Leben im Widerstand, alles dennoch machen, man muss Übungen absolvieren für die kommenden, vermutlich schlechter werdenden Zeiten.

Man muss sein seelisches Überleben absichern, während das Bundesamt für Bevölkerungsschutz ich sehe es gerade auf dem Zweitbildschirm, und was ist das wieder für ein Zufall, schon einmal die Bunker durchzählen lässt.

Man muss, so sagt man doch, eine Einstellung finden. Ich bin gerade mit mehreren Themen konfrontiert, zu denen ich einigermaßen dringend eine Einstellung finden müsste. Auch abgesehen von den politischen, weltgeschichtlichen und großen Themen, man hat in der Regel noch mehr am Hals.

Moment, ich mache eben Musik an.


Das habe ich in letzter Zeit mehrfach gedacht, das mit der Einstellung, es wurde mir auch gesagt. Bzw. haben es sich Menschen aus meinem Umfeld und ich uns gegenseitig aufgesagt, dass wir jetzt aber wirklich einmal eine Einstellung finden müssten.

Vermutlich alle mit dem unausgesprochenen Protestgedanken im Hinterkopf: „Als ob das so leicht wäre!“

Ich finde doch oft nicht einmal die richtige Einstellung auf meinem Smartphone. Wie soll es mir da im Gehirn gelingen, das viel unübersichtlicher aufgebaut ist. Da gibt es dermaßen schlimm verschachtelte Untermenüs, also wenn man mit denen erst einmal anfängt.

„Wat’s wrong with me – oh, don’t open that door“, wie es Chandler Bing in der einen Folge sagte. Fans der Serie wissen sicher, welche Szene gemeint ist.

Eine Einstellung finden. Wo habe ich bloß den Stoizismus hingelegt, wer hat den fröhlichen Fatalismus verräumt, wieso ist die konstruktive Grundhaltung nicht mehr an ihrem Platz und neulich war die gute Laune noch genau dort, wo ich sie hingelegt hatte. Ich weiß, dass sie da war, ich habe sie mehrfach im Vorbeigehen gesehen.

Einstellungen besser immer da ablegen, wo man sie schnell wiederfindet, wenn man sie braucht. Wie Regenschirme und Handschuhe. Aber erst einmal: Weitersuchen.

Im Bild das Nikolaifleet im Nebel. Da findet man dann sogar Gebäude nicht sofort.

Das Nikolaifleet im Nebel

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Eine Meldung aus dem Reservat

Nach der erfolgreichen Abwicklung des Totensonntags können wir vermutlich auch nach eher konservativer Auslegung full christmas gehen. Die Weihnachtsmärkte werden es ebenfalls so halten und die dekorative Beleuchtung in den Städten wird ab heute sicher maximal eskaliert. Emotional erreicht mich das Thema Weihnachten mit fast keinem Aspekt, nur musikalisch finde ich wieder einiges nett und wärmend, mit Stücken aus verschiedenen Epochen und Stilrichtungen.

Daher erinnere ich schon einmal, denn es gibt immer welche, die in den Vorjahren gerade nicht hingesehen haben, an die vermutlich zugänglichste Weihnachtsoratoriums-Version, also an die mittlerweile 11 Jahre alte Leipziger WG-Aufnahme. Eine Freude, eine helle, nach wie vor und immer wieder. Ich verdanke dieser Aufnahme ein wenig, dass mir die klassische Musik überhaupt etwas näher kam. Sie stand da fast am Anfang von allem.

Um wieder einen Youtube-Kommentar zu zitieren:

„I’ve been watching this for years. What’s really striking other than the fact that it’s a beautiful interpretation and performance is that all of these people seem to be really nice and kind people who care about each other, aren’t in toxic competition with each other, and truly, deeply love the music. Performing this really is a „party“ for them.“

Bei der Gelegenheit bemerke ich einen interessanten Aspekt, der mir beim Sehen von Videos mit klassischer Musik in den letzten Wochen mehrfach aufgefallen ist: In den Kommentaren darunter findet man eine erstaunlich trollfreie Zone. Es herrschen dort Zustände, die an heute selig wirkenden Zeiten erinnern. Als noch nicht das ganze Internet und auch kein viel zu großer Teil des Offline-Alltags durch populistische und hasserfüllte, zerstörerische und verlogene Kommentare versaut waren. In einer Zeit, die man aus für mich nachvollziehbaren Gründen zunehmend nostalgisch verklären möchte

Man ist sich in diesen Kommentaren bezogen auf Werte und Bildungsaspekte noch weitgehend einig, man teilt eine Grundhaltung. So wird etwa die Ansicht, dass jemand wie Mozart recht gut komponieren konnte, allgemein abgenickt und nicht in jedem dritten Posting grundsätzlich in Frage gestellt. Von wegen der Trottel und Hurensohn konnte doch nichts und hat alles versaut.

Vielleicht noch grundsätzlicher, man ist sich auch einig, dass es Mozart tatsächlich gab.

Man stimmt auch darin überein, dass klassische Musik erstrebenswert als Kulturgut ist. Man mag also kollektiv etwas, ohne dass es andere lautstark, mit erheblichem Mitteilungsdrang und nervtötender Frequenz in aller Deutlichkeit hassen und abwerten. Der sonst so unübersehbare Trieb, etwas kleinkindhaft kaputtzumachen, er bricht sich hier nicht Bahn. Es wird auch nicht permanent verlangt, kulturelle Errungenschaften durch Rückschritte oder an dieser Stelle Abseitiges zu ersetzen. Noch steht also z.B. nicht unter jeder Aufnahme von Vivaldi oder Händel: „Wir wollen Schlager!“ oder „Hört Rammstein!“

Es ist eigentlich erstaunlich.

Dergleichen ist nicht mehr einfach zu finden, da das Trollhafte sich in kindischer Weise gegen alles Gute und Schöne richtet, selbstverständlich auch gegen alles Etablierte.

Bei dieser Musik wird sogar noch von den Kommentierenden begrüßt, dass die Musikerinnen und Musiker das lernen, was sie da tun, dass sie sich größte Mühe geben. Es wird ihnen nicht als lächerliche Zeitverschwendung und falsches Abbiegen ausgelegt. Es wird nicht als Schwachsinn bezeichnet, sich mit ihrem Thema abzugeben. Ihre Lernerfolge und Leistungen werden oft gewürdigt, sie werden gelobt und gefeiert.

Die eher seltenen kritischen Anmerkungen sind häufig von hoher Fachkompetenz gekennzeichnet. Ein französischer Organist merkt unter einem Orgelstück von Buxtehude etwas an. Ein anderer, aus einem noch ferneren Teil der Welt, antwortet etwas darauf, und sie tun es beide höflich, ja, höflich. Sie beziehen sich auf ihr Wissen und ihre reichen Erfahrungen, nicht auf ihre Affekte, auf ihre schlechte Laune und ihren Hass auf alles.

Schon schön, so etwas. Eine Art Reservat.

Man muss aber bei älterer Musik bleiben. Guckt man in der Gegenwart, etwa kurz bei Taylor Swift, braucht man nur ein paar Zeilen, um vermutlich Strafbares in den Anmerkungen zu finden.

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Was kann ich Ihnen heute noch anbieten. Ich habe diese Doku auf arte über Thomas Manns Zauberberg gesehen. Und beim Deutschlandfunk mit der Langen Nacht über Puccini angefangen. Von Puccini habe ich wieder wenig Ahnung, aber die Sendung ist dennoch interessant. Also gut gemacht, wie meistens in dieser Reihe.

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Ansonsten bin ich kurz an der Elbe gewesen und habe in der Winterjacke unsinnig geschwitzt bei plötzlichem Frühlingswetter. Vom Museumshafen ein Bild mitgebracht:

Dwer Museumshafen bei Övelgönne im Abendlicht, im Bildmittelpunkt der Eisbrecher Stettin, im Hintergrund Kräne

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