An allem vorbeidenken

Gestern also die Vertrauensfrage im Bundestag. Ich hätte mir die Debatte als Urlaubs-Entertainment live ansehen können, aber ich habe ein dermaßen großes, in den letzten Jahren auch leider immer weiter eskaliertes Problem mit dem Fremdschämen, ich halte so etwas nicht mehr aus. Körperlich unangenehm ist es, da hinzusehen, da zuzuhören. Es ist wie mit den Talkshows, die schaffe ich auch nicht, und es ist mir ein Rätsel, wie Sie das immer alle aushalten und es als Abendunterhaltung halbwegs entspannt hinnehmen können.

Jedenfalls der Bundestag, natürlich doch kurz reingesehen. Was für überaus unangenehme Menschen treten da auf, was für unangenehme Verhaltensweisen und Reden bekommt man mit. Was für übertrieben gut sichtbare Charakterdefizite werden da in albernem Stolz präsentiert. Dazu diese kaum noch verbrämten Lügen, der überall durchscheinende Populismus. Die so flotte Abkehr von allem, was noch als glaubwürdig und wenigstens im Ansatz ethisch motiviert durchgehen könnte.

Mir reicht es dann schnell, ich möchte das nicht sehen. Ich finde es schon fordernd, davon zu lesen.

Am besten an allem vorbeidenken. Oder auch manchmal zurückdenken. Sich dann aber wieder stets bemüht aufsagen, dass früher auch nicht alles besser war und versuchen, sich das zu glauben. Danach erneut um die so unangenehmen Menschen und Themen in der Gegenwart irgendwie herumdenken.

Im Grunde also eher ratlos hin- und herdenken Man hat es wahrhaftig nicht leicht.


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Wenn Sie auch genervt sind von der Zerspanung der Social-Media-Timelines in drei oder noch mehr verschiedene Plattformen, Openvibe ist vielleicht die richtige App. Das Tool fasst alles zusammen in eine Ansicht, und man kann dann heiter ignorieren, was von welcher Plattform herkommt. Weil es einen im Grunde auch nicht interessiert. Also mich jedenfalls nicht.

Gefunden habe ich das Werkzeug via Markus Trapp auf Bluesky. Ich habe allerdings nicht recherchiert, ob die App und die Macher dahinter in jeder Beziehung okay sind, ich habe also schon wieder ein to-Do.

Man möchte einfach nur sitzen, und sie wachsen einem dennoch so zu, diese To-Dos, ich sage es ja.

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Wir werden es immer schon gemacht haben

Die Herzdame und ich waren im Kirchenkonzert, es gab das Weihnachtsoratorium von Bach. Ich erfinde mir oder uns damit gerade einige Traditionen neu, womit man zu beliebigen Zeitpunkten anfangen kann. Keineswegs muss man dabei nur auf die Vergangenheit bauen. Dazu kann ich ebenfalls eine Rainald-Grebe-Liedzeile mitsummen, fällt mir ein: „Wahre Schönheit kommt von innen, kann man jederzeit mit beginnen.“ Aber das nur am Rande.

Zwei Traditionen lege ich jedenfalls ab 2024 fest, wir wollen es mit der Anzahl auch nicht übertreiben. Zwei brandneue Traditionen erscheinen mir plausibel und machbar. Das Brahms-Requiem im Michel und ein Weihnachtsoratorium von Bach also. Es gibt in keiner Stadt mehr Aufführungen dieses Oratoriums als in Hamburg, las ich irgendwo, es ist also nicht besonders schwierig, einen passenden Termin zu finden.

Jetzt muss ich beides lediglich fünf, sechs Jahre durchhalten, schon wird es eine ehrwürdige Tradition sein. So läuft das nämlich: „Das haben wir schon immer so gemacht.“

Dieses Konzert hätte in der evangelischen St. Jacobi-Kirche stattfinden sollen, ich berichtete, die aber wegen dringender Renovierungsarbeiten spontan geschlossen werden musste. Eine andere christliche Fraktion, die katholische Variante, bot Hilfe und Raum an, man plante hopplahopp um, das Konzert konnte dann im Mariendom in unserem kleinen Bahnhofsviertel stattfinden, fast vor unserer Haustür.

Das katholische Christentum ist mir noch deutlich fremder als das evangelische, aber dass die beiden Glaubensgemeinschaften sich heute gegenseitig freundlich bei der Kirchenmusik aushelfen, statt sich in offener Feldschlacht umzubringen wie früher, das immerhin ist ein mittlerweile gut abgesicherter geschichtlicher Fortschritt. Der auch, soweit ich weiß, nicht gerade von irgendwelchen Irren wieder zurückgedreht wird. Und das muss man ausdrücklich würdigen in diesen Zeiten.

Denn Fortschritt, da stehen wir ja drauf, in unserer progressiven Bubble.

Die Front des Mariendoms am Abend

Den Mariendom hatte ich vor diesem Abend etliche Jahre nicht mehr besucht. Zuletzt mit den Söhnen, als sie noch klein waren. Irgendwann bei einem Pflichttermin sicherlich, vermutlich auch um Weihnachten herum, noch in der Kindergartenzeit. Sicher führten sie dort damals irgendwas auf, ein Krippenspiel oder weiß der Kuckuck was. Ich weiß es nicht mehr, wir wissen es nicht mehr, diese Auftritte verschwimmen alle längst im Rückblick.

Ich konnte mich an die Gestaltung des Innenraums der Kirche jedenfalls überraschend wenig erinnern. Es kam mir alles erstaunlich fremd darin vor, ganz so, als sei ich ein staunender Tourist auf der Durchreise und nicht etwa ein Nachbar. Als sei ich zum ersten Mal in diesem Dom. Was im besten Fall aber nur heißt, dass ich damals, vor zwölf Jahren oder wann auch immer das war, nur Augen für die eigenen Kinder und ihre Freunde hatte. Guck mal, guck mal, jetzt machen sie dies, jetzt machen sie das.

Der Herzdame ging es ebenso wie mir, wir nahmen es erfreut als beiderseitige Bestätigung, genau so wird es also gewesen sein. Und ich fand dann, dass es ausgezeichnet zum Basteln von neuen Traditionen passt, sich nebenbei noch eben die Vergangenheit schön zu deuten.

Es ist nur konsequent. Bei der Gelegenheit muss dann Jan Johansson noch einmal ran, es passt so gut. Man darf das leise mitpfeifen, auch oder gerade am Montagmorgen:

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Fonda, Redford, Simenon

Zwei arte-Dokus habe ich gerne gesehen, eine über Henry Fonda und eine über Robert Redford. Beide mit viel Bezug zur Geschichte der USA und auch zu den Veränderungen in der Gesellschaft im letzten Jahrhundert, wie sie sich in ihren Filmen und Rollen spiegeln. Es geht bei beiden Schauspielern auch um Ideale und Anstand. Um altmodisch gewordene Begriffe also, durch deren Benutzung man sich mittlerweile recht eindeutig als aus der Welt gefallen und gestrig deklariert.

Robert Redford lebt noch, er ist ein alter, amerikanischer Mann. Und man kann sich nicht genug darüber wundern, dass ein Land einen Typen wie ihn und gleichzeitig den neugewählten Präsidenten hervorbringen kann, einen anderen alten, amerikanischen Mann. Auch wenn er etwa zehn Jahre jünger ist.

Was für eine kaum noch glaubwürdige Distanz zwischen den beiden liegt, in welch verschiedene Universen sie gehören. Es ist eine Distanz, die schon wieder etwas kinomäßig anmutet. Ich werde diese Bezüge zum Medium Film offensichtlich nicht mehr los, und aus guten Gründen nicht. Sie ergeben sich so in diesen Zeiten, in denen die stark überzeichneten James-Bond-Bösewichte, die uns jahrzehntelang kaum glaubwürdig vorkamen, die auch gar nicht glaubwürdig sein sollten, mitten unter uns und äußerst unangenehm real sind.

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Ich hätte, was die Sprache und den Erzähltonfall betrifft, gerne noch mehr Herta Müller gehört. Ihr „Die Nacht ist aus Tinte gemacht“ hat mir sehr gefallen, aber inhaltlich überfordern mich ihre Werke gerade etwas. Man muss dem Erdulden von negativen Themen auch Grenzen setzen, solange man es noch kann. Was nichts an ihrer Berechtigung ändert, und ein anderes Mal wird es sicher wieder passen.

Kurzentschlossen bin ich erst einmal zu leichterer Lektüre gewechselt, zu Maigrets Memoiren von Simenon, gelesen von Walter Kreye. Deutsch von Hansjürgen Wille, Barbara Klau und Bärbel Brands.

Das ist, wenn Sie sich für Literatur, für das Schreiben und auch für das schwierige Verhältnis von Fiktion und Realität interessieren, ein erhellendes und faszinierendes Buch. Simenon treibt darin gedanklich einiges auf die Spitze und findet schöne Drehungen. „Die Wahrheit wirkt nie wahr“, lässt Maigret etwa den Herrn Simenon an der einen Stelle sagen (ja, tatsächlich so herum). Es ist ein komplizierter Sachverhalt für alle schreibenden Menschen, aber es ist so.

Walter Kreye hat ein Interview gegeben, als er die sämtlichen Maigrets neu eingelesen hat. Er stand, so erzählt er es, gerade auf einer Leiter am Bücherregal in seinem Wohnzimmer, direkt vor den sämtlichen Simenons, er streckte die Hand nach einem Band aus, als der entscheidende Anruf mit der Frage kam, ob er nicht die Krimi-Reihe von Simenon komplett einlesen wolle.

Kann das denn sein, klingt das wahr? Für Sie vielleicht nicht?

Für mich als Vielschreiber, der im Geiste dauernd die Begebenheiten des Alltags mitschreibt und die Wirklichkeit dabei manchmal etwas verharmlost, weil sie zu drastisch und zu überzeichnet ist und daher erstaunlich oft unglaubwürdig wirkt, klingt das wahr. Denn ich weiß, so geht es zu.

Aber in einer Welt, in der die James-Bond-Bösewichte als reale und sogar wählbare Personen herumlaufen, müssen wir das Verhältnis von Fiktion und Wirklichkeit ohnehin komplett neu bewerten.

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Im Bild die Herzdame, die Wirklichkeit mittels Fotofilter in Fiktion verwandelnd. Wenn man erst einmal darauf achtet …

Die Herzdame, von hinten fotografiert, wie sie am Fischmarkt steht und über die Elbe mit dem Smartphone fotografiert. Später Nachmittag, es dunkelt schon, beleuchtete Fähren auf der Elbe, Hafenkräne im Hintergrund.

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Eine Frage des Timings

Am Freitag war ich dann noch einmal im Home-Office. Es waren die allerletzten Stunden der Saison, die ich da am Schreibtisch saß. Während die Herzdame schon im Urlaub war, woran ich aber lieber nicht zu konzentriert dachte, das alte Neidproblem rumorte im Hinterkopf. Wenigstens hatten die Söhn Schule, und sie haben sie auch in der nächsten Woche noch. Das ist das für mich erreichbare Mindestmaß an ausgleichender Gerechtigkeit beim Thema Ferien und Urlaub.

Ich arbeitete mit leider unbefriedigenderen Ergebnissen als erwartet, mit mehr Komplikationen und Verwirrungen auch. Es war mir alles am Ende etwas zu unordentlich, und ich habe die Arbeit mit jenem nicht so guten Gefühl beendet, mit dem man morgens etwa aus dem Haus geht, ohne das Bett gemacht zu haben. Sie kennen das vielleicht. Mir war auch so, bildlich gesprochen, als gingen nicht alle Schubladen zu, als stünde noch dreckiges Geschirr in der Spüle, als hätte niemand die Fransen des Teppichs gekämmt etc.

Als Kind hatte ich eine Weile lang tatsächlich diesen Teppichfransentick, fällt mir dabei wieder ein. Die mussten stets gerade ausgerichtet liegen, das war anstrengend und kostete mich Zeit und Nerven. Weil es den ignoranten Erwachsenen vollkommen egal war, die trampelten da dauernd drüber und verwüsteten alles, die fanden meine Bemühungen eher erheiternd. Unordnung und frühes Leid, das ist ein Buchtitel, den ich immer wieder zitieren kann, bei erstaunlich vielen Themen.

Natürlich ist sie längst überwunden, diese Tic-Phase. Was allerdings nur heißt, dass ich nie wieder Teppiche mit Fransen in meinen Wohnungen gehabt habe. Aufpassen bei allem!

Wie auch immer. Richtig ist sicher, dass ein ordentliches Ende in meinem Job ohnehin nur begrenzt erreichbar ist. Das muss man aushalten, das muss man alles veratmen können, auch die Entropie im Office Management. Letztlich arbeite ich mit Menschen, und da ist man schon beim Kern des Problems. Wenn nicht beim Kern aller Probleme.

Dann am Nachmittag, viel später als geplant, das Notebook zögerlich zugeklappt. Mit einem leicht wahnhaften Gedanken daran, am Montag trotz Urlaub doch noch einmal kurz … mich dann aber entschieden zur Ordnung gerufen. Contenance, Herr Buddenbohm, Contenance.

Seit dem Herbst war deutlich mehr Werk als sonst, es war etwas fordernd, to say the least. Viel gemacht, an vielen Themen und auch ungewöhnlich lange, sogar zu befremdlichen Tageszeiten. Und dummerweise nicht nur im Brotberuf, es folgte wieder alles dem so überaus unerbittlichen Gesetz der Serie.

Hab drei Bestseller geschrieben

Und vier Staudämme gebaut

So viel Käse gerieben

So viele Ohren abgekaut“

Rainald Grebe hat das einmal schön zusammengefasst und besungen, wie es sich anfühlt, wenn es einem so ergeht. Ich fühle sehr mit dem „nimmermüden Hammerwerfer“ im Text des Liedes, der sich da noch im Kreis dreht, der sich immer noch im Kreis dreht, auch jetzt gerade noch.


Na, egal. Jetzt für einige Zeit einiges fallenlassen. Mich selbst etwa und sicher auch einige Themen.

Was mir umso leichter fallen wird, als ich beim finalen und geradezu feierlichen Zuklappen des Firmennotebooks kurz noch darüber nachdachte, was eigentlich dieses komische Gefühl sein könnte. Dieses etwas unangenehme und belastende Gefühl, das ich aus Zeitgründen schon den ganzen Tag verdrängt hatte. Das ich jetzt doch einmal erkunden musste, und dann kam ich auch schon drauf, nach nur wenigen Momenten des etwas dümmlichen Hinfühlens: Halsschmerzen. Ach guck.

Meine Tanzpartnerinnen damals beim Lindy-Hop konnten es nicht durchgehend alle bestätigen, ich weiß, aber ich bin mir doch recht sicher: Timing kann ich.

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Nach bewährtem Muster

In den Nachrichten las ich Meldungen vom schwachen, eher enttäuschenden Weihnachtsgeschäft, die Handelsverbände beschwerten sich. In der Stadt sehe ich die Bestätigung dazu nicht. Das ausbleibende Geschäft drückt sich nicht in geringeren Besuchszahlen in den Haupteinkaufsstraßen aus. Die Leute kommen immer weiter in die Stadtmitte, in Scharen und in Massen kommen sie. Zwischen dem Bahnhof und dem Rathaus ist es dermaßen voll, dort steckt wie in jedem Jahr während der Öffnungszeiten der Märkte und Geschäfte ein kompakter Menschenauflauf fest und rührt sich kaum noch vorwärts, man kommt nicht mehr durch.

Vielleicht aber erwerben sie dort alle nur ein, zwei Becher Glühwein, nur eine Bratwurst und ein kleines Tütchen gebrannte Mandeln. Vielleicht sehen sie sich die Ware in den Läden nur an und vergleichen die Preise. Das mag sein, das ist sogar wahrscheinlich.

Und, wenn man einmal darauf achtet, eine Beobachtung aus den Vorjahren bestätigt sich erneut. Es tragen wenig Menschen Tüten, Taschen etc. in den Händen. Vergliche man die heutige Vorweihnachtsmenschenmenge mit einer von vor zehn, zwanzig Jahren, ich bin sicher, man würde so viel mehr Gekauftes in den Händen der Passanten auf den Bildern von damals sehen. Das ganze Zeug eben, das heute per Paket herumgefahren und ausgeliefert wird, während die Konsumenten nahezu unbelastet auf den Weihnachtsmärkten stehen.

Filmszenen fallen einem vielleicht ein. New York in der Weihnachtszeit, die schwer bepackten Menschen vor den Geschäften. Drei große Pakete auf den Armen, schon in Geschenkpapier, an den Händen noch die baumelnden Taschen. Es fällt ihnen etwas herunter, sie können sich nicht danach bücken, sie müssten dafür erst alles ablegen. Jemand sammelt im Vorbeigehen das Teil für sie auf, flüchtige Blicke, dann ein Lächeln, zwei Sätze – man lernt sich kennen und schon zwei Szenen später wird daraus eine romantische Komödie nach bewährtem Muster. Man kennt das.

Bilder, die man parat hat. Die man in seiner Vorstellung auch weiterhin beliebig oft abspulen kann, so oft hat man sie gesehen. Aber da draußen sind sie kaum noch wiederholbar, wir sind längst weiter.

Man merkt es auch an den Dingen, die wir nicht mehr bemerken, wie an diesen fehlenden Taschen, Tüten und Paketen. Für die Einstiegsszene der romantischen Komödie müsste man heute, um halbwegs im Bild zu bleiben, einen betont attraktiven Menschen Pakete aus dem Weihnachts-Online-Shopping ausliefern lassen. Dann wird bei einem anderen, zufällig ebenfalls ungeheuer attraktiven Menschen geklingelt, der duschbedingt gerade eher wenig anhat, es ist auch in diesen Filmen alles drastischer und schneller geworden. Zwei, drei Sätze an der Tür und boom, noch 85 Minuten bis zum Happy End.

Na, Hauptsache es gibt eines.

Die große Uhr in der Wandelhalle des Hamburger Hasuptbahnhofs vor Weihnachtsbeleuchtung

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Raum für Notizen

Vorweg ein Dank für die freundliche Zusendung dieses Kalenders aus der Duden-Reihe mit alten und mehr oder weniger vergessenen Wörtern, merci!

Ich nehme stark an, man wird ein paar der Begriffe in den Texten des nächsten Jahres hier wiederfinden.

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Ich habe ansonsten, merke ich gerade und gucke vermutlich etwas dumm dabei, rein gar nichts zu berichten. Was sicher darauf hinweisen wird, dass ich wieder einmal, und diesmal sogar über einen erschreckend langen Zeitraum von mehreren Tagen, nicht aufgepasst habe. Die Söhne kennen das auch aus der Schule, wie ich von ihnen weiß.

Wo haben sie das nur her und warum hatte ich nichts Besseres zu vererben.

Wie auch immer, es kommt leider gelegentlich vor. So sehr ich mich normalerweise um Aufmerksamkeit bemühe, um das andere, ähnlich klingende und dabei so gründlich esoterisch verheizte Wort mit A vorne zu vermeiden. Eine Art geistiges Erschlaffen wird es sein, ein Nachlassen der Anspannung, das sich unterm Strich aber dummerweise nicht nach Erholung anfühlt. Auch nicht nach dem, was Sohn I vermutlich als gechillt bezeichnen würde. Und was eher positiv zu werten ist, wenn ich ihn richtig verstehe.

Gechillt zu sein kam in der Jugendzeit meiner Generation interessanterweise noch nicht als erstrebenswerter Zustand vor. Es ist eine neuere Erfindung und ich fremdele etwas damit. Ich habe den Eindruck, dass da ein Wandel stattgefunden hat, ein dezenter, kaum auffälliger. Es ist wohl so, dass wir damals sein gechillt als gelangweilt empfunden hätten. Denn auch die Lieblingszustände der Menschen scheinen einem steten Wandel unterworfen zu sein. Was man wiederum nicht zu werten hat, nur mitzuschreiben, wenn man sich als Chronist versteht.

Wie auch immer. Mein Zustand kommt mir eher wie komatöse Müdigkeit vor, wie tiefe Lustlosigkeit auch und vielleicht noch wie eine Ahnung von dunkelgrauem Winterblues der eher unromantischen Art. Wozu ich sonst nicht unbedingt neige. Aber, wenn ich das dem eher spärlichen Smalltalk dieser Woche bisher korrekt entnehme, man scheint jetzt allgemein zu solchen Zuständen zu neigen.

Jahresendschwäche statt Jahresendspurt, wie es gestern in einem Gespräch präzise formuliert wurde. Es nickten alle und verstanden sofort, was gemeint war. Wir waren allerdings auch alle etwa gleich alt in der Runde, es wird am Ende wieder eine Rolle spielen.

Es steht jedenfalls kein einziges Stichwort im Notizbuch. Und nichts steht in der Notizen-App auf dem Smartphone, in die ich gelegentlich etwas hineindiktiere, auf den langen Stadtspaziergängen. Es kommt mir ein wenig merkwürdig vor, so ungewohnt ist das, diese Leere. So viel Raum für Notizen überall, wer soll das denn füllen und wann.

Am Ende, wer weiß, war aber tatsächlich nichts. Das ist selbstverständlich denkbar und möglich. Also abgesehen von den Teilen des Alltags, die immer sind, von denen aber wirklich niemand Berichte braucht.

[Der Autor unterbricht das morgendliche Tippen an dieser Stelle, sieht minutenlang ausdruckslos die Raufaser vor ihm an, wippt sachte vor und zurück und mümmelt dabei das morgendliche Stück Marzipan aus dem Adventskalender weg. Heute in der Geschmacksrichtung „Crispy Waffel“, was ist das wieder für ein moderner Unfug. Früher war Marzipan stets und ausschließlich zartbitter ummantelt. Wir hatten ja nichts, und vielleicht war es hier und da gut so.]

Nun.

Morgen mehr. Nehme ich an.

Noch ein Lied? Noch ein Lied. Mit einem Refrain, den man zum Jahresende ruhig etwas einwirken lassen kann. Es passt schon.


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Die Abende in der Villa Buddenbohm

Bei der Deutschen Welle sah ich einen kurzen und bemerkenswert positiv stimmenden Film, was in unseren ausgeprägt dystopiegeneigten Zeiten doch besonders auffällt. Es war ein Beitrag über die Casa Verdi, über ein Seniorenheim für Musikschaffende, finanziert aus dem Vermächtnis des Komponisten. Eine sympathisch anmutende Einrichtung, fand ich.

Sollte ich eines Tages doch noch Dichter und reich werden, womit es allerdings allmählich etwas knapp wird, denn mir geht es nicht anders als Kid37, der gerade schrieb:

Habe jetzt begonnen, meinen ersten Krimi zu schreiben, weil ich gehört habe, so etwas liefe gut als Genre und man käme auf diese Weise zu Geld, ohne dass man dabei selbst eine Bank überfallen müsste.

… sollte ich also doch noch Dichter und reich werden, ich werde vielleicht einmal über ein entsprechendes Vermächtnis für Blogschaffende nachdenken wollen, so anregend fand ich dieses Filmchen über die Casa Verdi. Villa Buddenbohm oder ähnlich würde es dann heißen. „Nur Lumpen sind bescheiden“, wie es damals in großer Schrift auf diesem einen Poster mit Hans Albers stand. Es hing lange bei mir an der Wand. Wo ist es eigentlich geblieben, bei welchem Umzug kam das denn weg. Egal.

Exkurs – apropos Bescheidenheit. Da fällt mir auf einmal wieder ein, wie ich als sehr junger Mensch, gerade erst Abitur gemacht, gerade erst nach Hamburg gezogen, noch hoffnungsfroh, jung und lebenshungrig in der großen Stadt, zum ersten Mal bei einer Ärztin war, die ich vor diesem Besuch schon flüchtig aus der Buchhandlung kannte, in der ich damals als Aushilfe arbeitete. Sie fragte mich auf die übliche Weise allgemeinmedizinische Kriterien ab, fragte nach Gewicht, Größe und Beschwerden. Fragte schließlich auch nach meinen Vorerkrankungen, und ich sagte scherzhaft und in bester Stimmung: „Nichts, nur Größenwahn“.

Sie sah mich prüfend an, sie schrieb es ernst mit. Und sie wiegte den Kopf auf eine Weise, die mir doch etwas unangenehm war. Ich sagte sicherheitshalber, dass das gerade ein Scherz gewesen sei. Sie sah mich an und sagte, sie glaube nicht an solche Scherze. Man müsse in ihrem Beruf immer alles ernstnehmen, was ein Hinweis sein könnte. Wirklich immer müsse man das, das habe sie gründlich gelernt und es habe sich auch bewährt. Wir diskutierten noch eine Weile, bis mir das Gespräch bald unangenehm wurde, da wir uns so gar nicht einig wurden. Ich war nach diesem mir doch seltsam vorkommenden Dialog kein zweites Mal bei jener auf mich allzu ernst wirkenden Ärztin, wie man sich vermutlich vorstellen kann. Ich suchte mir einen anderen Hausarzt.

Weswegen mein Größenwahn also niemals behandelt worden ist, sondern erst mühsam und über Jahrzehnte rauswachsen musste. Das wollte ich nur eben erwähnt haben.

Na, was sind das für alte Geschichten, ich schweife ab.

Jedenfalls könnten die in dem später zu gründenden Etablissement residierenden Seniorbloggerinnen und Social-Media-Veteranen genau wie die Damen und Herren aus der Musikbranche in der Casa Verdi gemeinsam gut ausgestattet und betreut wohnen. Und sie könnten sich vor allem, um ihrer Berufs- und Lebenserfahrung gerecht zu werden, bis zum letzten Tag vollkommen hemmungslos gegenseitig Content sein.

Sie könnten sich auch in endloser Folge abends in trauter Runde vor dem Flackern eines künstlichen Kamins alte Texte vorlesen. Weißt du noch, weißt du noch, und als Zugabe liest zu später Stunde noch irgendwer die besten Tweets aus dem Jahr 2019 oder aus einem anderen guten Jahrgang.

Sie würden vor allem aber in solch anregender Umgebung sicher dermaßen durchdachte und zitierfähige letzte Worte finden, es wären jedes Mal besonders schöne Stellen in den letzten Blogs, geradezu Feste für das lesende Publikum da draußen. Soweit ein Publikum dann noch vorhanden und lesefähig sein wird. Irgendwie ist es doch eine erbauliche Vorstellung, ist es nicht?

Na, man träumt so vor sich hin. An diesen besonders kurzen Abenden der ach so langen Winterwerktage.

“And in the winter
Extra blankets for the cold
Fix the heater getting old.”

Gleich wieder ein Ohrwurm für den Rest des Tages.

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Die Verschiebung der Tannen

Ich sehe in den Nachrichten eine kleine Meldung: Weihnachtsbäume werden in Deutschland im Schnitt immer früher aufgestellt, heißt es da. Sie erobern sich allmählich den ganzen Monat, jedes Jahr werden ein paar weitere Tage des Dezembers mit Tannengrün versehen. Am Ende wird der 1. Dezember der allgemeine Stichtag für den Erwerb der Bäume sein. Man kann bereits darauf wetten, es ist eine sichere Sache.

Bald wird es daher merkwürdig anmuten, dass es früher die Tradition gab, den O-Tannebaum erst punktgenau zum Fest zu schmücken, am 24. oder nur kurz vorher. Es wird uns in Geschichten und Filmen auffallen, guck mal, so haben die das damals gemacht. Wie kurz der dann nur stand!

Wobei mir das vollkommen egal ist. Ich habe keine wie auch immer geartete Beziehung zu dieser Tradition und kann auf einen Weihnachtsbaum auch gut verzichten. Aber andere, versteht sich, sind da äußerst empfindlich. Wie immer, wenn es um Traditionen geht, die den Leuten heilig vorkommen, und es also auch sind. In meinen Timelines lese ich beide Fraktionen. Jene, die den Baum schon geschmückt im Wohnzimmer haben, und jene, die das schockiert und mit vehementer Abwehr zur Kenntnis nehmen.

Die zeitliche Ausdehnung der Sondertannendeko passt jedenfalls zu meiner neulich erst geäußerten Vermutung, dass sich alle Feste immer flächiger über den Kalender ausbreiten, wie gekleckste Farbe auf einem Blatt verläuft. Es war rund um Halloween gut zu beobachten, das mittlerweile eine ganze Woche möglicher Partytermine umfasst, nicht etwa nur einen Abend, eine Nacht, wie es noch vor einigen Jahren war. So lange her ist das nicht.

Wir haben es also kollektiv eher nicht mehr so mit einem zugespitzten Timing. Und am Ende korreliert auch das wieder auf irgendeine Art mit dem Verlauf der Pandemie. Ohne dass mir spontan eine schlüssige Ableitung der Zusammenhänge einfallen würde, aber es ist eine beschleunigte Entwicklung der letzten vier, fünf Jahre.

Im Discounter jedenfalls, ich habe am Sonnabend richtig geraten, stehen prompt die ersten großen Kartons „Pyro-Power“ genau an dem Platz, an dem es vor drei Tagen noch um das Schokoladenweihnachten ging, und die Mitte des Dezembers ist noch nicht erreicht.

O tempora, o mores, aber wem sage ich das.

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Gehört: Eine Folge der feinen Reihe „Giant Steps in Jazz“ beim WDR über Paul Desmond. Er war, so lernt man da, einst schwer in Audrey Hepburn verliebt, der er auch dauernd begegnete. Er traute sich aber nicht, sie anzusprechen und machte, was man dann so macht, wenn man es denn kann, er schmachtete musikalisch.

Man hört das das Sehnen und das Elend, ganz deutlich hört man es.

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Zoon politikon

Ich gehe am Nachmittag mit einem Sohn sein Material für die nächste Philosophie-Arbeit durch. Da geht es um das zoon politicon. Aristoteles, der Mensch als soziales, politisches Wesen, Gesellschaft brauchend und suchend etc. Der Mensch als zum Staatenbau und zur Gemeinsamkeit bestimmt.

Direkt danach der Anschauungsunterricht vor der Haustür.

Auf dem Abendspaziergang gehe ich durch die jubelnden, feiernden, tanzenden, singenden Menschen aus Syrien vor dem Hauptbahnhof. Einige Tausend werden es sicher sein, denke ich, von dreitausend Demonstranten spricht später der NDR. Reichlich Zulauf jedenfalls, sicherheitshalber werden Straßen um den Bahnhof gesperrt, Taxifahrer pöbeln aus Autofenstern, was das nun wieder soll. Viele Frauen und Kinder sind unter den Feiernden, die man auf den Bildern und Videos aus Syrien kategorisch nicht sieht. Hier finden sie mit statt.

Wie in Millionenstädten zu erwarten, gibt es bei uns oft Demos von Menschen aus anderen Staaten und Heimatregionen. Manchmal nimmt man erst durch diese Veranstaltungen überrascht zur Kenntnis, wie viele aus einem Land hier leben, und dann staunt man kurz im Vorbeigehen. Guck mal an, alle aus Ecuador, oder woher auch immer.

Meist sind diese Demos durch Wut oder Verzweiflung motiviert, fast immer, was auch nachvollziehbar ist. Dieses spontane Fest vor dem Bahnhof ist aber anders und auffällig, so selten kommen Menschen unter Fahnen zusammen, um sich zu freuen.

Im Hintergrund ziehen deutsche Fußballfans in den üblichen Kostümierungen durch die Wandelhalle und gucken irritiert, wenn nicht entgeistert. Normalerweise sind sie es doch, die hier als verhaltensauffällig zur Kenntnis genommen werden müssen und mit Fangesängen, spritzendem Dosenbier etc. die Szenerie lautstark zu beherrschen wissen. Normalerweise bekommen sie hier alle Aufmerksamkeit, die sie an den Spieltagen vermutlich auch zu brauchen meinen. Heute gehen sie da still und staunend als Komparsen am Rande vorbei und wissen nicht recht, was sie davon halten sollen. Aber gut finden sie es eher nicht, das sieht man ihnen an.

Noch weiter im Hintergrund und teils auf den Treppen nach unten zu den Gleisen, wie auf einen Auftritt im Theater wartend, die Truppen der Polizei. Zahlreich angetreten, in voller Randale- und Einsatzmontur, ruhig abwartend, sie stehen so vermutlich stundenlang. Und sie sehen, es ist eine spezielle Hamburger Ironie, im Dunkeln der weniger beleuchteten Bahnhofsränder aus wie ein schwarzer Block.

In den Timelines werden die Menschen aus Syrien währenddessen prompt und vielfach belehrt, dass sie sich nicht einfach zu freuen haben. Denn die Rebellen sind immerhin auch, haben auch, stehen auch für … und dann folgen die allfälligen Topcheckerkommentare.

Ich bin mir nicht sicher, ob ich diejenigen, sie sich gerade freuen, sofort eines Besseren belehren muss, aber ich denke nicht. Die Topcheckerinnenkommentare können dennoch inhaltlich richtig sein, was weiß ich schon, es ist kompliziert.

Ich freue mich jedenfalls auch ein wenig, über einen Randaspekt, an den eher wenige zu denken scheinen. Ich freue mich darüber, dass die Ereignisse in Syrien so nicht vorhergesagt waren, auch vom allerkundigsten Topcheckteam nicht.

Man könnte das leicht auch negativ deuten, aber es hat eine positive Seite, glaube ich. Es gibt eben keinen geschichtlichen Fahrplan, an den sich alle Teilnehmenden halten und den alle routiniert hinnehmen, wie es geduldige Fahrgäste im städtischen ÖPNV gewohnt sind. Es sind Überraschungen möglich, Wendungen, Haken und Drehungen, auch schnelle.

Und da ich nicht der Einzige bin, dem die Weltgeschichte seit einigen Jahren wie eine stetige und fast schon programmgemäße, jedenfalls aber allzu vorhersehbare Verschlechterung vorkommt, ist dies eine zwar nicht neue, aber doch erfrischend wiederbelebte Erkenntnis. Es kann auch anders kommen, und nicht zwingend nur noch schlechter.

Was zwar weiterhin das Maximum an Optimismus ist, das mir gerade zur Verfügung steht – aber immerhin.

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Im Bild ein Rettungsring in der Hafencity. Warum auch nicht.

Ein Rettungsring an einem Kaigeländer in der Hafencity, sonniges Nachmittagslicht

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In Argentinien, Hamburg und Dunkerley

Bei den “Blättern” gibt es einen freigeschalteten Artikel über die Lage in Argentinien, die neuerdings auch manchen aus der deutschen Politik gerade erstrebenswert zu sein scheint. Und nicht nur denen aus der Politik, auch andere weisen jetzt gerne darauf hin, dass ja auch Gutes passiere, in dem Land da. Dann murmeln sie von Disruption, und dass das Programm doch etwas hätte, so in Teilen. Und so eine Kettensäge ist auch nicht immer schlecht, weißte. Müsste man auch mal, ganze Bürokratie weg, und dann sollste mal sehen.

Was ihnen dann im Gesprächsverlauf auch bald zu Musk einfällt, versteht sich, der hat auch super Ideen. Sonst wäre er ja nicht erfolgreich. Das wird dann fast zwingend noch so weitergedacht, wobei manchmal vorauseilend und beschwichtigend etwas eingeschränkt wird, denn vollumfänglich okay, das ist klar, ist der nun irgendwie auch nicht, genau wie der Trump, schon klar, da gibt es gewisse Nachteile, das weiß man, aber! Und dann reden sie noch weiter, nach dem aber, immer reden sie dann noch weiter, aber zuhören muss man nicht mehr.

Es hat dann im weiteren Verlauf für mich stets den Geschmack und auch das Niveau der altbekannten Autobahnerwähnungen, wenn es um Hitler geht. Es war nicht alles schlecht.

Meine Güte.

Weiteres über Argentinien auch bei der taz oder hier bei der Republik, und auch das hebt alles die Stimmung nicht, ich weiß.

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Am Sonnabend erreiche ich dann schließlich diesen einen Tag, den es wohl in jedem Winter geben muss. Diesen Tag, an dem mir morgens doch irgendwann Zweifel kommen, irritierende Zweifel, wegen der pechschwarzen, lastenden Dunkelheit vor den Fenstern. Ich bin schon stundenlang wach, fleißig und bemüht, ich habe bereits eine Kolumne geschrieben, einen Blogartikel auch. Die ganze Weltlage habe ich bereits halbwegs gründlich nachgelesen und fast ausreichend den Kopf geschüttelt, soweit das in diesen Zeiten eben noch möglich ist. Ich habe das Essen für das Wochenende durchgeplant und mir einen langen Einkaufszettel gemacht. Ich habe die Spülmaschine aus- und eingeräumt, ich habe geduscht und alles, und es ist immer noch dunkel, wie dunkel es ist.

Kann es denn mit rechten Dingen zugehen, mit dieser Dunkelheit vor den Fenstern, geht nicht vielleicht doch meine Uhr falsch, oder gleich mehrere Uhren, was ist eigentlich los, und wann ist eigentlich Sonnenaufgang in dieser Jahreszeit, das dann doch einmal nachlesen.

08:23, guck an, doch so spät. Und um 16:00 fällt unerbittlich schon wieder der Vorhang, dazwischen passt tatsächlich nicht viel. Es ist wirklich wenig Licht übrig, und es beeindruckt in jedem Winter erneut, so gehört es auch.

Vor den Küchenfenstern ist es währenddessen immer weiter dermaßen schwarz … nicht einmal ein dezentes Hellgrau zeichnet sich ab, nirgends. Nur in einem Kirchturmfenster leuchtet ein blasser Stern zur Weihnachtszeit, sonst sind keine Lichter an, nirgends. Es wirkt fast etwas dörflich, so tot ist da alles ringsum in der Stadtmitte, so abgestorben nächtlich.

Na, es ist schon okay.

Wir sind immerhin kurz vor der Wintersonnenwende, der Eindruck passt. Er wird nur gerade durch das Wetter so überaus deutlich verstärkt. Durch den ewigen Dauerregen in der letzten Woche, durch die tiefen Wolken da draußen und auch durch die hin und wieder durchziehende Niederschlagsneigung im Gemüt. Überall regnet es, immer regnet es, und wenn es nicht regnet, dann schauert es schon wieder, dann dämmert es gerade, nebelt es noch einmal, bezieht es sich gerade wieder, dunkelt es usw.

Die Hamburger Hafenpromenade im dichten Nebel, an der Kaimauer ein Schild "Grosse Hafenrundfahrt"

Der Schokoladennikolaus überlebt am Freitagmorgen keine zwei Stunden auf meinem Schreibtisch. Dann liegen da nur noch krümelige Trümmer und zerfetzte rote Verpackungsreste neben dem schon wieder leeren Kaffeebecher. Das nennt man wohl dringenden Bedarf, und der Werktag ist zu dieser Stunde noch lang, unüberschaubar, wenn nicht endlos.

Beim Discounter wird die Weihnachtsware schon nicht mehr nachgelegt, sehe ich am späten Nachmittag, als ich im Dunkeln einkaufen gehe. Die Vorräte dort gehen nun schnell zu Neige. Im feineren Supermarkt wurden die Restsaisonartikel sogar schon abgeräumt, ich staune. Im Vorbeigehen kurz der Blick auf einige leere Regale, gestern gab es das noch Adventskalender, Schokoweihnachtsmänner und Lebkuchen.

Da kommt dann wohl bald Silvester rein, nehme ich an. Vermutlich wird die Ware hinten im Lager bereits ausgepackt. Mein Zeitgefühl kommt da wieder nicht mit, ich hänge noch im November fest. Ich bin nicht einmal am 2. Advent angekommen, noch lange nicht, ob der nun heute ist oder nicht.

Aber egal. Irgendwo kommt immer wieder Licht her, man kennt das. Zur Not legt man sich die Musik von damals auf, und schon geht es wieder etwas weiter, schon ist es fast schön und gemütlich, so wie es ist. Auch in der Dunkelheit.

[An dieser Stelle fragte mich Word gerade, ob ich nicht vielleicht „Auch in Dunkerley“ gemeint hätte? Nein? Und es schlägt mir dann sogar noch weitere Begriffe vor, die nach englischsprachigen Dorfromanen klingen. Was ist das wieder, was hat dieses Programm immer für seltsame Ideen. Am Ende ist es ein Hinweis von oben, soll ich lieber schottische Fantasy-Geschichten schreiben oder was.

Es war eine dunkle und stürmische Nacht in Dunkerley … ach was, ich habe keine Zeit für so etwas. Nicht jetzt, Word, nicht jetzt].


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