Nein

Zu den letzten beiden Lesungen musste ich jeweils stundenlang Zug fahren, das mag ich sehr. Im Zug gibt es oft kein Netz, da habe ich also tatsächlich frei, da kann ich in die Gegend gucken oder lesen oder dösen, ich finde das herrlich. Dösen wird überhaupt stark unterschätzt, finde ich.

Der Zug fährt von Nord nach Süd. Ein Mann steigt ein, er wird etwa am Anfang des Rentenalters sein. Seine Frau geht hinter ihm her, sie sieht etwas älter aus. Er wirkt bestens gelaunt, sie eher müde und verhalten. Er verräumt die Koffer, die sind groß und schwer, das wird eine längere Reise. Sie setzen sich, sie haben zunächst einen Tisch für sich alleine. Er sitzt breitbeinig und raumgreifend, sie lehnt sich ans Fenster und sieht ins graue Novembernichts der norddeutschen Tiefebene, das da eintönig vorbeizieht. Er holt ein Fischbrötchen aus einem Rucksack, gräbt weiter darin herum, bis er auch noch eine Flasche Apfelschorle findet. Nimmt das Fischbrötchen in die rechte Hand, die Flasche in die andere und beißt und trinkt abwechselnd, wobei er die Hände an die Tischkanten legt, das ist jetzt sein Revier., das hat er reserviert. Er kaut konzentriert, kommentiert dann das Fischbrötchen, das Fischbrötchen ist gut, jedenfalls für ein Imbissfischbrötchen vom Bahnhof, da weiß man ja nie. Gut und groß mit ordentlich Zwiebeln drauf, so muss das sein. Die Frau nickt und isst nichts.

Er holt eine Regionalzeitung aus der niedersächsischen Provinz heraus und breitet sie vor sich aus, zuerst kommt der Politikteil. Er zeigt mit dem Fischbrötchen auf eine Überschrift, er liest vor, er erklärt seiner Frau kopfschüttelnd die Weltlage, ohne den Rest des Artikels zu lesen. Die Frau nickt. Das Fischbrötchen weist schon zur nächsten Überschrift, er erklärt, das geht eine Weile so weiter. Seine Erklärungen beendet er immer wieder mit einem “Was?” Sie nickt, ja, das wird wohl so sein. Eine junge Frau setzt sich neben die Frau des Rentners, holt ein Notebook heraus, klappt es auf und korrigiert an einem Text herum. Unwillig zieht der Rentner die Zeitung ein Stück zu sich, das ist nicht schön, wenn man auf einmal weniger Platz hat. Er liest wieder eine Überschrift vor, lacht verächtlich, er befindet, dass das alles Idioten sind, die da in der Politik, is’ doch so? Was? Sind sie doch? Er guckt sich um, seine Frau nickt, die junge Frau sieht kurz hoch und sagt “Nein.” Das sagt sie nicht unfreundlich, das sagt sie einfach so, weil es für sie eben nicht stimmt. Und weil der Mann ihr gegenüber nun einmal so fragend guckt, der will ja wohl eine Antwort.

Der Mann guckt sie entgeistert an, er wiederholt sicherheitshalber seinen letzten Satz, die junge Frau hat vielleicht nicht verstanden, worum es gerade geht, manchmal hören Leute nicht richtig zu. Die junge Frau sagt: “Nein”. Und tippt weiter. Er schüttelt den Kopf, er lehnt sich schnaufend zurück und streicht die Zeitung glatt, er sieht zu seiner Frau, seine Frau sieht aus dem Fenster. Er zeigt wieder mit dem Fischbrötchen auf die Zeitung, er guckt die junge Frau an, er macht den Mund auf, er sagt dann aber doch nichts mehr. Er liest still weiter, murmelt nur ab und zu tonlos etwas und guckt auch ab und zu hoch, auf die seltsame junge Frau, die ihn nicht beachtet und weiter arbeitet. Er blättert um, er sieht sie noch einmal an und schüttelt den Kopf.

Jetzt kommt der Sportteil, er liest und rollt die Augen, verzieht angewidert den Mund, lacht kurz höhnisch auf. Er kaut den letzten Bissen, er fingert mit weit offenem Mund nach Fischbrötchenresten zwischen seinen Zähnen. Dann schiebt er die heruntergefallenen Zwiebelringe auf der Zeitung zusammen und steckt sie zurück in die Brötchentüte, knüllt sie zusammen und schiebt sie ohne hochzusehen mit langem Arm seiner Frau hin, die seinen Müll in ihre Handtasche steckt. Sie macht die Augen zu, den Kopf an das Fenster gelehnt.

Zwischendurch ein Dank …

… und zwar gleich zweifach! Nämlich an Oliver von Blogoli für das “Leben des Brian” von Monty Python, das ist immerhin ein Film, den sogar ich als ziemlich kategorischer Filmverweigerer gerne sehe, auch zum xten Mal. Ein Weltkulturgut, nicht wahr.

Außerdem an Carola von ddorfer.info für die Stickerbücher von Usborne (diese Stickerbücher sind übrigens ein guter Tipp für alle, die Familie mit Kindern besuchen, die sind als Mitbringsel sehr geeignet – hier kommen sie jedenfalls immer gut an).

Was schön war: Hanseatic Help und Forchheimer Bagger

Vor ein paar Wochen haben wir Altkleider zu Hanseatic Help gebracht. Hanseatic Help ist das, was aus der improvisierten Kleiderkammer in den Messehallen wurde. Die ist vor einem Jahr ja sogar bundesweit bekannt geworden, als tausend und mehr Hamburgerinnen dort Spenden für die vielen Geflüchteten hinbrachten, die dann andere Tausende (mit Schnittmenge) stunden- tage- und wochenlang sortiert und ausgegeben haben. Das war damals ein ziemlich unfassbarer Anblick, wegen der Menge an Spenden, wegen der Einsatzbereitschaft der Leute, wegen des riesigen Gewusels und auch weil es eine schnelle Entwicklung zu einem formidablen Ordnungs- und Organisationssystem gab. Diese Systeme waren dann sogar so gut und tragend, dass aus der Kleiderkammer der Verein Hanseatic Help wurde, der immer noch Spenden annimmt und sortiert, und zwar in ziemlich großem Maßstab.

Diese Spenden werden neu gebündelt und mittlerweile nur noch an andere helfende Vereine und Institutionen ausgegeben, Hanseatic Help arbeitet also wie eine Art Großhändler und ist keine Anlaufstelle für Einzelne mehr. Die Abnehmer helfen dann den Bedürftigen in der Stadt, Obdachlosen, Geflüchteten usw.. Das immer noch und besonders ganz rechts so beliebte Spiel, Gruppen von Bedürftigen gegeneinander auszuspielen, das klappt dabei also nicht mehr recht. Als ich dort war, wurden gerade Container für Haiti fertig gemacht, denn in Hamburg gab es noch genug gespendete Sommerkleidung, die hier im Winter keiner braucht, die aber auf Haiti vermisst wird. Das ist also noch einmal eine neue Dimension der Hilfe.

Der Mann, der mich dort herumführte, war darauf verständlicherweise stolz. Auf den Haiticontainer und auch auf die Organisation an sich. Wer sich ein wenig für Ordnungssysteme interessiert, der wird das nachvollziehen können. Ein Lagersystem, Verteilschlüssel, Sortierkriterien, neue Räume, Schichtpläne, Verpackungslösungen, Vernetzung in der Stadt, Öffentlichkeitsarbeit, Vereinsgründung etc. – alles von Freiwilligen aus dem Boden gestampft, innerhalb eines Jahres, das ist schon was.

Und es ist schön zu sehen, wie da Spenden ankommen und ihren Weg nehmen, wie glatt das alles läuft, wie das erfasst wird, gelagert wird, verarbeitet wird, verpackt wird, und wie am Ende dann Pakete rauskommen, die tatsächlich bei Menschen ankommen, die etwas benötigen. Man kann nach wie vor dort helfen gehen, auch kurz, man kann auch nach wie vor dort Spenden abgeben.

Das ist etwas, das in den letzten und höchst kritischen Monaten der Weltgeschichte dann doch positiv hängengeblieben ist, auch bei uns im Stadtteil: Diejenigen, die geholfen haben, die bleiben oft dabei, die haben in den letzten Monaten eine ganz neue Kultur des Helfens und eine Art sozialer Spontaneität entwickelt, weil Helfen auch Spaß macht. Der Herbst 2015 hat bei uns im kleinen Bahnhofsviertel zu einer neuen und vorher ungeahnten Verdrahtung des Stadtteils geführt, hier kennen sich jetzt mehr, hier weiß man jetzt, was man gemeinsam leisten kann, wenn es darauf ankommt. Zigtausend Portionen Suppe für hungrige und frierende Durchreisende etwa – das klappt, das kriegt man hin, man muss einfach anfangen, etwa beim Gemüseschnippeln und dann sieht man weiter. Der eine hat einen großen Topf, die hat einen Gefrierschrank, der hat Platz, die hat Zeit, der kann kochen, so ging es immer weiter – und es hat dann tatsächlich geklappt, die kleine Initiative hat wochenlang jeden Tag Suppe ausgegeben, an unzählige Menschen. Man weiß nicht, dass man so etwas kann, bevor man es gemacht hat, aber hinterher bleibt es einem dann. Das ist wirklich schön.

So zeigt eine Einrichtung wie Hanseatic Help, was diese Stadt und ihre Einwohnerinnen mitmenschlich leisten können, und das kann man ruhig einmal zur Kenntnis nehmen, bei all den schrecklichen Nachrichten gerade.

Als ich in Forchheim gelesen habe, fuhr ich am nächsten Morgen mit dem Zug zurück. Als unheilbarer Frühaufsteher und überpünktlicher Mensch war ich natürlich viel zu früh am Bahnhof, stand dort dumm herum und guckte in die Gegend. Die Gegend war in dem Fall eine große Baustelle, man war noch beim Tiefbau. Nicht ganz so tief wie in Stuttgart, aber Löcher an Bahnhöfen sind wohl gerade in. Bagger, Muldenkipper und andere Laster, die ich nicht einmal korrekt benennen könnte, fuhren dort herum, Raupenfahrzeuge, all das Zeug, was Kinder immer wieder so begeistert. Dazwischen Männer in alarmroten Westen, die das Ganze dirigierten, Sand von links nach rechts, undefinierbares Metallgerümpel von einem Laster auf den anderen, Werkzeugkisten von da nach dort. Das habe ich mir zwanzig Minuten lang angesehen – und das war auch schön. Wie das alles funktionierte und Sinn ergab. Das war wie bei Hanseatic Help, ein vernünftiges System. Menschen mit Einsatz, und dann wird da was bewegt. In diesem Fall sicher nicht ehrenamtlich, vielleicht nicht einmal gerne – aber es lief, vermutlich sogar nach Plan, ich möchte es einfach unterstellen.

Ich fand es belebend, bei so etwas wieder wie ein Kind kurz stehenzubleiben und mir das anzusehen, gerade weil die Nachrichten nur noch aus Bedrohungen, Weltuntergängen, Schreckensszenarien, Ängsten und unheilvollen Spekulationen bestehen, aus Meldungen und Kommentaren, in denen die Welt bereits zu Bruch geht. Es fühlt sich heilsam an, bei einem Aufbau irgendeiner Art zuzusehen. Weil der Mensch an sich was kann, wenn er will. Da muss man sich vielleicht zur Zeit etwas bewusster dran erinnern, sonst vergisst man das noch vor lauter Sorge.

Mit anderen Worten, ich brauche also schon Bagger und schweres Gerät, um wieder auf konstruktive Gedanken zu kommen – danke Trump!

Mit Kindern zum Barcamp? Jo.

Wer mit dem Begriff Barcamp gar nichts anfangen kann, der gucke bitte erst einmal hier.

Das sind also Veranstaltungen für viele Menschen aus verschiedenen Berufen und Lebenssituationen, auf denen über eine ausdrücklich bunte Themenauswahl geredet wird, mal in Form von Vorträgen, mal auch in Diskussionsrunden, Fragestunden etc., wobei es viele Mischformen gibt und man vorher nicht weiß, wozu es Vorträge (“Sessions”) geben wird.

Wir waren gestern auf dem Barcamp Hamburg, und nicht zum ersten Mal. Wie uns gestern wieder einfiel, war Sohn I schon mit sechs Monaten auf seiner ersten Campveranstaltung.

Auf so einem Barcamp gehen am Morgen die Teilnehmerinnen, die etwas vortragen oder sonstwie veranstalten wollen, kurz auf Bühne und stellen das vor, was sie im Sinn haben, dafür reicht jeweils eine Minute. Danach wird das Publikum gefragt, wen das interessiert, und wenn sich dann Menschen melden, findet die Session statt. Es gibt etliche Räume, in denen Sessions stattfinden können, es gibt fixe Timeslots, so entsteht nach und nach ein Raster mit weit über hundert Möglichkeiten, zumindest in Hamburg, nicht jedes Barcamp ist so groß. Kann man sich das ungefähr vorstellen?

Es wird dort eine äußerst bunte Palette vorgestellt, es ging um Marketing, IT-Technik, um soziale Themen, um regionale Landwirtschaft, um Trump, um Hausboote, ums Fremdgehen, ums Loslassen, um den modernen Mann, um Filme, um Programmiersprachen, um Podcasts, um Bücher, um Apps, ums Atmen und um Gott weiß was. Ganz grob geschätzt sind 75% der Sessions technik-business-office-lastig, der Rest ist eher wild und würde in der Zeitung unter “Vermischtes” oder gar in der Wochenendbeilage vermeldet werden.

Man stellt sich nach der Auftaktrunde vor den Sessionplan und überlegt, was einen um 10 Uhr wohl interessieren könnte, was um 11 Uhr und so weiter. Man kann Themen wählen, bei denen man sich auskennt, man kann sich absichtlich völlig über- oder unterfordern und sich auch ausdrücklich fremden Welten aussetzen, man kann zuhören, diskutieren etc. Man kann auf dem Weg in die erste Session mit irgendwem ins Gespräch kommen und dann erst einmal zwei Stunden am Kaffeestand verplappern, das geht auch. Grundsätzlich sind die meisten Besucherinnen aufgeschlossen und gesprächsbereit, man geht auf ein Barcamp, um in Kontakt zu kommen und sich auszutauschen, um zu lernen oder vielleicht auch etwas weiterzugeben. Daraus ergibt sich keine Tagung im klassischen Sinn, sondern so etwas wie ein Konferenzwimmelbild mit endlos vielen Details und wer Kinder hat, der weiß: Kinder mögen Wimmelbilder.

Auf Barcamps gibt es oft Kinderbetreuung, unsere Söhne sind mit sieben und neun Jahren nach eigenem Beschluss jetzt alt genug, an Barcamps “richtig” teilzunehmen. Wie geht das nun? Es gibt eine (nicht verpflichtende) Tradition, dass Besucherinnen, die zum ersten Mal kommen, auch etwas anbieten, denn Barcamps leben nun einmal nur vom Mitmachen. Wir haben also als Familie zusammen unser Blogfamilienunternehmen vorgestellt und etwas über bloggende Kinder und Eltern erzählt. Dabei haben die Kinder zwar fast nichts gesagt, aber irgendwo fängt man eben an. Sie haben jetzt schon einmal auf der großen Bühne gestanden, sie haben eine Session vorbereitet und erlebt, sie wissen, wie nett das sein kann und das andere sich für sie interessieren können, das lief sehr gut.

Danach haben wir uns wie alle anderen auch vor den Session-Plan gestellt und überlegt, wen was interessieren könnte. Die Godzilla-Session, in der die besten Szenen aus allen Godzilla-Filmen gezeigt werden, ohne Dialog und Handlungserklärung und Sinn, die fand leider gleichzeitig mit unserer Session statt und konnte von Sohn I nicht besucht werden, das war etwas schade für ihn. Die muss aber auf jeden Fall hier erwähnt werden, weil sie zeigt, dass es in den Sessions nicht bierernst zugehen muss, ganz und gar nicht, da ist Raum für Spaß und auch für Improvisation.

Wir haben uns eine Session mit coolen Kinderbuchempfehlungen angehört, da konnten die Jungs natürlich auch etwas beitragen, das war ebenfalls eine gute Erfahrung. Danach dann eine über Brettspiele, die zwar eher für Erwachsene waren, aber deswegen noch lange nicht uninteressant. Dass Erwachsene überhaupt spielen, das ist schon einen Gedanken wert, das kennen sie vom eigenen Vater eher nicht, andere Männer gehen da aber glatt als Experten durch. Krass! Zwischendurch waren die Herzdame und ich in Sessions, die die Kinder nicht interessierten, da haben sie sich in anderen herumgetrieben oder im Foyer auf dem mitgebrachten iPad gespielt und gemalt, man kann sich dort auch einmal aus den Augen lassen. Jeder macht sein eigenes Barcamp, das kann man mit sieben Jahren schon verstehen – und das ist nicht die schlechteste Lehre für so einen Tag.

Man kann also auch eine halbe Stunde am Buffet stehen und Unmengen Kuchen verdrücken, wenn einem danach ist, why not, da sagt keiner was.

Manchmal saßen die Kinder längere Zeit nur herum und guckten sich das Gewusel an, hörten irgendwo zu, wo sie gar nichts oder nur Splitter verstanden, liefen planlos durch die Räume, guckten kurz, wie Sprecherinnen auftraten – und dachten vermutlich auch immer wieder sehr intensiv darüber nach, ob sie nicht doch einmal diesen verbotenen Energy Drink probieren sollten, den die Erwachsenen da alle in rauhen Mengen wegbecherten. Ab und zu sprachen sie mit anderen Kindern, ab und zu sahen sie aus Neugier doch mal in die Kinderbetreuung, dort blieben sie aber nicht.

Welchen Sinn hat das nun, was lernen die da? Eine ganze Menge. Da sind also lauter Menschen mit enorm verschiedenen Interessen und unterhalten sich neugierig über ihre Themen. Das ist eine Atmosphäre der entschlossenen Offenheit, das verstehen Kinder und das finden sie toll. Allein dieses Gefühl, in irgendeine Session gehen zu können, egal in welche, sich einfach hinsetzen und zuhören – und keiner wundert sich. Freie Auswahl, das ist eben nicht nur an der Losbude toll. Man kann fragen, man kann etwas sagen, man muss beides aber nie, das ist ganz anders als in der Schule und es ist manchmal auch befreiend. Man kann zwischendurch sogar rausgehen, wenn es doch nicht interessant ist, das machen die Erwachsenen auch, das ist wirklich faszinierend. Tür auf und weg. Da wartet keiner, bis es klingelt. Ich bin falsch, tschüss, drüben ist es vielleicht besser.

All diese Menschen, die sich für irgendwas interessieren und begeistern, die an ihren Themen Spaß haben – das wirkt und es entgrenzt. Weil es eben immer noch mehr Themen gibt, als man sich vorstellen kann, noch mehr Möglichkeiten, damit im Leben etwas anzufangen, im Beruf oder in der Freizeit. Es ist alles noch viel bunter, als sie eh schon geahnt haben.

Ganz nebenbei bekommen Kinder auch mit, wie es ist, wenn man freundlich diskutiert. Da sitzt ein Erwachsener und erzählt etwas, das klingt kompliziert und schlau und souverän, aber danach steht jemand auf und sagt: “Nein, so ist das doch gar nicht.” Und dann gehen die beiden sich nicht an den Hals, sondern sie unterhalten sich, es kommen dritte und vierte Meinungen dazu und es wird bunt und der Gesprächsverlauf ist ganz anders als es alle erwartet haben. Und trotzdem finden es viele gut. Das ist wichtig, so etwas mitzubekommen, das kann man sich leicht im pädagogischen Sinne vorstellen, was da alles nebenbei gelernt wird.

Wobei man keine falschen Erwartungen haben darf, die Kinder sehen gar nicht unbedingt so aus, als würden sie etwas lernen. Sie spielen vielleicht auf irgendeinem Gadget herum, sie liegen auf dem Boden und malen auf Give-away-Blöcken ud kauen Give-away-Gummibären, sie starren in die Gegend und laufen ziellos herum, sie spielen irgendwas – aber wenn man dann abends nachfragt, dann merkt man es doch, was da alles ankam.

Auf dem Barcamp im letzten Jahr haben sich zwei junge Mädchen, etwa zwölf Jahre alt, zu ihren Online-Gewohnheiten befragen lassen. Das war eine der bestbesuchten Sessions überhaupt, die gesamte IT-Branche war da versammelt und hatte viele, viele Fragen an den User-Nachwuchs, das war ein großartiges Beispiel, wie sinnvoll solche Zusammenkünfte auch generationenübergreifend sein können. Im Gegenzug gab es z.B. in diesem Jahr eine Session “20 Jahre Internet”, da haben die Veteranen von damals erzählt, das hören Sechzehnjährige dann mit Staunen.

Sohn II fing gestern zwischendurch an, alle Namen aufzuschreiben, die er kennt oder schon einmal gehört hat, für einen Schreibanfänger eine wissenschaftliche Aufgabe, das hat er dann zuhause noch bis zehn Uhr abends fortgesetzt, das war ein Motivationsflash erster Klasse. Sohn I hat eher zufällig eine Idee für seine berufliche Zukunft aufgeschnappt und in einem ganz kleinen Dialog mit einem kompetenten Herrn geklärt, dass diese Idee gar nicht so abwegig ist. Das war nur eine hingeworfene Bemerkung bei der Verabschiedung – aber das wirkt jetzt so in ihm herum und schon dafür hat sich der Tag gelohnt. Für diese kleine Gleichung: Wenn ich mich dafür interessiere, kann das dabei herauskommen. Barcamps können für Kinder super sein, auch ohne Kinderbetreuung. Man muss einfach ohne Erwartung hingehen und gucken, was passiert.

Wenn Sie mal so eine Veranstaltung in Ihrer Nähe haben – einfach mal probieren, es könnte gut sein.

Noch einmal der Terminhinweis für Franken

Am Donnerstag dieser Woche lese ich abends um 19:30 im oberfränkischen Forchheim in der Herder-Ehrenbürg-Mensa, das kostet sieben Euro Eintritt. Und ist gar nicht mal so weit von der Metropole Nürnberg entfernt.

Die Veranstaltung wird dort so angekündigt: “Maximilian Buddenbohm liest aus „Marmelade im Zonenrandgebiet“, „Es fehlt mir nicht, am Meer zu sein“ und andere Texte. Er begegnet skurrilen Mitmenschen, einer sehr schönen Frau und versucht, auch in den absurdesten Situationen seine Würde zu bewahren.

Dann werde ich das jetzt mal entsprechend vorbereiten.

Bauarbeiten

In den nächsten Tagen wird hier etwas am Blog herumgebastelt, unser aktuelles Theme wird nicht mehr weiterentwickelt und kommt technisch leider nicht mehr ganz mit. Deswegen sieht die Seite vielleicht hin und wieder etwas seltsam oder unfertig aus, das kann vorkommen.

Wenn es anders und gut aussieht, dann war gerade der Profi im Hintergrund dran, ich empfehle bei so etwas ja den Herrn Fischer, das läuft immer super. Wenn es aber eher komisch aussieht, habe ich selber gerade an einem Knopf gedreht, ich bin da manchmal etwas unbeherrscht und muss bei allen Funktionen herausfinden, was sie alles können. Schon ganz gut, dass ich nicht Pilot oder so etwas geworden bin.

Riesige Veränderungen sind allerdings eh nicht zu erwarten, für den großen Wurf habe ich gerade keine Zeit.

Was man Kindern beibringt

Frau Kaltmamsell fragt hier, was man Kindern heute so beibringt, ausgelöst wurde ihr Gedanke durch Schwimmkurse, es geht da aber auch ums Radfahren und um Küchenfertigkeiten etc., wozu nebenbei erwähnt werden kann, dass Sohn II perfekte Rinderrouladen hinbekommt, er hat eben Interesse am Basteln. Kochen ist so etwas, das bringe ich bei Interesse bei, die Kinder können jederzeit gerne mitmachen, ich verdonnere sie aber nicht dazu und mein Ehrgeiz hält sich auch in Grenzen.

Ich bringe den Söhnen – sofern sie weiterhin Spaß daran haben – aber halbwegs planmäßig Bloggen bei, wobei ich mir einbilde, einer uralten Tradition zu folgen, nämlich der familiären Weitergabe eines Handwerks. In den letzten Jahrhunderten ging es in meiner Familie dabei um Glas, mit dem man etwas als Werkstoff machte, ich habe mich entschieden, eher vor einem Glas zu sitzen und darauf zu starren, es gibt eben in jeder Familie Abweichler. Aber auch die können Traditionen begründen.

Und da ich gerade wieder gefragt wurde, wie das mit den Söhnen und ihren Texten denn geht, erkläre ich das noch einmal. Wir haben hier keine Wunderkindproduktion, die Söhne schreiben also nicht selbst an der Tastatur, die Söhne diktieren mir. Alles andere würde nennenswert zu lange dauern, tagelang womöglich und danach gäbe es dann nur einen Satz. In den Texten wären auf diese Art außerdem noch mehr Rechtschreibfehler als in meinen, das möchte man ja alles nicht. Sie stehen also neben mir, wann immer sich eine Idee für einen Blogeintrag ergibt, und erzählen mir, was es zu schreiben gibt.

Und auch dabei darf man sich nicht vorstellen, dass da spontan ein druckreifer Text aus dem Kind kommt, denn der erste kindtypische Gedanke nach z.B. einem gelesenen Buch ist: “War gut.” Das entspricht in der Textlänge aber nicht ganz dem, was man gerne hätte, als, nun ja, Chefredakteur dieses Onlineangebots habe ich da doch gewisse Vorstellungen.

Ich stelle den Nachwuchsschreibern also möglichst zielführende Fragen und warte auf verwendbare Sätze. Ich lege ihnen nach Möglichkeit nichts in den Mund, der Text soll schon von ihnen sein, aber ich frage so, dass ihnen mit jedem Blogeintrag mehr klar wird, worum es geht. Und dazu gehört für die Kinder eine ganze Menge an Wissen, das macht man sich vielleicht nicht sofort klar. Wenn sie etwa so einen Blogeintrag schreiben, wie Sohn I ihn gerade veröffentlcht hat, in dem ein Geschenk für Kinder empfohlen wird, dann müssen sie sich nach der Lektüre des Buches oder nach dem Hören der CD überlegen:

Für wen das eigentlich geeignet ist, denn da draußen lesen Menschen aller Altersklassen und Eltern mit Kindern von bis den Text, das bedarf einer realistischen Einschätzung. Dazu muss man überlegen, ob es auch dem kleinen oder großen Bruder gefallen hat, ob man es schon von früher kennt, aus der Vorschule vielleicht, ob man es in einem Jahr oder in fünf Jahren auch noch mögen würde. Und ob es Papa gefallen hat, das kann auch von interesse sein.

Wie das Buch gesamt war, denn nicht alle Kinder mögen Gruselbücher und einige lesen nur lustige Werke oder Comics etc., da ist man auf einmal schon nahe an den literarischen Gattungen, man braucht erst einmal irgendeine Schublade.

Worum es überhaupt ging. Diese Frage finden wir als Erwachsene einfach und naheliegend, wenn man aber sieben oder neun Jahre alt ist, dann ist das ganz und gar nicht einfach, sondern sogar sehr schwer. Kinder denken in dem Alter zuerst an genau einen Punkt: “Es geht um den Fuchs!”, danach denken sie erst mit viel Mühe an die gesamte Geschichte, an einen erzählerischen Rahmen und an all das, was wir so selbstverständlich finden.

Warum das Buch oder die CD überhaupt gefallen haben, was war das denn nun? Das ist auch ein enorm schwieriger Aspekt für Kinder, da raucht der Kopf – warum empfand ich da was? Was hat wie gewirkt und warum?

Gab es noch irgendeinen Special-Effekt, den man erwähnen müsste? Tolle Bilder? Und wenn ja, wer hat die gemacht?

Damit ist man dann beim Urheberrecht und bei Credits, das klingt kompliziert, aber das ausgerechnet ist für Kinder ganz einfach. Dass man erwähnen muss, wer was gemacht hat – völlig logisch für sie. Man darf nicht beliebig Bilder aus dem Internet pflücken, das fanden beide schon früh naheliegend, die hat ja wer gemacht, den man erst fragen muss, das ist wie bei fremdem Spielzeug, das irgendwo auf dem Schulhof herumliegt. Und wenn man das teilen darf, muss man den Spender erwähnen, das ist auch klar. Kinder haben einen Umgang mit Credits und Sharing, da können sich viele Erwachsene eine Scheibe abschneiden.

Wenn der Blogartikel von uns selbst bebildert wird, muss man ein sinnvolles Bild machen. Wie präsentiert man ein Buch? Und wie kommt das Bild von der Kamera oder vom Handy ins Netz? Muss man es erst bearbeiten? Wie geht das nun?

Da hängt also eine Menge dran. Einiges klingt verdächtig nach Deutschunterricht, einiges klingt nach Medienunterricht, vieles klingt überhaupt nach Schule und Lehrplan, es ist aber tatsächlich Spaß und es geht auch meistens recht flott. Und nichts davon ist Lernen im Sinne einer Unterrichtseinheit, das ergibt sich alles im Gespräch, ganz nebenbei. Sohn I hat viele dieser Fragen natürlich mittlerweile schon verinnerlicht, Kinder lernen schnell. Bei allem.

Dann lese ich den gesamten Text noch einmal vor, wir verbessern gemeinsam und überlegen, wie das klingt und was noch fehlt. Das tun wir sogar ziemlich lange, denn meistens wird es genau da spannend, da findet man eventuell den eigentlich spannenden Punkt oder sogar eine Pointe. Und dann wird der Artikel gepostet.

Kommentare zu den Artikeln finden sie beide nett, aber wichtig sind sie ihnen nicht. Was sie mittlerweile wirklich gut verstanden haben, ist der Umstand, dass andere Eltern z.B. dieses Buch mit dem Fuchs nicht kennen – und es deswegen ihren Kindern auch gar nicht schenken können. Das ist also sinnvoll und richtig, so etwas weiterzugeben, da gibt es den häufigen Satz: “Da freuen sich andere Kinder”.

Das ist so ein Satz, über den man als Erwachsener nicht lächeln sollte, denn der treibt mich ja auch um. Wenn ich eine vermeintlich gute Pointe schreibe, denke ich im Grunde auch: “Da freuen sich andere Erwachsene”, weiter reicht meine Weisheit da auch nicht, das ist es doch. Und all die anderen Fragen da oben, die stelle ich mir übrigens auch dauernd. Wie war das Buch? Warum schreibe ich jetzt was? Wer soll das lesen, wem sage ich hier was? Und wer hat das übersetzt? (Und wer bin ich und was mache ich hier eigentlich?)

Man muss zuerst auf die richtigen Fragen kommen, der Rest ist Handwerk. Handwerk lernen die Söhne auch in der Schule, Rechtschreibung und Kommaregeln und alles – aber bei den Fragen kann ich ein wenig vorgreifen, weil sich dieser Familienbetrieb hier nun einmal mit so etwas beschäftigt. Es ist der Weg von “War gut” zu “In dem tragischen Roman XY von XY geht es wunderschön geschrieben um …”

Im Moment schreiben beide nur über Produkte und Bücher, vielleicht wird sich das auch noch ändern. Dann gibt es ganz neue Fragen, das wird dann wieder spannend für uns alle. Vielleicht haben sie auch zwischendurch jahrelang keine Lust auf die Bloggerei und Schreiberei, vielleicht vertreten sie mich irgendwann wochenlang, das ist alles recht, es kommt, wie es kommt. Ich kann ihnen nur Begeisterung für eine Tätigkeit vorleben, der Rest ergibt sich irgendwie.

Aber als Sohn I neulich den Berufswunsch Blogger erwähnte, war ich doch tatsächlich ein klein wenig stolz. Man gönnt sich ja sonst nichts.

Gelesen – Christoph Peters: Stadt Land Fluß / Heinrich Grewents Arbeit und Liebe

Der Herr Peters ist jemand, der herausragend gut Berufe literarisch darstellen kann (kam hier schon einmal vor), das ist wirklich auffällig. Man liest da in “Stadt Land Fluss” von einem verkrachten Kunsthistoriker und von einer strebsamen Zahnärztin und auch von niederrheinischen Bauern, und immer denkt man, ja, das ist so, das passt perfekt, das ist gut, das sieht man alles vor sich, so arbeiten die, wie interessant, da können gerne noch ein paar Seiten kommen. Und dann fällt einem wieder auf, wie selten normale Berufe gut beschrieben in Romanen vorkommen.

Christoph Peters recherchiert gründlich, das merkt man, und er kann dann, ich weiß gar nicht, wie er das macht, das gesammelte Material so unterhaltsam darstellen – Sendung mit der Maus nichts dagegen, nur eben als Literatur. Obwohl er reichlich Fakten darstellt, kommen die immer als Geschichte rüber, da ist nichts dröge oder langweilig, nie fällt das in einen referatartigen Stil und doch kommt immer noch ein Detail. Ich finde das bewundernswert, das scheint mir kaum jemand in der aktuellen Literatur so zu machen. Oder ich lese zu wenig oder die falschen Bücher, das kann natürlich auch sein.

Ansonsten geht es um eine Liebe, die aus Gründen vergangen ist, die man erst nach und nach versteht, das ist tragisch und herbstlich gerade passend. Es geht aber auch um verschwindende Dörfer und um ein Landleben, das so nicht mehr wiederkommt und jede Romantik verliert, Beton gegen Fachwerk, das ist also nicht die heiterste Lektüre, aber doch gut für den November.

Bei “Heinrich Grewent” wiederum wird u.a. Büroarbeit geschildert, die noch ganz ohne Computer stattfindet. Und ohne weitere Komplimente sei hier nur kurz erwähnt, dass ich bei den ersten Kapiteln den Backflash des Jahres hatte. Neunziger Jahre, im Büro bis spätabends auf dem Fußboden herumkrabbeln, um etliche getippte Seiten zusammenzutackern, deren Gesamtbild jemand anderes dann wieder an der Schreibmaschine weiterverarbeitet, da dann hektisch und handschriftliche Randnotizen ergänzen, alles noch einmal zurückgeben, später stundenlang am Kopierer stehen, mit Schere und Kleber arbeiten, bis endlich nach Tagen voller Überstunden ansprechende Berichte entstehen, die dann mit dem Kurier in eine Druckerei geschickt werden, damals, hundert Jahre vor Powerpoint, wir hatten ja nichts! Ich kann mich endlos in solchen Details verlieren. Beruflich beschäftigt sich die Hauptfigur hier übrigens sehr überzeugend mit feuchtem Toilettenpapier, und daran ist gar nichts albern, nichts überzogen, das ist ganz selbstverständlich, das ist eben ein Job, ich möchte Herrn Peters einen Orden dafür geben.

Aber auch sonst ein interessantes Buch, wieder mit einer seltsamen Krise in der Liebe und einem unvermutet herausgeforderten Protagonisten, der sich dem Elend tapfer stellt, das passt also auch noch ins Herbst-Package und dafür seien die beiden Bücher auch ganz ausdrücklich empfohlen.