Beifang vom 09.04.2017

Erst schnell der Tagesfang von gestern nachgereicht, ich habe für die GLS Bank sechs Links zum Wochenende zusammengestellt und möchte besonders auf den dort letztgenannten hinweisen. Lohnt sich. Die anderen aber auch, eh klar.

Patti Smith hat das Haus von Rimbaud gekauft: “Literarische Immobilien”.

Eine Erinnerung an Michael Holzach. Der mit dem Hund.

Bei der Musik heute mal ein moderner Vollbartträger mit schräger Stimme, es kann ja nicht immer nur Jazz geben. Sean Rowe mit “To leave something behind”.

Kleine Brötchen backen

Hier entstehen gerade ungeahnte Synergien, Sohn II diktiert Sohn I Text – und zwar wie folgt:

“Wir haben Laugenbrötchen gebacken. Die haben super geschmeckt und es war ganz einfach. Sie waren aber alle verschieden groß und eines sah aus wie ein Schiff. Wir fanden, dass sie viel besser als beim Bäcker waren.”

Ergänzt durch die mündliche Ansage: “So, den Rest kannst du dann schreiben, Papa.”

Und das mache ich auch. Laugenbrötchen also, ich nähere mich auf Umwegen dem Brotbacken an, man muss ja auch die Vorhaben einmal umsetzen, die man seit vielen Jahren vor sich herschiebt. Das Rezept für die Laugenbrötchen stand gerade in einem hier herumfliegenden “Für jeden Tag”-Heft, es sah recht simpel aus und schien mir eine nette Wochenendnachmittagsbeschäftigung für den Nachwuchsfoodie Sohn II und mich zu sein. Seine ausgeprägte Food-Affinität wird uns vermutlich immer mit einem Zitat im Gedächtnis bleiben, weil er vor längerer Zeit, da ging er noch in die Kita, einmal auf die Frage nach dem abendlichen Essenswunsch geantwortet hat: “Mir reicht heute eine kleine Käseauswahl, Papa.” Legendäre Sätze, so etwas bleibt.

Und da gestern jemand auf Instagram nach dem Rezept fragte, bitte, das ist hier ja eine serviceorientierte Veranstaltung. Nur schicke Fotos habe ich diesmal nicht, das eine Bildchen aus der Handykamera muss diesmal reichen. Nebenbei erwähnt – eine Leserin wartet auch noch auf das Rezept für Linsen-Kartoffelcurry, das habe ich nicht vergessen, das kommt noch.

Man braucht: 15 g frische Hefe (Tipp für Eltern übrigens – nicht auf die besondere Biologie der Hefe hinweisen, das Backen verzögert sich sonst womöglich wegen intensiver Diskussionen über die Verwendung lebender Zutaten beträchtlich), ½ TL Zucker, 400 g Dinkelmehl Type 630, 20 g weiche Butter, 1 TL Salz, 50 g Natron, Fleur de Sel.

Die Hefe zerkrümeln und mit 200 ml lauwarmem Wasser und Zucker verrühren. Die Hefemischung, das Mehl, die Butter und das Salz mit dem Knethaken verrühren, bis ein glatter Teig dabei herauskommt. Mehr Wasser eventuell ergänzen, wenn das alles noch zu bröselig ist. Die Schüssel mit einem feuchten Tuch abdecken und eine Stunde gehen lassen. Im Rezept heißt es natürlich “an einem warmen Ort”, so heißt es ja immer, und daraus müsste man eigentlich auch einmal einen Kurzgeschichtentitel machen, “An einem warmen Ort”, das müsste doch gehen? Würde auch gut hinter “Sommerhaus, später” passen, aber das nur am Rande. Das Gehenlassen ist jedenfalls sehr spannend für Kinder, hätte sich unter dem Tuch ein vielköpfiges Alien gebildet, der Sohn wäre auch nicht überraschter gewesen als von der magischen Verdoppelung des Teigs.

Den Teig auf einer bemehlten Arbeitsfläche zu einer Rolle formen und in 12 gleich große Stücke schneiden. Wir sind an “gleich groß” grandios gescheitert, aber wir üben ja auch noch, sowohl Mathe als auch Backen. Aus den Stücken hübsche Brötchen formen – woran wir auch grandios gescheitert sind, egal. Ich habe irgendwie immer Probleme mit gerolltem Essen, ich kann ja auch keine Gnocchi. Dann in einem Topf 1 ½ Liter Wasser mit dem Natron aufkochen. Das Wasser anschließend knapp unter dem Siedepunkt halten (Physik! Ganz nebenbei! Projektorientiertes Lernen!) und die Brötchen nach und nach mit der Schaumkelle etwa zwei Minuten darin baden.

Hinterher abtropfen lassen, kreuzweise einschneiden und mit Salzkrümeln bestreuen. Im Rezept wurden auch Kürbiskerne und Sesam vorgeschlagen, das hielten wir für Schnickschnack, das haben wir nicht gemacht, zumal im nächstbesten Laden ein kleines Tütchen Kürbiskerne 3,70 gekostet hätte, geht’s noch? Preise wie im Drogenhandel?

Im vorgeheizten Ofen bei 220 Grad etwa zwanzig Minuten backen. Dabei kann man prima zusehen, die entwickeln sich schnell, das ist ganz unterhaltsam, wir hingen vor dem Ofen wie andere vor einem Fußballspiel im Fernsehen.

Zack, das waren die besten Laugenbrötchen überhaupt, die machen wir sicher bald wieder so. Außen knusprig, innen fluffig, ganz ohne diese unangenehme Gummikonsistenz, die sie hier fast unweigerlich bei allen Bäckern haben. Vielleicht versuchen wir auch einmal Brezeln? Oder viereckige Brötchen? Dreieckige? Laugenbuchstaben? Da geht noch was.

Eine etwas frühe Sommerbuchempfehlung

Nachdem ich hier neulich den drei- oder sogar vierfach verschachtelten Rahmenhandlungseinstieg in Theodor Storms Schimmelreiter erwähnt habe, fiel mir noch eine andere etwas spezielle Erzählsituation ein, in einem Buch, das ich längst empfohlen haben wollte, im letzten Sommer schon, aber man kommt ja zu nix: “Der Garten über dem Meer” von Mercé Rodoreda, übersetzt von Kirsten Brandt, herausgegeben und mit einem kenntnisreichen und auffallend liebevollen Nachwort versehen von Roger Willemsen. Das Buch erschien beim Mare-Verlag, ich habe die Ausgabe der Büchergilde gelesen.

Das spielt in den Zwanzigern des letzten Jahrhunderts in Spanien, pardon, in Katalonien. Es geht um die Liebe, natürlich geht es um die Liebe, andere Bücher scheinen mich, wenn ich mir den Stapel auf dem Nachttisch ansehe, ohnehin nicht besonders zu interessieren. Um die Liebe unter jungen und betont feinen Leuten geht es, man hat Geld und zwar reichlich. Da verwickelt es sich, es geht hin und her, es wird auch dramatisch. Alles spielt auf einem größeren Anwesen in bester Lage an der Küste, man ist eben in der High-Society, man residiert. Erzählt wird das aber von jemandem, der der Handlung gleich drei- oder vierfach entfremdet ist. Es ist der alte Gärtner, der die Geschehnisse im Haus, das er nicht betritt, auf etwas unorthodoxe Weise wiedergibt, der Herr ist kein Autor, schon gar kein Romanschriftsteller. Der Spaß beim Lesen steigt, wenn man immer wieder darauf achtet, wie Mercé Rodoreda das nun hinbekommt, so eine Geschichte aufzubauen. Und wenn man sich ab und zu fragt, was man da als Leser eigentlich zu deuten hat – die Geschichte oder den Erzähler?

Die wahre Autorin des Buches übrigens kannte sich aus mit der Botanik, das merkt man dem Text auch an. Was ich dann teilweise bilderblind lese, weil ich als Naturbanause nicht zu jeder erwähnten Blume sofort ein passende Blüte im Kopf habe. Ich rate da dann googlefaul herum, das kenne ich schon aus den Romane des vorletzten Jahrhunderts, da duftet es auch dauernd aus den Gärten nach irgendwas und es sagt mir nichts, ich sage nur Heliotrop. Der Gärtner jedenfalls ist für Pflanzen zuständig, nicht für Menschen oder Geschichten. Aber beobachten kann man ja alles, was im Garten so vorkommt, Lupinen, Leute und Liebesgeschichten.

Der Gärtner ist wesentlich älter als die Hauptpersonen, er gehört einer anderen Schicht an, er wohnt in einem anderen, viel kleineren Haus am Rande des prächtigen Gartens. Er ist durch seine Generation, durch gesellschaftliche Konventionen und auch räumlich von der Liebesgeschichte in der Villa entfernt. Und wenn er auch nicht der sortierteste Erzähler ist, was er als Gärtner auch nicht sein kann, so ist er doch besonnen in seinen Betrachtungen und Stimmungen, was man von den jungen Leuten wiederum nicht behaupten kann.

Er arbeitet im Garten, seit vielen Jahren schon, er bekommt dabei nur nebenbei einiges mit, er ist nicht einmal übertrieben neugierig, er hält sich höchst anständig zurück. Er erzählt uns zwischendurch von den wenigen und bescheidenen eigenen Erlebnissen, immer wieder auch vom Blühen und Vergehen im Garten, der ihn vor allem anderen interessiert, der ihm auch wichtiger als die Geschichten im großen Haus ist. Wobei sich die Wichtigkeit des Gartens auch durch eine Geschichte erklärt, da ist man dann schon im Dickicht der Erinnerungen. Von den jungen Leuten, die er vom Garten aus gelegentlich beobachtet, spricht er mit Respekt und wohlwollendem Interesse. Weil er ein freundlicher alter Mann ist, reden die ab und zu gerne mal mit ihm, wobei die Distanz nie überwunden wird. Auch die anderen Dienstboten bekommen hier und da etwas aus der besseren Gesellschaft mit und fügen so in Erzählungen, in Vermutungen und in schnellem Klatsch nebenbei immer mehr Einzelteile zusammen, es ergibt sich eine Art Wurzelwerk der Geschichtchen, aus dem allmählich etwas anderes wächst.

Ein Garten ist keine Geschichte, ein Garten ist eine Bildersammlung, könnte man meinen. Ein Garten hat keinen Spannungsbogen, in einem Garten passiert alles zyklisch, ein Garten läuft auf nichts hinaus, er ist immer gegenwärtig. Und es ist wunderbar, wie es Rodoreda nur mit dem Blick des Gärtners, der im Garten gemächlich Blumenbilder und Erinnerungen arrangiert, zu einer ausgereiften Geschichte schafft, einer gar nicht mal so kleinen Geschichte, wie es sich bei Liebesgeschichten gehört, es geht am Ende natürlich um alles. Oder vielleicht geht es doch nur um ein saisonales Aufblühen, wer weiß. Die einen sagen so, die Gärtner sagen so. Wobei in dem Buch metaphorisch übrigens nichts überstrapaziert wird, auch nicht das Meer, das ebenfalls eine große Rolle spielt.

Ich kenne mich mit Gärten nicht aus, ich hatte nur einmal im Leben einen, an dem ich prompt grandios gescheitert bin, das hatte ich doch neulich gerade irgendwo geschildert? Ah ja, hier. Ich war zu jung und viel zu cool, um mich um Pflanzen zu kümmern. Blödes Blühzeug, egal. Das würde ich mittlerweile anders angehen, aber nun habe ich gerade keinen Garten. In diesem Buch von Rodoreda schien mir aber alles interessant, was den Garten betraf, sozusagen jedes einzelne Beet.

Es ist ein herrlich trauriges Sommerbuch, ungeheuer kunstvoll aufgebaut. Draußen zu lesen, wenn es denn geht, wenigstens auf einem Balkon oder zur Not auch neben dem Basilikum in der Küche bei offenem Fenster. Jedenfalls eine große Empfehlung für wärmere Tage.

Kurz und klein

Beifang vom 05.04.2017

Die Bank macht zu” ist ein neues Stück aus der Serie “Überland” in der Zeit. Von solchen Serien kann es gerne mehr geben.

In der NZZ geht es um Toleranz. Mit interessantem Goethe-Zitat.

Noch einmal NZZ: Musil und die Negativzinsen.

Und für die GLS Bank habe ich den geschätzten Christoph Koch gebeten, einige Links zum Thema Innovation und Digitalisierung zusammenzustellen. Natürlich hat er ein paar Quellen verlinkt, die mir bisher nicht einmal geläufig waren. Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert. Bitte hier entlang.

Und jetzt endlich einmal Rollenspiele mit strenger Lehrerin, Peggy Lee in der Hauptrolle. Wenn die Angaben in den Kommentaren dort stimmen, ist der Herr an der Gitarre Dave Barbour, Ehemann von Peggy Lee und den Titel hat er zumindest mitgeschrieben.

Kleiner Tipp für Restaurantbesuche mit Kindern

Die einen oder anderen Eltern werden das Problem kennen, ein Restaurantbesuch mit Kindern ist nicht in jedem Fall und schon gar nicht mit jedem Kind ganz einfach. Es kommt manchem Kind leider äußerst langweilig vor, da so einfach am Tisch zu sitzen und endlos auf ein fremdgekochtes Essen zu warten, das womöglich nicht einmal schmeckt oder unbekanntes Gemüse und andere Schweinereien enthält oder was es da an Schrecken noch alles gibt. Gläser kippen, Besteck fällt, Stühle kippeln, Fangen spielen um die Tische herum, zischende Eltern, geflüsterte Drohungen wüstester Natur, schmollender Nachwuchs, hektisches Essen, bloß raus hier, na, und so weiter, das hat jeder in der eigenen Familie oder doch bei den verzweifelten Eltern am Nebentisch schon erlebt. Die Lage wird nicht gerade einfacher, wenn man mehrere Kinder dabei hat, die Lage wird auch nicht unbedingt besser, nur weil die Kinder irgendwann ein gewisses Alter erreicht haben. “Du bist doch nicht mehr 5!” (6! 7! 8! Und immer so weiter, wie viele Jahre lang auch immer.)

Weil wir aber gerade eher zufällig herausgefunden haben, wie sich Kinder im Restaurant absolut tadellos benehmen, ohne jeden in welcher Form auch immer angewandten elterlichen Druck, möchte ich dieses Wissen schnell mit eventuell notleidenden Eltern teilen, fast hätte ich gerade etwas von froher Botschaft geschrieben. Es handelt sich um einen Tipp für etwa neun- oder fast zehnjährige Kinder, sie müssen lesen und rechnen können, dann läuft das. Der Trick besteht einfach darin, die Kinder ohne Eltern ins Restaurant zu schicken.

Wir haben hier nämlich einen Neuneinhalbjährigen, der seinen Kumpel zum Geburtstag zum Essen eingeladen hat, wobei Eltern natürlich nur gestört hätten, es gab immerhin Dinge zu besprechen. Das ist übrigens auch als Geburtstagsgeschenk ein wirklich brauchbarer Tipp für die Altersklasse, das kam gut an, aber das nur am Rande. Die beiden hatten genug Geld dabei, sie konnten die Karte lesen. Sie saßen, wie uns hinterher berichtet wurde, gerade und konzentriert am Tisch, warteten geduldig aufs Essen, aßen alles auf, wobei sie das Besteck benutzt haben, wie es unter zivilisierten Menschen üblich ist. Sie haben nicht mit den Kerzen herumgespielt und auch keine Gläser umgeworfen, sie haben das Brot nicht zu Mehl zerbröselt. Sie teilten sich die Reste, sie verzichteten nach sinniger Überlegung auf Nachtisch. Sie rechneten nach Kenntnisnahme der Rechnung mit Feuereifer und vereinten Kräften ein passendes Trinkgeld aus und verließen das Restaurant stolz wie Bolle. Das Kapitel haben wir jetzt pädagogisch abgehakt, Essen gehen können die.

Man muss manchmal als Eltern gar nichts machen, man muss vielleicht nur einfach einen Tisch reservieren und ein nettes oder besser noch sehr nettes Lokal kennen, in dem es zum Beispiel eine anständige Pizza gibt. Zack, fertig. Wir reservieren dann schon einmal einen Tisch im April 2019, wenn das andere Kind auch soweit ist.

Beifang vom 03.04.2017

Hier, diese erinnerte Friseurszene bei HONY – einfach mal kurz als Film vorstellen. Beste Unterhaltung.

Das Lächeln meiner Mörderin”, auch so eine kleine Geschichte..

Ein Comic zum Rollen. Eine ziemlich interessante Idee, das will ich schon wieder haben. Schlimm.

Gott fährt zweiter Klasse.

Im Blog der GLS Bank habe ich ein paar Links zu Elektro- und sonstigen Autos. Man beachte die Sache mit der “Faktor-10-Mobilität.” Die Söhne etwa finden den Gedanken super.

Ich habe Bob Dylans “Triplicate” durchgehört, hier eine wenig begeisterte Rezension in der SZ. Ich finde den Gesang auf dem Album enthemmend – wenn man das gehört hat, muss man sich nie wieder für den eigenen Gesang unter der Dusche schämen. Und das ist doch irgendwie ein schöner Effekt.

Und apropos seltsamer Gesang, Alessandro Alessandroni ist gestorben, da können wir alle noch einmal einen Ohrwurm zum Abschied mitsingen.

Buddenbohms Weltgeschichte: Bademode

(Zur Erklärung dieser neuen Rubrik siehe hier.)

Wir gingen mit den Söhnen in eine Schwimmhalle, Pädagogen hatten die Schwimmleistung bei einem von ihnen bemängelt. Beim Schwimmen leistet man Nachhilfe immerhin viel schneller und effektiver als in Mathe. Jedenfalls wenn das Kind grundsätzlich schwimmen kann und nur zu lange nicht im Wasser war, weil beide Eltern die Vorstellung so schrecklich fanden, im Winter in ein Hallenbad zu gehen. Man geht bei dieser Art der Nachhilfe einfach im Rudel baden, planscht herum, hat Spaß und zieht zwischendurch einmal eine Bahn, das ist dann auch schon alles.

Deswegen lagen die Herzdame und ich also im Whirlpool der Badeanstalt einer nordostwestfälischen Metropole in der Nähe ihres Heimatdorfs herum. Von da aus konnten wir, jedenfalls wenn wir die Hälse ein wenig aus dem wohlig warmen Wasser reckten, die Söhne im Kinderbecken beobachten, die dort mit riesigen Plastikflößen herumspielten. Vom Spielen mit Plastikflößen in bauchtiefem Wasser lernt zwar niemand schwimmen, aber fachlich korrekt geleitete Schwimmkurse fangen auch mit der entspannten Wassergewöhnung an, das spielten wir ganz korrekt nach.

Danach gingen wir rüber zu den großen Becken, eines mit Sprungturm, eines ohne. Der beanstandete Sohn zog vorbildlich Bahnen, viel mehr als nötig sogar. Wir liefen nur freundlich motivierend nebenher, denn das Wasser in diesem Becken war deutlich kühler als im Whirlpool und man muss den Einsatz der Eltern auch nicht übertreiben. Auf dem Sprungturm ein Becken weiter stand währenddessen ein junger Mann im besten Olympiagewinneralter auf dem Fünfer und machte professionell aussehende Dehnübungen, also solche, bei denen mir schon vom Zusehen einiges wehtat. Dann stellte er sich an die Kante und sah so konzentriert und ernst hinunter, stand so gerade und war so perfekt gebaut, dass man schon wusste, da kommt gleich was. Und was dann kam, das kann man kaum beschreiben, wenn man nicht gerade Sportreporter ist. Ein zwei- bis dreifacher Salto mit Schraube, als Laie kann man nicht einmal so schnell gucken, wie diese Sportler da im Flug Figuren zusammenbasteln und aneinanderreihen. Eine Figur jedenfalls, die man sicher nur zustande bringt, wenn man sich diesem Sport seit mehreren Jahren einigermaßen gründlich hingegeben hat. Ein Eintauchen mit bemerkenswert wenig Spritzern. Applaus der wenigen Gäste in der Halle, anerkennende Pfiffe. Der Springer kraulte zum Beckenrand und ging mit ernstem Blick und kopfschüttelnd sofort wieder zum Turm, das war ihm noch nicht gut genug. Er kletterte nach oben, dehnte sich. Machte seltsam ritualisiert wirkende Bewegungen, sprang noch einmal, noch komplizierter. Das ging eine Weile so weiter, bis andere junge Männer kamen, die mit gleich viel Ehrgeiz, aber nicht halb so viel Können sprangen, dann wurde es für uns Zuschauer allmählich etwas langweilig.

Zwischendurch gab es etwas Abwechslung durch ein etwa sechsjähriges Mädchen, das sich auch einmal probeweise oben an die Kante stellte, eine ganze Reihe wartende Sportler hinter ihr. Das Mädchen guckte in das Wasser, ihre Augen weiteten sich, das war doch dramatisch viel höher, als sie vorher gedacht hatte. Ein Schritt zurück, zwei Schritte zurück, drei Schritte zurück, da stieß sie mit dem Rücken schon an den ersten jungen Mann in der Reihe hinter ihr. Grinsende Männer, freundliche Handzeichen, doch, sie dürfe ruhig zuerst, gar kein Problem, bitte, nur zu. Den Rückweg zur Leiter machte man aber auch schon einmal vorsorglich frei. Das Mädchen ging wieder an die Kante, sah hinunter, der Körper brettsteif, die Hände griffen krampfend in die Luft. Ihre Mutter stand unten, lachte, klatschte und rief von unten “Na los! Eins, zwei …!” Und noch vor der Drei sprang das Mädchen, vermutlich weil wenige Elternzaubereien so wirksam sind wie diese kleine Zahlenfolge, jegliches pädagogische Abrakadabra ist gar nichts dagegen. Sie tauchte ein, kam wieder hoch, schwamm vor Freude kreischend zur Leiter, um sofort wieder auf den Turm zu steigen. Woraufhin sich einer unserer Söhne umgehend von der Familiengruppe absetzte und ebenfalls auf den Turm stieg, das wollen wir doch mal sehen, wenn die das kann! Und dann ohne Zögern an der Kante gleich hinunter, bloß nicht nachdenken,bloß nicht warten, gleich in den Flug. Und sofort wieder auf den Turm, da gibt es jetzt einen ganz neuen Hauptspaß im Leben! Das hätte man schon viel früher machen sollen. “Papa, gibt es nicht auch irgendwo Siebener?”

Dann war der Sprungturm eine Weile gut besucht, Sportler, Nachwuchssportler, Kinder, Jugendliche. Am Beckenrand tauchten Männer in blauen Arbeitsanzügen auf, die in diesem Outfit so gar nicht nach Schwimmhallenbesuch aussahen. Erst nur zwei, dann zehn, vielleicht auch mehr. Sie zogen an ihrer Kleidung, bei sich selbst und bei den anderen, so wie man in Umkleidekabinen an sich herumzupft, wenn man einen Anzug anprobiert und nicht recht weiß, ob der nun gut sitzt oder nicht. Ist das zu eng? Zu weit? Zu kurz? Kann man so überhaupt herumlaufen? Sie schlackerten mit den Armen, rollten die Schultern und sahen auf ihre Knöchel, wie saß das Zeug? Sie diskutierten eine Weile, dann sprangen sie mit den Klamotten vom Beckenrand ins Wasser. ”THW” stand groß auf dem Rücken der Anzüge und von Gast zu Gast ging die Erklärung durch die Halle, dass da neue Einsatzanzüge auf ihre Verwendbarkeit im Wasser getestet werden mussten. Man kann beim THW auch einmal ins Wasser fallen, aber man ist eben beim THW, damit es dann auch klappt. Und man ist bei allem richtig ausgerüstet, eh klar.

Deswegen sprangen die Herren da also immer wieder vom Rand, vom Einer, vom Fünfer, mit Schwimmweste und ohne. Sie ließen sich im Wasser treiben, sie schwammen Brust und Rücken und kraulten, sie zogen sich prustend am Beckenrand hoch, standen tropfend und kichernd in nassen Klamotten am Rand, schlugen sich auf die Schultern, dass es weit spritzte und ließen sich in Dreierreihe gemeinsam wieder rückwärts ins Wasser fallen, wobei ihre Stimmung besser und besser wurde. Die Anzüge waren wohl in Ordnung.

Am Beckenrand gegenüber schwamm ein Familie südlicher Herkunft. Eine Frau hatte etwas an, was ich bisher nur aus den Nachrichten kannte, einen Burkini. Wobei ich nicht sicher bin, ob es die richtige Bezeichnung ist, es gibt sicher Varianten, aber ich kenne mich damit nicht aus. Ein dunkelblauer Ganzkörperanzug jedenfalls, sagen wir ruhig ein THW-blauer Anzug, der Zufall des gleichzeitigen Badens legte diese Bezeichnung wirklich sehr nahe. Das war also diese Bademode, die in anderen Teilen der Welt im letzten Sommer für erhebliche Aufregung und Skandale gesorgt hat, etwa in Frankreich, mir war so etwas bisher nicht begegnet. Die Frau, die das trug, alberte im Wasser mit den begleitenden Männern herum, so wie es alle Badegäste machen, wenn sie mit Freunden oder mit der Familie in einer Schwimmhalle landen. Sie guckte zwischendurch immer wieder zu den Turmspringern hoch, zu den THW-Leuten und zum Kiosk, vielleicht stand dort gerade ein Kind dieser Familie an und holte Eis, die Schlange vor der Kasse wurde langsam länger.

Niemand interessierte sich für diese Frau. Den Söhnen fiel sie nicht einmal auf, da waren eben irgendwelche Leute im Becken, die Springerei mit Schwimmwesten war allemal aufregender als eine Frau am Beckenrand. Es standen auch sonst keine Leute herum und zeigten mit dem Finger auf die Frau, es schwammen keine anderen Gäste neugierig näher, nichts, niemand sah da zweimal hin. Mich erinnerte dieser Badeanzug an die historischen Bilder, mit denen man als Küstenbewohner in Deutschland unweigerlich groß wird, weil sie in in jedem Kurhaus hängen, auf jeder Strandpromenade findet man sie, vergilbte Poster zur Geschichte des Ortes. Die Damen aus den Anfängen der Badezeit um achtzehnhundertirgendwas, die mit blauweiß gestreiften Ganzkörperanzügen und Haube auf dem Haar vorsichtig und geziert einen Zeh in die Wellen hielten. Wobei sie auf diesen alten Bildern meist gerade aus Badekarren stiegen, die von männlichen Hilfskräften in die Wellen gerollt worden waren. Diese Karren haben nirgendwo eine moderne Entsprechung, soweit ich weiß. An der Ost- und Nordsee stellt man sie heute aber gerne wieder dort auf, wo die Touristen scharenweise herumlaufen, das sieht dann so nett nostalgisch aus, die gute alte Zeit.

Die Bademode an den deutschen Küstenorten hat sich geändert, über die Jahrzehnte wurde immer weniger vom Körper bedeckt. Als ich als Jugendlicher in Travemünde lebte, liefen viele Damen dort gerade oben ohne herum und zwar nicht nur am Strand, das war normal und kam mir nicht spektakulär vor. Das hat sich mittlerweile schon wieder gedreht, das ist Vergangenheit und klingt irgendwie nach der Hippie-Zeit, das sieht man heute kaum noch. Man sieht immer nur auf einen Ausschnitt der Modegeschichte und man weiß auch, das wird vergehen. Die Ärmel und die Beine gehen rauf und runter. Manchmal dauert es Jahrzehnte und es müssen erst Generationen, Regierungen und Religionen kommen und vergehen, manchmal dauert es auch nur einen Saisonwechsel bis Schnitte möglich sind, die vorher alle Mitglieder einer bestimmten Gesellschaft entsetzt haben.

Jedenfalls bei den Badegästen ist das so, woher auch immer sie kommen mögen und wo auch immer sie baden. Beim THW verläuft das selbstverständlich etwas konservativer.

 

13 & 3 & ein neues Türschild

Ich habe einen Hang zu ritualisierten Beiträgen, nicht nur zum Jahreswechsel. Auch zum 1. April passiert hier immer wieder Erwartbares, das Blog, nein, die Blogs altern nämlich so vor sich hin und ändern sich dabei ab und zu ein wenig. Also das Folgende einmal fast wie immer und durchaus nicht als Aprilscherz zu verstehen.

Dieses Blog wird heute dreizehn Jahre alt und ist damit jetzt ein Blog-Teenie. (Ich habe tatsächlich gerade erst kapiert, dass sich die Bezeichnung Teenager genau auf die Altersstufen 13 bis 19 bezieht, weil die im Englischen auf -teen enden. Man hat aber auch Bildungslücken! Schlimm.) Das andere Blog, “Was machen die da” wird immerhin schon drei Jahre alt und lebt gerade wieder neu auf, die nächsten Termine sind bereits gemacht, es geht in Kürze also wieder los mit Isa und mir. Sogar auswärts! Es wird uns ein Fest sein.

In diesem Blog hier gibt es ab heute eine kleine Änderung, es hängt sozusagen ein neues Schild an der Tür, an der Firma selbst ändert sich aber nichts. Oben in der Browserzeile, das haben Sie jetzt vermutlich gar nicht gemerkt, nicht wahr, steht aber nicht mehr “Herzdamengeschichten”, da steht jetzt “Buddenbohm und Söhne” (technische Umsetzung: Christian Fischer, super und empfehlenswert wie immer).

Buddenbohm und Söhne: weil es viel besser passt und weil es den Nachwuchs ganz ungemein freut. Weil die Herzdame öfter selbst schreiben wird, ich aber schon seit längerer Zeit gar nicht mehr so viele Geschichten über sie schreibe. Sondern eher anderes Zeug. Und Buddenbohm & Söhne, das ist eben der Laden hier, was auch immer wir machen. Der Name Buddenbohm kommt von der Herzdame, ohne sie würde ich nicht einmal so heißen, sie bleibt also im Blognamen präsent. Buddenbohm und Söhne kann man scherzhaft als ironische Firmenbezeichnung verstehen, als Fortführung der Familienbetriebstraditon im digitalen Zeitalter, als Projektraum für Nachwuchsblogger, als Möglichkeit für jeden nur denkbaren Content, als Online-Spielwiese für vier Menschen, von denen einer immer und drei immerhin manchmal schreiben. Oder andere Dinge machen, vielleicht kommt es doch noch irgendwann zu Podcasts, Filmen, was weiß ich, da ist ja langfristig vieles denkbar. Die Bezeichnung Herzdamengeschichten hatte dafür jedenfalls nicht mehr den richtigen Klang, fand ich.

Wer dieses Blog in einer Blogroll oder ähnlichem gelistet hat – es wäre natürlich äußerst zauberhaft, très charmant und voll nice oder wie immer man heute sagt, wenn der Link auf die neue Domain angepasst werden könnte.

Und schließlich wie in jedem Jahr: Herzlichen Dank an alle, die hier lesen! Denn das sind weiterhin, um mich auch in diesem Jahr wieder selbst zu zitieren, die Konstanten dieses Blogs – ich denke immer noch nach jedem Eintrag, dass mir jetzt aber wirklich nie wieder etwas einfallen wird, und ich freue mich immer noch jeden Tag, dass das gelesen wird, was mir dann doch noch irgendwann eingefallen ist. Manches bleibt eben.

Beifang vom 28.03.2017

Kiki über Novemberregen. Alles richtig so.

Das hier löst den gefürchteten Haben-Wollen-Reflex bei mir aus.  

Drüben bei der GLS habe ich eine Handvoll Links zum Thema Klimawandel zusammengestellt, beim letzten kann man mit Landkarten herumspielen. Aber leider nicht auf die lustige Art, schon gar nicht aus norddeutscher Perspektive. Après nous le déluge.

Das hier ist auch nicht gerade lustig – die Landesmedienanstalten wollen Yotuber als Rundfunk betrachten. Oder gleich alles, was streamt.

Josef Hader über das Schreiben: “Schreiben ist die beglückendste Arbeit, die ich kenne. Es ist wie eine Bio-Droge, mit der man aus völliger Verzweiflung darüber, dass einem nichts einfällt, in die größte Euphorie gelangen kann, wenn man den richtigen Einfall hat. So einen Effekt bewirken normalerweise nur verbotene Substanzen, aber beim Schreiben geht es ganz von selbst.” Man bekommt fast Lust, mal wieder was zu schreiben, hm?

Die Musik heute in bedauerlicher Bildqualität, es ist aber dennoch eine wunderschöne Version von “As tears go by”. Nancy Sinatra.