Gelesen
Ich habe verblüffend wenig gelesen im September, ich hing nur noch vor Nachrichtenseiten und las permanent Updates zur Situation der Geflüchteten in Südosteuropa, in Deutschland und natürlich vor unserer Haustür. Das lässt mich immer noch nicht los, ich komme dadurch wirklich seltener zu Büchern.
Kristine Bilkau: Die Glücklichen
Auf dem Schutzumschlag geht der Blick über eine Wohngegend, Dächer und Zimmer an einem blaudunklen Winterabend, es wird einem schon kalt vom Bild und die Kälte passt natürlich zu dem, was dann kommt. Die beiden Hauptfiguren wohnen in gentrifizierter Gegend, sie haben gerade ein Kind bekommen und gehen kreativen Berufen nach, er in den Medien, sie als Cellistin. Man lebt auf hohem Niveau, es ist alles goldrichtig oder fast. Dann verliert er seinen Job, wie das bei den Medien mittlerweile so ist, sie hat plötzlich ein Zittern in der Hand, die doch souverän den Bogen führen soll. Das wird dann geradezu grausam detailliert geschildert, wie sie langsam aus dem Netz der wohligen Sicherheit und der feinen Gewohnheiten fallen, wie sie merken, dass es nicht sofort fröhlich weitergeht, dass es womöglich überhaupt nicht weitergeht. Oder nur ganz anders. Wie sie allmählich realisieren, dass sie sparen müssen, dass sie über Geld nachdenken müssen, dass sie vielleicht wegziehen müssen, dass die Situation die Beziehung ruiniert, dass all die anderen um sie herum ganz normal weiterleben. Exzellent dargestellt, wie sie nicht miteinander reden oder aneinander vorbei, wie sie sich Gedanken über den anderen machen, die nicht treffen, wie das Gemeinsame jeden Monat mehr zerfällt. Die Sprache unprätentiös und ohne jede Ausschweifung, das kann man so auch mal wieder gut vertragen. In der Wohnung der beiden findet sich unter den alten Tapeten ein Tresor, den man nicht öffnen kann, man sieht die armen Germanistikstudentinnen geradezu vor sich, die sich an diesem Bild in den nächsten Jahren abarbeiten werden. Ich habe das Buch hier überall empfohlen, feine Lektüre. Ein Horrorroman für die Bewohner der Szeneviertel, es wird einem Angst und Bange bei der Lektüre und ab und zu überlegt man, ob man selbst auch so … Wirklich schlimm. Also ja, ein wirklich gutes Buch. Über uns und unsere Ängste.

Thomas Meyer: Wolkenbruchs wundersame Reise in die Arme einer Schickse
Mordechai Wolkenbruch, ein Züricher Jude aus sehr traditionsverbundener Familie, entzieht sich den Verkuppelungsversuchen seiner Mame, also seiner Mutter. Das hat natürlich fatale Folgen, wie immer, wenn man nicht auf seine Mutter hört. Zumindest in diesen eng geschnürten Traditionsgeflechten. Der Humor des Buches ist vorhersehbar und etwas flach, es finden sich dennoch etliche schöne Szenen. Es ist wie bei einem lustigen Film im Kino, bei dem man alle 15 Minuten lacht – wenn man alle fünf Minuten lachen würde, wäre er eben besser. Mir hat das Buch dennoch Spaß gemacht, weil es in einem Gemisch aus Jiddisch und Deutsch geschrieben ist. Man entdeckt Wortperlen wie etwa Blizbrif für E-Mail, alleine diese Vokabel hat schon die Lektüre gerechtfertigt. Blizbrif, wie schön ist das denn. Außerdem ist es faszinierend, sich in diesen Tonfall einzulesen. Am Ende des Buches ein langes Glossar mit jiddischen Begriffen, man kommt aber auch ohne dauerndes Nachschlagen recht weit.
Mordechai wird von seiner Mutter von einem der endlos vielen erfolglosen Dates abgeholt, sie fragt ihn, wie es gewesen ist. Er will nicht sagen, dass er die Frau abstoßend fand, weil sie genau wie seine Mutter aussah.
Also sagte ich: “Da war nischt kejn funk zwischen uns, mame.”
“Kejn funk!” rief die mame. “Was brauchst du a funk! Du brauchst a froj!”
Doch, die Sprache ist schon wirklich schön.

Türkei vegetarisch
Ich gehöre ja zu den Leuten, die Kochbücher durchlesen, auch dann, wenn ich gerade nicht auf Rezeptsuche bin. Kochbücher sind beruhigend, in Kochbüchern ist alles gut, es wird wieder einen Morgen geben, es wird wieder Essen geben, es wird aus der Küche gut riechen und alle werden satt. Kochbücher sind super. Demnächst wird hier im Blog auch wieder gekocht, und zwar z.B. aus “Türkei vegetarisch”, dem nächsten Band in der herausragend guten Serie der Herausgeberin Katharina Seiser. Diesmal in Kooperation mit Orhan und Orkide Tançgil. Die türkische Küche wird eh immer unterschätzt, für mich ist sie eine der besten – ich freue mich sehr aufs Nachkochen.

Claudia Seifert, Gesa Sander, Nelly Mager und Julia Hoersch: Kinder an den Herd: Wir kochen, experimentieren und staunen

Das ist der Fortsetzungsband von “Kinder kocht!, den hatten wir hier im Blog auch schon. Nelly, eine der Autorinnen, ist eine Mutter aus unserem kleinen Bahnhofsviertel, das hat den Nebeneffekt, dass die Söhne hier einige der im Buch abgebildeten Kinder kennen. Immer schön, wie ein Buch dann plötzlich sehr, sehr interessant wird. Auch aus diesem Buch gibt es dann demnächst etwas.
Vorgelesen
Heinz Janisch und Aljoscha Blau (Bilder): Rote Wangen

Das Buch ist ein Wunder, es ist nämlich pädagogisch wertvoll und funktioniert tatsächlich. Ein Großvater erzählt seinem Enkel Geschichten aus seiner Jugend er wird dabei immer älter und durchsichtiger, irgendwann ist der Enkel gar nicht mehr so sicher, ob der Großvater noch da ist, die anderen sagen, er sei schon vor einem Jahr … Das ist ein Buch, das hier tatsächlich und programmgemäß zu ganz wunderbaren Gesprächen geführt hat. Große Empfehlung.
Simon Mason: Die Quigleys, Band 1. Bilder von Susann Opel-Götz, Deutsch von Gabriele Haefs
Geschichten über das irrsinnige Familienleben der Quigleys, das auch nur so irrsinnig ist, wie bei uns allen. Die Geschichten, pro Band sind es vier, sind nicht in der typischen Vorleselänge, sie sind deutlich länger, darauf muss man sich einstellen. Bei den Jungs kam das Buch sehr gut an, ich fand die Schlusspointen der Geschichten etwas unterwältigend. Aber um mich geht es dabei ja nicht unbedingt.

Astrid Lindgren: Die Brüder Löwenherz. Bilder von Ilon Wikland, Deutsch von Anna L. Kornitzky

Da fehlte beim Vorlesen immer noch das Ende, ich hatte da gewisse Hemmungen, das Ende vorzutragen. In Erinnerung an meine eigene Kindheit, das Ende hat mich damals doch etwas mitgenommen. Für die Söhne allerdings ist dieses Ende heute nur die Ankündigung eines weiteren Levels. O tempora o mores!
Otfried Preußler: Der Räuber Hotzenplotz

Das kennen die Jungs jetzt als Theaterstück, Film, Hörbuch, Hörspiel und Buch – und es funktioniert in allen Varianten. Da hat er sich schon eine ziemlich tolle Geschichte ausgedacht, der Herr Preußler.
Daniel Napp: Schnüffelnasen an Bord

Eine ziemlich spannende Geschichte für Kinder ab 6, das Buch kam sehr gut an und die Fortsetzungen wurden mit einer gewissen Dringlichkeit eingefordert. Sohn I sagt: „Das war aufregend und lustig, von dem können wir mehr lesen.“
Sebastian Lybeck: Latte Igel reist zu den Lofoten. Mit Bildern von Daniel Napp

Noch ein Fortsetzungsbuch, Latte Igel ist hier mittlerweile sehr beliebt. Sohn I sagt: „Das ist auch sehr spannend und lustig und mehr muss man dazu ja nicht sagen. Gut ist eben gut.“ Und wir Eltern haben klammheimlich nachgesehen, wo denn noch einmal diese Lofoten genau liegen. Schlimm!
Gesehen
Nichts. Macht nichts.
Gehört
Harry Belafonte: September
Ich bin musikalisch ja Traditionsmensch durch und durch. Und im September hört man eben September, gerne auch öfter. Wobei ich von diesem sanften, schönen, melancholischen September in diesem Jahr tatsächlich überhaupt nichts gespürt habe. Draußen war eben irgendein Wetter und für Melancholie war überhaupt keine Zeit. Goldener Oktober anyone?
Ansonsten höre ich natürlich viel Musik, die zu meinem Tanzkurs passt, also ziemlich altes Zeug. Wobei ich nach bisher nur vier Stunden bisher natürlich immer noch bei “I can’t dance” bin. Aber es wird.
Eines der besten Stücke um Lindy Hop zu üben ist übrigens das textlich gar nicht mal so vergnügliche Sixteen Tons. Den Song kennt jeder, die Geschichte vielleicht nicht – die gibt es hier.