Zwischendurch ein Dank…

… an den komplett unbekannt gebliebenen Menschen, der den Jungs die Adventskalender-CD von den Drei Fragezeichen geschickt hat. Zumindest für Sohn I ist Rocky Beach sowieso gerade quasi die zweite Heimat, bei Sohn II steigt das Interesse auch langsam, das passt sehr gut. Vielen Dank!

Gelesen, vorgelesen, gesehen, gespielt und gehört im November

Ilse Helbich: Vineta.

Vineta

Die Dame kam nun schon mehrfach vor, die muss ich wohl nicht mehr vorstellen. Dies sind ihre Jugenderinnerungen. Nicht stringent erzählt, eher Erinnerungsfetzen, heranwehende Bilder von Menschen, Situationen und Gegenständen aus einer gründlich vergangenen Zeit.

Meir Shalev: Fontanelle.

Fontanelle

Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama. Eine Familiensaga aus Israel, erzählt von einem Mann, dessen Fontanelle sich nie geschlossen hat, weswegen er etwas mehr wissen und sehen kann als andere. Ich habe nach einem Drittel des Buches immer noch nicht verstanden, was dieser halbphantastische Kniff mit der Fontanelle soll, ich rätsele auch an anderen erzählerischen Marotten herum und werde das vermutlich nicht durchlesen. Wobei die Figuren nicht uninteressant sind. Eventuell bin ich in einer ungnädigen Phase. Schlimm.

November – Gedichte. Ausgewählt von Evelyne Polt-Heinzl und Christiane Schmidjell.

Novembergedichte

Das habe ich gar nicht gewusst, dass es so ein kleines Reclam-TB mit einer Gedichtauswahl zu jedem Monat gibt. Das kostet nur 5 Euro und ich fand es sehr interessant, das habe ich tatsächlich gleich mehrfach gelesen. Das Büchlein passt in jede Anzugtasche, das kann man zwischendurch kurz herausnehmen und in der knackvollen S-Bahn zwischen Hauptbahnhof und Hammerbrook ein paar Strophen über menschenleere, neblige Wälder nachlesen, das ist wie einmal kurz den Kopf aus dem Fenster halten und draußen ist nichts als Natur, die sich korrekt und jahreszeitenkonform verhält. Das hat mir wirklich sehr gefallen und die anderen Monatsbände kaufe ich mir nach und nach auch. Der Dezember liegt schon bereit.

Passend wie kein anderes Gedicht angesichts des Wetters in den ersten Wochen des Novembers in diesem Jahr:

Sonne, was machst du?
Spät noch im Jahr
Äugelst und lachst du
Freundlich und klar.

Lockest die Bienen
Wieder nach Seim,
Weckest den grünen
Schlafenden Keim.

[…]

Seim, so ein hübsches Wort, fast ausgestorben, das lebt nur im geschützten Reservat der Feuilletons, wenn es süßliche Lyrik zu verreißen gilt und einem Dichter die Produktion von Seim oder Honigseim vorgeworfen wird. Das zitierte Gedicht ist von Martin Greif, den ich nicht kannte, wirklich nie gehört den Namen. Immer diese Bildungslücken, schlimm. Es scheint nichts mehr von ihm lieferbar zu sein, da muss ich doch glatt mal wieder in eine Bücherei gehen.

R C Sheriff: Septemberglück.

Septemberglücl

Das hat mir jemand, ich habe leider vergessen, wer es war, auf Facebook empfohlen. Ich kannte weder den Namen des Autors, noch hatte ich vom Buch je gehört, es ist auch gar nicht so einfach zu bekommen. Den Autor hätte ich allerdings gekannt haben können, wie ich jetzt weiß, so unbekannt ist er nicht. Das Buch selbst ist großartig, eine Freude. Da geht es um nichts Besonderes, man liest von einem bescheidenen Urlaub an der See in England, eine Vorortfamilie im jährlichen Ritual, alles ist wie immer. Die Kinder sind teils schon ziemlich groß und gehen in Berufe, man reist aber doch noch einmal zusammen, man tut das sogar gerne. Der Vater plant generalstabsmäßig das Packen der Koffer, die Mutter tut so, als würde sie sich über alles freuen, hat aber eigentlich Angst vor dem Meer und möchte nur bloß niemandem den Spaß verderben. Ein kleines, fragiles Glück, das hier ausgebreitet wird, man ahnt die Zerbrechlichkeit einer Familie, die entschlossen glücklich sein möchte. Ordinary life at it’s best, hier eine Rezension zum Buch (englischer Text). “All of human life is here in the seemingly simple description of the family’s annual holiday in Bognor.” Eines der besten Bücher in diesen Listen in diesem Jahr.

Arthur Schnitzler: Der Mörder – Eine Novelle. Als gemeinfreies Buch bei Sobooks gelesen, ich finde die Darstellung des Textes im Browser sehr angenehm, wobei ich mittlerweile sehr lange Texte doch wieder lieber auf Papier lese. Dies ist aber ein Kurztext. Schnitzler schreibt ein berauschend schönes Deutsch, man möchte schon den ersten Satz gleich mehrfach lesen, so prächtig steigt man da ein: “Ein junger Mann, Doktor beider Rechte, ohne seinen Beruf auszuüben, elternlos, in behaglichen Umständen lebend, als liebenswürdiger Gesellschafter wohl gelitten, stand nun seit mehr als einem Jahre in Beziehung zu einem Mädchen geringerer Abkunft, das, ohne Verwandtschaft gleich ihm, keinerlei Rücksichten auf die Meinung der Welt zu nehmen genötigt war.”

Da wird die Wanduhr langsamer, wenn man so etwas liest. Schön.

Vorgelesen

Hamburg. Ja, Hamburg, das klingt nur komisch, ist es aber gar nicht. Wenn man nämlich ein Kind hat, das gerade lesen lernt, dann liest man die Stadt. Die Werbung, die Schilder an den Gebäuden und Haltestellen, die Gedenktafeln, die Stolpersteine, die Kinoplakate, die Veranstaltungshinweise an Kirchen, die Ausstellungsplakate an Museen und immer so weiter. Die Stadt ist voll von Schrift, überall steht irgendwas. Und wenn man mit einem leselernenden Kind durch die Stadt geht, dann merkt man erst wieder, wie sterbenslangweilig oder rätselhaft das alles ist. Blöde Abkürzungen, die für Investementfonds werden, immer gleiche Verkehrsschilder, unauflösbare Anglizismen, seltsame Rechtschreibung. Warum steht da BackCafe? Wieso ist der Buchstabe da mittendrin groß? Ja, das möchte ich auch mal wissen. Was ist Debeka, was heißt Edeka, was ist eine AG? Haspa? Dr.? Wieso heißt ein Fitnessstudio “Body Street”? Wenn man es mit Kinderaugen sieht, ist die Stadt gar nicht so einfach zu lesen und Papa erklärt und erklärt und erklärt. Und denkt sich insgeheim, dass es für Leseanfänger auch ganz nett wäre, wenn irgendein Restaurant noch “Zum goldenen Ochsen” heißen würde, mit entsprechendem Bild dabei. Aber tempi passati, heute muss ich “Hollywood Canteen” erklären. Es ist wirklich kompliziert.

Gesehen

Akram und die Mauer im Meer” ist ein Kurzfilm über einen Jungen aus dem Gaza-Streifen, der die Schule verlassen hat, weil er Fischer werden musste, um die Familie zu ernähren. Das habe ich mit den Söhnen gesehen, die, ich weiß gar nicht mehr warum, etwas über Gaza wissen wollten, über den Krieg dort. Der Film war ein Zufallsfund, aber ein guter. Hier kann man ihn ansehen (sorry, Link kaputt). Auch die anderen dort verlinkten Filme aus der Reihe “Schau in meine Welt” sind sehenswert.

Hogi. Da mir das Kinderfilmangebot bei Watchever nicht mehr richtig zusagte und ich selbst da fast nie etwas gesehen habe, habe ich das wieder gekündigt und probeweise Kixi auf dem iPad installiert. Das ist eine App nur für Kinderfilme und -serien, ich bin noch gar nicht dazu gekommen, mir das Angebot wirklich näher anzusehen. Immerhin aber habe ich mit den Söhnen schon einmal Hogi gesehen, das ist ein Naturfilm über einen Igel, von der Geburt an bis zum Winterschlaf im Haus einer Igelschützerin. Schön gefilmt, Aufnahmen aus Igelhöhlen sieht man ja nicht jeden Tag. Leider wird der Begleittext etwas kinderfilmtypisch dümmlich gesprochen, aber das stört natürlich immer nur Erwachsene, nicht die Kinder. Immerhin die Erkenntnis: Naturfilme finden die Söhne super, es gibt jetzt also mehr davon.

Gespielt

Nichts, glaube ich. Die Söhne haben Lego wiederentdeckt, das läuft alles von selbst. Auch mal schön. Ab und zu bewundere ich die Konstruktionen, das reicht vollkommen aus.

Lego

Gehört

Renato Carosone. Den kennt man noch am ehesten durch dieses Stück, das kürzlich durch eine Coverversion wiederbelebt wurde. Der hat aber noch viel, viel mehr produziert, in so einem lässig-vergnügten Swingstil, das ist wirklich Musik, die aufhellt. Auf Spotify findet man viel von ihm. Wenn man Renato Carosone über Kopfhörer abspielt und dabei durch Hamburg im November geht, dann sieht alles plötzlich so aus, als könnte die Geschichte gleich lustiger werden. Vielleicht fängt die junge Frau, die da gelangweilt im Geschäft steht, plötzlich an zu tanzen? Vielleicht küssen sich die beiden doch noch, die da ohne Blickkontakt im Bus sitzen, aber nur drei Zentimeter Abstand zwischen ihren Händen haben? Na, vielleicht beim nächsten Lied. Muss doch irgendwann.

 

Kurz und klein

 

Szenen aus Sankt Georg (4) Dein Wille geschehe

Wir wohnen neben einer Kirche und vor der Kirche ist ein Platz, auf dem eine bronzene Kreuzigungsgruppe unter freiem Himmel steht. Früher war sie einmal die letzte Station eines Kreuzweges vom früheren Dom aus, den gibt es schon lange nicht mehr. Die Figuren sind nicht mehr original, aber es sind Nachgüsse eines der ältesten Kunstwerke Hamburgs, sagt zumindest die Wikipedia. Die Figuren von Jesus am Kreuz, von den beiden Trauernden Maria und Johannes und den anderen Gekreuzigten, sie stehen auf hohen Granitblöcken, und die sind tatsächlich noch aus dem Mittelalter.

Vor der Kreuzigungsgruppe steht eine steinerne Bank. Auf der sitzen oft Touristen, die dort gerade stranden, weil sie orientierungslos zwischen Hauptbahnhof, Lange Reihe und Alster nicht mehr weiter wissen und dann eben zum schönen Kirchturm gehen und sich erst einmal hinsetzen. Was man so macht, als Tourist. Sie sitzen dann auf der Bank und essen Fastfood, machen Fotos oder suchen im Reiseführer, was es nun mit dem Kunstwerk da vor ihnen auf sich hat und ob die Kirche irgendwie wichtig ist, ob man die am Ende sogar kennen muss? Ratloses Geblätter, die Kirche kommt längst nicht in jedem Reiseführer vor. Kinder versuchen, an der Kreuzigungsgruppe hochzuklettern. Einige Eltern untersagen es sofort, einige sehen dem gelassen zu. Kleine Kletterkönige legen nach dem Aufstieg den Arm um Jesus und winken in die Kamera.

Manchmal sitzen dort auch Gläubige, manchmal knien sie sogar. Gucken hoch, ernst und lange, die Hände gefaltet. Alte Menschen sind das oft, die da sitzen und beten und den Jesus schweigend ansehen. Der guckt leidend in den Himmel, sie sehen nachdenklich zu ihm. Neben der Steinbank stehen leere Flaschen, weil abends oder nachts jemand dort noch den letzten Schluck genommen hat. Mittags liegen manchmal schlafende Menschen auf der Bank, besonders wenn die Sonne scheint. Das sind manchmal Obdachlose, manchmal aber auch Menschen aus den Büros ringsum, die in der Mittagspause ein Nickerchen machen. Die Bank ist gut besucht.

Ich gehe am Nachmittag dort vorbei, eine junge Frau sitzt auf der Bank. Der Oberkörper schaukelt etwas hin und her, da sieht man schon von weitem, dass sie nicht nüchtern ist. Wenn man näher kommt, hört man ihre Stimme, die verrutschten Konsonanten, die breiigen Vokale, sie klingt wirklich sehr betrunken. Sie sitzt und schaukelt und gestikuliert, während sie mit dem Jesus da oben spricht. Ein friedliches Gespräch ist das aber nicht, es klingt eher nach einer Beziehungskrise – und zwar einer fortgeschrittenen. Sie spricht mit einem deutlichen, sofort zu erkennenden osteuropäischen Akzent. Sie kneift die Augen zusammen, um die Figuren da auf den Granitsteinen besser fixieren zu können, was wohl gar nicht so einfach ist, zumindest schüttelt sie immer wieder wild den Kopf, dass die Haare fliegen, und orientiert sich dann ganz neu. Der Jesus rutscht aber nach einer Weile immer wieder aus ihrem Blick.

“Dein Wille geschehe” ruft sie nach oben und nickt heftig, “Dein Wille geschehe!” Es ist eher ein Befehl als eine Fügung in ein Schicksal, es ist mehr der Tonfall von “Kommst du jetzt nach Hause!” als “In Deine Hände befehle ich meinen Geist” oder dergleichen. Sie ruft das noch einmal und noch lauter, “Dein Wille geschehe!” und dann guckt sie gebannt hin, ob sich da oben etwas rührt. “Jetzt!” ruft sie noch hinterher, dann schweigt sie aber und wartet. Sie erhebt sich sogar ein klein wenig, um näher an dem Angesprochenen zu sein und ihn besser sehen zu können. Das lässt sie dann aber wieder sein, die Welt schwankt doch zu sehr, sie sucht mit beiden Händen tastend Halt. Guckt auf den Boden und atmet durch, hebt dann wieder den Kopf. Sie sitzt und guckt. Sie starrt ihn an, ihn, der sich weiter nicht rührt und immer gleich leidend zum Himmel sieht, über sie hinweg. Zwischendurch dreht sie sich um und folgt seinem Blick, was ist da eigentlich, wo er die ganze Zeit hinsieht? Nichts. Grauer Novemberhimmel über Häusern. Sie dreht sich wieder um und starrt ihn an. Minutenlang sitzt sie so.

Dann atmet sie tief durch und schüttelt den Kopf, vermutlich findet sie, dass die Gesprächspause jetzt unangemessen lang wird. “Ja, was jetzt!” brüllt sie und ist wirklich wütend, dass das nichts kommt. Sie ist außer sich, und wenn sie auch traurig ist, dann sieht und hört man davon nichts, gar nichts. Sauer ist sie, sauer und empört, und so nah an einer Kirche könnte man sogar von flammendem Zorn sprechen.

Denn sein Wille scheint zu sein, dass nichts geschieht. Auch wenn sie den Atem anhält und sich nicht bewegt und ihn einfach nur ansieht und ganz genau hinhört, ihm ganz und gar zugewandt – da kommt nichts. Ist es zu fassen? So geht es ja nun nicht. Sie schüttelt den Kopf, wie man bei einem Streit den Kopf schüttelt, wenn man nicht mehr daran glaubt, dass all die Debatten jemals zu etwas führen können. Sie schüttelt den Kopf, wie man in Beziehungen nach einem langen Streit den Kopf schüttelt, bevor man das Licht ausmacht und unversöhnt einschläft, sie schüttelt den Kopf wie eine Mutter, die das heillos verzogene und bockige Kind doch wieder ohne Abendbrot ins Bett schickt. Sie hat es immer geahnt, das sieht man an diesem Kopfschütteln, dass da nichts kommt. War ja klar.

Sie schüttelt den Kopf aber auch wie jemand, der zu betrunken ist, um sich am nächsten Tag auch nur ansatzweise an die Szene zu erinnern. Sie wird schon Mühe genug haben, nach Hause zu finden. Sie wird am nächsten Tag in keinem guten Zustand aufwachen und nicht mehr viel vom letzten Tag abrufen können. Doch, dass dies so geschehen wird, darauf kann man wetten. Ob das aber sein Wille ist, die Frage kann man den Gläubigen überlassen.

Schwarze Spaghetti mit frischen Tomaten

Untitled

Als ich die Herzdame kennenlernte, hatte ich eine Wohnung mit völlig unbenutzter Küche. Da stand ein blitzblanker Herd, den hatte ich noch nie angemacht. Das war natürlich eine sehr saubere Küche, wenn auch nicht besonders einladend. Kochen konnte ich überhaupt nicht. Im Nachhinein ist es mir gar nicht mehr verständlich, wie ich aufwachsen konnte, ohne von all dem Kochen um mich herum etwas mitzubekommen. Ich saß doch dauernd zwischen kochenden oder backenden Müttern, Großmüttern, Tanten und Großtanten, ich verstehe es wirklich nicht. Aber, warum auch immer, es kam nichts bei mir an, gar nichts. Ich erinnere mich an die kochenden Frauen, die Fische zerlegten, Fleisch wolften, Sahnetorten türmten, ganze Schinken anschnitten oder Äpfel zu Kompott verarbeiteten, damals kochten die Frauen jeden Tag und stundenlang und immer für viele. Wobei die Generationen sich nicht immer ganz einig waren, wie das mit dem Kochen zu gehen hatte. Meine Großmutter schreckte, ganz Kriegsgeneration, vor keinem noch so verdorbenen Lebensmittel zurück und versuchte des öfteren, uns Fleisch unterzujubeln, das wir schon für die Hunde rausgelegt hatten, oder verschimmeltes Brot und andere Schrecknisse. Da war man etwas auf Abwehrkurs und sah lieber einmal mehr nach, was da genau in der Suppe schwamm. Andererseits aber hatte sie einen Kenntnisvorsprung vor den jüngeren Frauen, den sie konnte noch alles fachgerecht verabeiten, was auch nur ansatzweise essbar war. Sie konnte kompetent mit ganzen Schweinen umgehen, Karpfen erlegen oder andere Fische räuchern, sie wusste, was mit Holunderbeeren zu tun war und wann was im Garten zu säen war usw. – sie war durch und durch küchenkompetent. Meine Mutter konnte vermutlich nicht mehr ganz so viel wie sie, das weiß ich gar nicht genau, es wäre aber logisch. Sie hat schließlich keine Schweine mehr im Hinterhof gehalten und keine Hühner für den Eigenbedarf gehabt, da werden schon ein paar Kenntnisse gefehlt haben.

Es gab aber damals noch eine klassische Auswahl an Gerichten nach familiären und/oder regionalen Rezepten. Die Rinderrouladen schmeckten, wie sie eben gehörten, die Kohlrouladen auch. Die Fliederbeersuppe war bei Oma wie bei Muttern, und meine Cousinen werden sie auch nicht anders gekannt haben. Wenn man zum Essen bei Verwandten war, dann war das weitgehend überraschungsfrei. Es sei denn, man fuhr zur Verwandtschaft im Rheinland, da war alles anders.

Heute versuche ich in langen Versuchsreihen, mir die Gerichte von damals wieder zu erschaffen. Bei manchen, wie etwa beim Rhabarberkompott, ist es mir bis heute nicht ganz gelungen, bei anderen, wie etwa bei den Rouladen, habe ich es in immer wieder neuen Anläufen erfolgreich hingetrickst. Das wird sicher nicht das Originalrezept sein, aber es ist im Geschmack sehr, sehr ähnlich, das reicht mir. Denn im Grunde war es doch eine Dummheit, das Kochen nicht zu erlernen, es war ein Stück Heimat- und Traditionsverzicht, ein Aufgeben von Verwurzelung – und es war nur eine ganz kurze Zeit lang eine ziemlich coole Sache, nur auswärts oder Tiefkühlpizzen zu essen.

Ich habe gerade zwei Interviews mit Michael Pollan gelesen, hier in der taz und hier in der FAZ und es kommt mir ziemlich richtig vor, was er da sagt. Das sind auch die Gründe, warum ich immer öfter mit den Söhnen in der Küche stehe und warum ich ihnen jetzt schon beibringe, was da zu tun ist. Das macht ihnen auch Spaß, das ist recht einfach, das bedarf keiner großen Überredungskunst.

Ich habe es aber eine Weile lang als zusätzlichen Stress betrachtet, auch in der Küche noch etwas leisten zu müssen, womöglich noch mit Foodblog-Output und schicken Bildern, das war erst einmal nur ein weiteres Projekt für mich. Jetzt betrachte ich es allmählich eher als Freizeit, das ist in etwa so, als würde man das ganze Kochen durch einen anderen Filter betrachten. Ich muss es mir immer wieder klar machen: das ist nicht nur irgendein weiteres To-Do vor der entspannten Zeit, nein, das ist die entspannte Zeit. Es geht mir also nicht mehr um Arbeit, nicht darum, etwas zu schaffen und zu leisten. Menschen, die tendenziell zum Workaholic neigen, also Menschen wie ich, haben da offensichtlich ein besonderes Wahrnehmungsproblem. Für mich ist auch “Zeit zur freien Verfügung” noch ein Projekt, das kann ich schwer abstellen. Aber es gibt eben Aufgaben, bei denen man sich dringend klar machen muss, dass sie keine Aufgaben sind. Sondern Freizeit oder genau das, was man heute immer Quality Time nennt, diese Stunden mit der Familie, von denen jetzt alle reden. Es geht darum, mit den Kindern zusammen zu sein, zu reden und nebenbei Gemüse zu schnippeln. Es geht nicht darum, das schnell hinter sich zu bringen, es geht darum, Spaß in der Küche zu haben und auch darum, Traditionen zu erschaffen. Der Punkt wird mir tatsächlich immer wichtiger, den habe ich früher nie bedacht.

Ich habe gestern Weißkohl angebraten und mit viel Kümmel weiter gedünstet, das roch sofort nach Lübeck und Kindheit und Winter und ich würde mich freuen, wenn das auch für meine Söhne irgendwann ein Duft wird, der positiv besetzt ist und etwas mit der Familie zu tun hat.

Das ist alles sicher fürchterlich banal, aber man muss eben erst selbst darauf kommen, um es auch anwenden zu können, denke ich, das theoretische Wissen reicht nicht. Das ist auch einer der Gründe, warum meine Kochbuchsammlung immer noch weiter wächst, auch wenn man in Kochbüchern natürlich nicht die eigene Vergangenheit finden kann. Man findet aber doch immer wieder Ideen, die im eigenen Haushalt zur Tradition werden können. Manchmal ist das aus einem Buch nur ein einziges Rezept, das auf dem Küchenplan bleibt, aber das hat sich dann schon gelohnt. Und das ziellose Blättern in Kochbüchern, in der nur vagen Annahme, man könnte zufällig auf irgendetwas Lust bekommen, das man irgendwann einmal machen könnte, das gehört zu den wenigen Sachen, die ich wirklich entspannend finde.

Neu an Bord, wegen des Titels kam ich überhaupt erst auf den Text hier, ist hier jedenfalls Yvette van Bovens “Home made – natürlich hausgemacht” mit Bildern von Oof Verschuren, übersetzt von Linda Marie Schulhof, aus dem Dumont-Verlag.

Untitled

Da sind einige verlockende Rezepte drin, die ganz prächtig in die Reihe “Die Herzdame backt” passen werden, da sind aber auch eine Menge Brote drin, selbstgemachte Liköre, eingemachte Gemüse, selbstgemachter Käse und Senf und dergleichen, das sieht viel nach Spaß aus und nach der Möglichkeit, ein paar grundsätzliche Fertigkeiten zu lernen.Ich habe aber erst einmal gemacht, was ich bei neuen Kochbüchern häufig und gerne mache, ich habe mit dem allersimpelsten Rezept angefangen. Also so ein Abendessen, das in 15 Minuten auf dem Tisch steht.

Schwarze Spaghetti mit frischen Tomaten

Untitled

Dazu zerlegt man 6 Tomaten mit etwas Zitronensaft und Zitronenschale, einer bis zwei durchgepressten Knoblauchzehen und evtl. einer Chilischote im Mixer. Wer Kinder hat, lässt sie bitte den Knopf drücken, denn kaum etwas befriedigt sie mehr, als Gemüse zu atomisieren. Salz und Pfeffer dazu. Nebenbei schwarze Spaghetti kochen.

Zwei weitere Tomaten vierteln, Kerne entfernen (steht im Buch, mache ich nicht, so weit kommt’s noch, viel zu fummelig). Tomatenwürfel unter die Sauce rühren, zack, Sauce fertig. Ja, die soll kalt sein, das gehört so.

Dann etwa ein halbes Bund Basilikum mit 100 ml Olivenöl, Pfeffer und Salz pürieren. Das ist übrigens eine sehr gute Idee, warum bin ich da noch nie drauf gekommen? Seltsam. Schwarze Spaghetti auf Tellern anrichten, mit zerpflücktem Mozzarella bestreuen und noch das Basilikumöl darübergeben. Sofort und dringend servieren, sonst werden die Nudeln kalt wie die Sauce. Das ist sehr, sehr gutes Essen, schnell und stressfrei. Das kann man auch gut für Gäste machen, das sieht nach etwas aus und macht keine Arbeit, das ist ja immer gut und erstrebenswert. Das kommt hier auf die Liste der immer anwendbaren Nudelgerichte, von denen man eh nie genug haben kann.

Untitled

Untitled

Untitled

Und zu den Rezepten, die das Selbermachen mehr betonen, zu denen kommen wir dann natürlich auch noch. Demnächst.

 

 

Das Dienstags-Update bei „Was machen die da“

Bei „Was machen die da“ haben Isa und ich heute das Porträt einer Dame, deren Nachname so dermaßen gut zu unseren passt, man möchte sofort ein Messingschild in Auftrag geben: „Billerbeck, Bogdan und Buddenbohm“. Klingt das nicht fein, seriös und vertrauenswürdig? Möchte man da nicht sofort irgendwas notariell beglaubigen lassen?

Klappt aber nicht, die Dame ist Gitarristin. Das ist natürlich auch interessant, versteht sich.  Bitte hier entlang.

Eine Gitarre

Demnächst in diesem Theater

Es kommt immer wieder vor, dass Kinder plötzlich irgend etwas können oder wissen, von dem man keine Ahnung hatte, dass sie es können. Man hat einfach den Punkt verpasst, obwohl man doch jeden Tag zusammen ist, obwohl man jeden Tag über alles Mögliche spricht, sich austauscht und sich gegenseitig beobachtet. Vielleicht ist man betriebsblind. Es gab vielleicht auch gar keinen sanften Übergang von einem Zustand zum anderen, es gab vielleicht eher einen Sprung, einen Effekt, als hätte jemand einen Schalter umgelegt. Das Kind kann plötzlich etwas und man guckt entgeistert. Das ging mir damals so, als Sohn II irgendwann eine Frage von mir im ganzen Satz beantwortete und ich mich konsterniert fragte, seit wann das Kind eigentlich anständig spricht. Hatte er nicht gestern noch “Dada” oder so etwas gesagt? Das ging mir auch so, als Sohn I plötzlich Schleifen binden konnte oder als Sohn II auf einmal bis hundert zählte. Man kann noch so eng mit jemandem zusammen sein, es gibt dennoch Überraschungen. Und manchmal fallen die Überraschungen etwas größer aus.

Sohn I, der jetzt recht zügig Lesen und Schreiben lernt, hat neulich den ersten Blogartikel hier selbst gelesen, das war eine besondere Premiere für mich. Das wird natürlich auch Folgen für mein Schreiben haben, dass er jetzt manchmal mitliest, das habe ich schon seit einer Weile erwartet, das ist eingeplant. Da saß er jetzt also tatsächlich mit dem iPad auf dem Schoß im Bett und buchstabierte sich den Artikel über Hallamati 2014 selbst zusammen, sehr angetan davon, dass der Begriff in der Überschrift von ihm selbst war. Ich lag daneben, hörte ihm zu und war mir plötzlich nicht mehr ganz sicher, was er eigentlich über das Bloggen alles wusste, über dieses Blog im Besonderen, über die Sache mit dem Internet, den sozialen Netzwerken und das alles. Ich habe darüber vermutlich nie Vorträge gehalten, nur hin und wieder nebenbei etwas erklärt, wenn gerade die Sprache darauf kam, etwa bei Instagram, darüber schrieb ich schon einmal. Aber was für ein Gesamtbild hat das Kind eigentlich im Kopf? Weiß er überhaupt, was sein Vater da treibt, und wie genau weiß er das? Und versteht er es auch richtig? Er weiß natürlich ganz gut, dass unbekannte Leserinnen ab und zu Geschenke für die Söhne schicken – aber sonst? Fällt meine Tätigkeit nicht einfach unter “Papa schreibt irgendwo irgendwas”?

Ich: “Du liest da ja gerade einen Artikel aus dem Blog…”
Sohn I: “Ja, aus den Herzdamengeschichten, wo Mama die Herzdame ist und ich Sohn I und mein Bruder Sohn II. Das ist dein Blog, weiß ich doch. Das und dieses andere, wo du das mit den Interviews mit Isa hast. Mit den ganzen Terminen, wo auch der mit den Kiebitzen war.”
Ich: “Äh, ja.”
Sohn I: “Bei dem mit den Interviews würd ich ja gerne mal mitkommen. Ihr könntet in einer Schokoladenfabrik befragen, das würde ich gut finden.”
Ich: “Oh. Ja, das ist eine durchaus einleuchtende Idee.”
Sohn I: “Aber jetzt lese ich in den Herzdamengeschichten. Das mit Hallamati.”
Ich: “Eines Tages, mein Sohn, wird das alles…”
Sohn I: “Ich lerne ja jetzt Lesen und Schreiben, da könnte ich doch auch eine Kolumne fürs Blog schreiben? Ich kann z.B. Apps für Kinder und so etwas testen und wir nennen das dann “Elektrospielzeug”? Geht das?”

Er weiß, was eine Kolumne ist? Er hat eine gute Idee parat und auch noch einen griffigen Titel? Ich habe wahrscheinlich minutenlang mit offenem Mund neben dem Kind gesessen. Aber hier oben drüber steht “Buddenbohm & Söhne”, und das ist tatsächlich viel mehr Familienbetrieb, als es vielleicht den Anschein hat. Auf die eine oder andere Art haben die Söhne hier schon bei vielen Artikeln tatkräftig geholfen, etwa bei der ganzen Reihe “Hamburg mit Kindern”. Die Theaterrezension neulich zum kleinen Störtebeker hat die Meinungen von vier Personen gebündelt, da haben wir vor dem Erscheinen des Textes alle Aspekte gemeinsam in der Familienrunde verhandelt. Und nachdem die Herzdame mit der noch ziemlich neuen Reihe “Die Herzdame backt” gerade hier als Akteurin zugestiegen ist, freue ich mich natürlich auch über einen schreibenden Sohn. Einen Sohn, versteht sich, der noch keine ganzen Artikel selbst schreiben kann, er wurde gerade erst eingeschult. Aber er kann denken und diktieren und Sätze beginnen und wir werden das gemeinsam lösen, selbstverständlich doch, das fällt ja alles unter Medienerziehung. Ich wäre darauf nicht gekommen, aber wenn er das ausdrücklich möchte – dann machen wir das möglich. Ich habe als Kind im Handwerksbetrieb meines Vaters geholfen, er hilft mir jetzt in meinem kleinen Onlinebetrieb, das passt schon.

Wir sind uns noch nicht ganz sicher, mit welchem Autorennamen er hier publizieren wird, Sohn I wird es sicherlich nicht sein. Als Sohn I wird man beschrieben, als Sohn I schreibt man nicht, das sieht er auch so. Egal, das wird sich noch finden, vermutlich wird es der Spitzname, mit dem ihn seine Freunde anreden. Demnächst gibt es also in diesem Theater die neue Kolumne “Elektrospielzeug”, Sohn I schreibt über Spielzeug 2.0, vermutlich in höchst unregelmäßigen Abständen. Er ist ein Kind, er kennt sich aus mit Spielzeug, das fällt quasi unter Grundqualifikation. Seine Meinung könnte vielleicht für andere Kinder interessant sein. Oder auch für Eltern, warum nicht.

Sohn II läuft derweil den ganzen Tag mit einem Notizbuch in der Hand herum, damit er vermerken kann, wenn ihm etwas begegnet, über das irgendwer in der Familie etwas schreiben sollte. Er zeichnet das dann einfach.

Doch, das ist schon eine spannende Sache, so ein Familienbetrieb. Auch wenn er online stattfindet.

Kurz und klein

 

Hallamati 2014

Es ist alles nur eine Phase. Dieses Eltern-Mantra, das auch der Untertitel eines meiner Bücher geworden ist, muss nun auch für den jährlichen Hallamati-Text zitiert werden, denn die Hallamati-Phase ist wohl vorbei. Da kommt nichts mehr, das war es, es gibt nichts zu sehen. Aber bevor das doch noch etwas näher erklärt wird – es gibt vielleicht Neuzugestiegene, die mit dem Begriff Hallamati gar nichts anfangen können. Bei Interesse an speziellen Traditionen kann die Geschichte des Hallamatis in der Familie Buddenbohm in chronologischer Reihenfolge hier nachgelesen werden:

2009

2010

2011

2012

2013

Die Reihe umfasst immerhin fünf Jahre, das ist doch schon was. Mittlerweile ist Sohn I aber sieben Jahre alt und Klassenältester, also selbstverständlich über solchen Kleindkindkram wie Laternenumzüge ausdrücklich erhaben. Schulfreunde könnten ihn dabei sehen, nicht auszudenken. Sohn II ist fünf Jahre alt und zählt eigentlich durchaus noch zur Zielgruppe, hat aber als geborener Partisan stets etwas gegen die gerade herrschende Mehrheitsmeinung, ist im wahrsten Sinne des Wortes kein Mitläufer und setzt diese spezielle Haltung mit jedem Jahr konsequenter um. Mit einer Laterne um den Block zu ziehen, das sei ebenso langweilig wie sinnlos, hat er mir heute beim Frühstück erklärt, das kommt für ihn nicht mehr in Frage. Und damit ist das Thema wohl endgültig erledigt.

Mit einem Revival im nächsten Jahr rechne ich nicht. Aber irgendwie ist es doch erfreulich, dass regelmässig zum Jahrestag des Heiligen Martin hier einige Suchanfragen per Google und Suchbegriff “Hallamati” anlanden, das ist schön. Das Wort lebt und mit etwas Glück schafft es sogar noch ein paar Jahre. Sollten Sie heute mit kleinen Kindern Hallamati begehen – ich wünsche viel Vergnügen.Sollten Sie sich aber lustlos zur Veranstaltung quälen müssen oder gar mit schlecht gelaunten Kindern durch eisigen Regen ziehen – es ist wirklich alles nur eine Phase.